Warum aber blieb er nicht
in dem Wirkungskreise, den die Natur für ihn bestimmt
hatte, was drängte ihn denn auf die Bühne? sind denn dort
allein nur Kränze zu gewinnen? zuförderst: er brauchte
eine Tribüne, denn er konnte sprechen: die Kanzel und
die moralischen Expositionen, der Leisten, und die Nüchternheit,
welche ihm dort zugemuthet wurde, hätte ihm schwerlich
genügt; ein Parliament gab es nicht; herz und geistloser
Verkehr mit der Feder in allen Staaten um ihn her, und
allenthalben; er bestieg die Bühne, weil es keinen Rednerstuhl
für ihn gab – das mochte der Grund sein, den er sich etwa
selbst als Jüngling anzugeben wußte. – Aber nun noch einen
tieferen Grund, der uns für den Zweck dieser Stunde näher
angeht. – In allen ausserordentlichen Naturen findet sich
ein Streben, nicht nach Dingen, auf die ihr Wesen nicht
eingerichtet ist, aber nach dem was ihrer Eigenthümlichkeit
grade recht entgegengesetzt ist; so vermag den Mann nichts
mehr zu ergreiffen und zu fesseln, als die ganz entgegengesetzte
Natur der Frauen. Der Mann im vollen Gefühl seiner organischen
Einseitigkeit strebt sich zu ergänzen, sein Wesen zu vervollständigen,
Mensch, das heißt mehr als Mann zu werden; eben so der
Redner, dessen durchaus männliche Natur in der vorigen
Stunde entwickelt worden, strebt mehr zu werden als Redner,
daher seine tiefempfundne Liebe, ja Zärtlichkeit für den
Dichter, je gewaltiger er nun ist, um so mehr wird er
streben die Poesie nicht blos mit Liebe zu umfassen, sondern
selbst Dichter zu werden. Die Wissenschaft, die Philosophie,
die Beredsamkeit, je reiner er ihre Eigenthümlichkeit
faßt, um so mehr wird es ihn treiben, die hohen Wesen,
Wissenschaft und Kunst, Philosophie und Poesie, Beredsamkeit
und Dichtkunst, die einander wie Mann und Frau darum nur
so unähnlich sind, damit sie sich um so tiefer reizen,
um so inniger lieben können, diese untereinander zu vermählen,
damit die Kinder aus dieser göttlichen Ehe die Züge beider
Eltern harmonisch vereinigen, und, wiewohl auch sie wieder
einen Geschlechtscharakter an sich tragen, dennoch die
Menschheit selbst immer deutlicher und reiner in den Individuen
ans Licht trete. – Das war Schillers Streben, und nun
mag die Zeit mit falschem Hochmuth seinen Werken immerhin
die rednerische Natur, den Überfluß an Ideen auf Kosten
der Gestaltung, den Mangel an Objectivität vorwerfen –
im Klange seiner vielleicht oft einförmigen Verse ist
und bleibt etwas Bezauberndes. Wie er die Nation für die
übrige Musik ihrer Dichter empfänglich gemacht hat, fühlt
jeder von uns, der seine Jungend und seine eigne Bildungsgeschichte
nicht verläugnen will. Aber es liegt etwas noch viel Höheres
in diesem Klange, es ist die Gegenwart einer sehr liebenswürdigen
Natur, welche jeden, der nur Gehör hat, bei der Lesung
seiner Werke begleitet; ein nie verstummender Klagegesang
über die zerrüttete Zeit, <50:> die einen solchen
Menschen verhindern konnte seine Werke zu vollenden. –
So viel ist hinreichend, um den Gegensatz von Beredsamkeit
und Poesie in seinem ganzen Umfange zu erkennen. Jemehr
ich verlangt habe, daß die beiden Gattungen strenge geschieden
werden sollen, damit sie sich lieben, ja sich vermählen
können – je weniger habe ich ihre ewige Geschlechtsverschiedenheit
aufgegeben wissen wollen, oder einer gewissen Geschlechtsindifferenz,
die in der neuern Philosophie sehr beliebt geworden, das
Wort geredet. Es ist ein Unterschied zwischen einem Menschen
und einem Hermaphroditen: und dadurch daß eine Natur weder
männlich noch weiblich ist, kommt der Mensch nicht zu
Stande: deshalb weil jemand weder bloß Dichter noch
bloß Redner ist, wird er nicht zum Autor. Und so
schließt sich diese Betrachtung an den Grundgedanken dieser
Vorlesungen an: die Schönheit und das Leben erscheint
durch die Liebe; sie ist wahrzunehmen weder blos in dem
Liebenden noch blos in dem geliebten Gegenstande, sondern
indem wir beide in ihrer Verschiedenheit und ihrer Einheit
wechselnd erblicken. Wenn nun die Wissenschaft und die
Kunst in diesen Bund der Liebe treten, so vernichten sie
deshalb nicht ihre Eigenthümlichkeit; denn wenn sie dies
thäten, so fände ja alles weitere Aneignen nicht statt;
sie müssen geschieden bleiben und ohne Ende immer geschieden
werden, damit sie sich immerfort vereinigen und immer
inniger vereinigen können. Darum die Natur, wenn sie eine
irdische Liebe befestigen, vertiefen, verinnigen will,
häuft sie anscheinend die Beschwerde, sie beträgt sich
ungünstig, sie trennt häufig und länger und länger – damit
der Geist der Liebe recht viel zu überwinden finde, und
je heftiger der Kampf war, er ein um so größerer Sieger
erscheine. Es giebt nur zwei Arten des Untergangs für
die Liebe, da sich die Liebenden entweder ohnmächtig und
verzweifelt von einander absolut trennen, oder da sie
sich aus gleicher Gebrechlichkeit absolut vereinigen,
welches nur im Tode geschieht. – Also, gleichviel, die
Wissenschaft und die Kunst, die Beredsamkeit und die Poesie
gehn entweder abgesondert jede ihren einsamen Weg, oder
sie fließen ein für allemal in Ein einzelnes trübes Gemisch
zusammen: in beiden Fällen gehn sie unter. Leben können
sie nur in ewiger wechselseitiger Aneignung ihrer Naturen:
da nemlich Wissenschaft und Beredsamkeit, ohne ihre Eigenheit
zu verlassen, sich künstlerisch ausbilden, und die Poesie
mit gleicher Unabhängigkeit (was bei manchen allzuweichlichen
Freunden der Poesie noch unverstanden bleiben mag) sich
im ächten Sinne des Worts wissenschaftlich gestaltet.
–
So
hätten wir nun gezeigt, wo das Leben und die Schönheit
der Sprache und aller Redekunst zu finden sei: lassen
Sie uns jetzt von der Rede übergehn zur Schrift. Wie viele
glauben schön zu schreiben und wie selten sind die wahren
Federn, die man als Monument aufbewahren möchte, wie Cervantes
die seinige am Schluß des Don Quixote. Die meisten glauben,
wenn die Sache erst in gewisser Klarheit gedacht und überlegt
sei, so trete nun eine gewisse Kunstfertigkeit hinzu,
womit jeder Entwurf polirt, geglättet, gekräuselt und
verschönert werde. Jedermann ahndet, daß mit der bloßen
Wissenschaft allein nicht auszureichen sei, daß <51:>
auch die Kunst nicht entbehrt werden könne, wenn sie im
Grunde auch nur den äusserlichen Schmuck besorge und über
die Seele des Gedankens nichts vermöge. Aber daß der Stoff
des Gedankens und seine Form, als ein lebendiges Eines
an den Tag springen müssen, daß es gar keine Wahl der
Formen gebe, daß man dem Kinde, nachdem es geboren, die
feinere Haut, den schöneren Haarwuchs, die reineren Züge
nicht mehr hinzufügen könne, dies ahnden wenige. Da studiren
sie dann, wie sie es nennen den Stil, bilden sich nach
s. g. guten Mustern, reden sich gewisse Phrasen ein
– aber was dabei herauskommt lebt weder, noch ist es schön.
Treiben sie die Sache ins Große, so wird ein Numerus,
ein gewisser Periodenbau, eine Art von prosaischem Cothurn
anempfunden, der wo er sich finden möge, beim Cicero oder
beim Bossuet, allenthalben zu den höchst unkünstlerischen
und langweiligen Angelegenheiten gehört – während die
Herrlichkeit der wahren Prose grade in der Unendlichkeit
der Rythmen und Periodenwechsel beruht, welche sich nach
dem Gedanken, nach der Sache in ihrer Ursprünglichkeit,
wie sie in unsrer Brust gebildet worden, richtet: ein
Geschäft, das von keinem andern für uns vollzogen oder
uns gelehrt werden kann. Woher kömmt der Reiz, der uns
aus leichten hingeworfenen Zügen in dem kleinsten Briefe
einer geistreichen Frau anlacht? Weil er nicht hineingelegt
ist, sondern auf einem und demselben Wege grade daher
kommt, wo der Gedanke, die Nachricht, die Erzählung herrührt,
welche uns mitgetheilt werden. In allen andern Stücken
mag die weibliche Koquetterie der unsrigen überlegen sein;
hier aber erscheint die Frau wirklich viel schöner als
wir, weil sie, wenn sie nicht Schriftstellerin von Profession
ist, hier minder koquett ist als wir. – Wie hat eine männliche
Feder zu kämpfen, die nach einer Erziehung, welche hauptsächlich
auf die Ausbildung eines gemeinen Gedächtnisses ausgeht,
nun alle die angeeigneten Phrasen, die mit den Sachen
zugleich angewöhnten Formen wieder abschütteln will, damit
sie nur endlich dazu komme, sich selbst in ihrer Ursprünglichkeit,
in ihrer Eigenthümlichkeit auszudrücken. Die Frauen klagen
meistentheils über schlechtes Gedächtniß: es kommt daher,
weil sie ein dem unsrigen ganz entgegengesetztes Gedächtniß
haben; wenn sie recht weiblich sind, so haben sie irgend
eine Sache kaum ergriffen, als sich dieselbe auch schon
wie Salz im Wasser in ihrem Wesen auflößt; die einzelnen
Körner des Salzes kann ich euch nicht mehr zeigen, aber
kostet das Wasser, ihr werdet es in jedem Tropfen schmecken:
und so nimmt der Gedanke, den sie festhalten wollen, sogleich
durch und durch, indem er gleichsam schmilzt in dem feuchten
Wesen, auch seine Natur an. Wir hingegen sammeln die Gedanken
und Sachen vielmehr in einer großen und künstlichen Ordnung
ohne sie aufzulösen, und so ist es kein großes Kunststück,
wenn wir sie nachher zu aller Zeit wirklich in derselben
Gestalt, in welcher wir sie empfingen, aufzuzeigen wissen.
Eine bestimmte Redensart, den Hergang einer verwickelten
Geschichte, eine Stelle aus einem Gedicht – werden wir
zwar leichter bei der Hand haben, aber dagegen entbehrt
unser Wesen jene Eigenschaft der Flüßigkeit, welche macht,
daß die Seele einer Frau sich so leicht in ihrer Ursprünglichkeit
darstellt und daß alle Bildung, welche die Welt hin- <52:>
zugethan, nur erscheint wie eine Würze, die auch entbehrt
werden könnte, ohne daß aufhörte schön zu sein, was von
Anfang an schön war. Deshalb ist nichts natürlicher, als
daß wir grade von den Müttern reden lernen, deshalb heißt
die Sprache unsers Landes billig die Muttersprache: an
den Sprachen, die uns späterhin die Sprachmeister lehren,
sehn wir es wohl, wie schwer auf dem bloßen Wege des männlichen
Gedächtnisses uns der Geist einer Sprache in die Seele
will. Deshalb würde ich, wenn die Frauen nicht auf die
Unart verfallen wären, sich männliches Gedächtniß und
männliche Redensarten anzugewöhnen, und solche zu gebrauchen,
wenigstens wenn sie vor dem Schreibtische sitzen, auch
vorziehn, wenn die Kinder von den Müttern schreiben lernten.
– Wenn man doch nicht glauben möchte, daß der Stil, oder
der bestimmte feste Charakter einer Schrift, nur gewonnen
werden könnte dadurch, daß man der Beweglichkeit entsage:
je bewegter das Meer ist, um so fester und ruhiger muß
die Hand des Steuermanns sein, der seinen Lauf dadurch
verfolgen will. Wie will sich denn der Charakter zeigen,
wenn nichts geschieht, wenn alles einförmig bleibt, wie
es ist. Und so auch hier befestigt sich die Festigkeit,
oder das männliche Wesen erst recht dadurch, daß es jene
flüßige Eigenschaft, jenes sanfte Anschmiegen der Seele,
wie der Wellen, welches der Vorzug der weiblichen Natur
ist, erlernt. Diese weibliche Milde und diese männliche
Strenge bilden, nicht vermischt aber vereinigt den ächten
Meister des Stils, wie ihn der Don Quixote und Wilhelm
Meister zeigen. – Jedermann fühlt den Unterschied, wenn
die trocknen Bestandtheile einer Geschichte ohne Geist
und Leben hergezählt, und wenn sie andrerseits in eigenthümlicher
Farbe und Bewegung, in voller Gegenwart aller Kräfte,
vor allen der poetischen, dargestellt wird. Hat der Darsteller
nichts weiter gethan, als unwesentlichen Schmuck zu dem
Product des Herzählers hinzugefügt, oder hat er nicht
vielmehr der Geschichte Blut, und Fleisch und Athem gegeben,
ohne welche sie nichts ist? In keiner Wissenschaft lasse
man sich doch mit Skeleten des Lebens abspeisen, entbehrt
sie der Kunst in ihrer Bildung und der Darstellung, will
sie bloß und ausschließend Wissenschaft sein, und nichts
als Wissenschaft, so ist sie eben darum, weil sie aus
dem Verein der Liebe, in dem sie mit der Kunst steht,
und ohne sie nichts ist, heraus tritt, auch nicht Wissenschaft.
An dem also, was sie sowohl in der wissenschaftlichen
als in der Kunstdarstellung, in der Beredsamkeit und Poesie
schön und lebendig nennen sollen, von dem verlangen sie
unerbittlich, daß es klar und kunstreich zugleich sei,
daß es, welchen Geschlechts es auch sei, die Züge und
den Einfluß von beiden Stammeltern wahrnehmen lasse. Und
wie ich neulich zeigte, wie der Rythmus, in dem sich das
junge Volk der Hellenen, ihre Ilias und Odyssee bewegte,
sich endlich im Laufe der Zeit, im Raume, in körperlichen
Gestalten, im Jupiter des Phidias, in der Scenerei des
Sophokles und im schönen Leben der griechischen Republiken
ausgedrückt habe; so fordern sie nun von allen bleibenden
Werken der Dichtkunst und der Redekunst, ehe Sie das Urtheil
der Schönheit aussprechen, daß darin wahrzunehmen sei
ein langes harmonisches Leben, welches Wissenschaft und
Kunst liebend mit einander geführt, und von dem nun ein
schönes Kind <53:> für die Bewundrung später Zeiten
zurückgeblieben. – In allen Werken der Redekunst,
wie abhängig solche Werke auch sein mögen von der Einwirkung
der Aussenwelt, von Rücksichten, welche Zeit und Umstände
uns auflegen, demnach von der ewigen Gesprächsform, muß
die weibliche Einheit, welche das heiligste Wesen der
Poesie ist, beständig sichtbar bleiben, und wenn auch
die feste Form und das männliche, vielseitige, schrankenlose
Wirken die Oberhand behält, beständig dieses Streben begleiten,
ja beseelen. Ebenso die Poesie, wenn auch das Erzeugen
des unabhängigen Lebens, das innre, süßbeschränkte Bilden
die Oberhand behält, muß ihr dennoch die männliche Kunst
der Beredsamkeit, und des heiligen Überredens der Gemüther
immer zur Seite gehn. So empfehlen die Griechen, die unter
der Wissenschaft etwas Höheres meinten, als wir gewönlich
pflegen, grade dem Dichter die Wissenschaft.
Wenn
es sich schickt nach dem Gespräch über so erhabene Gegenstände,
auch zuletzt noch der eignen Persönlichkeit zu gedenken,
so lassen Sie es mich zur Entschuldigung vielfältiger
Mängel in diesen Vorlesungen hinzufügen, daß ich selbst
nach dem strebe, was ich im Anfange der Unterhaltung,
da ich die einzelnen Künste herzählte, Wissenschaftskunst
nannte. Auf das, was ich behaupten, was ich in kalter
Trockenheit als abgemachte Wahrheit vor Ihnen aufstellen
könnte; würden sie mir natürlich innerlich vieles gerechte
erwiedern können: deshalb strebe ich die Wahrheit und
Schönheit, die ich meine, so viel an mir ist, im Streite
der Partheien darzustellen. Ich rede dem Redner und dem
Dichter, dem Virtuosen und dem Strebenden wechselsweise
das Wort, damit recht viel entgegengesetzte Ansichten
erscheinen, und so, wie allenthalben, aus dem liebreichen
Gespräch entgegengesetzter Naturen die Wahrheit hervorgehe,
und männlicher Ernst und Streitlust neben weiblicher Nachgiebigkeit
und Friedensliebe bestehen könne. Ich strebe mich frei
dem Nothwendigen zu unterwerfen, und da alle wissenschaftliche
Darstellung aus dem Gespräche hervorgeht, so strebe ich
sie auch in diese Gesprächsform wieder auszubilden, um
auf fremden Wegen mich dem Philosophen zu nähern, der
einzig zum Vorbilde dienen kann, dem Platon. – Weil
sie unkünstlerisch, und also, weil sie unwissenschaftlich
sind, müssen alle philosophischen Systeme verworfen werden,
welche geschlossen und vollendet zu sein affectiren, wie
ein Gedicht. –