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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 215-220

Schlußwort


Auch Solger hat sich mit großem Enthusiasmus über Kleist schon zu seinen Lebzeiten ausgesprochen. Die Stelle des Briefwechsels mit Raumer, die sich auf das Käthchen von Heilbronn bezieht, ist bei Steig (B. K. S. 88) angeführt. Es ist bisher übersehen, daß Solger an der Herausgabe der hinterlassenen Schriften Kleists durch Tieck stark beteiligt ist, und man darf wohl annehmen, daß nur der frühzeitige Tod Solgers (1819) die Veranlassung ist, daß Kleists Schriften zwei Jahre später nur unter Tiecks und nicht unter dem gemeinsamen Namen von Solger und Tieck erschienen. Einige der brieflichen Äußerungen von und an Solger\1\ setze ich deswegen in Ergänzung dessen, was Erich Schmidt davon mitteilt, hierher:

Tieck aus Ziebingen bei Burgsdorf an Solger den 5. Juli 1816 S. 424:
„Sie vergessen doch nicht, Liebster, daß Sie mir über Kleist etwas versprochen haben? 1. den Lebenslauf, wohl von anderer Hand, 2. was mir noch wichtiger ist, etwas von Ihnen selbst, wenn es auch nur Rhapsodien sind, über seine Schriften, seine Art zu dichten, kurz, was Ihnen einfällt, und was Sie wollen bekannt werden lassen; ich weiß daß Sie dann erlauben, es auf meine Art zu bearbeiten, es müßte denn seyn, daß es Ihnen gefiele, etwas Zusammenhängendes, eine Abhandlung selbst auszuarbeiten. – – Können Sie nicht Kleists einzelne Gedichte, die ich noch gar nicht kenne, in Berlin auftreiben?“ <216:>

Tieck an Solger d. 2. Januar 1817.
„– – Jetzt, Liebster, muß ich Sie auch an Ihr Versprechen wegen unseres Kleist mahnen; denn es ist nun bald die höchste Zeit, die Sache fertig zu machen. Wenn Sie doch die Güte hätten, auch bei dem G. v. Rühl noch einmal nachzuschauen –.“

Solger aus Ziebingen an seine Gattin am 30. März 1817 nach Berlin.
S. 544: – – Tieck las uns beim Thee einen nachgelassenen Anfang einer Tragödie von Heinrich Kleist, betitelt Robert Guiscard, vor. Ich hörte das Fragment mit tiefster Bewunderung und eben so tiefer Trauer um den Verlust des Ganzen und des Dichters, und wir waren einig, daß es, in gleicher Schönheit vollendet, nicht allein Kleist’s Meisterstück, sondern eins der größten Werke deutscher Kunst geworden seyn würde. – –“

Solger an Tieck. Berlin, d. 4. Oktober 1817 nach Ziebingen.
S. 557-560. „– –  Auch bitte ich Sie, die Vorrede zum Kleist zu beschleunigen. Dazu sollte ich nun freilich mein Scherflein geben, und doch fühle ich mich jetzt nicht recht aufgelegt dazu, und besonders deshalb, weil ich nicht recht weiß, in welcher Form ich es thun soll. Es wird mir schwer, mich hinzusetzen, um ein Urtheil zu elaboriren. Ich gestehe, daß ich … usw.“ Von hier an Tiecks in Kleist Schriften S. LXXIV-LXXVIII mitgetheilt; Solgers Urteil bildet den Schluß von Tiecks Einleitung.

Tieck an Solger. Ziebingen, 22. Oktober 1817. S. 565.
„Für den Beitrag zum Kleist danke ich ihnen von Herzen; da Ihre Laune nicht vergönnt mehr niederzuschreiben, so sind mir diese Worte auf jeden Fall sehr erwünscht; auch ich erinnere mich noch deutlich unseres Gesprächs, als ich Sie nach Frankfurt begleitete. – Nur bitte ich Sie noch, mir den Kleistischen Prinzen von Homburg und Hermann recht bald zu senden, um beide noch einmal aufmerksam zu lesen –.“

Solger an Tieck. Berlin, am 7. Dezember 1817. S. 583
Wie weit sind Sie mit dem Kleist? Wissen Sie, daß Huber zuerst Kleist’s poetisches Talent erkannt und nicht unwürdig darüber gesprochen hat? Ist es Ihnen gelegen, so citire ich Ihnen die Stelle genauer und ziehe sie für Sie aus.“ –

Solger an Tieck. Berlin, am 4. Januar 1818. S. 595:
„– – Kleist kommt doch zu Ostern heraus? In den kleineren Gedichten ist viel zu corrigiren. Kann ich meine Abschrift von dem Liede „Zottelbär und Panterthier“ auffinden, so lege ich sie Ihnen bei. Vorzüglich wünschte <217:> ich am Schluß: „Brüder, nehmt die Büchse doch,“, die Büchse statt der Keule wieder hergestellt –.“

Die angeführten Stellen beweisen uns, wie mangelhaft vorbereitet Tieck für seine Aufgabe war, welches Interesse Solger den Schriften Kleists entgegenbrachte, und wie tatkräftig er sich bei ihrer Herausgabe beteiligte.
Ich habe versucht an einigen Beispielen zu erweisen, daß die Kleist-Gemeinde schon bei Lebzeiten durchaus nicht so klein war, als man es gewöhnlich darstellt (vergl. auch die Äußerungen Collins, Loebers u. a.). Was mir wichtiger erscheint, ist die Tatsache, daß sofort als sie freier schreiben konnte, sich die Presse Kleists und seiner patriotischen Gedichte erinnerte, daß sie nie vergessen waren, daß als Tieck (1816) noch nichts von Kleists Gedichten wußte (s. o.) sie schon lange in der Presse aufgetaucht waren. Gleich nach dem Abzug der Franzosen aus Berlin erschien hier eine patriotische Zeitschrift, in der zuerst Kleistische Gedichte auftauchten. Die Zeitschrift ist wohl bei Zolling und anderen erwähnt, aber alles, was hierüber gesagt ist bis auf den Titel der Zeitschrift, ist falsch. Der Titel und das wechselvolle Geschick der in freier Folge erschienenen Hefte ergibt sich aus der folgenden Zusammenstellung:
Rußlands  Triumph oder das erwachte Deutschland. Erstes Heft, Berlin bei Rudolph Werckmeister 1813.
zweites Heft, Berlin 1813.
drittes Heft, Deutschl. 1813
viertes Heft, Deutschl. 1813
fünftes Heft, Berlin, bei Friedrich Brauner 1813.
sechstes Heft, Berlin, bei Achenwall & Comp.

Jahrgang 1814 unter dem neuen Titel:
Das erwachte Deutschland. Erster Band, 1.-6. Heft, Berlin bei Achenwall & Comp. 1814. <218:>
In der Vorrede „An den Leser“ heißt es: Gleich, nachdem die Franzosen Berlin verlassen hatten und am 4. März d. J. das siegreiche russische Truppencorps des Kaiserlich russischen Generals Grafen von Wittgenstein daselbst unter dem lauten Jubel aller Einwohner eingerückt war, erschien, als das erste erfreuliche Zeichen der wiedergewonnenen, lang entbehrten Preßfreiheit, das erste Heft dieses Journals etc.
Die Zeitschrift ist insofern für uns von großem Interesse, als hier zum ersten Male Kleistsche Gedichte im Druck erschienen sind, und zwar nicht, wie es bisher in den Kleistbiographien heißt, ein Gedicht (Germania), sondern mehrere. Schon das dritte Heft\1\ enthält überwiegend Beiträge aus dem Nachlaß von Kleist, so daß wir dieses Heft als ein Kleistheft bezeichnen können. Es findet sich da: Germania an ihre Kinder. Aus dem Nachlaß von Heinrich Kleist. 2. Kriegslied für die deutschen jungen Jäger. Eine Ahnung von Heinrich von Kleist; aus dessen Nachlasse. 3. Bruchstück aus einem größeren Gedichte von Heinrich v. Kleist (Und mußten selbst noch auf der Hauptstadt Türmen etc.).
Es ist anzunehmen, daß die erste Veröffentlichung der Germania an dieser Stelle aus dem Besitze Pfuels stammte. Ich finde nämlich in einem Verzeichnis der freiwilligen Liebesgaben aus dem Jahre 1813 unter Berlin, den 13. März, folgenden Vermerk: „Der Oberst E. v. Pfuel hat den Druck der Ode: Germania an ihre Kinder, von H. v. Kleist, veranlaßt. Ein solcher Moment von Begeisterung erzeugte im Jahre 1809 diese schöne, bis jetzt noch ungedruckte Ode, darum wird Begeisterung von ihr ausgehen.“
Die hier wiedergebenen Begleitworte finden sich nicht in „Rußlands Triumph“. Es muß also unbedingt schon vorher im Frühjahr 1813 durch Pfuel eine selbständige Publikation wahrscheinlich in Form eines Flugblattes erfolgt sein mit dem <219:> angegebenen Begleitwort. Von diesem ersten Abdruck habe ich nirgends eine Spur entdecken können. Die Veröffentlichung in „Rußlands Triumph“ wird ein, übrigens schlechter Abdruck der Pfuelschen Publikation gewesen sein.
Man sieht, die Gedichte, welche Kleist für eine projektierte Wochenschrift geschrieben hat, die der erste Atemzug der deutschen Freiheit sein sollte, sie tauchten, wenigstens zum Teil, sofort in der Öffentlichkeit auf, als das Vaterland und die Presse von dem lästigsten Druck befreit war. Als Deutschland aufstand aus seiner Schmach, als es bald nach dem Tode Kleists die Ketten abschüttelte, da tauchte auch sofort sein Bild aus der Vergessenheit hervor. Das Volk hatte nie seinen größten Freiheitssänger vergessen und für die Stimmen seiner Freunde war der Boden wohl vorbereitet. Aber sie schwiegen, und ebenso wenig wie für den Freund und Menschen taten sie in den folgenden Jahrzehnten für den Dichter. Er war für sie völlig verschollen. Adam Müller soll wohl Material für eine Kleistbiographie gesammelt haben\1\, aber nie ist ein Wort von ihm in die Öffentlichkeit gelangt. Dabei lagen die Verhältnisse in Österreich besonders günstig. Denn es ist eine auffallende, bisher nicht berührte Erscheinung, daß die Vorliebe für Kleist auf österreichischem Boden viel rascher sich entwickelte und einen weit größeren Umfang annahm, als in der eigentlichen Heimat Kleists. Nicht bloß die Bühne, sondern auch die Zeitungen haben mehr für Kleist getan und sind lebhafter für ihn eingetreten. Die einzige „Neue freie Presse“ in Wien hat mehr und inhaltsreichere Aufsätze in früheren Jahrzehnten über Kleist gebracht, als die gesamte norddeutsche Presse.
Wie Müller so hat Arnim kein Wort in der Folge über Kleist und seine Werke geäußert, und während er ständiger Mitarbeiter des „Gesellschafter“ war, dem Herausgeber freundschaftlich nahe stand und hier alle möglichen literarischen Er- <220:> scheinungen besprach, ließ er Kleists Werke völlig unbeachtet, und außer der oben erwähnten Verlegenheitsäußerung habe ich nichts über Kleist aus seiner Feder gefunden.
Alle die Freunde, welche Kleist im Leben nahegestanden, haben sich nach seinem Tode unverantwortlich gegen ihn benommen. Pfuel dürfte wohl recht haben mit seiner Äußerung, daß ihnen das Christentum höher stand als die Freundschaft. Sie haben das geistige Erbe des Dichters schlecht verwaltet, und wenn sich sein Bild durch fast ein Jahrhundert verstellt und verzerrt hindurchschleppe, wenn die Nachwelt unschätzbare Werke vermißt, so trifft die Schuld diejenigen, welchen Kleist im Leben so vertrauensselig entgegengekommen ist.

\1\ Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel, herausg. von Tieck und Raumer, Leipzig 1826. Dazu vgl. bei Erich Schmidt IV 283f.
\1\ Jahrgang 1813 (Rußlands Triumph) und nicht wie bei Zolling und Schmidt „Deutschland“ 1814.
\1\ Nach einer brieflichen Angabe seiner Tochter.


Emendation
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Letzte Aktualisierung 31-Jan-2003
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