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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 417-423

Neues Material zu Ludwig v. Brockes

IV. Teil.

Nachträge.
<418: Leerseite> <419:>

1. Neues Material zu Ludwig von Brockes.

a) Ein Brief Brockes’ an Kleist (vgl. S. 73).
Kam die Aufforderung zur Erfüllung eines Versprechens, das ich seit 10 Monaten unerfüllt lassen konnte, wirklich von Ihnen selbst, auf Ihre eigene Veranlassung; so beweist sie mehr für Sie, als Ihr gutes immer zärtliches anspruchsloses Herz vielleicht ahndet. Tausend andere würden im Gefühl des beleidigten Stolzes über ein so langes Stillschweigen es für Erniedrigung gehalten haben, den Vergessenen an sein Versprechen zu erinnern, da er von selbst dessen sich nicht zu erinnern schien, oder wenigstens ihr Andenken für erloschen halten; und so vielleicht, ohne große Bemühung den Überrest ihrer eigenen Empfindungen für den Strafbaren noch zu bewahren, allmählig eine Vereinigung ganz zu Grunde gehen lassen, die schon Jahre zählte und auf unserer beider Laufbahn doch manche Blume entstehen ließ. Allein Sie, der Sie selbst so wahr und innig fühlen, was ungeheuchelte und ungekünstelte Freundschaft ist, wußten auch mich richtig zu beurteilen und dafür sage ich Ihnen den wärmsten Dank. Sie wußten es wohl, daß ich nicht imstande sein könnte, weder Sie noch die mannigfaltigen Beweise Ihrer Anhänglichkeit für mich, noch die Tage und Stunden zu vergessen, die wir zusammen verlebt haben, und daß also andere Ursachen, als eine solche, die Sie beleidigen und mich beschimpfen würde, mein Schweigen veranlaßt haben mußten. Keine Vorwürfe, keine Klagen, nur eine zeitliche Bitte setzen Sie ihm entgegen und verraten auch nicht durch den leisesten Wink, daß Sie alle die Ansprüche fühlten, die Sie zu einem ganz anderen Betragen von meiner <420:> Seite berechtigen. Wirklich ich glaube wirklich noch nie so wahr geliebt worden zu sein, aber gewiß ist auch meine Dankbarkeit ebenso wahr, und oft werfe ich mir vor, daß ich sie damals, als wir noch beisammen waren, wohl noch deutlicher manchmal hätte zu erkennen geben können. Und doch waren Sie immer mit mir zufrieden, immer gleich sanft, immer gleich gefällig und nachgebend gegen meine Eigenheiten, meine Launen, obgleich Sie nicht einmal die Ursache daran einsehen konnten. Ich wußte und sehe es täglich, daß ich den ersten Platz in Ihrem Herzen hatte, aber weit entfernt ein Gleiches von mir zu verlangen, erfüllte Sie jeder, auch der kleinste Beweis meiner Zufriedenheit mit der lebhaftesten Freude, und Sie verlangten für die liebevollen Bemühungen zu meinem Vergnügen keinen Dank, als den, daß ich nur froh war. Unverdorbene Seele, Zögling der lebenden Natur, wie wenige sind, die Dir gleichen!
Nicht wahr, Sie gedenken meiner jetzt oft, wenn Sie alle die bekannten Gegenden wieder betreten, wo wir mit einander die blühende Natur in ihren tausendfachen Scenen der sanften Freude genossen. Der grünende Wald, die flötende Nachtigall, der aufgehende Mond, die schweigende Nacht, der Abend, wenn er sich im stillen Flusse spiegelt, oder der strahlende Mittag, alles wird Sie an Ihren abwesenden Freund und an die Vorzeit erinnern. Möchte Ihnen doch mein Verlust ganz ersetzt sein, ich wüßte Sie so gern recht glücklich, und ich weiß, daß Sie das ohne Freundschaft, wie Sie sie für mich empfanden, nicht sein können; das sagte mir so oft Ihr heiterer Blick, wann wir uns trafen, das sagten mir Ihre Tränen, als wir schieden.

b) Briefe von Brockes und seiner Braut an Joh. Schulze in Weimar
Mittwoch Abend den 3ten des Octs: 1810 in Großneuhof.
Eine fromme Christin, die sich mit kindlich verlangendem Gemüth sehnt, die Jüngerin des neuen Meisters zu werden, <421:> fragt hiermit, vor banger Erwartung an: ob der 14te Oct: an welchem einmal Menschenherzen bluteten und brachen, noch dazu bestimmt bleibt, das ihrige zu heben und zu begeistern, durch die sanften Lehren der Liebe und des Glaubens, denen er so lange schon zugethan war, voll Hoffnung und Zuversicht.
Ein freundliches Ja wird lieblich durch mein Inneres tönen, wie die Gesänge des Seraphim, die mein geistiges Ohr so oft vernahm, in den Stunden der Weihe und der Einsamkeit, in denen der Mensch, hier schon so gern verklärt sich dünkt, an der Seite derjenigen, die er fand und liebte, in denen er gleich bey dem ersten Blick, einen theueren Verwandten ahndete und erkannte. – Sagen Sie mir, Lieber! ob ich hoffen darf, den verdienten Lohn zu ernten für meine Verschwiegenheit, ob ich darauf rechnen kann, an heiliger Stätte die Stimme meines Propheten zu vernehmen, die, nicht, wie die Stimme des Predigers in der Wüste, verhallen, sondern an ein offenes empfängliches Herz anschlagen soll, um niemals wieder zu verklingen.
Lassen Sie den Funken der Hoffnung, den Sie selbst so liebreich in mir entzündeten, nicht wieder verlöschen und kommen Sie zu der neuen Freundin, die Sie aufnehmen wird, wie der Heiland aufgenommen ward, von den Schwestern des tot geglaubten Freundes! –
Caecilie Werthern.

Brockes an Joh. Schulze in Weimar; Caecilie von Werthern an denselben.
Groß Neuhof, 4 Februar 1812.
Beynahe zu spät erfahre ich, daß eine Gelegenheit nach Weimar geht. Ich kann Ihnen, lieber Freund, also nur mit zwei Worten sagen, daß wir glücklich hierher zurückgekommen sind, und unsre Freundin, erfreut über unsere Wiederkehr und über unsere Bericht von Weimar, uns empfing. Sie sind gegen uns Reisende und Fremdlinge so freundlich gewesen, daß ich es Ihnen niemals vergessen kann, aber mehr <422:> will ich Ihnen darüber nicht sagen, weil Worte zwischen uns hoffentlich über so etwas nicht mehr nöthig sind. – Wir erwarten mit Ungeduld die Erfüllung Ihres Versprechens, Sie bey uns zu sehen.
Haben sie Ihrem Grimm über Lorenzo und Consorten schon Luft gemacht? Ich bin wahrhaft krank seit jenem Höllenabende, von dem ich Himmelsluft erwartet hatte und wohl Allen, in deren Gemüth so etwas nicht eingreift! – Ich wollte Sie bitten uns mitzuteilen, was Ihnen Ihr Unmuth eingegeben hat, obgleich es besser wäre, wenn man so etwas durchaus vergessen könnte. Aber dann müßte man sich selbst untreu werden – Mutter und Tochter senden Ihnen die freundlichsten Grüße – Sagen Sie den Antonischen, wenn Sie sie sehen, daß wir mit herzlicher Liebe Ihrer gedenken. – Gute Nacht für heute – Es gehe Ihnen wohl, auf mehr als eine Art, und wie es Ihnen am eigensten zusagt. – Waren Sie gestern wieder an dem Ort der Qual, unter den Klauen dieses Lorenzo, so bedaure ich Sie, aber ich bitte Sie doch, wenn Sie erst seine lästerlichen Orakelsprüche vollständig haben, sie mir mitzuteilen, denn es geht mir damit, wie Kindern mit Gespenster- und Räubergeschichten. Es schaudert einem die Haut, aber man giebt sie doch her, und wo wäre ein Abgrund, in den die Faustische Unersättlichkeit nicht hinunter dringen müßte. So ist der Mensch, aber ich wollte, er wäre anders. – Sie aber, lieber Freund, mögen in allen Hauptsachen bleiben, wie Sie sind und vor allen Dingen Freund ihrer Freunde und
des Ihrigen
Brockes.

Auch ich muß Ihnen danken, guter Schulze, denn Sie haben meinem Freund einen fröhlichen Abend in Ihrer gastlichen Wohnung bereitet. – Er kam recht heiter zurück und so nur konnte ich mich entschädigt fühlen, daß ich so lange ihn hatte entbehren müssen – lange? höre ich Sie sagen – ja wohl lange – ach, lieber Schulze, wer ihn kennt und liebt, <423:> wie ich, der kann auch nicht mehr leben ohne ihn. – Kommen Sie ja noch einmal zu uns, denn Sie sind uns recht werth, die Zukunft legt ja einen so weiten Raum zwischen uns.\1\ – Ein herzliches Wort der Freundin – und zum Abschied ein eben so freundliches von mir an Sie
C.

Gr. Neuh. d. 18 Februar 12.
Ich schicke die Botenfrau zu Ihnen, lieber Freund, um nach Ihrem Wohlseyn zu fragen, und vielleicht ein Paar Zeilen von Ihnen mitzubringen. Es geht uns hier ganz leidlich, aber nicht viel mehr, denn unsere Freundin ist nicht ganz wohl, und auch ich habe mich mit einer Art von Flußfieber geplagt, welches doch meistens vorüber ist. Die trüben Tage und die ewigen Stürme haben ihren Antheil daran. – Ottobald und Henning waren einige Tage bey uns, was uns sehr wohl gethan hat, da beyde, jeder in seiner Art, bedeutend und angenehm sind. –
Wann werden Sie uns einmal wieder besuchen? Ist die Zeit Ihrer Abreise nach Hanau bestimmt? – Wie sind Sie mit Jacob und seinen Söhnen zufrieden gewesen? – Erzählen Sie mir etwas davon und sonst von dem, was Sie treiben.
Können Sie mir jetzt das Büchelchen: über Deutsche Art und Kunst mittheilen? – Ich habe jetzt Jacobi: von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, das will aber studirt seyn, nicht blos gelesen, so klar und schön auch die Sprache ist. –
Wir grüßen Sie alle aufs freundlichste und hoffen, daß Sie diesmal einige Augenblicke haben, um auch uns einen schriftlichen Gruß herüberzusenden. – Es gehe Ihnen wohl, und nichts hemme Ihren Eifer für Wahrheit, Schönheit und Recht
Der Ihrige
Brockes.

\1\ Bezieht sich auf die bevorstehende Abreise Schulzes von Weimar nach Danzig.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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