Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 120-125
Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist
Fouqué an Varnhagen aus Nennhausen d. 12. November 1811.
(14) Für den Vaterlandsfreund zwar ist meine Thätigkeit zu Ende, weil der
stumpfsinnige Verleger unserm Neumann die Redaction aufgesagt hat und sie dem elenden
Müchler übertragen hat.
Fouqué an Frau von Chézy. Nennhausen d. 30. November 1811.
(15) Die Anzeige Ihrer Gedichte, auf deren Erscheinung ich mich sehr freue, will ich
durch meinen Freund Hitzig aufs Beste auszubreiten suchen. Wo man sie jetzt einrücken
könnte, weiß ich nicht, seitdem der Vaterlandsfreund, die einzige Berliner Zeitschrift,
welche ich sonst zu dergleichen würdig hielt, unter die Hände einer faden Redaction
gefallen ist, weshalb sich dann die Bessern von aller Theilnahme zurückgezogen haben.
Wilhelm Neumann an Varnhagen aus Nennhausen d. 30. Dezember 1811.
(16) Den Vaterlandsfreund hat mir der Verleger schon am Ende des ersten Vierteljahres
wieder abgenommen, um ihm Müchler zu übertragen, der damals gerade von seiner Tollheit
geheilt aus der Charité entlassen ward.\1\
Wir lesen in allen diesen Briefstellen die Bestätigung dessen, was Steig ausgeführt hat.
Fouqué war die Seele des Blattes. Neumann nach außen hin Redakteur. Wenn
Fouqué <121:> die Redaktion Neumann überließ, so werden dabei nicht bloß
lokale Verhältnisse mitgesprochen haben, wie Steig meint, sondern der Wunsch der Freunde,
Neumann, der nirgends unterkommen konnte, eine Existenz zu gründen. Über die Frage, die
uns am meisten interessiert, nach der Beteiligung Kleists an dem Blatte geben die
Briefstellen keine direkte Auskunft. Doch kann Kleists Mitarbeit keinem Zweifel
unterliegen. Wir Genossen Alle, schreibt Fouqué, unterstützen das
Blatt. Daß er zu den Genossen auch Kleist rechnete, geht aus der Briefstelle 17
hervor, wo er Kleist den verlorenen Genossen nennt. Uhland, der damals in Wien
wie früher in Paris mit Varnhagen auf vertrautem Fuße lebte, sandte durch ihn Gedichte,
die aber, wie spätere Briefstellen beweisen, von Neumann nicht mehr verwendet werden
konnten und zurückgesandt wurden. Als Autor des Rosensonetts kann Uhland nicht ernstlich
in Betracht kommen.
Die
Frage nach dem Dichter des Rosensonetts glaube ich im Sinne Steigs beantworten zu müssen.
Kleist und nur Kleist allein kann als Autor in Betracht kommen, und das Rosensonett
gehört unter die Gedichte Kleists. Die Beweisführung Steigs wird um so überzeugender,
je mehr wir Einblick gewinnen in den intimen Verkehr und den geistigen Austausch zwischen
Kleist und den Männern, die hier in Betracht kommen. Insofern sind die Daten, die ich
über die Beziehung Kleists zu Fouqué beigebracht habe, und ebenso die in dem folgenden
Kapitel ein Beitrag zu dieser Frage.
Dazu
kommt für mich ein äußeres Merkmal, das für Kleists Autorschaft zu sprechen scheint.
Kleist besitzt die aufallende Manier, in seinen Gedichten die einzelnen Strophen zu
beziffern. Schon in dem der Jugendzeit angehörenden Gedichte: Für Wilhelmine von Zenge,
sind in dem ersten Abdruck (Wendts Musenalmanach) die einzelnen verschieden langen
Strophen mit Zahlen von 1-8 überschrieben. Kleist hat diese Gewohnheit scheinbar bis an
sein Lebensende beibehalten; ja, er pflegte sogar den einzelnen Strophen nicht bloß die
Ziffer, <122:> sondern auch das §-Zeichen vorzusetzen. Denn in den
Handschriften, die ich einzusehen Gelegenheit hatte, wie in dem Gedichte an die Königin
Luise zur Feier ihres Geburtstages, Kriegslied der Deutschen u. a., sind die Strophen
ebenso als Paragraphen bezeichnet wie die Absätze in dem Lehrbuch der
französischen Journalistik. In den Kleistausgaben hat man diese ganz eigenartige
Manier Kleists ebenso unberücksichtigt gelassen, wie seine Interpunktion und manches
andere. Und doch scheint sie mir sehr charakteristisch für den geschulten Logiker Kleist,
der in der Mathematik die erste und Grundwissenschaft sah. Auf den Leser macht es einen
befremdend nüchternen Eindruck, wenn sich in den glatten Fluß poetischer Verse die
prosaischen Paragraphenzeichen hineindrängen.
Ähnlich
nüchtern und prosaisch wird die Manier Kleists, seinen Gedichten außer der Überschrift
noch einen Untertitel zu geben. Zur Feier, bei Gelegenheit, in der Voraussetzung, aus dem
Zeitalter usw. usw. sind die Wendungen, deren sich Kleist für diesen Zweck bedient. Auch
das Rosensonett hat einen Untertitel, und zwar einen besonders wortreichen, in welchem
nicht bloß, wie gewöhnlich, die Gelegenheit, welcher das Gedicht seine Entstehung
verdankt, sondern auch die Art der Überreichung angegeben wird. Diese peinliche
Genauigkeit in dem Titel erscheint mir echt Kleistisch, und ich wüßte kaum einen anderen
Lyriker, welcher so gewissenhaft und wenig poetisch seine Gelegenheitsgedichte
kennzeichnet. Man vergleiche nur in diesem Punkte das Rosensonett mit Fouqués
Brandenburgischem Erntelied (s. o.), welches mit keinem Worte und keiner Andeutung
verrät, daß es sich auf die Königin Luise bezieht (vgl. Steig N. K. p. 90).
Zugegeben, daß wir keinen absolut sicheren Nachweis für Kleists Autorschaft des
Rosensonetts bisher haben bei vielen anderen Kleistiana sind wir auch auf Treu
und Glauben angewiesen so glaube ich doch, daß die zahlreichen Indizien, die
für Kleist sprechen, uns berechtigen, das Rosensonett in die Sammlung Kleistscher
Gedichte aufzunehmen. <123:>
Die
folgenden Briefstellen bei Fouqué beziehen sich auf den Tod Kleists:
Fouqué
an Varnhagen aus Nennhausen d. 1. Januar 1812.
(17) In
tiefer Wehmut dagegen schauen wir\1\
nach unserem versunkenen Heinrich Kleist zurück. Ich bin mehr als erschüttert durch
diesen Fall; ich bin so verwirrt, als ein Mensch werden kann, der den Glauben an Gott,
Christus und Seeligkeit festhält; also, dem Himmel sei Dank, ich bin nicht irre, aber mit
einem ordentlich stöhnenden Schmerze muß ich nach Heinrichs Grabe schauen. Es ist nicht
so, wie ich es Anfangs dachte, mit jeder Nachricht über ihn legt sich mir ein dichterer
Schleier über seine That. Ich habe kein Urtheil mehr in Beziehung darauf; nur den Schmerz
fühle ich um den verlorenen Genossen, und die Gewißheit, er könne nichts Unwürdiges
gethan haben, oder auch nur gedacht. Daran halte ich mich und bete öfters für
ihn. Furchtbar ist es, daß er alle seine Papiere verbrannt hat, also gewiß
auch viele Manuscripte mit. Zum Glück ist ein Trauerspiel, davon er mir in seinem Briefe
bedeutende Worte schrieb: der Prinz von Homburg, durch Verleihen an Freunde gerettet.
Fouqué
an Varnhagen aus Nennhausen d. 2. April 1812.
(18) Du
hast auch ganz Recht, daß Du in dieser Hinsicht trachtest, Geld zu erschreiben, aber,
lieber Bruder, muß es denn grade im Morgenblatte sein? Es verletzt mich, wenn ich
Deinesgleichen unter jenem Gesindel weiß, und das vorzüglich, seitdem der empörende
Aufsatz über Heinrich Kleist dorten Raum gefunden hat. Ich habe eine Erklärung darüber
eingesandt, weiß aber nicht, ob sie die Rechtlichkeit haben werden, sie abzudrucken.
Fouqué
an Frau von Chézy aus Nennhausen d. 11. Mai 1812.
(19)
Noch über die lieblich gütigen Worte, womit mich Ihr letzter Brief erfreute, theilte mir
Hitzig durch die vor- <124:> gestrige Post einen holden Gruß von Ihnen mit und
die Botschaft, daß sich Ihr ehrwürdiger Großherzog an meinem Abschied von Heinrich
Kleist erfreut habe. Dies Gedicht ist die Frucht einer schmerzensreichen, thränenheißen
Stunde, derselben, in welcher ich die Bestätigung jenes bereits geahnten Schrecknisses
erfuhr. Nie aber hat mich auch die tröstende Kraft der Poesie lebendiger durchdrungen als
grade damals. In liebevoller Wehmut verschwamm alles Dumpfe, alles Stechende meines
Leides, und ich durfte zu Gott hinaufblicken mit dem Vertrauen, er werde dem edlen
getrübten Geiste recht bald jenseits aufthun das rechte Licht, den beseeligenden
Himmelsstrom, der aus einer wahrhaft christlichen Anschauung ausströmt in Erbarmung und
Klarheit. Die Angriffe, welche bald darauf gegen den Todten erfolgten,
schmerzten mich, ohne mich zu einer Widerlegung aufzufordern, denn theils hatten die Leute
von ihrem Standpunkte aus gewissermaßen Recht, theils war ich von dem näheren
Historischen der That zu wenig unterrichtet, theils auch legen Sie es mir
nicht als Hochmuth aus hielt ich die mehrsten Angreifer unter Kleists und
meiner Würde. Da kam das ruchlose Gebell im Morgenblatt, und ob es gleich niedriger war,
als alles Übrige, konnte ich dennoch so wenig dazu schweigen, als hätte Jemand die Ruhe
des edlen Leichnams mit frechem Hohn gestört. Ich setzte eine Aufforderung an den
Ungenannten auf, sich mir persönlich zu nennen, damit ich wisse, wie ich eigentlich mit
ihm umzugehen habe und begehrte, daß sie im Morgenblatt abgedruckt würde. Das geschah
nicht, aber man verweigerte es auch nicht, und hielt die Sache so hin. Darüber bekam der
Schmähschreiber einen andern viel zu milden Gegner, zog sich vor ihm mit feigen Trotze
zurück, wickelte sich dicht in seine durchsichtige Anonymität und erklärte, nie wieder
ein Wort über diesen Gegenstand zu schreiben. Was soll ich nun mit ihm anfangen? Noch
fortfahren, an einem sichtlich Erlegenen zu rupfen, geht nicht. Zudem hat er ohne Zweifel
meine Aufforderung gelesen, und das Publikum <125:> hat gesprochen. Er mag denn
also laufen und seine auf sich selbst herabgeschmähte Schmach mitnehmen.
\1\ Über die Erkrankung
Müchlers meldet Ascher in den Miscellen f. d. neueste Weltkunde
(Nr. 35 vom 1. Mai 1811): Müchler hat die Geburt des Königs von Rom zu
einem Gedicht begeistert, wovon eine Probe in unseren Zeitungen steht, die wahrlich keine
Geistesverwirrung verräth, woran dieser muthwillige Witzling dennoch leidet und zu dem
Ende im Charité-Hause eine Kur bestehen muß. In Nr. 42 vom 26. Mai
heißt es: Der Kriegsrath Müchler befindet sich noch immer in der Charité.
\1\ Wilh. Neumann, Loeben und der junge Dichter
Georg Saegemund weilten als Gäste Fouqués in Nennhausen.
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