BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


R

Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 195-200

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Der Brief in seinem letzten Absatz zeigt, wie Müller noch im Jahre 1810 von Witterungseinflüssen abhängig ihnen die größte Bedeutung beilegt; wenn Wilbrandt, darin eine <196:> geistige Störung sieht, so lehrt der Brief, daß diese an Verrücktheit grenzende Mystik und Symbolik noch nicht, wie Wilbrandt behauptet, in Dresden überwunden war. Der naheliegende Gedanke, Müllers Ausführungen im politischen Sinne als versteckte Andeutungen auszulegen, läßt sich nicht durchführen. Der Brief belehrt uns darüber, daß Müller bald nach seiner Ankunft in Berlin die Bekanntschaft mit Hardenberg suchte und auch fand.
Müllers Bemühungen bei Hardenberg hatten Erfolg. Am 31. August 1810 wird ihm der Bescheid, daß die Finanzkommission angewiesen sei, ihm ein Wartegeld von 1200 Talern in den gewöhnlichen Raten zu zahlen. Die Tatsache, daß Müller ein Wartegeld erhielt, ist natürlich für die Würdigung seiner Tätigkeit am Oppositionsblatte Kleists, für Müllers Stellung zur Regierungspartei von größtem Belang. Auch Steig erwähnt diese Tatsache und hebt ausdrücklich hervor, daß Hardenberg sich Müllers sicherte, weil er Federn brauchte, die sein Finanzedikt in der Presse verteidigen würden. Und weiter führt Steig an, daß Müller sich ausdrücklich bereit erklärt hatte „die Politik des Kanzlers, wie er sie sich dachte wenigstens\1\, publizistisch zu vertreten. – Deswegen ließ Hardenberg ihm ein Wartegeld von 1200 Talern jährlich auszahlen“. Ein wunderbar kühner logischer Kopfsprung! Also weil Hardenberg glaubte, daß Müller über seine (Hardenbergs) Reformen so schreiben würde, wie er, Müller, sie sich dachte, d. h. also nach freiem Ermessen, deshalb bezahlte er ihm auf Staatskosten 1200 Taler! Ich glaubte bisher annehmen zu dürfen, daß der Journalist, welcher von beteiligter Seite Geld empfängt, damit die Pflicht übernimmt, eben nicht nach seinem Sinne, sondern so zu schreiben, wie es seinem Geldgeber erwünscht ist. Man sieht, wohin diese Auffassung Steigs und diese seine tendenziöse Stellungnahme führen muß. Für mich – und ich lasse es dabei ganz unentschieden, für welche Zwecke Müller das Geld <197:> erhält – liegt die Tatsache vor, daß er im Solde der Regierung, im Solde der staatskanzlerischen Politik stand. Gleichzeitig hatte er seine Kräfte in den Dienst eines Blattes gestellt, dessen Herausgeber die angebotene Unterstützung der Regierung zurückgewiesen hatte, um sein Blatt unabhängig zu erhalten. Auf diesen beiden Posten gab es keinen Mittelweg und so oder so, Müller mußte ehrlos und gewissenlos handeln, entweder gegen den Staatskanzler, der ihn bezahlte, oder gegen Kleist, der ihm vertraute.
Übrigens gibt Müller seine Abhängigkeit vom Staatskanzler in einem gegen Mitte Oktober an Rühle gerichteten Schreiben selbst zu. Da heißt es: „Gleich nach Empfang Deines Schreibens setzte ich mich an die Ausarbeitung eines Briefes über den Zustand von Preußen, der indeß unvollendet geblieben ist, weil ich vom Staatskanzler den Auftrag erhielt die neuen Finanzmaßregeln zu verteidigen.“ Und auf der nächsten Seite: „Da der Kanzler seine Maßregeln auch im Auslande verteidigt wünscht, so habe ich gleich an die Pallas gedacht und wenn es Dir recht ist, so schlagen wir dort ein kritisches Feldlager auf, was zugleich zur Observation der Österreichischen Verfassung und Kredit- und Steuerangelegenheiten dienen kann.“
Nach der Darstellung Steigs hat Müller ständig, mannhaft und konsequent der Regierung und den maßgebenden Kreise Opposition gemacht. Ich habe wenigstens an einzelnen Beispielen nachweisen können, daß dies durchaus nicht der Fall war, an einem Beispiele zudem, welches beweist, daß er unmöglich die Ansicht Kleists vertrat. Wie schon oben erwähnt, kann ich mir das ganze Verhalten Müllers im Rahmen der Abendblätter nicht anders erklären, als dadurch, daß er sich von vornherein eine selbständige Stellung neben dem Redakteur gewahrt hatte. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß Kleist, der so rücksichtslos mit den Beiträgen seiner Freunde und Mitarbeiter umzugehen pflegte, der kürzte und, wenn ihm daran lag, vollständig umarbeitete, Müller gegenüber völlig zurücktrat und ihn innerhalb seines Blattes frei schalten und walten ließ? <198:> Gewiß, auch Kleist trieb eine feine und freie Opposition, aber der Charakter des Blattes wurde mehr und mehr bestimmt von Müller, und zwar in einer Art und Weise, die für den Fortbestand des Blattes höchst gefährlich wurde und werden mußte. Wie die Verhältnisse nun einmal lagen, mußte jeder Unbefangene schon nach den ersten Nummern erkennen, daß Müller das Blatt dem Untergange entgegenführte. Ich muß mich der Ansicht Koepkes (s. Nachtrag) anschließen, die auch Kayka vertritt, daß Müllers rücksichtslose persönliche Invektiven, sein rückständiger Standpunkt, seine mißliebige und verbohrte Politik, die Schuld an dem Untergange der Abendblätter tragen, weil sie die Zensur zwangen, immer schärfer zuzugreifen. Für das definitive Urteil ist es gleichgültig, daß in Wirklichkeit der erste Vorstoß gegen die Abendblätter nicht von der Staatskanzlei, sondern von dem auswärtigen Ministerium ausging. Es wirft ein eigentümliches Licht auf den Charakter Müllers, wenn er Rühle gegenüber seine Bedenken ausdrückt, daß Kleist, der viel Geld verdient, wieder anfängt, sein sehr großes Publikum, umbilden zu wollen. Bedeutet das ein geschicktes Manöver, um einen Vorwurf von sich selbst abzulenken, oder weitgehende Verblendung? Von vornherein hat doch niemand in den Abendblättern das „Umbilden“ so energisch betrieben, als Müller, der schon an das Auffassungsvermögen seines politisch unmündigen Lesepublikums viel zu große Anforderungen stellte, und der durch seine Parteinahme rücksichtslos vor den Kopf stieß. Müller hat durch sein ganz unverantwortliches Vorgehen die Abendblätter vernichtet und damit die Existenz seines Freundes Kleist.
Ich muß an dieser Stelle auf eine Persönlichkeit zu sprechen kommen, die von Steig in die Reihe der Gegner Kleists gestellt worden ist, auf Dr. Saul Ascher\1\. Nach der Darstellung Steigs gehört er zu den gehässigsten Feinden Kleists, den er noch über das Grab hinaus mit seinen Angriffen verfolgte. <199:> Wir besitzen eine treffende Charakteristik voller Witz und Satyre, die die ganze Eigenart des Mannes am besten kennzeichnet aus der Feder Heinrich Heines (s. Reisebilder). Die kurze Charakteristik ist gleichzeitig vielleicht das beste, was jemals über den übertriebenen Materialismus geschrieben worden ist. Der Versuch, den Schriftsteller und vermeintlichen Gegner Kleists und seine Schriften kennen zu lernen, stößt auf große Schwierigkeiten; vieles von seinen Schriften ist kaum noch erreichbar. Immerhin hatte ich Gelegenheit, den größten Teil von seinen Büchern und Schriften einzusehen, so daß ich mir daraus ein Urteil über sein Programm, über die Stellung zu der christlich-deutschen Tischgesellschaft und vor allem über die vermeintliche Gegnerschaft zu Kleist bilden konnte.
Über die selbständige Produktion Aschers kommen wir leicht hinweg. Seine Gedichte sind höchst unbedeutend, seine Epigramme schwächlich ohne jeden Witz und ohne Pointe und Satyre. Sein Programm ist ebenfalls mit wenigen Worten gekennzeichnet. Er ist Materialist vom reinsten Wasser. Alles Phantastische, Exzentrische, Mystische ist ihm verhaßt. Das ist sein Standpunkt nicht bloß in der Politik, sondern vor allem in der Wissenschaft, wo er den Magnetismus, die Verirrungen der Naturphilosophie auf das eifrigste bekämpft. Dazu war Ascher Jude, der den antisemitischen Angriffen heftig, aber auch mit Sachkenntnis entgegentrat. Wenn Steig schreibt, daß man damals in jüdischen Kreisen nicht so sehr empfindlich war, daß nur einzelne um so leidenschaftlicher empfinden mochten, so gehörte zu ihnen eben Ascher, dessen journalistische Tätigkeit hauptsächlich gegen den Antisemitismus gerichtet war. Die Stellungnahme Aschers zu den antisemitischen Bestrebungen der christlich-deutschen Tafelgesellschaft bezeichnet eine Stelle in dem von Ascher herausgegebenen „Falken“, die Steig wiedergibt. Viel ausführlicher hat er sich schon einige Jahre früher ausgesprochen in: Die Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde, Berlin 1815. Diese Grundsätze (antisemitische) schreibt er, verbreitete ein unter dem Namen deutsche christliche Gesellschaft im nördlichen Deutschland sich gebildeter <200:> Verein, in dem Zeitraum, wo Deutschland dem ganzen Druck des gallischen Despotismus erlag. Er proklamierte seinen Grundsatz in Broschüren und Pamphlets, die er mitunter mit hieroglyphischen Deutungen ausgab\1\, und er scheint innig verwandt und im Einverständnis mit dem sogenannten deutschen Tugendbund gewesen zu sein, über den Herr Schmalz und mehrere Männer von wahrem deutschen Sinn kürzlich so mancherlei zur Sprache gebracht. Diese Absicht wird von mehreren Germanomanen (Zeitgeist des Mittelalters, Pfaffengeist, Feudalrecht) ziemlich klar schon angedeutet. Zum wenigsten verfehlte Herr Adam Müller\2\ nicht, dem Mittelalter eine kräftige Lobrede zu halten und es in Hinsicht seiner Vortrefflichkeit dem unsrigen zum Muster aufzustellen, sowie mehrere Germanomanen, zur Beförderung ächt deutscher Gesinnung, nicht allein die Verbreitung des Katholizismus als den kräftigsten Hebel empfahlen, sondern auch durch den Übergang zu demselben die Aufrichtigkeit ihrer Gesinnung erhärteten.“

\1\ Im Original (Berliner Kämpfe S. 46) nicht gesperrt.
\1\ Der Doktortitel war ihm im Jahre 1810 von der Universität zu Halle verliehen worden.
\1\ Ich erwähne hier nur eine Broschüre der Art, die mir zu Gesicht gekommen. Sie führt den Titel: Der Philister vor, in und nach der Geschichte usw.
\2\ In seinem Werke: Die Elemente der Staatswirtschaft.


[ R ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]