Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 305-309
Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren
von Kleists Werken. Die Herrmannsschlacht
Dresden, 21. Dezember 1860.
Geehrter Herr!
Die Hermannsschlacht, welche Sie so trefflich bearbeitet haben, erfüllt mich
ganz und gar. Sie müssen wissen, daß ich nächst Shakespeare keinen dramatischen Dichter
so verehre wie Kleist. Die Wahrheit und der Humor ists, die ihn unschätzbar
machen, und ich freue mich wie auf ein Fest auf die Darstellung des Hermann. Wenn Sie doch
nur herkommen könnten!
Ohne allen Zweifel werden wir einen schönen und nachhaltigen
Erfolg haben. Sie wissen sehr gut, wie viel ein Aktschluß wert ist und haben das Ihrige
getan. Etwas matt freilich erscheint mir der Schluß des dritten Aktes, und ich bitte Sie
um einige Verse. Hermann kann, nachdem Varus Thusnelden ins Zelt abgeführt, noch einen
Augenblick zurückbleiben und erschöpft von der Anstrengung, welche ihm seine
Verstellung verursacht, von der Zurückhaltung gegenüber den
Rheinbundfürsten etwa ausrufen: Kaum halt ich
mich und dann nach einem Stoßseufzer inbrünstig hinzufügen, etwa:
O Wodan, großer Geist,
Laß mich das Werk, das ich begann, vollenden,
Auf daß mein Vaterland usw.
Befreit auf ewig wird aus Feindes Händen!
So etwa. Der sonst wunderschöne dritte Akt verdient, daß er nicht wirkungslos ausgehe.
Was meinen Sie dazu? Schicken Sie mir aber die Verse gleich, denn am
27. beginnen schon die Proben.
Ist denn die Hermannsschlacht im Stadttheater\1\ schon gegeben
Wie wärs,
wenn ich den Hermann dort zuerst spielte? usw. usw.
B. Dawison.
Über die erfolgte Aufführung schreibt er:
Dresden, d. 3. Januar 1861.
Ich muß Ihnen doch noch, verehrter Herr und Freund, in Eile über den Erfolg der
Hermannsschlacht berichten. Er war ein tüchtiger und durchschlagender und ich
wollte, Sie wären hier gewesen. Aristons Verurtheilung, welche man bereits
gestrichen hatte, wurde auf mein entschiedenes Verlangen wieder hergestellt, ebenso bat
ich mir die Barden, die süßen Alten wieder aus. Beides wirkte vortrefflich.
Das Stück ging musterhaft, das überfüllte Haus horchte atemlos ich selbst
aber wurde 7 Mal gerufen, für Dresden eine Seltenheit. Ich gratuliere!
Die Wiederholung ist für Sonntag, den 6. d. anberaumt. Ich freue
mich darauf, denn so manches muß noch besser werden usw.
B. Dawison. <306:>
Ein weiterer Brief von ihm lautet:
Dresden, d. 2. Februar 1861.
Gewiß weiß ich es nicht, mein geehrter Herr und Freund, aber es scheint doch die
Wahrheit zu sein, daß die Hermannsschlacht nicht gegeben werden darf.
Nur wo die Nat. Ztg. usw. Herrn von Beust nennt, glaube ich richtiger:
Der König zu lesen. Die 4. Aufführung, die am Sonntag nach der wieder
mit Enthusiasmus aufgenommenen dritten bereits auf dem Repertoire stand, ist abgesagt
worden und seitdem ist von dem herrlichen Stücke keine Rede mehr. Traurig, sehr traurig,
Freund, nicht nur für uns Komödianten, sondern auch für unsere erbärmlichen, deutschen
Zustände. Wie recht der arme Kleist hatte, zeigt sich nun wiederum an vorliegendem Falle.
Wir gehen möglicherweise einer Zeit entgegen, wo er die schönste Gelegenheit finden
könnte, sich zum zweiten Male totzuschießen.
Die
Hermannsschlacht! Das versteht sich. Ich habe sie vorschlagen lassen\1\. Sie müssen mich ja auch sehen in der mir so
ans Herz gewachsenen Rolle! Meine Bedingung wird freilich sein und unerschütterlich
bleiben: daß Astolf von einem Manne gespielt wird. Ich mag mir die gewaltige Scene nicht
durch Äußerlichkeiten verkümmern lassen. Frl. Kronberg ist ein liebes,
talentvolles Mädchen, aber einem Jungen, und wenn er noch so schöne Waden
hätte, vertraut man keine Kinder, keine Dolche und Briefe.
Ihren ersten Aktschluß bin ich begierig zu lesen,
aber ehrlich gesagt, ich bin mit meinem alten (wenn wie bei uns, die an sich
sehr schönen 2 Verse des Wolff, wegfallen) sehr zufrieden. Es kommt auf das
Wie an, glauben Sie mir, und gerade dieser Aktschluß hat elektrisch
gezündet usw.
B. Dawison
Wehl bemerkt hierzu: Ob die Hermannsschlacht in jenen Tagen wirklich von
König Johann verboten worden ist, weiß ich heute nicht mehr zusagen; ich erinnere mich
nur, daß eine weitere Aufführung vorerst nicht stattfand.
In einem Briefe Fr. Dingelstedts an Wehl aus Weimar,
d. 30. Nov. 1858 heißt es:
Den Kleist-Prolog habe ich keineswegs übersehen, aber ebenso
wenig benützt. Dem Romantiker darf auf unserer klassischen Bühne nicht die
gleiche Ehre widerfahren wie ihren Heroen, sonst schreit Alt- und Neu-Weimar Zeter über
mein Haupt!
Bei welcher Gelegenheit der hier erwähnte unbekannte Prolog Wehls
geschrieben wurde, ist mir nicht bekannt.
Nach der Aufführung des Stückes in Breslau finde ich in der
Breslauer Zeitung von 1860 (Nr. 491) das folgende
Gedicht: <307:>
Heinrich von Kleists Hermannsschlacht auf der Breslauer Bühne
Wir sahn den armen Heinrich von der Aue,
Durch Dichters Weilens Ruf der Gruft
entsteigen;
Und die Vergangenheit, die nebelgraue,
Den Deutschen Fluch, den Bruderzwist uns zeigen.
Der Heinrich doch genas, durch Lieb und Treue,
Es wich die Nacht, der Blindheit schwerer Schleier;
Der Haß versöhnt sich in der Thatkraft Reue;
In Licht und Glanz jauchzt auf der Liebe Feier.
Dem armen Heinrich Kleist ward kein Gesunden
Aus tiefer Nacht in seines Daseins Kummer:
Die Liebe, die sein Herz, sein Schmerz gefunden,
Sie theilte frei nur seines Todes Schlummer.
Italiens Volk gesegnet sei die Stunde!
Ein armer Heinrich ist es lang gewesen;
Dort, wo Salerno liegt, erklingt die Kunde:
Der Freiheit Herzblut trank es zum Genesen!
Auch Deutschland war im Siechthum hingeschlichen,
Ein armer Heinrich wars in bösen Tagen.
Da wurde Licht, die Nacht ist scheu gewichen:
Die Hermannsschlacht der Geister ward geschlagen!
Heil dir, o Kunst, in solcher Volkes-Richtung!
Die Hermannsschlacht ist Festspiel für die Bretter!
Die Hermannsschlacht verjüngt, ist wahr die Dichtung:
Denn Hermann lebt, der deutschen Einheit Retter!
Julius Lasker.
Eine weitere Etappe in der Geschichte der Hermannsschlacht auf der Bühne bedeutet die
einsichtigere und schonendere Bearbeitung von Rudolf Genée\1\, welche ein Jahrzehnt nach <308:> der Wehlschen
erschien und dem Stücke, namentlich unter dem Eindrucke der gewaltigen Ereignisse des
Jahres 1870/71 zu großem Erfolg verhalf. Die erste Aufführung brachte das Berliner
Schauspielhaus am 9. Januar 1875 nach Genées Bearbeitung. Über die Aufführung und
die Bearbeitung schrieb Hans Hopfen in der Neuen freien Presse (27. Januar) ein
großes, sehr lesenswertes Feuilleton\1\.
Hier darf man nicht über orthodoxen Rigorismus klagen, der von seinem
überlieferten Texte kein Jota opfern will. Hier ist in jedem einzelnen Muster der
schlagende Beweis geliefert, daß der Poet in seiner Wesenheit angetastet ist. Statt des
sichtbaren Vorganges, welchen Kleist mit unnachahmlicher Kürze in wenigen Strichen vor
unsere Sinne zaubert, ein nüchterner alltäglicher Ausdruck, ein gräßlich,
ein völlig, ein verflucht, ein getötet. Statt des
erhabenen farbensatten Bildes ein blasses flaches Wort. Statt der Anschauung die
Abstraktion. Statt der Poesie die armselige Prosa. Hopfen vertritt die Ansicht, daß
die letzten Werke Kleists einer eigentlichen Bearbeitung nicht bedürfen, ja
eine solche kaum vertragen. Auch für die Beibehaltung der Bärenzwingerszene tritt er ein
und gibt vernünftige Regievorschriften.
Auf einem ganz entgegengesetzten Standpunkte steht Th. Fontane in
einer Besprechung der Bearbeitung des Stückes durch Genée und der Aufführung im
Schauspielhause (Voss. Ztg. 21. Januar 1875). Er spricht sich anerkennend aus über
die Eingriffe des Bearbeiters und fährt dann fort: Fachleute, die so leicht in die
Gefahr kommen, das Charaktervolle über das Schönheitsvolle, die geniale Kuriosität
über das ästhetisch-Zulässige zu setzen, werden diese Änderungen vielleicht
mißbilligen <308:> und erklären, ihren Kleist lieber echt mit Haut und
Haar als in dieser mehr sauberen Zurechtmachung genießen zu wollen; aber die Fälle
sind nicht eben selten, wo das Allgemein-Empfinden denn schließlich doch richtiger ist
und ernstere Erwägung heischt, als die in ihren Ansprüchen künstlich heraufgeschraubte
Forderung Einzelner.
\1\ zu Hamburg.
\1\ In Hamburg.
\1\ In Buchform erschienen, Berlin, 1871. Die
Hermannsschlacht, Drama in fünf Akten von Heinrich v. Kleist. Neue Bearbeitung nebst
Einleitung von Rud. Genée. Mit einem Bildnisse Heinrich v. Kleists im Stahlstich.
Das Beste ist die Einleitung mit einem Gedicht, welches auf Kleists rührende Klage
(die tiefste Erniedrigung) in entsprechenden Hexametern antwortet. Ich erwähne hier, daß
auch von Rud. Genée eine nirgends angeführte, auch von Goedecke übersehene
Gesamtausgabe der Werke Kleists stammt mit biographischer Einleitung (Berlin, bibliogr.
Anstalt).
\1\ Aufgenommen in seine gesammelten Aufsätze.
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