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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 200-205

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Viel wichtiger für uns ist die Frage, welche Stellung Ascher zu Kleist eingenommen hat. Hat er ihn wirklich angefeindet in dem Sinne, wie Steig es darstellt? Die Behauptung Steigs, daß die niederträchtigen und empörenden Angriffe im Morgenblatt aus der Feder Aschers stammen, ist widerlegt, bedurfte auch gar nicht der Widerlegung, da der Name des Verfassers schon längst authentisch niedergelegt war (s. S. 126). Weiter findet sich in allen Schriften, Abhandlungen und Büchern, die ich bis auf ganz wenige durchgesehen habe, auch nicht eine Erwähnung Kleists und nicht die Spur eines Angriffs auf ihn als Menschen und Dichter. Nur in einem Korrespondenzartikel kommt Ascher auf den Selbstmord Kleists zu sprechen. Da ich ihn nirgends wiedergegeben finde, so drucke ich ihn hier wörtlich ab: <201:>
Der Aufsatz in den von Heinr. Zschokke herausgegebenen Miscellen für „die neueste Weltkunde“ 1811 pag. 397 trägt die Überschrift: Manigfaltiges aus Berlin. Finanzen. Staatspapiere. Wirkungen des Mysticismus. Selbstmord des Dichters Heinr. v. Kleist. Streit über den thierischen Magnetismus“ und ist unterzeichnet Ar.
Die betreffende Stelle lautet:
„Die politische Excentricitaet, welche im vorigen Jahrzehnd vorzüglich gangbar war, indeß aber ihre Wirksamkeit sehr verlor, hat eine Excentricität in der Denkart und Handlungsweise aufkeimem lassen, welche nicht geringen Einfluß auf die Privatverhältnisse in Deutschland hat.“
„Einen auffallenden Beleg hierzu gibt uns ein vor einigen Tagen vorgefallenes Ereigniß, das die größte Sensation erregte und erregen mußte. Der als Schriftsteller und Dichter bekannte Heinrich von Kleist hat Gelegenheit gefunden, mit der Gattin eines rechtlichen u. geachteten Beamten seit kurzem in einem gewissen Verhältniß zu leben, das ihn auch auf den Entschluß gebracht haben mochte, in einem solchen Verhältnisse mit ihr zu sterben. Die beiden Liebenden machen zusammen eine Spazierfahrt nach der Potsdamer Chaussee, treten auf dem Wege in einem Wirtshause ab, u. lassen sich nach dem nahe daran liegenden Gehölze einige Erfrischungen bringen. Kaum mochten sie selbige zu sich genommen haben, so hört man im Wirtshause zwei Schüsse fallen. Man eilt dem Schalle nach, und findet die angekommenen Fremden im Gehölze todt dahin gestreckt. Ein vom weiblichen Opfer hinterlassener Brief beweiset, daß sie freiwillig diese Welt mit ihrem Freunde verlassen habe. Wenn Sie diesen aus seinen Schriften kennen, werden Sie abzunehmen haben, daß nicht allein er, sondern auch das Weib zu bedauern ist, das Opfer einer mystischen Denkart geworden zu sein, welche sie in den Hallen einer Schule einathmete, die in dem Mystizismus nur die Quelle alles Heils ahnet.
„Es karakterisirt den Geist der Zeit und giebt auch einiges Licht auf die gangbare Denkart gewisser Zirkel unserer Metro- <202:> pole, wenn ich Ihnen diplomatisch hinterbringe, wie der Gatte und endlich der Freund dem Publikum von jenem tragischen Ereignisse Kunde giebt.“
Es folgen noch die bekannten Anzeigen in der Voss. Zeitung.
Aus diesem Aufsatz spricht die bekannte Denkart Aschers. Ihm, dem nüchternen Mann der Aufklärung bietet der Selbstmord Kleists die erwünschte Gelegenheit, gegen vermeintlichen Mystizismus, politische Exzentrizität loszuziehen, die Person Kleists tritt demgegenüber mehr in den Hintergrund. Das ist die einzige Gelegenheit, bei welcher Ascher Kleists Namen erwähnt! Wenn Steig schriebt, daß von Kleist niemals einer seiner Gegner, am wenigsten Ascher, einer Zeile gewürdigt wurde, so ist das richtig; es ist auch zuzugeben, daß Ascher viel zu tief unter Kleist stand, als daß er sich mit ihm hätte einlassen sollen, aber es ist auf der andern Seite gar nicht einzusehen, wie eine Fehde hätte entstehen können, da Ascher keine Veranlassung geboten hatte.
Kehren wir zurück zu Adam Müller. Wenn er wirklich die Schuld trug an dem rapiden Untergang der Abendblätter, so erweckt es immerhin unsere Sympathie, daß er dabei, wenigstens nach der Darstellung Kleists, ebensoviel verlor wie sein Freund. Steig will uns glauben machen, daß ihm jede Möglichkeit eines Fortkommens in Berlin abgeschnitten war; denn, wie er sagt, Hardenberg vergaß die früheren Kämpfe nicht, er behandelte seine Gegner anders als die treuergebenen Anhänger und hielt an dem Grundsatze fest, keinen seiner politischen Gegner in die Verwaltung hineinzulassen. Unter den Gemaßregelten der Abendblattpartei wird von Steig ausdrücklich Adam Müller angeführt, der nach vergeblichen Versuchen um Anstellung durch den mächtigen Hardenberg angeblich gezwungen wurde, im Mai 1811 Berlin zu verlassen.
So der Abschluß der vermeintlichen Kämpfe zwischen Müller und Hardenberg im Sommer 1811 in Steigs Darstellung. Wieder ein kühnes Saltomortale über alle Hindernisse und Gegenstände hinweg! Im Text (S. 649f.) die Darstellung, wie ich sie wiedergegeben; in einer Fußnote der <203:> Hinweis auf eine nicht hier sondern an anderer Stelle (D. Litt. Zeitg. 1901 Nr. 4) von Steig zitierte Korrespondenz, auf die ich bald zurückkomme, und die ohne weiteres die ganze Darstellung widerlegt.
Ich behaupte im Gegensatz zu Steig das Folgende: Als Müller im Mai 1811 Berlin verließ, schied er in voller Freundschaft von Hardenberg. Die persönlichen Beziehungen der beiden waren durch Müllers angebliche Angriffe auf Hardenbergs System nicht beeinflußt worden. Darüber belehrt uns ein Briefwechsel zwischen Gentz und Hardenberg, der sich im Geh. Staatsarchiv findet, der auch Steig bekannt war, und auf den er, wie oben erwähnt, in einer Fußnote hinweist. Steig zieht aus dieser Korrespondenz den Schluß, daß Müller vom Staatskanzler geheimen Auftrag an Gentz hatte, daß Hardenberg auf Gentz’ Anfrage Müllers Aussicht auf eine Anstellung in Preußen macht und führt das Entgegenkommen Hardenbergs auf seine Absicht zurück, Müller hinzuhalten und für seine Zwecke in Österreich zu gebrauchen. Abgesehen davon, daß diese Angaben Steigs in der Fußnote auch so schon in einem ausgesprochenen Gegensatze stehen zu Steigs Darstellung im Text, nach welcher Müller durch den Gegensatz zu Hardenberg die Existenzmöglichkeit in Berlin genommen war, kann ich auch seinen Folgerungen nicht beistimmen. Für mich beweisen die beiden Briefe folgendes: Müller hat sich vor seiner Abreise sehr freundschaftlich von Hardenberg verabschiedet; er genoß trotz seiner angeblichen Gegnerschaft des Staatskanzlers Vertrauen in dem Maße, daß er ihm sehr vertrauliche geheime Aufträge an Gentz mitgab; ihre Beziehungen waren derart, daß Hardenberg sich wundert, daß er wenige Wochen nach Müllers Abreise noch kein Lebenszeichen von ihm direkt empfangen hat; Hardenberg beabsichtigt nicht, Müller für seine Zwecke in Österreich zu gebrauchen, sondern er erwartet seine Rückkehr nach Berlin und verspricht ihm volle Genugtuung und eine seinen Ansprüchen entsprechende Staatsstellung in Preußen. Das geht zweifellos hervor aus dem folgenden Passus über Müller in Hardenbergs sehr huldvollem Schreiben: <204:>
Mr. Müller peut être assuré d’être palcé chez nous à son retour a son entière Satisfaction. Il me semble, qu’il ne devrait avoir aucune doute à cet égard, mais je vous avoue, que je suis un peu surpris d’en avoir eu aucun signe de vie de sa part, depuis qu’il nous a quitté!
Berlin le 24 août 1811
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Zu einer Zeit also, in der Kleist sich in größtem Elend, in bitterer Not, in verzweifelter Situation ganz vergebens um die bescheidenste Anstellung bemüht, bieten sich Adam Müller die glänzendsten Chancen in seinem Vaterlande. Adam Müller hat die Berliner Abendblätter zugrunde gerichtet und damit Kleist den Boden für seine Existenz entzogen. Ihm selbst ist daraus kein Schaden erwachsen, er ist nicht, wie Steig es darstellt, durch Hardenbergs energische Anwendung staatlicher Machtmittel in seinem Vaterlande unmöglich geworden; im Gegenteil, er ging unbeschadet aus allen Kämpfen hervor, und es wurden ihm Aussichten geboten, wie er sie vorher nie gehabt hat. Damit aber verliert Müllers Persönlichkeit die letzte Spur von Sympathie.
Man kann mir erwidern: Adam Müller boten sich die günstigsten Chancen, aber er ließ sie ungenützt, er konnte es mit seiner Ehre nicht vereinbaren, die Hilfe einer Persönlichkeit in Anspruch zu nehmen, zu der er sich öffentlich in den schroffsten Gegensatz gestellt hatte, deren Handlungen er aufs schärfste kritisiert hatte, er blieb in Wien. Gewiß ist Müller in Wien geblieben, und seine Erfolge zeigen, daß er allen Grund hatte, den ihm sehr günstigen Boden treu zu bleiben, aber die Hand, die ihm Hardenberg bot, ergriff er, er hat sich in der Folge in den Dienst Hardenbergs gestellt, er hat fortdauernd seine Staatsgelder erhalten und hat seine Beziehungen zu ihm erst mit seinem definitiven Aufenthalt in Leipzig, wahrscheinlich auch nicht freiwillig abgebrochen. Den Beweis hierfür bieten die Akten des Geh. Staatsarchivs. <205:>
Materialien, die sich auf Müller beziehen, Briefe, Gesuche usw. sind im Archiv nicht mehr vorhanden, sie sind mit allen übrigen Versorgungsgesuchen im Staatskanzleramte im Jahre 1849 als erledigt und überflüssig vernichtet worden. Vorhanden ist der Generalvermerk: Versorgungsgesuche im Staatskanzleramte Müller Nr. 21 Müller Adam, Hofrat 1810/15 (Rep. 74 S.). Außerdem finden sich die folgenden Eintragungen über Eingänge von Schreiben und Antworten.

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Rep. 92 Hardenberg K. 14.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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