V. Vorlesungen über
das Schöne.
(Fortsetzung.)
V.
Wir beschlossen unsre
letzte Unterhaltung mit der Darstellung des wahren Verhältnisses
zwischen der Beredsamkeit und Poesie. Jedermann denkt
bei dem Worte Beredsamkeit an öffentliches Leben, an die
Tribune, an die Kanzel, an Forum und Parliament, an gesellschaftliches
Leben: dies sind die Bühnen, auf denen der Redner sich
darstellt und die Redekunst ist nichts, wenn sie nicht
in Beziehung auf öffentliches Wirken und Geschäft gedacht
wird. Bei dem Worte Poesie stellt sich vielmehr ein einsames,
in sich selbst verschlossenes Bilden und Weben des Gemüths
unsrer Seele dar: sie ist häuslich wie die Frauen, während
jene wie die Männer nie unabhängig von der Gesellschaft
erscheinen kann. Daher die Unschuld, schöne Geschlossenheit
und das unabhängige Leben in allen Erzeugnissen der Poesie:
daher die äussere Unruhe, die Absichtlichkeit, und das
unendliche nie vollständig befriedigte Streben welches
im Redner wahrgenommen wird. Das Werk des Dichters lebt
für sich auf eigne Hand fort, wie das mündig gewordene
Kind unabhängig von der Mutter bestehen mag: die Beredsamkeit
kann nicht getrennt werden von dem Redner; ich muß, da
die Rede ohne den bstimmten Zweck der Belehrung, der Erbauung,
des Angriffs, der Vertheidigung u. s. f. nicht
gedacht werden kann, da die Rede also in gewisser Art
einseitig ist, immer dabei den Geist, den Charakter des
Redners im Auge haben; denn daß durch die Rede ein Bestimmtes
erreicht werde genügt mir nicht: ich will neben jedem
Bestimmten und Besondern auch ein Allgemeines sehn, weil
ich weiß, daß nur in den Wechselblicken von dem Allgemeinen
aufs Besondre, die Schönheit und das Leben erkannt werde:
nun will ich aber nichts anderes eines Anblicks würdigen,
als eben das Lebendige und das Schöne. Woran erkenne ich
den allgemeinen Willen bei einer Rede, die ja immer auf
einen besondern Zweck gerichtet ist? Wo finde ich das
Ganze von der die einzelne Rede mit ihrem einzelnen Zweck
ein bloßes Fragment ist? Wo anders als im Leben in dem
Charakter des Redners? – In der Poesie fallen alle
äusseren Zwecke weg: so wenig eine Mutter, bei der Geburt
ihres Kindes, die Absicht haben wird, durch das, was sie
zur Welt bringt, zu überzeugen, oder zu erbauen, oder
zu belehren, oder die Menschheit oder den Staat zu verbessern;
wie sie eben weiter nichts will als Leben hervorbringen,
frisches, freies, gesundes Leben – eben so der Dichter,
während der Redner wie der Vater jenes Kindes, seine productive
Kraft nach tausend einzelnen Zwecken anscheinend zersplittern
muß – wie er dieses thut, um Geld zu erwerben, jenes
um Ansehn, jenes um dem Staate, dieses um der Literatur
u. s. f. zu dienen. – Freilich lassen sich
alle diese Absichten in einem und demselben Geiste und
auch wie mit einer Handlung erreichen; freilich wird auch
hier an der Klaue der Löwe zu erkennen sein; freilich
schreibt <46:> auch der wahre Redner, Staatsmann
oder Feldherr an einem großen Gedichte, worin die einzelnen
Reden, Gesetze und Kriegsthaten gleichsam die einzelnen
Scenen und Rhapsodien bilden, und dieses Gedicht ist sein
Leben, ein Gedicht das erst mit seinem Tode ganz geschlossen
ist, während der Dichter hundertmal stirbt und schöner
wieder aufsteht; freilich ist auf diese Weise jeder vollständige
Mensch gewissermaßen beides Redner und Dichter, Mann und
Weib zugleich – aber dennoch muß und kann die Idee
dieses großen Geschlechtsunterschiedes zwischen Redner
und Dichter mit voller Schärfe aufgefaßt werden, damit
es klar werde, wie die einzelnen Menschen bald nach diesem,
bald nach jenem Geschlechte hinüberhängen, damit jeder
sich selbst erkennen und nun gehörig hinrichten könne
nach dem Mittelsten, nach der allgemeinsten Schönheit,
nach dem reichsten Leben. – In dieser Betrachtung
indeß muß sich jeder unpartheiisch erhalten: ich bin mißverstanden
worden, wenn man mir entweder für den Redner oder für
den Dichter, entweder für die männliche Redekunst oder
für die weibliche, eine Vorliebe zutrauen könnte. –
Das bei weitem zuverläßigste Unterscheidungszeichen zwischen
beiden ist ihr Verhältniß zum Zweck: die Poesie trägt
ihren Zweck in sich selbst; die Beredsamkeit ist auf bestimmte
äussere Zwecke gerichtet. Die Ästhetiker des vorigen Jahrhunderts
ahndeten dieses Merkmal, und wenn sie die Vorstellung
des Überredens, Belehrens, nicht von der Beredsamkeit,
die Eigenschaft der sinnlichen Lebhaftigkeit von der Poesie
nicht zu trennen wußten, so meinen sie doch nur daß jene
um andrer, diese um ihrer selbst willen da sei. –
In der allerniedrigsten Ansicht jedoch, wo der Beredsamkeit
der Nutzen und der Poesie das Vergnügen zugeschrieben
wird, liegt jener Gedanke zum Grunde.
Die
Menschen sind schwer zu bewegen ein Ganzes aufzufassen,
oder auch nur mit einiger Unpartheilichkeit zwei entgegengesetzte
Wesen zu vergleichen. So vermögen tausende nicht zu begreiffen,
wie doch etwas in der Welt geschehen könne ohne äussere
Absicht, ohne augenscheinlichen daraus entsprießenden
Nutzen: von der Poesie fordern sie ergreifliche Resultate,
Belehrung, Vervollkommnung, wie sie es nennen; und wenn
sie nun noch den erlangten Nutzen zu genießen verständen;
aber auch die gewonnene Lehre soll wieder dienen neue
Zwecke zu erreichen, und diese neuen Zwecke sollen wieder
zu etwas anderen führen, und so die Lockung und die Täuschung
sie durch das ganze Leben leiten, während der letzte und
höchste Zweck erst weit jenseit ihres Grabes oder nie
erreicht wird. Ins Schauspiel gehn um leben zu lernen,
gute Freunde bewirthen um leben zu lernen: leben lernen?
das heißt zweckmäßiger arbeiten und wirken zu lernen;
in den meisten Fällen heißt dies wieder mehr Geld erwerben
und besser wirthschaften, um wieder ins Theater gehn und
die Freunde bewirthen zu können, und so schleicht sich
der langweilige Zirkel durchs Leben fort. Es scheint eine
beständige Lockung in eine höhere Sphäre statt zu finden,
da aber kein einziger Schritt zum erreichen mit Sicherheit
und Befriedigung gethan wird, so führen alle Lebensvorbereitungen,
alle Präliminarien immer wieder zurück in den Stall und
zum alten Futter. – Andre haben vielleicht das Unwürdige
<47:> und das innerlich zwecklose in dieser Nutzenswuth
erkannt: sie gehn ins andre Extrem und verwerfen die äusseren
Zwecke des Handelns und den Nutzen überhaupt; „die Poesie
ist nur um ihrer selbst willen da, die Tugend soll durchaus
um keines Zweckes willen, sondern blos weil sie Tugend
ist an sich selbst geliebt werden. Was ist das Leben des
Staatsmanns, das Treiben des Geschäftslebens, ökonomischer
Erwerb? wir sehen nichts darin als eine traurige Spaltung
des Wesens, ein ewiges aus sich selbst herausgehn, sich
selbst versäumen.“ –
Und so bleiben die einen nie sich selbst getreu –
die andern können wieder nie von sich selbst lassen, und
der innerliche Kern des Lebens entgeht beiden. –
Aber, könnte man mir einwenden, du selbst hast ja die
Poesie und die Beredsamkeit auf diese Weise unterschieden;
du hast die Poesie charakterisirt, als entbehre sie der
bestimmten Zwecke, und die Beredsamkeit, als sei sie nie
ohne Absicht auf ein äusseres Erreichen zu denken? –
Ich habe Sie, indem ich diesen Unterschied aufstellte,
gebeten, sich über beide zu stellen; ich habe sie Ihnen
nicht zur Auswahl vorgelegt, so daß Sie sich für einen
von beiden hätten entscheiden müssen. Wie möchte man das
Verhältniß zweier Dinge ergründen, so lange man
noch unbedingt partheiisch für eines von beiden ist. Lassen
Sie uns indeß dieser nothwendigen Unpartheilichkeit zu
gefallen den Gegensatz von Redner und Dichter einstweilen
bei Seite setzen. Ein freier Wechsel der Bezeichnungen
entbindet die Seele, die sich nur allzuleicht in den Schranken
des fixirten Buchstabens einwohnt. – Lassen Sie uns
die Menschen eintheilen in zwei Classen, die einen sollen
Virtuosen, die andern Strebende heißen.
Die eine Classe will alles was sie zu Stande bringt mit
höchster Kunstfertigkeit gethan haben, sie übt die Künste
vielmehr und viellieber, als daß sie darüber räsonnirte.
Daß sie etwas kunstgerechtes, klares und vollständiges
zur Welt bringe, darauf ist ihr ganzes Bestreben gerichtet:
und so ist ihr überhaupt die Kunst werther, als die
Wissenschaft, welche nach dem Unendlichen gerichtet ist,
so ist ihr ferner die Poesie lieber, als die Beredsamkeit,
welche, da die Aussenwelt immer in sie eingreift, nie
mit ihrem Wirken vollständig zu Stande kommt. Irgend ein
Instrument der Welt, ein musikalisches, ein Sprachinstrument
so zu ergreiffen und zu beleben, daß der Mensch gleichsam
die Seele dieses Instruments werde, das ist ihr höchster
Triumph. Sie verstehn mich, wenn ich für diese vortrefliche
Gattung den Namen der Virtuosen erwählt habe. –
Die andre Gattung, die Gattung der Strebenden, erfährt
es häufig, daß die Welt ihr den Vorwurf macht, sie fange
vieles an, aber sie vollende nur wenig. Diese Leute nemlich,
können von dem Leben, welches sie, wenn auch noch so disharmonisch
umgiebt, nicht abstrahiren: sie haben die schöne Unart,
daß sie ihre Thür nicht verschließen können: so oft sie
die bestimmte Werkstatt betrachten, in welche sie das
Schicksal, oder die Vormünder versetzt haben, wie dann
jedem von uns ein bestimmter
Wirkungskreis durch die Umstände angewiesen, der Meißel,
der Pinsel, die Feder, der Pfriemen, oder was es sonst
sei, anstatt des Scepters in die Hand gespielt wird –
so oft sie diese Werkstatt betrachten, wird es ihnen enge
und bang zu Muthe; es reizt sie die unendliche Werkstatt
der Natur, die draußen bildet; neben jeder <48:>
einzelnen Kraft die sie etwa anwenden, regen sich tausend
andre Kräfte in ihnen, und darüber, daß ihre Seele nach
allem zugleich greiffen möchte, wird oft nichts ergriffen:
während sie irgend ein schöngedachtes Werk rüstig und
begeistert beginnen, fängt die Welt sich wieder zu eröffnen
an, reizt und treibt sie weit über die ursprüngliche schön
beschränkte Gestalt des Werkes hinauszusteigen, sie vermögen
das Werk nicht zu schließen; sie geben mehr und weniger
als was sie der Welt versprochen. Und so muß man vielmehr
ihr Leben als ihre Werke betrachten, wenn man sie vollständig
würdigen will, wie man andrerseits den Virtuosen, wenn
er sein Instrument weggelegt, oder sein Gedicht vollendet
und geschlossen, leicht entbehren mag, weil die Sache,
welche er hervorgebracht, schon hinlänglich für sich selbst
spricht. – Wer möchte in diese gerechte Unterscheidung
der Menschen in Virtuosen und Strebende
nun tölpisch hineinfahren, und erklären eine von beiden
sei die vortreflichste, oder die einzig gute. – Ich
gebe Ihnen jetzt zu dieser zweckmäßigen Classifikation
ein Beispiel von seltener Angemessenheit: Sie alle sind
schon Zeugen des vielbelobten Streites über die Vorzüglichkeit
Göthes oder Schillers gewesen. Man pflegt sich in solchem
Streite meistentheils roh an die Vergleichung ihrer Werke
zu halten, hingegen den Geist und die Natur der Absichten
beider weniger zu beachten. Göthe ist der Virtuos in vollem
Sinne des Wortes, und Schiller der Streber von einer Ungemeinheit
und Erhabenheit des Sinnes, daß er sich mit den Größten
dieser Gattung messen kann. – Wenn Sie betrachten möchten,
wie er in allen seinen Werken, im Gefühle seiner Macht
über die Ufer tritt, die er ihnen selbst angewiesen hat,
während Göthe freilich befriedigter nie das Flußbette
verläßt, selbstzufrieden mit den Kieseln und den Blumen
des Ufers spielt, und sich vielmehr in seiner Klarheit
und seinen Schranken gefällt. Es sind dieses zwei durchaus
verschiedene Naturen, die entweder gar nicht, oder nur
von der Höhe aus, wo der Mensch und der Dichter als eines
erscheinen, verglichen werden dürfen. Wenn man das erhabene
Drängen bemerkt, die Zeit, ihre Bewegungen, ihr Unglück
und ihren Trost mit hineinzuziehen in den Kreis der Poesie;
wenn so unendlich viel großes zugleich erreicht werden
soll, wenn der Sänger alle Schranken seines Instruments
vergißt, wenn er die selbstverzeichneten Umrisse des Werks
verläßt, und lieber scheitert und das Werk unausgesprochen
läßt, ehe er das Vorhaben, wozu ihn die Natur und die
ursprüngliche Gewalt seiner Seele nöthigt, ehe er das
Vorhaben, die ganze Menschheit zugleich, und alle ihre
Bedürfnisse, ihr stillstes Begehren, wie ihre lautesten
Forderungen auszusprechen, aufgiebt – so kann er allerdings
nicht in die Schranken mit Göthe treten, der die Ruhe
und die künstlerische Besonnenheit vor ihm voraus hat.
Lassen Sie uns demnach jeden in seiner Art erkennen: es
ist durchaus nicht davon die Rede, einem von beiden ein
Talent abzusprechen, weder Schillern die Anlage zur Virtuosität,
noch Göthen das Streben. – Seiner Natur nach, seinem Geschlechte
nach, möchte ich sagen, war Schiller Redner, Rhetor: Wie
wenige vermochten wie er zur Zeit, zum Vaterlande, wie
es grade war zu sprechen, so daß es allgmein vernommen
wurde und doch jeder Hörer sich dadurch erhoben fühlte.
In seinem Innern trieb alles hin nach <49:> praktischer
Wirksamkeit, nach dem Ergreiffen und Veredlen der Zeit:
den Staat, den Krieg, den Handel hat er poetisch ergriffen:
und solche Ideen über die Zeit und über das Leben hinüberzutragen
auf die Bühne, damit Bühne und Leben nicht länger mit
gegenseitigem Hohn, und gegenseitigem Hochmuth auf einander
hinblicken, damit sie sich nicht stören, sondern vielmehr
einen Bund schließen sollten, schien ihm das würdigste.
Emendation:
bestimmter]
betimmter D