Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 301-304
Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren
von Kleists Werken. Die Herrmannsschlacht
f) Die Hermannsschlacht.
Das Verdienst, die Hermannsschlacht zuerst auf die Bühne gebracht zu haben, gebührt
Feodor Wehl. Über die Aufnahme, die das Werk auf der Bühne fand, über die Stimmung des
Publikums, über die Kämpfe, die sich dabei abspielten, erzählt Wehl selbst in seinem
Buche: Zeit und Menschen, Altona 1889. Tagebuch-Aufzeichnungen aus den Jahren 1863-84. Ich
lasse ihn selbst sprechen:
Am 23. Oktober 1863.
Georg Hick, von der Kölnischen Zeitung zum fünfzigjährigen Gedenkfest der Leipziger
Völkerschlacht abgesandt, meldete darin unter dem 19. Oktober folgendes aus Leipzig:
Im Theater fand gestern Abend die Aufführung der von Fedor Wehl
für die Bühne bearbeiteten Hermannsschlacht von H. v. Kleist
statt.
Was die Wahl des Stückes betrifft, so ist dieselbe unserer
Ansicht nach keine recht passende gewesen. Es lag dieses Kleistsche Drama dem
geistigen Horizonte des sehr gemischten Publikums zu fern, um eine eclatante Wirkung
hervorzubringen, abgesehen von den inneren Mängeln des Stückes, unter denen der
auffallendste der ist, daß der Held desselben, vom moralischen Standpunkte aus
beleuchtet, sich wie ein heimtückischer Schuft benimmt. Sehr bezeichnend erwiderte uns
unser Nachbar zur Linken, einer der Ersten, die anno 13 in Leipzig eingedrungen waren, auf
die Frage, wie ihm das Stück <302:> gefallen: Na, so so. Der olle Blücher
hätte so viele Umstände nicht gemacht, wie der Hermann! [es folgen da noch eine
Anzahl anderer Stimmen aus dem Publikum].
Übrigens wurde die Hermannsschlacht mit schöner Ausstattung recht brav
gegeben.
Welcher logische Standpunkt! Welches knabenhafte Beurteilen! Wenn junge
Dramatiker in so erbärmlichem Localblattrecensententon über ein Werk wie dieses
herfallen, so muß man für die deutsche Bühne alle und jede Hoffnung verlieren. Auch ich
kann mir wohl sagen, daß dieses Drama leider nicht angetan ist, unsere volle Sympathie zu
erlangen, aber doch nur mit dem Bekenntnis, daß das mehr unsere als des Dichters Schuld
ist. Wir sind zu verweichlicht und erschlafft, um diese männliche Herbigkeit ohne
Weiteres ertragen zu können.
Hick erklärte es in einem Gespräche mit mir für einen Fehlgriff des
Dichters, daß er sich im Charakter Hermanns die Eifersucht in Bezug auf Thusnelda gegen
Ventidius habe entgehen lassen. Er wünscht also einen ganz kleinlichen menschlichen
Beweggrund, einen Beweggrund nach dem Geschmacke Scribes für die große Rachethat
Hermanns. Wie viel edler und höher steht Kleist doch diesen Leuten gegenüber, die ihm
vorwerfen, er habe in seinem Helden einen heimtückischen Schuft geschildert!
Die wegwerfenden Urteile über die Hermannsschlacht thun
mir nicht nur weh, weil sie einen meiner Lieblingsdichter mißhandeln, sondern auch, weil
sie mir nur allzu deutlich zeigen, wie unreif wir noch in unserem Volksbewußtsein und
unseren politischen Ansichten sind. Wie knabenhaft die zu Tage gelegten
Moralitätsansichten! Man vergiebt es Hermann nicht, daß er schönredende Zungendrescher
und selbst einen edlen Mann dem Tode weiht, um das Vaterland und dessen Freiheit zu
retten. Als ob sich solche Thaten immer mit reinen und unbefleckten Händen, ohne Blut,
List, ja hier und da sogar ohne ein notwendiges Verbrechen vollführen ließen.
Ebenso kurios äußert sich ein Berichterstatter der Berliner
National-Zeitung über die Aufführung in Karlsruhe, indem er schreibt:
Kleists Hermannsschlacht erschien als Festvorstellung
zum 18. Oktober. Das ist eine unglückliche Wahl, denn das erregte Publikum vermochte
sich so wenig zu erwärmen, daß nur selten der laute Beifall erschallte. Als Drama
besitzt die Hermannsschlacht ohnehin nur den Wert, der in der Charakteristik
Hermanns des Cheruskers enthalten ist. Aber auch in dieser Gestalt offenbart Kleist nicht
allein den großen schöpfungsfähigen Dichter, sondern auch das zerrissene Gemüth, das
ihn treibt, mit einem Realismus, der die Empfindungen in ihre entlegensten Winkel
verfolgt, wie einst das eigene Leben, so auch die Gestalten zu unterwühlen, die er uns
vor die Seele führt. Armin ist eine Gestalt, die dem Feinde des Vaterlandes gegenüber
den Menschen völlig verleugnet: die Laster Roms liebt er, denn sie rechtfertigen seinen
mordlustigen Haß; die Tugenden Roms, die er kennt, verabscheut er, denn sie <303:>
drohen, seine Hassesthat zu lähmen. Das Stück hat zugleich eine wahre und schauervolle
Tendenz: Gegen den Feind, der die Existenz des Vaterlandes bedroht, ist jedes, auch das
heimtückischste Mittel der Vernichtung erlaubt. Nur eine Zeit, wie die, in welcher Kleist
schrieb, kann ein solches Drama verstehen mit all seinen barbarischen Auswüchsen
und an ihm erglühen. Möge dieses Verständniß nie wieder kehren für Deutschland! Von
der Bühne herab kann es aber für unsere Zeit keine unglücklichere Festvorstellung
geben. Hermann ist wohl verklärt durch die heroengleiche, leuchtende Vaterlandsliebe, die
die Mutter seines Hasses ist. Aber er und seine barbarische halbwilde Umgebung sind uns
menschlich viel ferner gerückt, als die Feinde, deren Eroberungspolitik in unseren Augen
eine civilisatorische Sendung annimmt. Wäre die Schlacht am Teutoburger Walde ein
geschichtliches Ereigniß, das mit seinen politischen Nachwirkungen greiflich in die
Gegenwart hineinragt, so würde unsere nationale Empfindung sehr leicht Meister über den
Zug unserer Einbildungskraft, die uns geistig den Feinden näher rückt. So aber ist das
germanische Barbarengeschlecht mit sammt seinem Siege uns fremd und geistig fern, und das
nationale Gegengewicht fehlt. Darum ist das Publikum auch abgesehen von der
komischen Seite, welche den suevischen Schopf- und Zopffrisuren, den Bärenfellen, den
Urhörnern und anderen schönen Pelz- und Galanteriewaren der Vorzeit leider stets von der
Bühne herab innewohnt gespalten und uneins in seiner Empfindung. Möge der
Kunstfreund und der Denker sich an der Hermannsschlacht erfreuen; hinreißend
auf ein Publikum, das mit naiver Einbildungskraft vor der Bühne steht, wird das Stück
nie wirken.
Das ist echte deutsche Leimsiederei, die auch einen großen
Nationalkrieg, einen Krieg, in dem es sich um Sein oder Nichtsein eines ganzen Staats und
Volkes handelt, glatt, fein, säuberlich und in schöntuender Menschlichkeit ausgefochten
zu sehen wünscht. Man frage Engländer, Franzosen, Spanier, sie werden andere Ansichten
entwickeln. Sollen wir Deutsche ewig so phantastisch und sonderbar feinfühlig und
befangen in ästhetischen Vorstellungen bleiben?
Als ich 1860 meine Bearbeitung der Hermannsschlacht an
Eduard Devrient für das Karlsruher Hoftheater einschickte, meldete mir dieser, seine
Unlust, das Stück aufzugreifen, zu erläutern, Folgendes: Verhehlen will ich nicht,
daß mir das Gedicht als das schwächste des mir überaus theuren Dichters erscheint, und
daß ich auch dafür halte: dieser große nationale Gegenstand müßte, gerade für unsere
Zeit, viel größer, historischer, charaktervoller gefaßt werden, wenn er wahrhaft
erbaulich wirken sollte.
Was mich betrifft, so meine ich: Die Hermannsschlacht
größer, historischer, charaktervoller zu fassen, als Kleist das getan, ist unmöglich.
Gerade ihre große, historische, charaktervolle Auffassung ist es, die sie uns heute fremd
macht. Der Dichter schrieb sie mit der nationalen Wuth und dem nationalen Zorn, die in
seinem Kriegsgesange Germania an ihre Kinder sich Ausdruck verschaffen,
<304:> und welche durch die Unterwerfung und Verachtung seines Vaterlandes wie durch
die Mißachtung entstanden sind, die sein König und seine Königin durch Napoleon den
Ersten erfahren hatten.
Können solche Dinge aber nicht wiederkehren? Und wenn sie
wiederkehren, wird man alsdann Heinrich Kleists Hermannsschlacht nicht anders
beurteilen lernen?
Vielleicht erlebe ich es noch.
Übrigens hat Eduard Devrient doch diese großartige Schöpfung nach
ihrer Aufführung schon etwas anders angesehen. Er schrieb mir nach derselben: Was
Ihre Hand an dem Gedichte getan, ist der Aufführung sehr zu statten gekommen: die
Handlung gruppiert sich anschaulich und die einzelnen großen dichterischen Schönheiten,
der große politische Geist, der durch den wilden Haß des Autors leuchtet, kommen frei
zur Geltung.
Das ergab sich schon bei der bloßen Erinnerungsfeier der Schlacht bei
Leipzig vor fünfzig Jahren. Wenn nun gar einmal eine Entscheidungsschlacht dieser Art
wiederkehrte und mit ihr die Gefühle und Gesinnungen jener immerdar denkwürdigen Tage,
wie dann?
Mich erfrischt und erquickt im Hinblick darauf, was der wackere und
warmherzige Moritz Heydrich mir um diese Zeit über das Schauspiel schrieb:
Mit Freuden lese ich in den Blättern, daß viele Bühnen endlich,
endlich an die Aufführung dieses wunderbar genialen Werkes gehen. Es ist gewiß das
eigentümlichste und merkwürdigste von allen deutschen historischen Dramen
und daß man bisher noch keine Aufführung gemacht hat, das zeugt von der erbärmlichen
Gleichgültigkeit und von der unbegreiflichsten Stumpfheit der deutschen Bühnenleiter.
Unsere sämtlichen modernen, sogenannten vaterländischen und meist mit Beifall
aufgeführten Dramen, auch die besten und nennenswertesten, haben keinen Funken von der
heiligen Flamme echtdeutscher Kraft und Begeisterung dieses herrlichen Werkes
ja in der gesamten deutschen dramatischen Literatur finde ich kein Drama, das so ganz im
edelsten Wortsinn ein Tendenzstück, und doch so ganz freipoetische Schöpfung, so voll
von heilig flammender Vaterlandsliebe durchglüht, so ganz in Shakespeares Geist als
nationales historisches Drama gedacht und behandelt würde. In Frankreich
gedichtet, würde es längst aufgeführt und ein Liebling der Nation, ein literarisches
Banner des Nationalruhms geworden sein bei uns moderts in
den Bibliotheken, gekannt und geschätzt nur von Wenigen. Dank Ihnen für die
Wiedererweckung des unsterblichen Werkes! Möge des edlen Dichters ernst mahnender
Schatten seinem Volke, Begeisterung weckend, wieder voranfliegen, wie in den glorreichen
Zeiten unserer Väter. Möge es in stumpfsinniger Zeit die Trägen und Schlummernden
wecken und die Geister bereit machen zur That, wenn sie nahen wird, die Stunde der
Prüfung und Gefahr! Möge der deutsche Demosthenes herabdonnern von der Bühne seines
Volkes, die wahrlich genug entweiht ist von blasierten Stümpern und Worthelden.
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