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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 424-434

2. Rudolf Köpke über Adam Müller und die Abendblätter.


Manuskript (vgl. S. 182).
Wenn Kleist seinem Blatte keinen entschiedenen Charakter zu geben vermochte, so gewann es dennoch, ohne daß er es bemerkte, vielleicht wider seinen Willen eine immer deutlicher hervortretende Färbung, die mit der Zeit die Existenz desselben gefährden mußte. Es waren die Beiträge Adam Müllers, die aus dem Tageblatt, das der Unterhaltung und dem gemeinen Nutzen gewidmet sein sollte, eine Oppositionszeitung gegen die Regierung Hardenbergs zu machen drohte, und das wollte Kleist gewiß nicht. Auch A. Müller, ein geborener Berliner, war nach manchen Kreuz- und Querzügen, auf denen er sich nach Art der Schlegel und angeregt von Gentz als wandernder Staats- und Literaturphilosoph in öffentlichen Vorlesungen vor einem gemischten Publikum hatte vernehmen lassen, nach seiner Vaterstadt wieder zurückgekehrt. Freilich ganz anders als er gegangen, denn er war bereits katholisch geworden, hatte seine Philosophie des Gegensatzes aufgestellt und erschien bereits als gewandter und scheinbar begeisterter Sprecher der Restauration. Außer seinen verschiedenen Vorlesungen waren soeben auch seine Elemente der Staatskunst erschienen, die Tadel und Zustimmung in gleich einseitiger Weise hervorriefen. Im Kampfe politischer Parteien hoffte Müller damals nach einer oder der anderen Seite hin in Berlin eine einflußreiche Stellung in raschem Anlaufe gewinnen zu können. Um sich wieder möglich zu machen, hatte er schon zu Anfang des Jahres 1810 Reden über Friedrich II. und die Natur und Bestimmung der Preußischen Monarchie im Akademiegebäude öffentlich gehalten, nachdem er sich früher darauf berufen hatte, vom Großkanzler Beyme sei ihm das Versprechen gegeben worden, diese Vorlesungen, die auch Frauen herbeiziehen sollten, in dem für die neue Universität bestimmten Heinrichschen Palais halten zu dürfen. Da damals die Einrichtung der Universität zu Berlin in vollem <425:> Gange war und viele auch unberufene Geister in Bewegung setzte, so scheint auch seine stille Hoffnung gewesen zu sein, sich derselben in irgendeiner Weise anzuschließen. Dies freilich mißlang, aber ihm fehlte es darum nicht an anderen ehrgeizigen und sonderbaren Entwürfen. Er berief sich auf Altensteins und Stägemanns Freundschaft, ja auf ihr Versprechen, ihn zum Staatsrat zu machen, d. h. in einem Ministerium anzustellen, was nun freilich nach der alten Beamtenüberlieferung unmöglich war, da er nur acht Tage Referendar gewesen war und den unteren Dienst für seine Kraft und seine Ansprüche viel zu hemmend gefunden hatte. Eine andere Stelle hatte er für sich bei der herabgekommenen Universität Frankfurt ausfindig gemacht, deren Kanzler er werden wollte, um sie aus dem Grunde nach seinen Ansichten zu reformieren. Doch man kannte ihn zu gut, um auf solche anmaßliche Vorschläge einzugehen, man sah in ihm einen talentvollen und blendenden Phrasenmacher. Der Oberpräsident Sack, Altenstein, Hardenberg sprachen sich mündlich und amtlich gegen ihn aus, und schließlich ward ihm der Bescheid, in dem preußischen Staat finde sich für ihn überhaupt keine Stelle, er werde gut tun, sich anderweitig danach umzusehen. Zunächst fand er es noch geraten, in Berlin zu bleiben und an dem von seinem Freunde Kleist begründeten Tagesblatt teilzunehmen. Kleists Verbindung mit Müller schrieb sich aus dem Jahre 1806 her aus Dresden und war für diesen und seine schwankenden Seelenzustände kein Gewinn. Als Charakter unzuverlässig und trotz aller hohen Worte doch offenbar innerlich ohne feste Überzeugung und festen Halt, ehrgeizig oder vielmehr eitel und dünkelhaft, um jeden Preis bemüht, eine politische Rolle zu spielen, ohne allzu große Mühe und Arbeit damit zu übernehmen, vieler Genüsse und des Glanzes bedürftig, war er dennoch kein gemeines Talent, doch eines von jenen beweglichen, schwer zu fassenden, welche die wunderlichsten Gegensätze in sich schließen und denen vieles, aber nicht viel gegeben ist. <426:>
Nicht ohne Beobachtung für manche tieferen Gebrechen der Zeit, ja nicht ohne Tiefsinn mitunter, war er doch wieder oberflächlich, phantastisch, voll Einbildung und Einbildungen, und im Besitze keiner geringen dialektischen Gewandheit, die ihm behilflich war, aus Wahrem und Irrtümlichem, Verstandenem und Halbverstandenem ein scheinbares, ja blendendes Ganze zusammenzusetzen. Trefflich kam ihm dabei sein formales Geschick, glänzend zu schreiben und auch zu sprechen, zustatten, er überredete andere wie er sich selbst überredete, und konnte minder dialektisch Geschulte leicht blenden und mit sich fortreißen, da er rednerisch die Schwächen durch Phantasie und einen halb dichterischen Anhauch zu decken wußte. Kleists und Müllers Verhältnis zueinander scheint auch, psychologisch betrachtet, ein ganz eigentümliches gewesen zu sein. Müllers Bewunderung von Kleists dichterischem Talente war ohne Zweifel eine durchaus aufrichtige, er verteidigte ihn lebhaft gegen die harten Vorwürfe von Gentz, den er ebenfalls als sein Vorbild bewunderte, und mit dem er sich nur schweren Herzens im Widerspruch sah. Er erkannte Kleists eigentümliche, von der älteren Klassizität wie von der jüngeren Romantik sich gleich unterscheidende Richtung, und namentlich in seiner dialektisch scharfen Behandlung der Gegensätze scheint er eine seinen philosophischen Ansichten verwandte Grundrichtung erkannt, ihn selbst für einen verwandten Geist gehalten zu haben. Gewiß war dies nur sehr bedingterweise der Fall; es war richtig, insofern in beiden die Fähigkeit dialektischer Schärfe mit mystischer Neigung sich verband, sofern beide im Leben ruhelos untersuchten, aber doch wie sehr verschieden sie waren, zeigte der weitere Verlauf und das Ende ihres Lebens, Müller beschloß es als österreichischer Diplomat und Epikureer und Kleist mit einem Pistolenschuß, jener war ein Mann der Rede, dieser der Tag, jener schmiegte sich, dieser zerbrach. Dennoch hatten Müllers Talente, seine Kunst, von der er soviel sprach, Kleists Seele gefangen genommen; offenbar fühlte er sich dieser dialektischen Kraft, dieser <427:> mystischen Richtung in Verstand und Phantasie gleich sehr unterworfen. Auch auf ihn hatten Müllers Staatstheorien einen großen Eindruck gemacht, obgleich er sonst ein Bekenner der nationalen Wiedergeburt war; er hoffte, wie er an Fouqué schrieb, Müllers Elemente der Staatskunst würden langsam, aber nachhaltig wirken, wie die Wurzeln der Pflanzen auch das harte Gestein zersprengen. Durch diesen Verkehr fühlte er sich geistig angeregt, eingenommen, als er Müllers Umgang entbehren mußte, schien ihm die Welt verödet, und dennoch scheint er zu andern Zeiten nur widerstrebend sich diesem Gefühl hingegeben zu haben, es ergriff ihn die Vorstellung, Müller sei sein Feind, den er hassen müsse, es wird erzählt, auf der Dresdener Elbbrücke habe er einmal den Versuch gemacht, ihn in den Fluß hinabzustoßen. Es scheint darauf zu deuten, nur mit Widerstreben habe er diese geistige Gefangennehmung getragen. Und nicht unrichtig hätte ihn seine Ahnung geleitet, denn im bürgerlichen Verkehr mußte Kleist, wenn er im Bunde mit Müller war, überall den Kürzeren ziehen, denn jener war leidenschaftlich, schroff, ohne Kenntnis der Tagesmenschen, unvorsichtig und einseitig, stets bereit, jeden Gedanken, der ihn beherrschte, zur Tat zu machen, und kräftig genug, um als Mann für sein Wort einzutreten; Müller war vorsichtig, kannte Menschen und Verhältnisse, suchte sie weltklug für seine Absichten zu nutzen, wußte zu diplomatisieren und war durchaus nicht geneigt, sogleich für das Wort die Tat einzusetzen. Wo zwei Charakter dieser Art zusammenkamen, mußte jener von diesem abhängig werden. Dies zeigte sich auch bei den Abendblättern. Kleist wollte sich in seiner unbefangenen Weise darin aussprechen, aber Müller machte sie zu seinem Werkzeug, Kleist wollte unterhalten, belehren, erheben in nationalem Sinne, Müller Politik treiben im Sinne einer Partei, die die Gesichte nur in der Vergangenheit, aber nicht in der Gegenwart anerkannte. Als Bundesgenosse der Restaurationspartei machte er den literarischen Verfechter der alten Grundberechtigten gegen die Reformen <478:> Hardenbergs, und so gewannen Kleists unschuldige Abendblätter allmählich den Charakter eines Oppositionsblattes. Eine der bedeutenden Maßregeln, welche das Land und besonders die Stadt beschäftigten, war die neubegründete Universität, die am 15. Oktober eröffnet werden sollte. Schon in der zweiten Nummer des Blattes erschien Müller mit einem längeren Aufsatze unter dem Zeichen B.: „Freimüthige Gedanken bei Gelegenheit der neu errichteten Universität in Berlin“, in dem er auch seine Stimme über ein Institut abgab, an dem er gern teilgehabt hätte. Vieles, was er sagte, war nur allzuwahr und sehr beherzigenswert. Er fand es recht und billig, daß die hier dargestellte Welt der Wissenschaft ihre eigene, von den Dienststufen der Staatsbeamten unabhängige Rangordnung erhalte, er forderte, wie auch Schleiermacher getan, Zensurfreiheit, damit sie das große und wahrhaft geistige Vorrecht, ihre Überzeugung offen auszusprechen, der Gelehrtenwelt ihren alten Wert wiedergebe, den sie verloren hat durch eine hyperkritische, aller wahren Wissenschaft abgekehrte Richtung, die zur Zersplitterung der Kräfte, zu einer reinen Negation, zum leeren Kosmopolitismus geführt hat, sie ist dem vaterländischen Boden untreu geworden, hat sich in leerem Eroberungsgelüst alle Reiche der Welt vom Teufel aufbinden lassen, hat ins Blaue hinein für leere Humanität und Philanthropie erzogen und ist darüber wertloser Almosenempfänger des Staats geworden. Darum haben die alten Universitäten auch nur wieder Virtuosen der Gelehrsamkeit, keine Staatsmänner erzogen, deren man gerade jetzt so notwendig bedarf. So weit war, was er über die Übelstände der Vergangenheit sagte, nur allzu wahr, doch sehr bedenklich waren die Heilmittel, die er vorschlug. Früher hatte diese Meinung zu wissenschaftlicher Verflüchtigung ihr natürliches Gegengewicht, d. h. damals, als der christliche Glaube noch in seiner Glorie bestand und Bologna, Paris und Prag noch blühten, jetzt ist das anders, man muß daher den Wissenschaften in anderer Weise Blut und Leben zurückgeben, der Staat <429:> muß ihnen ein gemeinsames, bestimmtes, praktisches Ziel vorhalten. Was hieß das anders, als Zweck und Mittel der Wissenschaften nach andern Rücksichten bestimmen, sie von Staats wegen bevormunden, ihnen die Freiheit nehmen, da sie doch frei machen sollten? In dem Augenblicke, wo auch die Wissenschaft sich und dem Staat zur Wiedergeburt helfen sollte, stellte Müller die katholischen Universitäten als Muster auf! Die zahlreichen Gutachten, die amtlich und außeramtlich in dieser Frage abgegeben worden waren, vertraten fast alle denkbaren Meinungen, darauf war niemand sonst verfallen, vielmehr wetteiferten sie in dem Gedanken, die Formen des wissenschaftlichen Lebens möglichst von allen Fesseln zu befreien. Umumwunden sprach er seine Ansichten gleich darauf in einem Artikel über die wissenschaftlichen Deputationen, die damals bei einzelnen Abteilungen der Ministerien errichtet worden waren, um die wissenschaftliche Richtung mit der Verwaltung des Staates zu verbinden, dahin aus, das erste Problem des gegenwärtigen Staatsmannes sei, die Wissenschaften zu bändigen, d. h. „da er sie braucht und sie sich nicht mehr unterdrücken lassen, sie zu regieren!“ Von allgemeinen Andeutungen, die freilich verständlich genug waren, und sachlichen Bemerkungen ging er darauf in einem direkten Artikel über Christian Jakob Kraus zu einer offenen Kritik der Personen über. Kraus war als Lehrer der praktischen Philosophie und Staatswissenschaften zu Königsberg der eifrige Vertreter Adam Smiths gewesen und durch Lehre und Schrift hatte er für Entlastung des Grundeigentums, freien Besitz und Entwicklung der Kräfte gegen das alte Vorrecht gestritten und eine eigene Schule um sich gebildet, die sein Ansehen festgestellt hatte. Auf der entgegengesetzten Seite stand Müller, die negative Seite seiner staatswissenschaftlichen Ansichten war die Bekämpfung des Smithschen Systems, der herrschenden unheilvollen Anglomanie, wie er es zu bezeichnen pflegte. Jetzt warf er die Frage auf, woher es gekommen, daß Kraus zu einem solchen Ansehen gelangt sei, ein zwar <430:> wohlgeordneter, aber langsamer und völlig unfruchtbarer Kopf, dessen Talent das mechanische Rubrizieren des von andern, hier von Smith Produzierten gewesen sei. Die Tyrannei seines Buchstabens bedrohe die Gesetzgebung des Vaterlandes mit Unheil, namentlich mit einem Zwiespalt der Gerichtshöfe und Verwaltung, eine Ansicht, die wohl jugendlichen Köpfen, aber nicht der Gesetzgebung eines bejahrten Staats anstehe. Über Kraus ließ sich ungestraft sprechen, denn er war 1806 gestorben, aber er hatte zahlreiche und einflußreiche Schüler hinterlassen, die gerade damals der Regierung nahe standen, zu ihnen gehörten Auerswald, Schön; Hardenbergs Reformen selbst waren in diesem Sinne. Was und wen Müller meinte, hatte er deutlich genug gesagt, er ergriff offen Partei gegen die damalige politische Reform, gegen den Führer selbst. Es war der Gedanke des alten gebundenen Staats, des Privilegiums der unmittelbaren Einheit von Regierung und Gericht, den er vertrat. Dieser offene Angriff erregte schon mehr Aufmerksamkeit; zuerst erhoben sich die verletzten Freunde von Kraus zur Verteidigung ihres Meisters, und das kleine Abendblatt ward der Tummelplatz eines merkwürdigen Kampfes. Ein ungenannter Freund von Kraus antwortete schon am 28. Oktober, sein unsterblicher Ruhm sei gewesen, die Selbständigkeit des Landmanns und Arbeiters und so den Staat auf der Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit herzustellen, das sei besser als die höchste Genialität, die zur Verteidigung der Gräuel der Vorwelt gemißbraucht werde, die durch übelgerichtete Fruchtbarkeit und Sucht nach Neuheit Eintracht und Heil des Vaterlandes im gefährlichsten Augenblick bedrohe. Am 27. Oktober bewies ein anderer, er sei kein langsamer und unfruchtbarer Kopf gewesen, aber freilich habe er die absoluten Prinzipien der Obskuranten und Barbarei in entschiedener Weise angreifen müssen. Dagegen ergriff A. v. Arnim für Müller gegen Kraus Partei, dessen Charakteristik er durchaus richtig fand mit dem Bemerken, schon seit Friedrich sei die Dienstaufhebung durch ganz andere Männer <431:> vorbereitet worden und Kraus’ Ruhm ein nicht einmal historisch begründeter. So schwankte der Kampf hin und her, als am 22. November ein Mann das Wort ergriff, der sich als einen vieljährigen Freund von Kraus einführte; mit Witz und Schärfe bestritt er alle Behauptungen Müllers; er verspottete dessen Rednergießkanne, aus der er die honoratiores mit eau de mille fleurs bespritze, er bezeichnete ihn einen blutjungen Merlin und Geisterzitierer und sagte: „Wer über Adam Smith oder Adam Müller das Studieren der lehrreichen Zeit vergißt, für den sei Krauses Posthuma nicht gedruckt.“ Darauf antwortete Müller als Pr. am 24. November in einem Schlußwort, er werde fortfahren auf eine Staatswirtschaft zu dringen, welche „die Hieroglyphen unserer alten Continental-Einrichtungen der leichtsinnigen und in gewissen natürlichen Grundsätzen schwärmenden Jugend wieder verständlich und ehrwürdig machen sollten.“ Das Erscheinen des letzten Verteidigers von Kraus bewies, daß der Kampf schon die Aufmerksamkeit der Staatsbehörden erregt habe, denn dieser, den Kleist in einer Anmerkung als einen höchst achtungswerten Staatsmann aus Königsberg bezeichnete, war offenbar kein anderer, als Kraus’ Nachfolger in Königsberg, der damals als Staatsrat in die technische Deputation des Ministeriums des Innern berufene Hoffmann, der zugleich die Staatswissenschaft in Berlin vertreten sollte, eine ebenso bedeutende Autorität in seinem Fache als eifriger Anhänger der Reform und Hardenbergs. Sicherlich war es ein halboffizielles Wort, das er gesprochen hatte, der unzeitige und widerstrebende Kritiker sollte durch die Entschiedenheit des Tones und die Stellung seines leicht zu erratenden Gegners zum Schweigen gebracht werden. Freilich, bei Müller war das keine leichte Sache. Merkwürdig genug spielte Kleist, der Herausgeber des Blattes, bei diesem für die Parteien jener Zeit und ihre Stimmungen sehr charakteristischen Streite, der auf seinem Boden ausgefochten wurde, eine stumme Rolle. Nur einmal nahm er in jener Anmerkung <432:> entschuldigend über die Länge dieser Erörterungen das Wort mit dem Zusatze, daß er über die Frage, ob es zweckmäßig sei oder nicht, die Smithschen Grundsätze der preußischen Staatsverwaltung einzuverleiben, seine Partei genommen habe, doch erfährt man nicht, welche die seine sei. Als er in den Jahren 1804 und 1805 in Königsberg bei der Domänenkammer arbeitete, konnte es ihm nicht an Gelegenheit gefehlt haben, wenn auch nicht Kraus persönlich, doch seine Grundsätze, seine Lehrtätigkeit und Einwirkung kennen zu lernen; man sollte meinen, auf manche der von Müller aufgeworfenen Fragen hätte gerade er am besten aus Erfahrung antworten müssen. Ein Freund der Smithschen und Krausschen Theorie, war er gewiß nicht, wenn er schon in der Praxis ebenso gewiß nichts anderes als sie wollte, nämlich freie Entwicklung; war er je ein Anhänger von Kraus gewesen, so hatte er sich gewiß schon damals von ihm abgewandt, als er voll Überdruß an wissenschaftlichen Forschungen Kant verließ. Gerade das Rubrizieren, das Abwägen und Haarspalten der Wissenschaft, das sorgliche Messen und Abdingen war ihm zuwider geworden, jener Überwitz, das nüchterne Zählen und Rechnen, während er eine Wiedergeburt aus der Fülle der alten Naturkraft, aus dem Ganzen, aus der Begeisterung heraus wollte. Schwerlich war er ein grundsätzlicher Gegner jener Schule, aber den leidenschaftlichen Dichter ärgerte an sich schon die nüchterne Weisheit der Staatsverwalter, die selbst in den schwersten Augenblicken die von ihm hoch gehaltene Kraft der Herzen mit unverhohlenem Mißtrauen ansahen. Dieser Sinn für das Unmittelbare fand bei weitem mehr Befriedigung in Müllers Staatsansichten, von denen er noch 1811 an Fouqué schrieb, er hoffe ihren Sieg langsam und sicher, wie die Pflanze das harte Gestein sprenge. Daß er, obgleich er bei diesem Streite nur Zuschauer, eine unangenehme Verantwortlichkeit tragen solle, hatte sich inzwischen schon gezeigt; er war nicht mehr Herr seiner Zeitung. Auch war er selbst schon durch eine andere Verantwortung in bedenkliche Erörterungen mit der Zensur <433:> und der höchsten Staatsbehörde verwickelt worden. Um die kümmerlichen Polizeirapporte etwas schmackhafter zu machen, hatte er eine andere Abteilung Miszellen hinzugefügt, die unschuldige Nachrichten aus der Kunst-, Industrie- und Handelswelt brachte, einigemale aber auch aus fremden Tagesblättern einige politische Notizen einschwärzte. So unverfänglich auch diese waren, so lief doch einiges über den Spanischen Krieg mit unter, den man mit der lebhaftesten Teilnahme verfolgte, und unter dem 3. November wagte sich sogar die Nachricht hervor, ein französisches Armeekorps habe an der portugiesischen Grenze einen ansehnlichen Verlust erlitten, und der Herzog von Abrantes sei infolgedessen in Ungnade gefallen. Das war zuviel, der Minister des Auswärtigen, Graf v. d. Goltz, unter dessen Zensur der politische Teil der Presse wesentlich stand, trug dem Zensor Geheimen Regierungsrat Himly auf, für die Beseitigung ähnlicher anstößiger Artikel zu sorgen, und dieser wandte sich deshalb an den Polizeipräsidenten als den nächsten Aufseher der Unterhaltungsblätter. Die Zurechtweisung war kaum erfolgt, als durch einen neuen Artikel Adam Müllers die ohnehin schon mißtrauischen Behörden zu einem entscheidenden Schritt gegen Kleist veranlaßt wurden. Am 15. und 16. November brachte er einige politische Fragmente und einen Aufsatz vom Nationalkredit, der einen offenen Angriff auf die Verwaltung Hardenbergs enthielt. Dort hieß es: „Privilegien und Rechte einzelner Menschen werden mit höchster Gewissenhaftigkeit geschont, während man die Rechte ganzer Stände und Corporationen mit Flüchtigkeit bei Seite wirft. Die Satzungen der Privaten werden gerade so heilig gehalten, als die Satzungen und die Institutionen des Staats gering geachtet.“ Darauf folgte ein Angriff auf die Smithschen Freiheitsansichten, die nur zur Zeit des tiefsten Verfalls der Nationalität hätten Glück machen können. Der zweite Aufsatz führte aus, die Gesetzgebung eines Staats könne nie die Sache „des einzelnen guten Kopfes“ sein, sondern nur die Beratung mit den am meisten <434:> interessierten Ständen, er vermisse namentlich eine tüchtige Finanz und Polizei, wahren Kredit könnten Schuldverschreibungen nur insofern haben, als man die Versprechungen und Einrichtungen der Vorfahren aufrechterhalte. Er schloß mit den Worten: „Keine Verschlagenheit irgend eines noch so genialischen Administrators kann ein Surrogat erfinden für den Credit, der durch Treue gegen die Verfassung erworben und aufrecht erhalten wird.“ Auf wen konnte das gehen als auf Hardenberg? Untreue gegen die alte Landesverfassung, politische Falschheit und Mangel an Einsicht wurden ihm hier in einem Atem vorgeworfen. Eine dreifache Anklage, die mit einer für die damalige Zeit unerhörten Dreistigkeit ausgesprochen wurde. Die üblen Folgen konnten nicht ausbleiben, nur trafen sie nicht Müller, sondern Kleist; unmöglich aber konnte sich die Staatsregierung, deren Lage der feudalen Partei gegenüber ohnehin schon unbequem genug war, in einer Zeit strenger Zensur auf diese Weise offen Opposition machen lassen.


Emendation
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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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