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Adam Müller, V. Vorlesungen über das Schöne (Fortsetzung), 45-53; darin: 45-49

V. Vorlesungen über das Schöne.
(Fortsetzung.)
V.

Wir beschlossen unsre letzte Unterhaltung mit der Darstellung des wahren Verhältnisses zwischen der Beredsamkeit und Poesie. Jedermann denkt bei dem Worte Beredsamkeit an öffentliches Leben, an die Tribune, an die Kanzel, an Forum und Parliament, an gesellschaftliches Leben: dies sind die Bühnen, auf denen der Redner sich darstellt und die Redekunst ist nichts, wenn sie nicht in Beziehung auf öffentliches Wirken und Geschäft gedacht wird. Bei dem Worte Poesie stellt sich vielmehr ein einsames, in sich selbst verschlossenes Bilden und Weben des Gemüths unsrer Seele dar: sie ist häuslich wie die Frauen, während jene wie die Männer nie unabhängig von der Gesellschaft erscheinen kann. Daher die Unschuld, schöne Geschlossenheit und das unabhängige Leben in allen Erzeugnissen der Poesie: daher die äussere Unruhe, die Absichtlichkeit, und das unendliche nie vollständig befriedigte Streben welches im Redner wahrgenommen wird. Das Werk des Dichters lebt für sich auf eigne Hand fort, wie das mündig gewordene Kind unabhängig von der Mutter bestehen mag: die Beredsamkeit kann nicht getrennt werden von dem Redner; ich muß, da die Rede ohne den bstimmten Zweck der Belehrung, der Erbauung, des Angriffs, der Vertheidigung u. s. f. nicht gedacht werden kann, da die Rede also in gewisser Art einseitig ist, immer dabei den Geist, den Charakter des Redners im Auge haben; denn daß durch die Rede ein Bestimmtes erreicht werde genügt mir nicht: ich will neben jedem Bestimmten und Besondern auch ein Allgemeines sehn, weil ich weiß, daß nur in den Wechselblicken von dem Allgemeinen aufs Besondre, die Schönheit und das Leben erkannt werde: nun will ich aber nichts anderes eines Anblicks würdigen, als eben das Lebendige und das Schöne. Woran erkenne ich den allgemeinen Willen bei einer Rede, die ja immer auf einen besondern Zweck gerichtet ist? Wo finde ich das Ganze von der die einzelne Rede mit ihrem einzelnen Zweck ein bloßes Fragment ist? Wo anders als im Leben in dem Charakter des Redners? – In der Poesie fallen alle äusseren Zwecke weg: so wenig eine Mutter, bei der Geburt ihres Kindes, die Absicht haben wird, durch das, was sie zur Welt bringt, zu überzeugen, oder zu erbauen, oder zu belehren, oder die Menschheit oder den Staat zu verbessern; wie sie eben weiter nichts will als Leben hervorbringen, frisches, freies, gesundes Leben – eben so der Dichter, während der Redner wie der Vater jenes Kindes, seine productive Kraft nach tausend einzelnen Zwecken anscheinend zersplittern muß – wie er dieses thut, um Geld zu erwerben, jenes um Ansehn, jenes um dem Staate, dieses um der Literatur u. s. f. zu dienen. – Freilich lassen sich alle diese Absichten in einem und demselben Geiste und auch wie mit einer Handlung erreichen; freilich wird auch hier an der Klaue der Löwe zu erkennen sein; freilich schreibt <46:> auch der wahre Redner, Staatsmann oder Feldherr an einem großen Gedichte, worin die einzelnen Reden, Gesetze und Kriegsthaten gleichsam die einzelnen Scenen und Rhapsodien bilden, und dieses Gedicht ist sein Leben, ein Gedicht das erst mit seinem Tode ganz geschlossen ist, während der Dichter hundertmal stirbt und schöner wieder aufsteht; freilich ist auf diese Weise jeder vollständige Mensch gewissermaßen beides Redner und Dichter, Mann und Weib zugleich – aber dennoch muß und kann die Idee dieses großen Geschlechtsunterschiedes zwischen Redner und Dichter mit voller Schärfe aufgefaßt werden, damit es klar werde, wie die einzelnen Menschen bald nach diesem, bald nach jenem Geschlechte hinüberhängen, damit jeder sich selbst erkennen und nun gehörig hinrichten könne nach dem Mittelsten, nach der allgemeinsten Schönheit, nach dem reichsten Leben. – In dieser Betrachtung indeß muß sich jeder unpartheiisch erhalten: ich bin mißverstanden worden, wenn man mir entweder für den Redner oder für den Dichter, entweder für die männliche Redekunst oder für die weibliche, eine Vorliebe zutrauen könnte. – Das bei weitem zuverläßigste Unterscheidungszeichen zwischen beiden ist ihr Verhältniß zum Zweck: die Poesie trägt ihren Zweck in sich selbst; die Beredsamkeit ist auf bestimmte äussere Zwecke gerichtet. Die Ästhetiker des vorigen Jahrhunderts ahndeten dieses Merkmal, und wenn sie die Vorstellung des Überredens, Belehrens, nicht von der Beredsamkeit, die Eigenschaft der sinnlichen Lebhaftigkeit von der Poesie nicht zu trennen wußten, so meinen sie doch nur daß jene um andrer, diese um ihrer selbst willen da sei. – In der allerniedrigsten Ansicht jedoch, wo der Beredsamkeit der Nutzen und der Poesie das Vergnügen zugeschrieben wird, liegt jener Gedanke zum Grunde.
Die Menschen sind schwer zu bewegen ein Ganzes aufzufassen, oder auch nur mit einiger Unpartheilichkeit zwei entgegengesetzte Wesen zu vergleichen. So vermögen tausende nicht zu begreiffen, wie doch etwas in der Welt geschehen könne ohne äussere Absicht, ohne augenscheinlichen daraus entsprießenden Nutzen: von der Poesie fordern sie ergreifliche Resultate, Belehrung, Vervollkommnung, wie sie es nennen; und wenn sie nun noch den erlangten Nutzen zu genießen verständen; aber auch die gewonnene Lehre soll wieder dienen neue Zwecke zu erreichen, und diese neuen Zwecke sollen wieder zu etwas anderen führen, und so die Lockung und die Täuschung sie durch das ganze Leben leiten, während der letzte und höchste Zweck erst weit jenseit ihres Grabes oder nie erreicht wird. Ins Schauspiel gehn um leben zu lernen, gute Freunde bewirthen um leben zu lernen: leben lernen? das heißt zweckmäßiger arbeiten und wirken zu lernen; in den meisten Fällen heißt dies wieder mehr Geld erwerben und besser wirthschaften, um wieder ins Theater gehn und die Freunde bewirthen zu können, und so schleicht sich der langweilige Zirkel durchs Leben fort. Es scheint eine beständige Lockung in eine höhere Sphäre statt zu finden, da aber kein einziger Schritt zum erreichen mit Sicherheit und Befriedigung gethan wird, so führen alle Lebensvorbereitungen, alle Präliminarien immer wieder zurück in den Stall und zum alten Futter. – Andre haben vielleicht das Unwürdige <47:> und das innerlich zwecklose in dieser Nutzenswuth erkannt: sie gehn ins andre Extrem und verwerfen die äusseren Zwecke des Handelns und den Nutzen überhaupt; „die Poesie ist nur um ihrer selbst willen da, die Tugend soll durchaus um keines Zweckes willen, sondern blos weil sie Tugend ist an sich selbst geliebt werden. Was ist das Leben des Staatsmanns, das Treiben des Geschäftslebens, ökonomischer Erwerb? wir sehen nichts darin als eine traurige Spaltung des Wesens, ein ewiges aus sich selbst herausgehn, sich selbst versäumen.“ –  Und so bleiben die einen nie sich selbst getreu – die andern können wieder nie von sich selbst lassen, und der innerliche Kern des Lebens entgeht beiden. – Aber, könnte man mir einwenden, du selbst hast ja die Poesie und die Beredsamkeit auf diese Weise unterschieden; du hast die Poesie charakterisirt, als entbehre sie der bestimmten Zwecke, und die Beredsamkeit, als sei sie nie ohne Absicht auf ein äusseres Erreichen zu denken? – Ich habe Sie, indem ich diesen Unterschied aufstellte, gebeten, sich über beide zu stellen; ich habe sie Ihnen nicht zur Auswahl vorgelegt, so daß Sie sich für einen von beiden hätten entscheiden müssen. Wie möchte man das Verhältniß zweier Dinge ergründen, so lange man noch unbedingt partheiisch für eines von beiden ist. Lassen Sie uns indeß dieser nothwendigen Unpartheilichkeit zu gefallen den Gegensatz von Redner und Dichter einstweilen bei Seite setzen. Ein freier Wechsel der Bezeichnungen entbindet die Seele, die sich nur allzuleicht in den Schranken des fixirten Buchstabens einwohnt. – Lassen Sie uns die Menschen eintheilen in zwei Classen, die einen sollen Virtuosen, die andern Strebende heißen. Die eine Classe will alles was sie zu Stande bringt mit höchster Kunstfertigkeit gethan haben, sie übt die Künste vielmehr und viellieber, als daß sie darüber räsonnirte. Daß sie etwas kunstgerechtes, klares und vollständiges zur Welt bringe, darauf ist ihr ganzes Bestreben gerichtet: und so ist ihr überhaupt die Kunst werther, als die Wissenschaft, welche nach dem Unendlichen gerichtet ist, so ist ihr ferner die Poesie lieber, als die Beredsamkeit, welche, da die Aussenwelt immer in sie eingreift, nie mit ihrem Wirken vollständig zu Stande kommt. Irgend ein Instrument der Welt, ein musikalisches, ein Sprachinstrument so zu ergreiffen und zu beleben, daß der Mensch gleichsam die Seele dieses Instruments werde, das ist ihr höchster Triumph. Sie verstehn mich, wenn ich für diese vortrefliche Gattung den Namen der Virtuosen erwählt habe. – Die andre Gattung, die Gattung der Strebenden, erfährt es häufig, daß die Welt ihr den Vorwurf macht, sie fange vieles an, aber sie vollende nur wenig. Diese Leute nemlich, können von dem Leben, welches sie, wenn auch noch so disharmonisch umgiebt, nicht abstrahiren: sie haben die schöne Unart, daß sie ihre Thür nicht verschließen können: so oft sie die bestimmte Werkstatt betrachten, in welche sie das Schicksal, oder die Vormünder versetzt haben, wie dann jedem von uns ein bestimmter Wirkungskreis durch die Umstände angewiesen, der Meißel, der Pinsel, die Feder, der Pfriemen, oder was es sonst sei, anstatt des Scepters in die Hand gespielt wird – so oft sie diese Werkstatt betrachten, wird es ihnen enge und bang zu Muthe; es reizt sie die unendliche Werkstatt der Natur, die draußen bildet; neben jeder <48:> einzelnen Kraft die sie etwa anwenden, regen sich tausend andre Kräfte in ihnen, und darüber, daß ihre Seele nach allem zugleich greiffen möchte, wird oft nichts ergriffen: während sie irgend ein schöngedachtes Werk rüstig und begeistert beginnen, fängt die Welt sich wieder zu eröffnen an, reizt und treibt sie weit über die ursprüngliche schön beschränkte Gestalt des Werkes hinauszusteigen, sie vermögen das Werk nicht zu schließen; sie geben mehr und weniger als was sie der Welt versprochen. Und so muß man vielmehr ihr Leben als ihre Werke betrachten, wenn man sie vollständig würdigen will, wie man andrerseits den Virtuosen, wenn er sein Instrument weggelegt, oder sein Gedicht vollendet und geschlossen, leicht entbehren mag, weil die Sache, welche er hervorgebracht, schon hinlänglich für sich selbst spricht. – Wer möchte in diese gerechte Unterscheidung der Menschen in Virtuosen und Strebende nun tölpisch hineinfahren, und erklären eine von beiden sei die vortreflichste, oder die einzig gute. – Ich gebe Ihnen jetzt zu dieser zweckmäßigen Classifikation ein Beispiel von seltener Angemessenheit: Sie alle sind schon Zeugen des vielbelobten Streites über die Vorzüglichkeit Göthes oder Schillers gewesen. Man pflegt sich in solchem Streite meistentheils roh an die Vergleichung ihrer Werke zu halten, hingegen den Geist und die Natur der Absichten beider weniger zu beachten. Göthe ist der Virtuos in vollem Sinne des Wortes, und Schiller der Streber von einer Ungemeinheit und Erhabenheit des Sinnes, daß er sich mit den Größten dieser Gattung messen kann. – Wenn Sie betrachten möchten, wie er in allen seinen Werken, im Gefühle seiner Macht über die Ufer tritt, die er ihnen selbst angewiesen hat, während Göthe freilich befriedigter nie das Flußbette verläßt, selbstzufrieden mit den Kieseln und den Blumen des Ufers spielt, und sich vielmehr in seiner Klarheit und seinen Schranken gefällt. Es sind dieses zwei durchaus verschiedene Naturen, die entweder gar nicht, oder nur von der Höhe aus, wo der Mensch und der Dichter als eines erscheinen, verglichen werden dürfen. Wenn man das erhabene Drängen bemerkt, die Zeit, ihre Bewegungen, ihr Unglück und ihren Trost mit hineinzuziehen in den Kreis der Poesie; wenn so unendlich viel großes zugleich erreicht werden soll, wenn der Sänger alle Schranken seines Instruments vergißt, wenn er die selbstverzeichneten Umrisse des Werks verläßt, und lieber scheitert und das Werk unausgesprochen läßt, ehe er das Vorhaben, wozu ihn die Natur und die ursprüngliche Gewalt seiner Seele nöthigt, ehe er das Vorhaben, die ganze Menschheit zugleich, und alle ihre Bedürfnisse, ihr stillstes Begehren, wie ihre lautesten Forderungen auszusprechen, aufgiebt – so kann er allerdings nicht in die Schranken mit Göthe treten, der die Ruhe und die künstlerische Besonnenheit vor ihm voraus hat. Lassen Sie uns demnach jeden in seiner Art erkennen: es ist durchaus nicht davon die Rede, einem von beiden ein Talent abzusprechen, weder Schillern die Anlage zur Virtuosität, noch Göthen das Streben. – Seiner Natur nach, seinem Geschlechte nach, möchte ich sagen, war Schiller Redner, Rhetor: Wie wenige vermochten wie er zur Zeit, zum Vaterlande, wie es grade war zu sprechen, so daß es allgmein vernommen wurde und doch jeder Hörer sich dadurch erhoben fühlte. In seinem Innern trieb alles hin nach <49:> praktischer Wirksamkeit, nach dem Ergreiffen und Veredlen der Zeit: den Staat, den Krieg, den Handel hat er poetisch ergriffen: und solche Ideen über die Zeit und über das Leben hinüberzutragen auf die Bühne, damit Bühne und Leben nicht länger mit gegenseitigem Hohn, und gegenseitigem Hochmuth auf einander hinblicken, damit sie sich nicht stören, sondern vielmehr einen Bund schließen sollten, schien ihm das würdigste.

Emendation:
bestimmter] betimmter D

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