Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 125-131
Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist
In einer würdigen Form spricht Fouqué über den Tod des Freundes,
würdig insofern, als er bekennt, nichts zu wissen, als er sich jedes Urteils über die
Tat selbst enthält und keinen Vorwurf bereit hat. In denselbem Sinne hat er sich an
verschiedenen Stellen vor der Öffentlichkeit geäußert, wie überhaupt Fouqué in der
Folge für den verstorbenen Kampfgenossen und Freund, wie wir sehen werden, von allen, die
Kleist im Leben nahegestanden, am häufigsten ein kurzes und zutreffendes Wort fand.
Kleists Brief vom 15. August des Todesjahres, in dem er ihm nicht ein Trauerspiel,
sondern ein vaterländisches Schauspiel ankündigt, nennt Fouqué den letzten.
Ob er wirklich den Schluß der Korrespondenz bedeutet, können wir nicht ergründen;
jedenfalls können wir die freundschaftlich-intimen Beziehungen zwischen Fouqué und
Kleist noch weiter verfolgen. Mitte September schreibt Fouqué an Eberhard: Wenn es
Ihnen nicht zu weitläufig ist, erbiete ich mich auch gern, Ihren Brief an ihn (scil Kleist) zu besorgen. Wir stehen in freundschaftlichem Verkehr miteinander.
In dem
18. Zitat kommt die Erbitterung Fouqués über das Morgenblatt und die Schmähungen
gegen das Andenken Kleists zum Ausdruck. Wir erfahren, was wir auch aus einem anderen
Briefe wußten (Steig, B. K. p. 685), daß Fouqué sich gegen den
Schmähartikel rührte, und mit den Einzelheiten seines Vorgehens macht uns schließlich
die letzte an Frau von Chézy gerichtete Briefstelle (19) bekannt. Fouqué hat nicht, wie
Steig annimmt, eine Verteidigung Kleists und einen Aufsatz in diesem Sinne an das
Morgenblatt geschickt, in einer Fassung, die Steig aus einem Artikel in der Zeitung für
die elegante Welt vom Jahre 1821 herauslesen zu können glaubt, sondern Fouqué hat sich
zunächst genügen lassen, eine öffentliche Aufforderung an den ungenannten Verfasser des
Schmähartikels dem Morgenblatt einzuschicken, die niemals abgedruckt wurde. Darauf
bezieht sich die Angabe in einem <126:> seiner Briefe aus 1812: Das
Morgenblatt scheint meine Aufforderung wegen des darin abgedruckten Schmähangriffes auf
den edlen Toten nicht bekannt machen zu wollen. Da Fouqué von der
durchsichtigen Anonymität des Ehrenmannes spricht, läßt sich wohl annehmen,
daß ihm der Name des Verfassers jenes Schmähartikels, bekannt war, und es bleibt
immerhin sonderbar, daß er ihn so ohne Weiteres laufen läßt. Der Literaturforschung
unserer Tage bot die durchsichtige Anonymität des elenden Skribenten im Morgenblatt die
Gelegenheit zu einem erheiternden Zwischenfall. Steig glaubte das s in der
Unterschrift, die Autorschaft verhüllend und lüftend zugleich (?), auf
S. Ascher beziehen zu müssen, wobei er sich allerdings auf die unverständliche
Angabe Arnims beziehen konnte: der Schimpf im Morgenblatt stamme aus einer jüdischen
Feder; H. H. Houben widerlegte Steigs Ansicht und wies mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit nach, daß F. C. Weißer das Heldenstück gegen den Verstorbenen
vollbracht hat. Wer seinen Zolling kennt, dem war dies keine neue Entdeckung; er konnte in
Zollings Kleistausgabe zweimal auf Seite XCVII und Seite CXL, wo er den Morgenblattartikel
im Auszug wiedergibt und die Kontroverse Morgenblatt Eberhard bespricht,
lesen, daß der seichte Vielschreiber F. C. Weißer an dem Katafalk des Dichters
sein Armesünderlicht angezündet hatte.
Fouqué
hat sich sofort nach Kleists Tode an anderer Stelle kurz über seinen Freund
ausgesprochen. Im Anfange des Jahres 1812 veröffentlichte er in den
Erholungen\1\ ein Gedicht, betitelt
Abschied von Heinrich von Kleist. Das Gedicht ist später abgedruckt in Hoffmann
v. Fallerslebens Findlingen (S. 252). Auch in der Sammlung
Fouquéscher Gedichte aus den Jünglingsjahren (Cotta 1816) findet sich das Gedicht; die
Abweichungen vom ersten Abdruck in den Erholungen sind nur unbedeutende. Die
Angabe unter dem Titel: den 27. Oktober 1811 <127:> ist offensichtlich ein
Irrtum. Von diesem Gedicht ist in der Briefstelle (19) die Rede. Dem Gedicht ist eine
redaktionelle kurze Bemerkung beigefügt, die zweifellos, wenngleich Die
Redaktion unterschrieben, von Fouqué herrührt. Der redaktionelle Zusatz, den ich
nirgends sonst erwähnt finde, hat den folgenden Wortlaut:
Es sei
für diejenigen hier bemerkt, die noch keine Kunde davon haben: Heinrich von Kleist,
dieser originell-kühne, feurige, deutsche Genius, hat am 21. November 1811 diese
Welt verlassen. Indem wir die Motive zu seinem Tode, wie die Art desselben, als noch nicht
genugsam erörterten Gegenstand übergehen, weisen wir auf die ausgezeichneten
Produktionen seines Geistes hin; wozu wir (als uns bekannt) seinen Zerbrochenen Krug,
Käthchen von Heilbronn, und die Erzählungen in 2 Bänden zählen. D. Redakt.
So kurz
der redaktionelle Vermerk ist, so enthält er doch in wenigen Worten eine so unumwundene
und volle Anerkennung des Kleistischen Genius, wie sie in jener Zeit und besonders unter
dem frischen Eindruck von Kleists Tat nirgendswo laut wurde. Wenngleich Fouqué noch
andere Werke Kleists bekannt sein mußten, als die hier erwähnten, so zweifle ich doch
nicht, daß die wenigen Zeilen aus seiner Feder stammen. Jedenfalls war Fouqué aus dem
ganzen Freundeskreise um Kleist derjenige, der ihm in Dichtung und Prosa den frühesten,
schönsten und zutreffendsten Nachruf widmete; ihm gebührt weiter auch der Ruhm, wie kein
anderer das Gedächtnis an den früh verstorbenen Freund wacherhalten und auf die
Bedeutung seiner Werke hingewiesen zu haben.
Auch
Eberhard, der sich in der Salina (1812 II. Bd. 115) in eine Polemik mit dem
Morgenblatt einließ, hatte sich vorher in einer regen Korrespondenz (siehe Zolling) mit
Fouqué über Kleist und seinen Tod unterhalten und die Informationen von einem Offizier
und Kriegskameraden Kleists, auf die er sich beruft, werden sicher von Fouqué stammen.
Zolling (CXLIV) druckt die Nachschrift aus der Salina vollständig ab, <128:>
hingegen hat er die Bemerkung in der voraufgehenden Erwiderung auf das Morgenblatt
fortgelassen resp. übersehen:
Das
Beispiel, heißt es dort, vom Seiltänzer und Schieferdecker, ist bloß witzig, aber hier
nicht anwendbar. Die äußere Veranlassung, durch welche ein Seiltänzer den Hals bricht,
liegt offen vor jedermanns Augen; aber die Motive, welche Heinrich v. Kleist zum
Selbstmord bestimmten, sind zur Zeit noch nicht enthüllt, und werden auch wohl nie
befriedigend enthüllt werden können.
Die
Zeit hat dem Schreiber bisher Recht gegeben. Ein ganzes Jahrzehnt hat Fouqué fast
ununterbrochen das Andenken des Freundes hochgehalten. Eine ausführliche Besprechung des
äußeren Lebensganges Kleists bringt in einem von Steig abgedruckten (B. K.) Aufsatz
Über die drei Kleiste im Jahrgang 1821 die Zeitung für die elegante Welt und
eine enthusiastische Würdigung der Hauptwerke Kleists bringt er im Morgenblatt für
gebildete Stände im Jahre 1816 (Nr. 53 und 54) unter dem Titel Ein
Gespräch über die Dichtergabe Heinrich von Kleists eine ziemlich
ungenießbar-langweilige Unterhaltung einer für Kleists schwärmenden Teegesellschaft.
Gegenüber
dem offensichtlichen Kultus, den Fouqué so lange Jahre mit dem verstorbenen Freunde
trieb, muß die Tatsache doppelt befremden, daß er in seiner Autobiographie nur sehr
spärlich, zurückhaltend und kühl über diese Phase seines Lebens zu berichten weiß.
Dies allein mit der Länge der Zeit und aus der Schwäche des Gedächtnisses zu erklären,
erscheint mir nicht zutreffend und befriedigend. Eine Erklärung können wir nur finden,
wenn wir einen kurzen Blick auf den Lebensgang Fouqués werfen, und es erscheint mir das
wichtig genug, weil wir auf diese Weise am besten ein zutreffendes Urteil über Kleist als
Freund und Menschen gewinnen können.
Fouqué
begann seine schriftstellerische Laufbahn mit glänzendem Erfolge und erwarb sich sehr
bald unter seinen Freunden und im Publikum eine gewisse Hochschätzung und
einen <129:> glänzenden Namen. In seiner sehr reichen Produktion
er nennt sich selbst in einem Schreiben an Varnhagen: Polygraph und Tachygraph
liegt gewiß eine fortschreitende Entwicklung, die ihren Höhepunkt erreichte, als er
gerade im Todesjahre Kleists seine Erzählung Undine herausgab, zweifellos die
vorzüglichste seiner Arbeiten und die einzige, die auch heut noch sich wohlverdienter
Beliebtheit erfreut. Eine gleiche Höhe hat Fouqué niemals erreicht, im Gegenteil, schon
wenige Jahre nach Kleists Tode konnte seinen nächsten Freunden und Verehrern die sinkende
poetische Kraft nicht verborgen bleiben. Schon 1813 nannte Tieck, wie aus einem Schreiben
an F. Schlegel\1\, Fouqués Intimus,
hervorgeht, seine Dichtungen maniriert, flüchtig usw.; wenige Jahre später schreibt
Robert in einem ungedruckten Briefe an Varnhagen (26. III. 1816): so geht
es auch Fouqué, der jetzt alle Augenblicke hier ist und durch seine Persönlichkeit
seinen sinkenden Ruhm nicht zu heben vermag. Und ein Jahr später schreibt
Varnhagen, der am längsten und mit der größten Verehrung dem Menschen und Dichter
Fouqué anhing, sehr absprechend über ihn und seine Leistungen. Das Publikum urteilte
sehr bald im ähnlichen Sinne; schon nach 1820 versagte es ihm die früher so reichlich
bewiesene Teilnahme, und Fouqué war das traurige Schicksal beschieden, etwa zwei
Jahrzehnte seinen Ruhm zu überleben. Boshaft aber doch zutreffend pflegte sich Tieck\2\ in seinen Tischreden zu äußern:
Fouqué ist die Verwesung des Apfels, seine Frau die Verwesung des Fleisches.
Es ist auch zweifellos, daß schon in seiner besten Zeit Fouqués Briefe an vielen Stellen
pathologische Züge erkennen lassen. Als er seine Autobiographie schrieb, war Fouqué in
seinen äußeren Verhältnissen sehr heruntergekommen er lebte im letzten
Jahre von der Gnade des Königs und sein Wesen hatte einen stark
ausgesprochenen pietistischen Zug angenommen. Nichts an ihm erinnerte
mehr <130:> an die edle ritterliche Erscheinung mit dem romantischen Zug, der
poetischen Begabung und dem frohen Soldatenmut. Den Höhepunkt in Fouqués Schaffen
bedeutet die Zeit persönlichen Verkehrs und brieflichen Austauschs mit Kleist. Das
beweist die Undine, das beweisen die beiden Gedichte aus den Totenklagen auf
die Königin Luise und auf Kleist, welche sich wohltuend unterscheiden von den übrigen
Gedichten Fouqués, den süßen lyrischen Kolibris, wie sie spöttisch Heine zu benennen
pflegte. Das aber erscheint mir zweifellos, daß an Fouqués poetischer Entwicklung Kleist
mittelbar und unmittelbar beteiligt war. Dabei lasse ich es unerörtert, ob Kleist
wirklich, wie es sich annehmen läßt, Fouqué zur Undine die Anregung gegeben hat, die
Hauptsache bleibt, daß Kleist bei Fouqué wie bei anderen Freunden stets der gebende und
anregende gewesen ist; liebevoll und innig schreibt er über ihre Leistungen,
ganz enthusiasmiert spricht\1\ er über ihre
ersten poetischen und literarischen Versuche, und das selbstloseste Freundesgemüt gibt
sich darin zu erkennen, wenn er, der Dichter des Homburg, von Fouqués vaterländischen
Schauspielen schreibt, er sei ihnen einen Tag der herzlichsten Freude schuldig und gewisse
Stellen aus dem Waldemar gehören zu den musterhaftesten der deutschen Literatur. Gewiß
das soll keine Redensart sein, keine Verlegenheitsphrase, wie Steig andeutet, sondern das
liebevolle Eingehen eines Freundes, der völlig selbstlos, unterstützend und anregend auf
seine Umgebung wirkt. Genau wie der Schüler und Bräutigam Kleist stets bedacht ist,
belehrend und bildend die Schwester und die Braut zu beeinflussen, so wendet er seinen
Freunden gegenüber alles auf, um sie geistig anzuregen und ihre Fähigkeiten zu
entwickeln. Man lese nur in diesem Sinne die Briefe und die Aufsätze an Rühle, dessen
produktives Schaffen ja in der Tat niemals die Höhe erreichte, wie in der Lebensphase mit
Kleist. Für Fouqué und zweifellos für manchen anderen noch war Kleist die Sonne, die
mit ihren erwärmenden Strahlen <131:> ihre Fähigkeiten zur vollen Entfaltung
brachte, und deren Untergang für sie einen unersetzlichen Verlust bedeutete. Der
Freundeskultus Fouqués war ein berechtigter und mehr als das, ein für ihn notwendiger,
aus ihm spricht nicht bloß die Dankbarkeit, sondern das instinktive Gefühl, daß das
Festhalten in der Erinnerung ihm Halt und Stütze gewähren könne. Als er wenige Jahre
vor dem Tode seine Denkwürdigkeiten schrieb, mögen kleinliche Gesinnung, Eifersucht,
Mißgunst und Pietismus ihn abgehalten haben, die Verdienste des Freundes aus seiner
Jugendzeit rückhaltlos und ehrlich einzugestehen.
\1\ Erholungen, ein
thüringisches Unterhaltungsblatt für Gebildete. Erster Jahrgang 1812. Januar, Erfurt.
\1\ Briefe an Ludwig Tieck
von Holtei III 337.
\2\ Wilh. Chezy: Erinnerungen
aus meinem Leben.
\1\ Brief an Pfuel über Rühle, Juli 1805.
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