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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 205-209

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Hauptjournal pro 1810 (Rep. 4 VI pars I)
<Tabelle gegenüber D um 90° versetzt>

Nr.

554a

D 345

Praesentatum

28. Aug.

23. Sept.

Des Exhibiti

Ort

Berlin

Bl.

Datum

27. 8.

22. IX.

Exhibita u. Abs. derselben

Schrb. des Hofrats Adam Müller um Anstellung

Schrb. des Hofrats Müller wegen gewünscht werdender Anstellung

Wem die Sache zugeschrieben wurde

Wohin die Sache
remittirt oder was verfügt worden

Antwort, die h. J. Finanzcommission sey bereits angewiesen, das ihm bewilligte Wartegeld von 1200 Rth. in den gewöhnlichen Raten zu zahlen.

Datum des Decretums

31. 8.

Abgang

31. 8.

Journal pro 1812 (Rep. 74 Journ. V 5 pars I)

Fortlauf. Nr.

Hauptjournal Nr.

Betffd.

Akten Rubrik

118

7792

Müller Hofrath. Vorschuß zur Reise nach Wien betr. Schr. t. Oelssen

<206:>
In dem Journal von 1815 (Rep. 74. Journ. V 14) finden sich die folgenden Eintragungen:
<Tabelle gegenüber D um 90° versetzt>

Nr.

12

535

944

Praesentatum

20. July

23. August

25. Sept.

Des Exhibiti

Ort

Paris

Paris

Paris

Datum

28./7.

20./8.

12./9.

Exhibita u. Abs. derselben

Adam Müller erinnert an das ihm gegebene Versprechen, ihm das Wartegeld auszuzahlen

Adam Müller wegen seines Gehalts

Adam Müller wegen seiner künftigen Verhältnisse

Name des Decernenten

D.

Rotter

Datum, wann die Sache zur Expedition gekommen ist

 

Wohin die Sache remittirt oder was verfügt worden ist

Vorläufige Antwort

Ad acta

Datum der Verfügung

19./8.

18./11.

Abgang

Rubrum der Akten wozu die Sache registrirt worden

Adam Müller

(unleserlich)

Anmerkungen

 

<207:>
Das Material, das ich aus verschiedenen Jahrgängen hier wiedergebe, ist nur spärlich, aber die kurzen Notizen erscheinen mir doch vielsagend. Die Erwähnung eines Reisevorschusses nach Wien, Müllers Gesuch um Wartegeld, um Auszahlung des Gehalts, sein Gesuch wegen seiner künftigen Verhältnisse – alles das beweist doch soviel, daß Müller von 1810-1815 in dauernder Verbindung mit dem Minister blieb, daß er gewisse Forderungen an ihn hatte, welche auf Leistungen und Dienste schließen lassen. Das „ad acta“ bedeutet schließlich die definitive Verabschiedung.
Ich muß nach alledem zu einer anderen Auffassung des Sachverhalts kommen, als sie Steig gibt. Müller verstand es sehr geschickt, sich aus einer Affäre zu ziehen, die seinen intimsten Freund, Heinrich von Kleist, in die schwierigste Lage brachte. Er tat nichts für seinen Freund, obgleich er wie kein anderer die Mittel, die Verbindungen und die Gelegenheit dazu hatte. Verwundert fragen wir uns, wie es kommen konnte, daß Hardenberg, der Müller mit offenen Armen wieder aufnahm, so schroff und abweisend sich gegen die bescheidensten Forderungen Kleists verhielt, daß Hardenberg, der sich jederzeit bei Müller unterrichten konnte, nur ein schonendes Bedauern für den Dichter hatte, der angeblich schon einmal eine Heilanstalt aufsuchen mußte. Von welchem Standpunkt wir die Affäre betrachten, an Adam Müller bleibt vieles hängen, und sie läßt seinen Charakter nicht in günstigem Lichte erscheinen.
Wie ich bereits in der Einleitung zu meinen Betrachtungen hervorgehoben habe, ist das Material über Adam Müller noch nicht gesichtet und ausreichend genug, um ein abschließendes Urteil zu fälle und die Beziehungen zu Kleist nach jeder Richtung klarzustellen, doch halte ich mich für berechtigt, über den Menschen selbst und sein Verhalten gegenüber Kleist das Folgende auszusagen:
Adam Müller hat während seiner Studien- und Lehrjahre manche Schwankungen durchgemacht – Schwan- <208:> kungen im Studium, im Religionsbekenntnis; was schwerer ins Gewicht fällt, ist sein häufiger Gesinnungswechsel auch in späteren Jahren, so sein absprechendes Urteil über die einst so verehrte Königin Luise.
Adam Müllers Charakter zeigt manche Anzeichen, die auf eine Gemütserkrankung hinweisen. Das biographische Material ist zu lückenhaft, als daß der Psychiater aus einem geschlossenen Symptomenkomplex eine bestimmte Erkrankungsform diagnostizieren könnte, doch liegt zweifellos eine neuropsychopathische Disposition vor. Wenn wirklich dem Bericht über den Vorfall auf der Elbbrücke in Dresden etwas Wahres zugrunde liegt, so ist anzunehmen, daß nicht Kleist, sondern Ad. Müller der Attentäter gewesen ist, und daß Müller in einer plötzlichen Wahnvorstellung seinen Freund über die Brustwehr in die Elbe stürzen wollte. Es wäre nicht das erste Beispiel, daß ein Vorgang im Leben Kleists in verkehrter Darstellung der Nachwelt überliefert wurde.
Adam Müllers Verdienst um Kleists Poesie verdient volle Anerkennung. Er hat dem Amphitryon mit einer schwärmerischen Vorrede herausgebracht und hat für Kleist als den wahren Dichter der Zukunft auf das eifrigste Propaganda gemacht. Sein Einfluß auf die politische Entwicklung Kleists darf nicht überschätzt werden; Kleist verrät alle Züge des großen Patrioten schon in den Briefen vor seiner Freundschaft mit Müller, und auch seine Verbindung mit Lützow und seine tatkräftige Beteiligung an einem Geheimbunde fällt schon vor die Dresdener Epoche.
Adam Müllers Verhalten in der Dresdener Verlagsaffäre ist verdächtig und läßt seinen Charakter in eigentümlichem Licht erscheinen.
In den Abendblättern Kleists trieb Adam Müller nicht eine zweckmäßige zielbewußte Opposition, sondern er befolgte eine leichtsinnige ganz unerhörte Taktik, die den Ruin des Blattes herbeiführen mußte. Sein Verhalten in den Abendblättern hat Kleist auf das schwerste geschädigt. <209:>
Adam Müller ging unbeschadet aus der Abendblätterkatastrophe hervor. Er schied aus Berlin in aller Freundschaft mit Hardenberg. Ja mehr als das, nach seiner Abreise hat der Staatskanzler ihm sehr bindende und weitgehende Aussichten geboten und ist in der Tat mit ihm durch Jahre in Verbindung geblieben.
Adam Müller, der über die einflußreichste Verbindung verfügte, ließ Kleist ohne weiteres fallen.
Adam Müller hat an Kleist gewissenlos gehandelt. In der Lebenstragödie Kleist scheint Adam Müller die Intrigantenrolle zuzufallen.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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