Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 209-215
Schlußwort
Schlußwort.
Die Zeit liegt noch nicht weit hinter uns, in welcher man Kleist als eine
einsiedlerisch-grüblerische und unverträgliche Natur schilderte, die sich nur schwer der
Umgebung anpassen konnte, die keinen Freund sich zu eigen machte oder doch ihn niemals auf
die Dauer festhalten konnte.\1\ Unsere
Darstellung, so lückenhaft noch immer das Material ist, zeigt doch so viel, daß Kleist
ein geselliger, anschlußbedürftiger Mensch war, daß er sich leicht freundschaftlich
hingab, jederzeit in einem großen geselligen Kreise lebte, daß er intime Freundschaften,
die ihm gewiß nicht viel zu bieten imstande waren, bis an sein Lebensende festhielt, ja
daß in seinem ganzen Wesen ein aufopfernder Freundschaftskultus und
Freundschaftsenthusiasmus liegt, und daß er endlich wie kaum ein zweiter Dichter mit dem
Leben zusammenhing, an den Tagesereignissen, an den größeren und kleineren Geschicken
seiner Mitmenschen lebhaften Anteil nahm und in der Bedrängnis des Vaterlandes seine
Person, sein Handeln und sein dichterisches Schaffen in den Dienst der großen Sache
stellte. <210:>
Selten ist treue Freundschaft schlechter belohnt worden,
wie im Falle Kleist. Das habe ich im Laufe der Darstellung an dem Beispiel Pfuels,
Dahlmanns, Fouqués nachzuweisen versucht. Und die Freunde, die ihm in der letzten
Lebensperiode am nächsten standen, die mit ihm, wie Steig es begreiflich machen will,
Schulter an Schulter gekämpft und gleich ihm ins Unglück getrieben worden sind? Die
Brentano, Arnim, Müller? Was haben sie für den Menschen Kleist unmittelbar nach
seinem Tode getan und erwirkt?
Brentano und Arnim haben sich über Kleist ausgesprochen
und über den Eindruck, den die Todesnachricht auf sie hervorrief. Aber im Gegensatz zu
Pfuels warmen und tiefempfundenen Worten wie frostig und zurückhaltend! Grenzenlos eitel
nannte ihn Brentano, einen Dichter, dem seine persönliche Bizarrerie und all sein
Tollfieber und all sein Werk und Unwerk von liebenden Freunden so nachgesehen, und
geschont wurde, wie nie einem andern. Man muß solche schmachvollen Worte lesen und sich
dabei in den Seelenzustand eines Dichters versetzen, der selbst bei den Nächststehenden
und Berufenen so wenig Mitgefühl und Verständnis gefunden hat. Arnim, den Steig zu
retten sucht, und der nach ihm so pietätvoll das Andenken des Freundes zu wahren wußte,
äußert sich gegen Wilhelm Grimm, in recht gemäßigtem Schmerze, daß ihm Kleist doch
leid tut, so wenig Freude ihm seine störrische Eigentümlichkeit gemacht hat. Seine
Erzählungen findet er gewiß recht brav. Man vergleiche mit diesen kühl
abgewogenen Worten den herzlichen Ton bei Kleist wenige Monate vor seinem Tode:
Derjenige, mit dem ich jetzt am liebsten, wenn ich die Wahl hätte, in eine näheres
Verhältnis treten möchte, ist der gute sonst nur zu sehr von mir vernachlässigte Achim
Arnim. Der Vergleich der beiden Briefstellen spricht mehr als Worte für das
Gefühl, das Kleist seinen Freunden entgegenbrachte und für die Art, wie es erwidert
wurde. Adam Müller in Wien war der einzige, der wenigstens öffentlich für den Freund
einzutreten wußte, gewiß sehr zurückhaltend, so zurückhaltend, daß <211:>
Pfuel daran Anstoß nahm, aber immerhin angemessen und würdevoll.
Man kann mit Steig das Stillschweigen der Freunde
unmittelbar nach dem Tode darauf zurückführen, daß ihnen die Presse nicht zugänglich
war resp. ihnen verschlossen blieb. Dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Ebenso wie
Fouqué wäre es sicher den anderen auch nicht schwer gefallen, sein Sprachrohr zu finden.
Man könnte weiter einwenden, die Zeit war für Kleist nach ihrem Gefühl noch nicht reif,
das Verständnis für ihn war noch nicht vorhanden. Abgesehen davon, daß die intimsten
Freunde Jahrzehnte bei ihrem Stillschweigen verharrten, wollen wir im folgenden
nachweisen, daß Kleist niemals vergessen war, und daß für Kleist sehr bald die Zeit
gekommen ist.
Kleists Schaffen fand noch zu seinen Lebzeiten
wenigstens unter den Höherstehenden einen größeren Anhang, als man bisher angenommen.
Das läßt sich in einzelnen Spuren wenigstens nachweisen. Steig erwähnt die Bemühungen
Wilhelm Grimms, dessen Aufsatz in den Heidelberger Jahrbüchern nicht abgedruckt wurde und
eine Äußerung von Johannes Falck. Es handelt sich um einen Aufsatz in
Urania, Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812 über die
pantomimischen Darstellungen der Madame Hendel-Schütz, in welchem Falk in einer
umfangreichen Fußnote sehr warm für Kleist und sein Schaffen eintritt. Der Aufsatz ist
zweifellos noch zu Lebzeiten Kleists geschrieben, wie Steig meint 1811. Es ist aber nicht
ausgeschlossen, daß er schon 1810 abgefaßt ist für den Jahrgang 1811. Das Taschenbuch
erschien nur 1810 und 1812. Die Ausführungen Falcks über Kleist sollen den Goetheschen
Ausspruch illustrieren: Eine ohnmächtige Generation aber wird durch das Erhabene
zerstört, und da man niemandem zumuten kann, sich willig zerstören zu lassen: so haben
sie völlig das Recht, das Große und Übergroße, wenn es neben ihnen wirkt, so lange zu
leugnen, bis es historisch wird, daß es sodann, aus gehöriger Entfernung, im
gedämpften <212:> Glanze, kindlicher anzuschauen seyn mag. Falcks
Ausführungen über Kleist gibt Steig wieder, aber nur bruchstückweise. An der Stelle, wo
Falck die lieb- und herzlose Art der Zeitgenossen Kleist gegenüber beklagt, schreibt er,
wohl in der Reminiszenz an Christ. Kleist: Wäre dem armen, edeln, liederherzigen,
geistvollen Gleim ein Genie wie Kleist in den Weg gelaufen: was meint man wohl, wie er es
würde in seinen Armen heraufgejauchzt, hereingejubelt haben! An die
Ausführungen Falcks, die Steig wiedergibt, schließt sich das Folgende an: Mag es seyn,
daß er in diesem Produkt, wie in allen seinen übrigen, die Grenze der Motive
überschreitend, zuweilen an das Barocke streift: soll uns denn ein einziger Fehler
des trefflichen Mannes, gegen alle übrigen Vorzüge, die er besitzt, blind, und der
Mittelmäßigkeit, an der heut zu Tage fast aller öffentliche Weihrauch wie in
Pfennigsgaben, verräuchert wird, hold und geneigt machen? Denken wir dafür doch lieber
an Schillers Zuruf:
Daß ihr nicht früh in den Fehler der Mittelmäßigkeit fallet
Neidet, ihr Künstler doch ja keinen der andern zu früh!
Wahrlich, es ist wohl eigen, daß eine Nation wie die
Deutsche, die jetzt so gern die politische Ohnmacht und Blöße mit dem literarischen Ruhm
ihrer Klopstocke, Herder, Schiller usw. zudecken möchte, demungeachtet jeden Augenblick
vergißt, daß man große Männer am würdigsten in ihren Nachkommen ehrt; und wer sind
diese sonst, als junge Männer von Genie, die sich mit Mut und Geschick auf die von ihren
Vorfahren betretene Bahn wagen?
Ich vermute, daß die Anregungen für Kleist einzutreten
oder wenigstens sich mit ihm zu beschäftigen, gleichermaßen ausging von der
Hendel-Schütz wie von Wieland, in dessen Hause Falck ein- und ausging. Aber außer Falck
hatte gerade in Weimar Kleist noch andere sehr begeisterte Anhänger. Im Nachtrage
(S. 420 ff.) bringe ich einige Briefe von v. Brockes und seiner Braut. Sie
interessieren weniger wegen ihres Inhalts, als wegen der Persönlichkeit des Adressaten.
Sie sind gerichtet an <213:> Johannes Schulze in Weimar. Dieser bekannte
Mitbegründer und langjährige Leiter des preußischen Unterrichtswesens, der wie vor ihm
Kleist später unter Altenstein arbeitete, war 1808-1812 Professor am Gymnasium in Weimar
und unterrichtete im Schillerschen Hause. Nach seiner Promotion in Leipzig hielt er sich
einige Zeit im Jahre 1808 in Dresden auf. Während seines Aufenthalts muß er Kleist
kennen gelernt haben, wahrscheinlich durch Rühle, mit dem er eng befreundet war. Nur so
läßt es sich erklären, daß er schon sehr frühzeitig und zu Lebzeiten von Kleist mit
großem Enthusiasmus in Weimar für die Werke Kleists eintrat. Sein Biograph Varrentrapp\1\ erzählt eingehend, wie er sich bei den
Teeabenden im Schillerschen Hause für Kleist verwendete und die bekannten Ansichten der
Frau v. Schiller über einzelne Werke Kleists zu widerlegen sich bemühte.
Gewiß, so urteilte Joh. Schulze beim Tode Kleists, ist einer der
größten Geister Deutschlands mit ihm untergegangen! Außer Rühle gehörte
übrigens auch Arnim zu den Freunden Schulzes aus dem Kleistkreise. Er verehrte seine
Dolores, die ihm selige Stunden bereitete und schloß mit ihm eine innige
Freundschaft, als der Dichter 1811 sich mehrere Wochen in Weimar aufhielt. Schulze
beschränkte seine Wirksamkeit in Wort und Schrift nicht bloß auf die Schule, sondern
verkündete auch in Weimar und benachbarten Städten <214:> auf der Kanzel mit
großer Beredsamkeit und nicht ohne romantischen Anhauch das Wort Gottes. Sein politisches
Wirken und seine Predigten hatten Schulze dem Marschall Davoust und seinen Polizeiagenten
verdächtig gemacht. Auf seine Predigten bezieht sich das Schreiben der Frau
v. Werthern, und seine Wirksamkeit als Kanzelredner gab den Anstoß zu der intimen
Freundschaft, die wir nach den Briefen bis in das Jahr 1812 verfolgen können. So wenig
wir über die persönlichen Beziehungen Schulzes zu Kleist unterrichtet sind, die Tatsache
besteht, daß er der frühesten einer war, der in seinem Kreise offen und sehr energisch
für Kleists Genius auftrat.
Wie Schulze so hat sein intimster Freund, der um einige
Jahre ältere Franz Passow, welcher die Berufung Schulzes nach Weimar durchgesetzt hatte,
schon sehr frühzeitig für Kleist Stellung genommen. Am 7. Juli 1807 schreibt Passow
aus Weimar an Hutwalker in Hamburg\1\:
Sonst ist von neuen Sachen nicht viel zu rühmen, bis auf
Heinrich von Kleists (des Verfassers der Familie Schroffenstein) Amphitruo, ein
erhabnes und tiefer Bedeutung volles Kunstwerk. N. S. Ich
trete jetzt auch mein Amt als Rezensent an der Jen. Litteratur-Zeitung an; zunächst werde
ich Königs, Nassers, Ortmanns und Meisters Persius in einer Rezension vornehmen. Hernach
Kleists Amphitruo.\2\
Es ergibt sich aus alledem, daß schon in einer frühen
Entwicklungsperiode Kleists in dem antikleistischen Weimar ähnlich wie in Dresden Kleist
eine Gemeinde für sich hatte, welcher nachweisbar Wieland, Passow, Schulze und Johannes
Falck angehörte, und die wahrscheinlich auch, wie erzählt wird, Goethe zur Aufführung
des Käthchens gedrängt hatte. Eine bisher nicht beachtete Äußerung von Fr. Kind
sei im Anschluß hieran <215:> erwähnt, die zwar aus späterer Zeit stammt, die
zweifellos aber eine Reminiszenz bedeutet an jene Tage, in welchen Kind mit Kleist
verkehrte. Denn im Jahre 1809 lebte auch Kind in Dresden, wenngleich noch nicht als
Schriftsteller, sondern als Advokat. Die kurze Erwähnung Kleists findet sich in einem
Briefe an Fouqué vom 1. Juli 1824: Vielleicht nach des Dichters
Tode erkennt man es, daß seine Werke gut gewesen wie jetzt in Berlin mit
Kleists Käthchen der Fall sein soll aber was hilft es dann dem, der unterm
Hügel liegt, und der wohl noch Trefflicheres hätte leisten können, hätte man den
Lebenden ermuntert hätte man ihm nur Gerechtigkeit widerfahren
lassen!
\1\ So äußert noch
Treitschke in seiner Charakteristik Kleists (Preuß. Jahrb. 1858 II 6. anonym): Das
gewöhnliche Mittel, über Wert und Bedeutung eines Künstlers ins Klare zu kommen, die
Untersuchung seines Verhältnisses zu den Mitstrebenden, wird durch Kleists vereinsamte
Stellung von vornherein abgeschnitten.
\1\ Johannes Schulze und das
höhere preußische Unterrichtswesen, Leipzig 1889. Es ist für die Kleistforschung
bedauerlich, daß nicht Koepke, dem das Material jahrelang vorlag, die Schulze-Biographie
geschrieben hat; er würde wohl die Beziehung Schulze-Kleist mit größerer Sorgfalt
verfolgt haben. Über das Verhältnis zu Frau v. Schiller und über deren Stellung zu
Kleist äußert sich Varrentrapp: An dem Unterricht bei Johannes Schulze nahm auch Ernst
Schiller teil seit 1810. Dadurch kam Schulze in nähere Beziehungen zu Charlotte
v. Schiller, die in ihren Briefen von ihrer kurzen Ehe spricht, wie sie
scherzweise ihr Verhältnis zu Schulze und dann diesen selbst bezeichnete. Schulzes
romantische Calderon-Schwärmerei teilte sie eben so wenig als Schulzes Entzücken über
Käthchen von Heilbronn. Ihr erschien das Kleistsche Drama als ein wunderbares
Gemisch von Sinn und Unsinn, der Kohlhaas war ihr viel lieber. So war viel Anlaß
zum Disputieren gegeben die kurze Ehe dehnte sich dabei wohl einmal zu Stunden
aus.
\1\ Aus Franz Passows Leben
und Briefe; herausg. von Albrecht Wachler, Breslau 1839.
\2\ Eine mit HaHa gezeichnete,
sehr verständige Rezension in der Jen. Allg. Lit. Ztg. ist (nach Zolling) schon am 24.
Juni erschienen. Darnach ist Passows Bemerkung schwer verständlich.
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