Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 236-240
Michael Kohlhaas und seine Quellen
II. Kapitel
Michael Kohlhaas und seine Quellen.
Die Darstellung von den Quellen und der Entstehung des Michael Kohlhaas stützt sich
auf den Bericht von Tieck, auf die Forschungsergebnisse von Emil Kuh, auf die
Quellenstudien von Burkhardt und die zusammenfassende kritische Abhandlung von Pniower und
ist darnach in ein festes Schema gebracht worden, das als gesicherter Besitz der
Kleistforschung erscheint. Alle Kommentatoren berichten gleichmäßig, daß Kleist den
Stoff seinem Freund Pfuel und dessen Anregung verdankt, der, wie Tieck berichtet,
aufgefordert auch eine Tragödie zu dichten, Kleist die Geschichte von Kohlhaas erzählt
hat. Weiter soll Kleist bei der Bearbeitung des Stoffes verschiedene Quellen benutzt
haben. Kuh hat in der Wochenschrift Stimmen der Zeit (1861, S. 161) die
Quellen der Kleistschen Erzählung am erschöpfendsten untersucht. Nach den Ausführungen
Kuhs, der mit einer größeren Arbeit beschäftigt, durch die bekannte Stelle in Hoffmanns
Serapionsbrüdern zu seinen Forschungen über den Kohlhaas angeregt war, hat Kleist aus
drei Quellen geschöpft: Die erste ist: Diplomatische und curieuse Nachlese der Historie
von Obersachsen und angrentzenden Ländern, gehalten von Christ. Schöttgen und Georg
Christoph Kreysig (Dresden und Leipzig 1731); darin im III. Teil S. 528:
Nachricht von Hans Kohlhasen, einem Befehder derer Chur-Sächsischen Lande. Aus Petri
Hafftiti geschriebener Märkischen Chronic. Außerdem meint Kuh und weist aus
verschiedenen Stellen der Erzählung nach, daß Kleist auch Leutinger und Mencius (Kurtze
Erzehlung von Ursprung und Hehrkommen <237:> der Chur und fürstlichen Stämmen,
Sachsen, Brandenburg usw.; (Wittenberg 1597) benutzt hat. Für diese Ansicht, so schriebt
Kuh, spricht einerseits das grübelnde Moment in Kleist, andrerseits sein fast pedantisch
strenger Sinn, der durch juristische und mathematische Studien überdies noch mehr
ausgebildet wurde.
In bezug auf Mentz gehen die Meinungen auseinander. Kuh
glaubt, daß Kleist diese Quelle benutzt hat und führt als Beweis drei entsprechende
Stellen bei Mentz und Kleist an. Pniower hat die Arbeit von Kuh nicht eingesehen und nimmt
irrtümlich an, daß Kuh die Analogie zwischen Mentz und Kleist darin sucht, daß beide
Kohlhaas mit dem Schwerte hinrichten lassen. Erich Schmidt folgt ihm darin und führt
Mentz als Quelle für Kleist nicht an. Auch ich glaube, daß zum mindesten die Frage
unentschieden ist, da mir die drei von Kuh angeführten korrespondieren Stellen nicht
durchaus überzeugend scheinen.
Abgesehen von dieser kleinen Meinungsverschiedenheit
stimmen die Kommentare völlig überein. Und doch ist dieser Darstellung manches von
vornherein unwahrscheinlich. Zunächst ist Pfuel, soweit es sich um Berichte aus seinem
Munde handelt, ein sehr unzuverlässiger Zeuge. Das meiste, was aus dieser Quelle stammt,
hat sich vor der Kritik nicht behaupten können. Das habe ich bei verschiedenen
Gelegenheiten nachgewiesen, und auch in diesem Falle klingt es sehr unwahrscheinlich, daß
Pfuel, der niemals literarische Interessen bezeigte, gerade in diesem Falle Anregung und
Einfluß auf Kleists Schaffen ausgeübt haben soll. Sodann ist es auffallend, daß immer
nur auf die Analogien zwischen Kleists Novellen und den Quellen hingewiesen wird, während
ausgesprochene Gegensätze unbeachtet bleiben. Es scheint mir angebracht, nach diesen
Richtungen die verschiedenen Angaben der Kommentare auf ihre Richtigkeit zu prüfen.
Die Selbständigkeit, die Bedeutung und der Wert der
Kuhschen Forschungen soll nicht angezweifelt werden. Sicher steht das Verdienst Kuhs, die
historischen Quellen mit der Novelle Kleists zum ersten Male verglichen zu haben. Aber
die <238:> Pritätori, die wichtigsten Kohlhaas-Quellen nachgewiesen zu haben,
gebührt ihm nicht. Ebenso wenig Burkhardt, dessen Darstellung der Quellen zum Kohlhaas
wissenschaftlichen Anforderungen nur wenig genügt. Vor allem fehlt seiner Geschichte des
historischen Hans Kohlhaas jeder wissenschaftliche Charakter. Hier klafft für die
Kleistforschung noch eine weite Lücke, und eine kritischen Anforderungen entsprechende
Geschichte des Hans Kohlhaas steht noch aus. Burkhardt beginnt mit den Worten: Es war der
erste Oktober des Jahres 1532. Die Abendsonne
beleuchtete noch mit einem Blick die freundlich flache Landschaft,
als . Die Einleitung befremdet in einer
wissenschaftlichen Arbeit, um so mehr als der Beginn der Kohlhaas-Fehde historisch
durchaus nicht feststehend ist. Weiter fehlen bei Burkhardt fast alle Angaben der Quellen,
so daß eine Kontrole ganz unmöglich ist. Wir lesen, um Beispiele anzuführen, daß der
sächsische Scharfrichter verlangt und auch erreicht habe, bei Tische mit den sächsischen
Richtern und Reitern obenan zu sitzen. Das ist eine so erstaunliche Angabe, daß die
Quellenbelege beigefügt werden mußten, um den Leser sicherzustellen, daß nicht ein
Mißverständnis vorliegt. Schließlich, was für das Verständnis der Kleistschen
Erzählung wichtiger ist, sind die Quellenangaben über den Michael Kohlhaas mangelhaft;
manches Quellenwerk ist wohl in einer Fußnote angegeben, aber im Text überhaupt nicht
benutzt. Auf diese Weise ist viel übersehen, manche Verwirrung in die Darstellung
hineingetragen worden.
Die Geschichte von Kohlhaas ist auch nach der
Veröffentlichung Kleists in Zeitschriften und Tagesblättern immer wieder hervorgeholt
und den Lesern erzählt worden. Joseph von Hormayr berichtet sehr ausführlich die
Kohlhaas-Geschichte, angeregt durch die Novelle des befreundeten Dichters
(s. S. 164f.) in seinem Archiv für Geographie, Historie, Staats- und
Kriegskunst im Jahre 1822. Der Gesellschafter bringt die getreue Erzählung von Hans
Kohlhaas im Jahrgang 1825 (182 Blatt) nach der märkischen Chronik des
P. Haftitius und fürchtet nicht daß sie in ihrem einfachen Ton, der für die
Wahrheit bürgt, <239:> gegen die romantische Sage, zu welcher der geniale Heinrich
von Kleist sie umgearbeitet hat, zurücktreten dürfte. Und kaum zwei Jahre später
findet sich eine Reihe von Artikeln über denselben Stoff in den Berlinischen Nachrichten.
Nichts spricht so sehr für die Popularität des Stoffes und für das große Interesse,
welche die Kleistsche Novelle im Publikum gefunden hat, als daß auf die ersten Aufsätze
in den Zeitungen gewöhnlich Zuschriften, Berichtigungen und Ergänzungen aus dem
Leserkreise folgen. Der Gesellschafter brachte eine Berichtigung, die sich auf
die Person des Rektors Haftiz bezog, und eine ganze Anzahl von Zuschriften hat der erste
Aufsatz in den Berlinischen Nachrichten zur Folge\1\.
Darunter findet sich manches, was auch heut noch für uns von Interesse ist.
Der Tatbestand ist folgender: Am Donnerstag, dem
29. März 1827, wurde im Berliner Opernhause zum ersten Male das
historisch-vaterländische Trauerspiel in 5 Aufzügen: Hans Kohlhaas von
G. A. Freiherr v. Maltitz aufgeführt. Darauf brachten die Berlinischen
Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Haude- und Spenersche Zeitung) in drei
aufeinanderfolgenden Nummern (Nr. 79 Dienstag, d. 3. April 1827;
Nr. 80 Mittwoch, d. 4. April und Nr. 81, Donnerstag, d. 5. April)
eine Darstellung der Kohlhaas-Geschichte nach Peter Haftiz von F. F. (Friedrich
Förster) unter dem Titel Hans Kohlhase, Roßkamm und Bürger zu Köln an der
Spree mit der Fußnote in der ersten Nummer: Bei der günstigen Aufnahme,
welche eine dramatische Bearbeitung der Geschichte dieses vaterländischen Helden auf
unserer Bühne gefunden hat, glauben wir, daß es unsern Lesern willkommen seyn dürfte,
den wahren Hergang der Sache, aus Peter Haftiz ungedruckter Chronik zu erfahren.
F. F. Der Aufsatz schließt mit den Worten: Aber Gott hat ihm vielleicht sein
Ende also aufgesetzet. Ich will nicht unterlassen, auf eine persönliche Bemerkung
von Förster hinzuweisen. In <240:> der Fortsetzung Nr. 80 heißt es bei
Besprechung der Zusammenkunft mit Luther in einer Fußnote: Früher war ich im
Besitz eines Briefes des Dr. Luther an Kohlhas und der Antwort desselben. Leider sind mir
beide abhanden gekommen, und es würde ein Nachweis darüber sehr erwünscht sein. Aus
Kohlhasens Briefe erinnere ich mich nur, daß er darin über seinen eigenen Namen witzelt
und dem Doctor schreibt, die Sachsen hätten vermeint, daß der Hase nur im Kohl sitze,
nun sollten sie erfahren, daß er im Pfeffer säß.
\1\ Burkhardt zitiert
wohl in einer Fußnote den ersten Aufsatz in den Berlinischen Nachrichten, läßt ihn aber
sowie die folgende Serie von Aufsätzen im Text völlig unbenutzt resp. unerwähnt.
Emendation
1532] 1832 D
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