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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 278-281

Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommentaren von Kleists Werken. Der zerbrochne Krug

c) Der zerbrochene Krug
Die Angaben bei Z. und Sch. über die Berliner Aufführung bedürfen der Berichtigung und Ergänzung. Das Darum und die Zahl der Aufführungen ersieht man aus den folgenden Anzeigen in den B. N.
Sonnabend, den 3. August 1822:
Königliche Schauspiele.
Sonntag, den 4. August in Charlottenburg. Zum Erstenmale: Der zerbrochene Krug. Lustspiel in 1 Aufzug von Heinrich v. Kleist. Für die Darstellung bearbeitet von F. L. Schmidt. Hierauf: Der Lügner und sein Sohn, Posse in 1 Aufzug. Und: Ein Divertissement.
Nr. 94. Donnerstag, den 8. August. Im Schauspielhause: Der Essighändler, Drama in 3 Abteilungen. Hierauf zum Erstenmale wiederholt: Der zerbrochene Krug, Lustspiel in 1 Aufzug von Heinrich v. Kleist.
No. 95. Dieselbe Anzeige wiederholt.
No. 96. Mittwoch, den 14. August. Im Schauspielhause: Gleiche Schuld, Lustspiel in 3 Abteilungen. Hierauf: Der zerbrochene Krug …
No. 97. Dieselbe Anzeige wiederholt.
Die erste Aufführung in Charlottenburg ist von Teichmann nicht erwähnt, daher kommen wohl die ungenauen Angaben in den Kommentaren. Die Aufnahme des Stückes beim Publikum war keine ungünstige. Das beweist die Besprechung, welche <279:> die B. N. in der Nr. 99 vom Sonnabend, den 17. August 1822, brachten. Sie hat den folgenden Wortlaut:

Am 14. zum drittenmal: Der zerbrochene Krug, Lustspiel in 1 Aufzug, von Heinrich v. Kleist. Der Anschlagzettel besagt, daß Hr. Schmidt dies Lustspiel für die Darstellung bearbeitet habe. Da Refer. das Original, welches schon im Jahre 1811 hier bei Reimer im Druck erschien, nachdem es vorher Stückweise in der Zeitschrift „Phoebus“ abgedruckt worden, nicht gleich bei der Hand hat, so kann er nicht genau angeben, was Hr. Schmidt daran eigentlich bearbeitet, das heißt nicht blos verkürzt, sondern verändert, des theatralischen Zweckes halber manches ab-, manches hinzugenommen, anders gestellt und wo möglich zusammengedrängt haben mag. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, so hat Herr Schmidt nur verkürzt und das Wesentlichste der Handlung und ihren Gang beibehalten: woran er auch wohlgethan, denn ein Bearbeiter eines Dichters, und ein solcher im rechten Sinne des Wortes war Heinrich von Kleist, muß einige Geistesverwandschaft mit ihm haben, und wenigstens von keinem schlechtern Geist getrieben sein. Gern räumt indeß Refer. ein, daß ein gemischtes Publikum wohlgezogen durch bekannte Meister in Zubereitung der materiellsten Gerichte, ihrer wechselnden Würzen und Reize, für eine einfache, aber in ihrer Einfachheit so tiefe und reiche Gabe, nicht eben gestimmt sein mag, und darum vielleicht gar nicht dazu hätte eingeladen werden sollen; es muß ihm nur wunderlich vorgekommen seyn, wie man ihm statt Ehestandsscenen, Gardinenpredigten, Liebeswuth und Liebesthränen, Schuldenmachen ungerathener Söhne, vorschneller Neigung verliebter Töchter, abenteuerlichen Entführungen, hartherzigen Arretirungen, den Bravaden des guten Herzens und Triumphen, die es am Ende doch immer über alle Folgen des Leichtsinns und der kalten Welt, die es nicht hat verstehen, die es sogar hat verfolgen wollen, davon trägt – – – – es muß ihm wunderlich vorgekommen seyn, wie man ihm statt so interessanter Begebenheiten eine bloße Gerichtsscene, wo dem komischen Richter selbst, für eine Lust, die ihn einmal angewandelt, die Daumenschrauben angesetzt werden, und er trotz aller Kniffe und Pfiffe am Ende in seiner Blöße dastehn muß, hat vorstellen können. Eine geistreiche Dichtung dieser Art braucht just der mimischen Darstellung nicht, um ihren Werth zu empfehlen; sie kann für sich auf eigne Hand leben; und jeder sinnige Zuschauer wird gefühlt haben, daß freilich Wirrware und Pagenstreiche, Vogelschießen\1\ und dergleichen gefälligere Gaben seyn müssen, daß es aber einem Kopfe wie Heinr. v. Kleist unmöglich seyn mußte, solche Stücke zu schreiben. So wird denn die Sache <280:> recht gut ins Gleichgewicht gebracht. Indeß muß Refer. mit einer Art von Erstaunen gestehen, daß das sonderbare Stück mehr wirkte, als er erwartet hatte, und daß auch die mimische Darstellung nicht ganz mißlungen war. Zur Darstellung des Dorfrichters Adam gehört freilich auch die originellste komische Kraft, Menschenbeobachtung und Studium, doch manches Einzelne gelang Hrn. Gern; Hr. Richter war im durchgeführten Plegma als Schreiber Licht vortrefflich, und auch Madame Dötsch hatte ein paar sehr gelungene Momente, die von Talent zeugen; ihr Naturell für solche Individuen verdient Beachtung; auch war wohleingeübt   das Ganze.

Einen Hinweis auf die Berliner Aufführung enthält das „Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode“ in Nr. 135 des Jahres 1824. S. 1080. Hier heißt es über Kleists zerbrochenen Krug:

Durch die Hamburger Bearbeitung und Abkürzung hat dieses Lustspiel unstreitig gewonnen. Indessen wird allen Bühnen, die es, auch in dieser veränderten Gestalt, aufführen wollen, zu rathen seyn, das Stück möglichst rasch zu geben und jedem kleinen Zug sein Recht durch Hervorheben desselben angedeihen zu lassen. In Berlin scheint dieß nicht gehörig beachtet worden zu seyn.

Im Wiener Hoftheater wurde der zerbrochene Krug unter Laube vom 2. März 1850 bis 5. Januar 1888 43 mal aufgeführt (Adam: La Roche, Martha: Haizinger, Eva: Wildauer), im neuen Hause unter Schlenthner am 11. Januar und 10. April 1889.
Die Frage nach dem Urbild des zerbr. Kruges wird in den Kommentaren als definitiv erledigt betrachtet. Ein Stich von Le Veau nach einem Gemälde von Debucourt soll in dem bekannten Wettspiel der Freunde Kleist die Anregung zu der Komödie gegeben haben. Im Grunde genommen sind wir in der Frage heut noch nicht weiter als im Jahre 1873, wo in Blumenthals „Deutsche Dichterhalle“ (S. 104) die Diskussion durch eine Anfrage aus dem Leserkreis eröffnet wurde. Gottl. Ritter (Zolling) antwortete damals mit einem Hinweis auf Le Veau-Debucourt; Reinh. Köhler (Weimar), dem Blumenthal die Antwort zur Begutachtung zusandte, verwies auf Naglers Künstlerlexikon, wo ein Blatt von Le Prince „la cruche cassée“ angeführt ist. So lange dieser nicht bekannt ist, ist es nicht ausgeschlossen, <281:> daß dieses Blatt Kleist in der Schweiz bei Zschokke gesehen hat. H. Zolling (H. v. Kleist in der Schweiz S. 36) hält die Frage deshalb für erledigt, weil in Frankreich das Le Prince’sche Blatt nicht aufzutreiben war und unbekannt ist. Richtig ist, daß weder in der Bibliothèque nationale das Blatt vorhanden, noch in den französischen Verzeichnissen Le Prince’scher Werke angeführt ist. Indessen ist dies deswegen noch nicht entscheidend, weil die Werke von Le Prince, der von Geburt Pole war, besser in Polen und Rußland vertreten sind, als in Frankreich. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich meine Anfragen nach kurzer Umschau in deutschen Kupferstichkabinetten von Wien über Lemberg und Krakau nach Petersburg gerichtet. Da ich einen allseitigen definitiven Bescheid bei Abschluß dieses Buches noch nicht habe, so kann ich die Frage augenblicklich wie O. Blumenthal in der Nachschrift zum Briefkastenartikel seiner Zeitschrift nur „bis zu einem gewissen Grade“ erledigt ansehen.

\1\ Wirrwar und Pagenstreiche, lokale Possen von Aug. v. Kotzebue; Vogelschießen, Lustspiel von Fr. Lindheimer.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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