BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


R

Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 326-333

Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Prinz Friedrich von Homburg

Ich habe die Veröffentlichung Roberts über den Prinzen der Vergessenheit entzogen, einmal weil sie uns zeigt, welche Anstrengungen notwendig wurden, welche Vorurteile überwunden werden mußten, um das Stück auf die Bühne zu bringen, dann aber auch, weil sie den Vorwurf widerlegen, daß Robert seine Hand dazu geboten habe, das Stück seines Freundes in einer sinnlosen und pietätlosen Verstümmelung dem Publikum zu bieten. Sch. behauptet, daß Ludwig Robert die sogenannte Feigheit des Helden durch seine eigene Feigheit als Bearbeiter ausgewischt hätte. Wir haben gesehen, daß unter allen den zahlreichen Freunden Kleists Robert der einzige war, der sich auf dem schwierigen Berliner Boden für die Aufnahme des verwaisten Stückes mit allen seinen Kräften verwendete. Das Stück wurde in Berlin zum ersten Male aufgeführt am Sonnabend, dem 26. Juli 1828. Am Tage der ersten Aufführung erschien eine Vorbesprechung in den B. N. (Nr. 173, Sonnabend, den 26. Juli 1828), eine Vorbesprechung nicht der Aufführung selbst, sondern des Stückes, offenbar in der Absicht, das Publikum vorzubereiten, genau so wie es sieben Jahre früher Tieck in Dresden vorbereitet hatte. Diese von Ludwig Robert mit voller Namensunterschrift versehene, sachlich interessante Kritik des Stückes hat folgenden Wortlaut:

< >>Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 26. 7. 1828, Nr. 173, unpag.>

<328:> Der Prinz ist im Jahre 1828 in Berlin offenbar ohne tieferen Eindruck, ohne Sang und Klang und fast spurlos vorübergegangen. In den B. N. befinden sich die folgenden Theateranzeigen.
No. 172. Freitag, den 25. Juli 1828. Sonnabend den 26. im Schauspielhause. Zum Erstenmale. Prinz Friedr. v. Homburg. Schausp. in 5 Abth. von H. v. Kleist.
No. 173. Sonnabend, den 26. Juli. Wiederholte Anzeige.
No. 174. Montag, den 28. Juli. Zum Erstenmale wiederholt.
No. 177. Donnerstag, den 31. Juli. (Zum 3ten Mal) – – (Mad. Pann, vom K. K. priv. Theater an der Wien: Prinzessin Natalie, als Gastrolle.)
In welcher Form das Stück in Berlin aufgeführt wurde, und wie der Bearbeiter mit dem Stück umgegangen ist, darüber belehrt uns eine Besprechung in der „Vossischen Zeitung“ vom 4. August 1828, der ich folgendes entnehme: „Mit geschicktem Sinne ist da gekürzt oder geglättet,“ schreibt der Rezensent (Fr. Wilh. Gubitz), „wo Schroffheiten des hochpoetischen Werkes Anstoß erregten; indes scheint es uns doch schade, daß die erste Szene fehlte, in der Natalie dem Prinzen den Lorbeerkranz zeigt, das Ziel seines jugendlichen <329:> Heldensinnes, und den ominösen Handschuh fallen läßt; mit ihr ist ein Teil des Reizes entschwunden, der sich über dies romantisch-schöne Bild verbreitet. Die später folgende Erzählung des Vorfalls kann unmöglich so interessieren, wie die Szene selbst. Dafür, daß der Bearbeiter die Todesfurcht des Prinzen, bei dem Anblick des offenen, für ihn bestimmten Grabes – eine Furcht, die rein menschlich, aber für den Helden unmännlich erscheint – dahin verändert hat, daß er den Jüngling nur vor dem Tode aus der Hand strafender Gerechtigkeit zurückbeben läßt, verdient er Dank.“ – Die Hauptrolle des Stückes waren glänzend besetzt und der Darstellung wird alles Lob gespendet. Ebenso wie in Dresden, wurde das Stück auch in Berlin mit einer musikalischen Begleitung aufgeführt. Auf dem Theaterzettel eines späteren Jahres finde ich den Vermerk: Die Ouvertüre, sowie die Musik zu den Zwischenakten und die zur Handlung gehörige Musik ist vom königlichen Kapellmeister Henning.
Die B. N. brachten eine Besprechung des Stückes und die Aufführung in Nr. 183 vom Donnerstag, den 7. August 1828.

„Dies geistreiche Drama ist der Lesewelt schon seit vielen Jahren bekannt, auch ist es auf auswärtigen Bühnen, selbst in Wien, schon vor mehreren Jahren vorgestellt worden; nur gerade die erste vaterländische Bühne, zu dessen weltgeschichlicher Gründung die ruhmvolle That geschah, die der Gegenstand des Schauspiels ist, hat der Vorstellung desselben bisher entbehren müssen. Indeß das Gute kommt nie zu spät und zur Unzeit, ja vielleicht ist gerade jetzt so ein gehaltvolles, durch Poesie und den Stoff doppelt anziehendes Schauspiel zur rechten Zeit gekommen, um im Verein mit den Meisterwerken unserer großen, todten und lebenden Dichter (Shakspeare mitgerechnet, denn er ist in Geist und Wahrheit ein Deutscher) der überhandnehmenden, zur Mode gewordenen Handwerksburschen-Poesie, die überdies nicht einmal die Geburt einer ausschweifenden genialen Kraft, was ihr allein Wert geben könnte, sondern bloße Nachäffung und kahle Abschreiberei des blauen Montags und des Markts ist, entgegen zu wirken. – Nachdem, was Ludwig Tiek schon bei der Herausgabe dieses Schauspiels über dasselbe gesagt und – neuerlich in unserer Zeitung Ludwig Robert, namentlich in Betracht der augenblicklich in dem Helden des Stücks so mächtig erwachenden Liebe zum Leben und Scheu vor dem Tod so trefflich ausgeführt <330:> hat, ist jede Anpreisung des herrlichen Dramas und eine Rechtfertigung des eben genannten, viel angefochtenen Punktes überflüssig. Nur das muß Refer. ausdrücklich erwähnen, daß Herr Robert, mit Blick und Takt, der Scene, wo der Prinz der Kurfürstin zu Füßen fällt und um sein Leben bittet, Modificationen und bestimmtere Bezeichnungen des Ausdruckes jener Bitte hinzugefügt hat; es ist nicht der Tod, dem er furchtlos in zwanzig Schlachten entgegenging, es ist der Tod der Strafe, die öffentliche Hinrichtung, die ihn schaudern macht. Hr. Robert hat für diese, den Sinn des Dichters nicht wesentlich verändernde Modification eine große Autorität für sich, denn nicht unähnlich damit ist es, was Goethes Egmont im Kerker bei der Betrachtung der ihn erwartenden Hinrichtung empfindet und ausspricht. Auch die Veränderung im Anfange des Stückes, wo der Scherz des Kurfürsten und des Hofes, indem die Prinzessin Natalie dem schlafenden Prinzen den Lorbeerkranz in die Hände legen soll, nur erzählt wird, ist von Herrn Robert, vielleicht weniger notwendig, aber durch die achtungswerthesten Rücksichten und zarten Schicklichkeitsgründe motivirt. – – – Refer. kommt noch kurz auf die historischen Umstände zu sprechen. Die Aufführung selbst wird sehr gelobt. Die Musik war von Henning. Stavinsky hatte die Regie und spielte den Kurfürsten. „Am Schluß wurden Alle gerufen.“

Die „Voss. Zeitung“ brachte die Besprechung der ersten Aufführung des „lang ersehnten Schauspiels“ am 4. August 1828 (Beilage zu Nr. 180): „Mit geschicktem Sinne ist da gekürzt oder geglättet, wo Schroffheiten des hochpoetischen Werkes Anstoß erregten.“ Der Ausfall der ersten Szene wird bedauert; hingegen „dafür, daß der Bearbeiter die Todesfurcht des Prinzen beim Anblick des offenen, für ihn bestimmten Grabes – eine Furcht, die rein menschlich, aber für den Helden unmännlich erscheint – dahin verändert hat, daß er den Jüngling nur vor dem Tode aus der Hand strafender Gerechtigkeit zurückbeben läßt, verdient er Dank.“
Der Hof wohnte der ersten Aufführung des Prinzen nicht bei. Die Vorstellung wurde im ganzen nur dreimal wiederholt. Schon am 30. Juli schreibt der „Gesellschafter“: „Nach Heinrich v. Kleists Schauspiel: „Der Prinz von Hessen-Homburg“ wird nun auf der königlichen Bühne Uhlands „Ludwig der Bayer“ gegeben. Überhaupt ist die Aufführung des Prinzen, welche in Dresden mit stürmischem Beifall aufgenommen und oft erwähnt wurde, im Theaterleben Berlins auffallend spurlos <331:> vorübergegangen. In der Presse finden wir kaum eine Andeutung hierüber, und selbst Teichmann in seinem literarischen Nachlaß, der sonst alle Neuaufführungen gewissenhaft registriert, erwähnt den „Prinz von Homburg“ auf der Bühne des Schauspielhauses mit keinem Worte. Es berührt uns heut eigentümlich, wenn wir bei ihm lesen: Im Jahre 1828 war die bemerkenswerteste Neuigkeit Deinhardtsteins Schauspiel „Hans Sachs“, welches am 13. Februar zur Aufführung kam.
Ich komme auf die Vorwürfe zurück, die gegen Robert wegen seiner Bearbeitung gehäuft worden sind; man hat ihm Pietätlosigkeit und Feigheit vorgeworfen, Vorwürfe, die im Grunde genommen genau so berechtigt sind gegen alle übrigen Bearbeiter, die Kleists Stücke auf die Bühne gebracht haben, gegen Schmidt in Hamburg, gegen Genée usw., von Holbein gar nicht zu reden. Wenn Goethe in Weimar den zerbrochenen Krug annahm, so tat er es sicher im guten Glauben an den Wert der Dichtung. Goethe als Dichter empfand den wahren Respekt vor der Dichtung; jeder schauspielerische Regisseur und Direktor hätte sich leicht bereit gefunden resolut zu streichen, Goethe wollte das Werk unverkürzt in seiner Totalität wirken lassen, einen zerbrochenen Krug, aber ein ganzes, unversehrtes Kunstwerk. Bei einer Länge von nahezu zweitausend Versen – mehr als eine Sophokleische Tragödie – mußte er teilen und in Akte zerlegen, mußte er aus der Not eine Tugend machen. Die Wirkung auf das Publikum ist bekannt. Wenn Schmidt später und bei den anderen Stücken die ersten Bearbeiter sich auf den Standpunkt des Bühnenpraktikers stellten, wer kann ihnen daraus einen Vorwurf machen? Sie haben gestrichen und notgedrungen geändert. Jede Änderung kann natürlich gegenüber einem Kleistschen Kunstwerk nur eine Verschlechterung und Verballhornung sein. Pietätlosigkeit war das ganz gewiß nicht. Es war im Grunde genommen der praktische Standpunkt von Kleists Cheruskerfürsten, der auch ganze Strecken seines Vaterlandes verwüstete, um dieses selbst zu retten. Ludwig Robert aber trifft der <332:> Vorwurf der Feigheit am allerwenigsten. Er hat fast sechs Jahre mutig und energisch für Kleists hinterlassenes Stück gekämpft, er hat versucht, das Publikum zu bekehren, und erst als der Widerstand nicht anders zu überwinden war, sich, wie er es nennt, zur „Milderung des Excentrischen“ entschlossen. Dem Publikum konnte zunächst Kleists dramatische Poesie nur zugestutzt und mundgerecht vorgesetzt werden – das ist ein Vorwurf. Aber noch viel schwerwiegender ist der Vorwurf, daß das Publikum nicht in die Kleistsche Poesie hineingewachsen ist, daß ein Stück, wie der zerbrochene Krug, um nur ein Beispiel anzuführen, dessen klassischen Wert die Kritik und das Publikum übereinstimmend anerkennen, das vortreffliche dankbare Rollen enthält, wohl bei besonderen Gelegenheiten erscheint, ein Repertoirestück nicht geworden ist. Noch heute gilt, was Dingelstedt vor 30 Jahren schrieb: „Armer Kleist, der Du zeitlebens wenig Chancen gehabt, Dein zerbrochener Krug hat auch nach Deinem Tode nicht viel! Während höchstens Dein Käthchen als im Kurs gestiegen notirt werden darf, bleiben Hermannsschlacht, Prinz von Homburg selten begehrt, Penthesilea flau, Schroffenstein –.
Eine bemerkenswerte Aufführung des Prinzen von Homburg brachte am 25. April 1833 das Düsseldorfer Stadttheater. Immermann hatte, als er die Bühne im Winter 1832 übernahm, eine Reihe von Subskritionsvorstellungen eingerichtet, oder Mustervorstellungen, wie sie das Publikum, Künstlervorstellungen, wie sie die Schauspieler nannten. Als vierte dieser Vorstellungen stand auf ausdrücklichen Wunsch der Regie, der Schauspieler und des Publikums der Prinz auf dem Repertoire. Die Bearbeitung des Stückes stammte von Immermann selbst, der stark kürzte und strich und in der Todesszene die Worte wegfallen ließ, in welchen der Prinz die Schmach dem Tode vorzieht\1\. Der Aufführung folgte ein von Immermann gedichteter „Epilog im Charakter des Kottwitz“, gesprochen vom Schau- <333:> spieler Reger. Die Aufführung wurde mit größtem Beifall aufgenommen, der sich bis zum Jubel bei offener Szene steigerte. Immermann selbst schreibt über die Aufführung an seinen Bruder Ferdinand:

„Mit dem „Prinzen von Homburg“, den ein Epilog, gesprochen vom Charakter des Kottwitz folgte, schloß ich die Bühne. Wärst Du doch dabei gewesen! Es war eine ganz allerliebste, geistvoll und abgerundet in sich zusammenhängende Darstellung, wo selbst das Schwierigste, die Mondscheinszene, die Diktierszene, der fünfte Akt, mit einer Leichtigkeit exekutirt wurde, daß ich selbst darüber erstaunte. Groß und gewaltig und doch vollkommen klar ging die Schlacht (zu welcher Professor Hildebrandt die Gruppen gestellt hatte), kurz, ich hätte tausenderlei des Gelungenen zu erzählen, wenn Dir das helfen könnte.“

Zum Prinzen bringt Sch. eine eingehende Angabe der Quellenwerke und der neuen Literatur. Nachzutragen ist ein umfangreicher Aufsatz in den Didaskalia vom Jahre 1827 (Nr. 17-23), in welchem unter der Überschrift „Mannheimer Dramaturgie“ im Anschluß an die erste Aufführung in Mannheim (Dienstag, den 26. Dezember 1827) nach einer allgemeinen Beurteilung des Stückes, wie ich glaube zum ersten Male, die geschichtlichen Umstände, worauf dieses Schauspiel sich bezieht, nach Carl Curths in „Woltmanns Zeitschrift“ vom Jahre 1804 erzählt werden. Der Aufsatz schließt mit einem Hinweis auf Tiecks Erklärungen des Stückes, die über die von Zimmermann in seinen „dramaturg. Blättern für Hamburg“ gestellt werden.

\1\ Über die Einzelheiten siehe Richard Fellner a. a. O.

[ R ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]