Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 321-326
Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Prinz
Friedrich von Homburg
Und es ist buchstäblich wahr; es ist die rührendste
Begebenheit, die man hören kann; die Geschichte bewahrt diese That, als eine der
anspruchlosesten des Heroismus; und Froben war ein Brandenburger; und man setzt Preise auf
vaterländische Dramen aus, und diese rührende Begebenheit sollte nie von der Bühne
herauf den Preussen erzählt werden
?! Die Musik begann, und wir konnten den
Schluß dieser emphatischen Rede nicht deutlich vernehmen.
Der erste Akt begann. Dessen erste schwierige Hälfte war vortrefflich
in Szene gesetzt; man hatte die möglichste Vorsicht gebraucht, damit die Begebenheit des
Nachwandelns, der Scherz mit dem Lorbeerkranz und das Niederstürzen des Prinzen, als er
bei Namen gerufen wird, nicht gegen die gewohnte Konvenienz der Bühne verstoßen sollten;
dennoch war man befremdet über solchen Anfang, aber die angestrengte, stille
Aufmerksamkeit des Publikums beschämte und unterdrückte das verabredete lächerliche
Lachen der unglücklich Verschworenen. Die zweite Hälfte des Aktes voll kriegerischen
Lebens genau, und ort- und zeitgemäß dargestellt, erhöhte den Antheil und
steigerte die Aufmerksamkeit, der Vorhang fiel unter Beifallsbezeugungen. Demungeachtet
wurden nun die ersten Szenen des Nachtwandelns und der Scherz, den sich der Kurfürst bei
seinem ersten Erscheinen erlaubt, allgemein als mißständig getadelt. Selbst der
Publicist konnte sich kein Gehör verschaffen; <322:> denn man wollte seinen
Vertheidigungsgrund nicht gelten lassen, und nichts davon hören, daß der Kurfürst
nothwendigerweise diese Schuld auf sich laden müsse, theils um mehr in den Konflikt des
Stückes zu gerathen, über welchem er sonst isolirt schweben würde, theils um ihn eben
dadurch auch menschlich, schuldbewußt und doch edel und doch majestätisch hinzustellen;
Hohenzollern, der ihm seine Schuld vorhält, sagte auch: Ich bin sicher, mein Wort
fiel, ein Gewicht, in Deine Brust. Dies aber auszudrücken, und uns an dieser
Stelle, ob des früheren Scherzes zu versöhnen, sei Sache des Künstlers, der den
Kurfürsten darstellt. Alles lehnte sich, trotz dieser Gründe, gegen das Übertriebene,
Unnatürliche, Märchenhafte dieser Szene auf, nur Eulenböck sagte: Ohne diese
Phantasterei wäre mir das Gemälde zu niederländisch, oder vielmehr zu märkisch.
Hinreißend wirkte das Schlachtgemälde, mit welchem der zweite Akt
beginnt; doch nein! Gemälde ist das Wort nicht, es ist die Schlacht selbst,
die uns der Dichter nicht etwa darstellt, sondern selbst mit beiwohnen lässt; wir
befinden uns auf einem der Flügel, bei der Kavallerie, die fern außer dem Kanonenschusse
aufgestellt ist; wir hören und sehen die Schlacht vom ersten Signalschuß, bis zum ganz
nahen Musketenfeuer, wir schauen jede Bewegung des Feindes und der Unsern vom Standpunkte
des Generalstabes aus, bis endlich die Kavalleriemasse in den schon geschlagenen Feind
stürzt. Mögten doch unsere heutigen Dichter und Regisseurs sich hier belehren lassen,
wie die wahre Kunst des Dramas, ohne Hilfe des Dekorateurs und des Maschinisten, ohne
Tänzer, Komparsen und Pferde, eine Schlacht darstellt. In der folgenden Szene
befinden wir uns nicht mehr in der Schlacht, aber noch immer im Kriege; die Landesmutter
auf der Reise, in einem Bauernhause, hört den Bericht der gewonnenen Schlacht und die
Schreckensnachricht von dem Tode des Kurfürsten. Homburg tritt auf; Er hat
die Schlacht gewonnen. Er tröstet die Gattin und die Geliebte. Er will beider Sache
übernehmen. Er ein Engel mit dem Flammenschwert an des verwaisten Thrones Stufen
stehen. Die Kurfürstin weist sein Gesuch um Nataliens Hand nicht zurück; er ist in
seinen Träumen auf dem höchsten Wolkengefühl des Glückes! Dieser Sieges- und
Wonnerausch steigert sich sogar bei der Erzählung von des Kurfürsten Rettung und Frobens
Opfertod; im Gefühl der Kraft und von Heldenmuth und Sohnesliebe begeistert, ruft er in
Beziehung auf den edlen Diener und seinen großen Herrn: Wenn ich zehn Leben hätte,
könnte ich sie besser brauchen nicht als so! In dieser höchst aufgeregten
Stimmung, sehen wir ihn, in der unmittelbar darauf folgenden Szene, noch siegestrunken von
der eben gewonnenen Schlacht, die errungenen Trophäen zu seines Fürsten Füßen
niederlegen. Lohn und zwar den schönsten Liebeslohn denkt er für
seine Großthat zu empfangen, und so wenig hat er eine Ahnung seiner Schuld, daß er
vielmehr auf die Frage des Kurfürsten: <323:>
Mithin hast du die Reiterei geführt?
Beinah mit stolzem Vorwurf antwortet:
Ich? Allerdings! Mußt Du von mir das hören?
Hier leg ich den Beweis zu Füßen Dir.
Und hierauf erwidert der Kurfürst:
Nehmt ihm den Degen ab. Er ist gefangen.
Einen eminenteren Glückswechsel als hier dieses Drama, hat kaum die Tragödie
aufzuweisen. Selbst Dörfling der Feldmarschall und der alte eiserne Kottwitz erschrecken
und gestehen es, daß sie erschrecken. Der Prinz kann hier kaum bei Sinnen bleiben, und er
bleibt es auch nicht. Helft, Freunde, ruft er ich bin verrückt,
und fragt darauf: Sind denn die Märkischen geschlagen worden? Schon diese
Szene wäre hinlänglich, die spätere Furcht vor der Hinrichtung zu motiviren und zu
rechtfertigen. Aber der Dichter thut mehr, er zeigt uns im nächsten Akt den Prinzen im
Gefängniß und auch hier noch immer seine Schuld nicht anerkennend, nicht begreifend, und
daher so fest, so innig überzeugt von seiner Begnadigung, daß weder das Kriegsgericht,
noch das Todesurtheil, noch die vermuthliche Bestätigung desselben ihn in seinem ruhigen
Gefühle der Sicherheit stören. Nur dann, als er erfährt, daß seine Liebe mit der
Politik in Konflikt gerathen sei, glaubt er ein Opfer der ersteren zu werden, glaubt er an
seinen Tod, an seine Hinrichtung! Nun als Hohenzollern ihn diese Halbwahrheit bestätigt,
eilt er fort, der von höchster Sonnenhöhe des Glückes hinabgestürzte, schwerverwundete
Mensch und sucht Rettung, und sieht auf seinem Wege, wie man sein Grab
bereitete. Stärker kann man nicht motiviren, wenn mehr als Furcht, wenn Angst
vor gewaltsamer Hinrichtung, Todesangst in der zerrütteten Seele eines hoch vom Glück
begünstigten, lebenskräftigen Heldenjünglings gezeigt, in ihrer völligen
Gräßlichkeit, in ihrer armseligsten Nacktheit gezeigt werden soll. Und zeigen wollte uns
dieses der Dichter, um nach so schwerem Falle, seinen Helden, doppelt kräftig, doppelt
muthig zu erheben; nein! sich selbst erheben zu lassen. So sehr wir nun von
der Weisheit des Dichters und von der bedingten Nothwendigkeit dieser Szene überzeugt
waren, so bangte uns doch vor ihrem Erfolg bei dem Publikum, und das umsomehr, da wir der
Stelle aus der Vorrede zu Kleists hinterlassenen Schriften gedachten, wo es also
heißt: Unter so vielen hergebrachten Angewöhnungen der Bühnenwelt ist auch die,
daß die Todesfurcht unter keinen Bedingungen in ihrer ganzen Gräßlichkeit in edlen
Gemüthern erwachen darf. Aber wir hatten uns und wie oft begegnet das
unseren Theaterdirektoren, wenn sie mit vormundschaftlicher Weisheit und apodiktisch
vorausbestimmen, welches Schauspiel ihrer Pupille, nämlich dem Publikum gefallen oder
nicht gefallen wird! Wir hatten uns, sagen wir, hinsichtlich jener
besprochenen Szene getäuscht. Nicht allein, daß sie nicht abstieß, fesselte
sie im Gegentheil, bewegte, riß hin. Und gern gestehen wir, <324:> daß zu diesem
Erfolge die darstellenden Künstler größtentheils mit beigetragen haben. Ganz in die
Absicht des Dichters eingehend, war der Prinz, da wo er mit schnell hinströmender und
gewaltig aufwogender Rede, um sein Leben bittet, noch immer derselbe hinbrausende Held,
der gegen den Willen des Feldherrn, in die Schlacht stürzt; derselbe zu Boden
geschmetterte Mensch, der früher außer sich aufschreit: Helft, Freunde! ich bin
von Sinnen! derselbe krankhafte Träumer, der den Lorbeer des Ruhms und
die Myrthe der Liebe schon errungen glaubte und nun in der Todesgruft lebendig begraben
erwacht. Er erschreckte das Publikum so sehr, daß dieses sein Richteramt und alle
Ehrengesetze, ja die gesamte Ethik in diesem furchtbaren Momente vergaß. Zu diesem
wahrhaft tragischen Eindruck das ihrige beizutragen, versäumten auch die Frauen nicht;
ein kalter Todesschreck ergriff beide, bei der Zerrüttung, bei der Vernichtung des Sohnes
und des Geliebten, der den eigenen Siegerkranz: Lorbeer und Myrthe im Krampf der
Todesangst schmählich zerreißt. Natalie starrte vor Entsetzen und da erst, wo ihr der
Dichter die thatkräftige Rede in den Mund legt, riß sie sich mit Gewalt aus der
drohenden Ohnmacht heraus. Alles dieses wirkte mächtig auf das Publikum ein, es war davon
ergriffen, hingerissen. Sowie aber der Vorhang gefallen war, trat auch die Reflexion ein;
und Gewohnheit und Herkommen übten sogleich ihr konventionelles Vorrecht aus. Man war mit
dem, was eben jetzt so großen Eindruck gemacht hatte, unzufrieden; es erging dieser
ächt-tragischen Szene, wie mancher ächt-komischen, über die man aus vollem Herzen
lacht, und sich hinterdrein vornehm schämt ob des unvornehmen Lachens; man wollte es dem
Dichter nicht verzeihen, eine so furchtbare Wahrheit so hinreißend dargestellt zu haben.
Man läugnete sich lieber diese Wahrheit ab, und stellte ihr die herkömmliche
theatralische Todesverachtung entgegen und hielt die Behaglichkeit, mit welcher man
dergleichen, vom sichern Parterre aus, mit ansieht, für erhabene Erhebung. Wir würden
nur das schon Gesagte wiederholen, wenn sie die Gespräche berichten wollten, die jetzt
mit großem Eifer um uns herum geführt wurden. Sie waren uns ein Beweis des großen
Antheils, den man an dem Drama nahm; denn wir hatten es ja oft erlebt, daß von Stücken,
die der Direktion ausnehmend, und eben so dem Publikum gefielen, auch nicht ein
Sterbenswörtchen mehr nach der Darstellung gesprochen wurde. Nur einiges, uns merkwürdig
scheinende, wollen wir nachtragen. Merkwürdig war es uns, daß während die jüngeren
Militärpersonen sich durchaus nicht über die ehrenrührige Todesfurcht des Prinzen
beruhigen konnten, ältere Offiziere die Möglichkeit einer solchen Furcht bei
ausgezeichneter Tapferkeit gelten ließen und auch wohl durch Beispiele bestätigten, ja
Einer dieser würdigen Herren bewies sogar einem von den jüngsten und lautesten
Jünglingen, daß es zweierlei sei: Für die Idee des Rechtes gern zu sterben, oder
gepeitscht von dem point dhonneur gezwungen in den Tod zu springen. Ein
Anderes sei es auch im Gefühle der Ehre thatkräftig auf dem Schlachtfelde zu wirken, und
ein Anderes unschuldig <325:> verurtheilt nach dem Richtplatz zu gewissem Tode
geführt zu werden. Merkwürdig schien uns sodann der Einwand, den eine
ältliche uns unbekannte Dame gegen diese vielbesprochene Todesfurcht machte. Wir können,
sagte sie, nicht wieder an der Muth eines Mannes glauben, der sich, wenn auch nur ein
einziges Mal feigherzig gezeigt hat; Muth ist die Keuschheit des Mannes.
Dieses wir können nicht wieder glauben erwiederte der Publicist, ist
gesellschaftliche Konvention (um nicht zu sagen Affektation) und in ihr die Ursache zu
finden, weßhalb der männliche Muth zu einem Zerrbilde genannt: point dhonneur
und die weibliche Keuschheit zu pruderie wurde. Wir Deutsche haben keine Worte
für diese übertünchten Auswüchse der bonne société. Eulenböck machte allem
diesem Hin- und Hergerede ein Ende, indem er die Lacher auf seine Seite brachte. Er
behauptete, Kleist wäre kein Dichter, wie er sein soll, und könnte daher auch kein
Stück schreiben, wie es sein soll. In einem solchen hätte der Prinz sein Todesurtheil
nicht nur mit anständiger Standhaftigkeit, sondern mit dem Wonnegefühl naher Seligkeit
anhören und einen großen Monolog in italienischen Stanzen halten müssen, worin er bei
Musikbegleitung, bewiesen, wie überglücklich er wäre, unschuldig verurtheilt zu sein,
und welch einen Genuß es gewähre, selbst nach gewonnener Schlacht, während es die
Andern sich wohl sein lassen, für Fürst und Vaterland auf das Blutgerüst zu steigen.
Natalie müsste ihn durchaus zur Flucht bewegen wollen u. s. w. er aber müßte
standhaft bleiben, zum Richtplatz geführt werden, wo dann die bekannte Szene aus dem
französischen Deserteur das Stück, wie es sein soll, zu aller Zufriedenheit hätte
schließen müssen. Noch erzählte er, welche herrlichen und rührenden Szenen hieraus
hervorgegangen wären, theils zwischen Natalien und dem Kurfürsten, theils zwischen
diesem und dem Prinzen, und wie heldenmüthig-sentimental der Delinquent hätte Abschied
von Hohenzollern et caeteris nehmen können, als der vierte Akt
begann. Die große Lebendigkeit desselben; Natalias weibliche Heldengröße;
des Kurfürsten ruhige Besonnenheit, seine majestätische Kraft und Milde; des Prinzen
schön vorbereitete und prunklos-natürliche Erhebung und die Freude der Liebenden über
des Geliebten Sieg, machten einen tiefen, stillen Eindruck, der nur dann erst in lauten
Beifall ausbrach, als Natalie froh begeistert ausrief:
Nimm diesen Kuß! Und bohrten gleich zwölf Kugeln
Dich jetzt in Staub, nicht halten könnt ich mich,
Und jauchzt und weint und spräche: Du gefällst mir!
Der Vorhang fiel, und man versöhnte sich immer mehr und mehr mit diesem ungewöhnlichen
Drama. Nicht minder wirkte der fünfte Akt, in seinem ächt-militärischen,
ächt-brandenburgischen Kolorit; mit der Hauptfigur des großen Fürsten, der hier wie
Dörffling sagt: jedwedem Pfeil gepanzert ist; mit diesem Feldmarschall und
anderen Kriegsobersten, mit dem edlen Hohen- <326:> zollern
<Hohenzollern> und dem kräftigen alten Helden Kottwitz, in welchem der Dichter
Blücher geahnet oder vielmehr gezeigt hat, wie es unter den gegebenen Bedingungen, den
Preußen nie an einem Blücher gefehlt hat, noch fehlen wird. Alles dieses ward eben so
lebendig ergriffen, als es lebendig dargestellt ist. Nur die letzte Szene, die sich an die
erste märchenhaft-phantastische anschließt und in dieselbe verliert, erregte von neuem
die früheren Angriffe und Vertheidigungen, die wir treu, wenn auch mit unverhohlener
Vorliebe für das Stück berichtet haben. Es bleibt uns nicht zu sagen übrig, als daß
dieses Drama bereits siebenmal bei gefülltem Hause auf unserer Normalbühne gegeben
worden und mit jeder Darstellung sich immer mehr Freunde und Vertheidiger erringt.
|