Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LIX-LXIV
Ende Phöbus
Und schon im April hatte Dora Stock an Weber geschrieben: Überhaupt fürchte ich,
daß der Phöbus nicht länger wie ein <LX:> Jahr leben wird. Jetzt schon wird er
weder mit Vergnügen erwartet, noch mit Interesse gelesen. Und doch wollen diese Herren an
der Spitze der Litteratur stehen und alles um sich und neben sich vernichten.\1\ Die gestrenge alte Jungfer sollte recht
behalten. Versuche, das Blatt durch Verkauf an einen großen Verleger über Wasser zu
halten, schlugen fehl. Weder Cotta noch Goeschen\2\
wollten die Übernahme wagen, trotzdem ihnen Kleist alle erdenklichen Leichtigkeiten in
Aussicht stellte: gegen Übernahme der Totalkosten gänzlich unentgeltliche Lieferung der
Manuskripte, und Kredit, was die schon vorhandenen Kosten betrifft, bis zur Ostermesse
1809; erst für den künftigen Jahrgang müßte ein neuer Kontrakt geschlossen werden.
Der Phöbus, schreibt Kleist im August 1808 an Ulrike, hat sich, trotz
des gänzlich darniederliegenden Buchhandels, noch bis jetzt erhalten; doch was jetzt,
wenn der Krieg ausbricht, daraus werden soll, weiß ich nicht. Es würde mir leicht sein,
Dich zu überzeugen, wie gut meine Lage wäre, und wie hoffnungsreich die Aussichten, die
sich mir in die Zukunft eröffnen, wenn diese verderbliche Zeit nicht den Erfolg aller
ruhigen Bemühungen zerstörte
Ich denke mein Stück [das Käthchen], wenn
mich der Krieg nicht stört, auch nach Wien zu verkaufen; doch nach Berlin geht es nicht,
weil dort [unter der Herrschaft der französischen Kommandantur] nur Übersetzungen
kleiner französischer Stücke gegeben werden, und in Kassel ist gar das deutsche Theater
abgeschafft und ein französisches an die Stelle gesetzt worden. So wird es wohl, wenn
Gott nicht hilft, überall werden. Wer weiß, ob Jemand noch nach hundert Jahren in dieser
Gegend deutsch spricht! An einem Herbsttage fand ihn Rühle, von einer starken, aber
zum gewollten Tode doch allzu schwachen Dosis Opium der Besinnung beraubt, auf dem Bette
liegen und brachte ihn wieder zu sich. Auch das deutet auf ernste Gemütsstörung, daß
Kleist einmal Frau von Rühle versicherte, Adam Müller müsse ihm seine Frau
abtreten, und diesen über die Brustwehr in die Elbe stürzen wollte.\3\
Der Phöbus ging
bald darauf zu Grunde. Zwar ließ der Buchhändler Walther in Dresden das Journal
in seinem Verlag erscheinen, aber dies konnte das Unternehmen doch nicht retten, wenn es
auch wenigstens das völlige Erscheinen des ersten Jahrgangs ermöglichte. Zwar hatte man
in der Ankündigung des Verlagswechsels versichert, daß alle Hindernisse für die Zukunft
durch die Teilnahme der Frau von Staël und der Herren Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck
beseitigt <LXI:> seien, aber die beiden letzteren blieben aus und das Gedicht der
Französin: Le retour des Grecs war doch auch kein Treffer.
Kleists Beiträge flossen spärlicher, bis er sich von dem Unternehmen fast ganz
zurückzog. Im siebenten Stück spiegelt sich das Mißverhältnis der Herausgeber in Adam
Müllers Philosophischen und kritischen Miscellen wieder, wo die drei Freunde A
(Kleist), B (Müller) und C (Rühle oder Hartmann) einen Disput über
die Notwendigkeit eines kritischen Teils in ihrer Zeitschrift führen.
B und C sind dafür, A, unser stets gegen
Kritik und Wissenschaft eingenommener Dichter, stimmt dagegen und schließt mit den
Worten: Nun gut, ich füge mich. Aber es werden Grenzen abgesteckt. In der ersten
Hälfte dauert das alte, ernsthafte Spiel fort; die andere Hälfte des Phöbus überlasse
ich euch und ziehe mich zurück. Bald zog sich Kleist überhaupt ganz vom Phöbus
zurück. Während Müller auch die letzten Hefte mit seiner Prosa füllte, lieferte Kleist
nur noch ein paar ältere Gelegenheitsgedichte und eine Idylle. Im Februar 1809 erschien
das Dezember- und Schlußheft.
Dieser klägliche Ausklang
eines mit großen Hoffnungen begonnenen Unternehmens, vielleicht auch das Ende seiner
Liebe zu Julie Kunze, vor allem jedenfalls aber die Lage seines Vaterlandes erfüllten
Kleists Herz mit Bitterkeit. Ein Geist der Rache geht durch seine späteren Dresdener
Dichtungen. Napoleon, dem Unterdrücker Europas, und seinen Helfershelfern gilt sein Haß.
Rache predigt der Schluß des Findlings, Rache der Michael Kohlhaas, wo der
Haß auf den rheinbündischen König von Sachsen und sein Haus, dem das Ende prophezeit
wird, mit hineinspielt, und Rache predigt vor allem die Hermannsschlacht. Noch vor
Ablauf des Jahres 1808 hatte er dies Schauspiel vollendet und eilte, es der Wiener
Hofbühne mit allen Flüchtigkeiten und Härten des Stils zur Aufführung anzutragen. Er
schickte es am Neujahrstage 1809 an Heinrich Joseph von Collin, der zu dem
Burgtheater in naher Beziehung stand, und dem auch schon das Käthchen von
Heilbronn und Penthesilea vom Dichter ans Herz gelegt war.\1\ Aber in Wien unterlag gerade damals das
Theater der kleinlichsten Censur, und gegen ein so verwegenes Stück mochten wohl auch
politische Bedenken auftreten. Man lehnte es ab, und damit war es überhaupt von
Deutschlands Bühnen verbannt, denn Wien freute sich einzig noch etwelcher Unabhängigkeit
von französischem Machtgebot.
Um diese Zeit, als der
unausweichlich gewordene Krieg zwischen Frankreich und Österreich auszubrechen begann,
schrieb Kleist zornerfüllte Zeit- und Streitgedichte: Kriegslied der Deutschen, An
Kaiser Franz, An Erzherzog Karl, Germania an ihre Kinder. Letzteres wurde, teils auf
Pfuels Veranlassung, als fliegendes Blatt gedruckt und scheint starke Verbreitung gefunden
zu haben. Der Dichter trug sich auch mit <LXII:> dem Gedanken, eine größere
Sammlung seiner patriotischen Lieder herauszugeben und schrieb an Collin, dem er
einige davon zu schneller Veröffentlichung zusandte: Ich wollte, ich hätte eine
Stimme von Erz, und könnte sie, vom Harz herab, den Deutschen absingen.\1\
Sobald der Krieg proklamiert
war, stob der Dresdener Freundeskreis aus einander. Adam Müller, der herzoglich
weimarscher Hofrat geworden, ging nach Berlin, um dort womöglich in Staatsdienst zu
treten; Gentz reiste nach Wien; Rühle und Pfuel zogen auf den Kriegsschauplatz. Kleist,
der im Oktober 1808 den Besuch Ulrikens empfangen, und im November in der Scheidungssache
der Frau von Haza, einer liebenswürdigen und vortrefflichen Dame, auf das Gut
ihres Gemahls nach Lewitz (Posen) gereist war, wollte nunmehr der österreichischen
Gesandtschaft nach Wien folgen. Indessen wünschte er, vorher Ulrike noch einmal zu sehen,
auch von einer kleinen Erbschaft, die er gemacht Tante Massow war eben
gestorben einiges Geld im voraus zu empfangen, und so kam es unweit von
Dresden zu einer Zusammenkunft der Geschwister. Als er dann zurückkehrte, war Baron Buol
schon fort, und Kleist mußte sich nach einer andern Genossenschaft umsehen. Durch einen
Zufall fand er sich mit Friedrich Dahlmann zusammen, der damals, als
vierundzwanzigjähriger Jüngling, einsam und zwecklos in der Pirnaer Vorstadt hauste, wo
auch Kleist wohnte. Noch am ersten Tage ihrer Bekanntschaft beschlossen sie, mit einander
zu Fuß nach Österreich zu wandern; denn da einmal der sächsische Hof sich der
schlechten Sache anschließe, so sei es besser, die Zukunft in Österreich abzuwarten.
Kleist besorgte einen Paß, der auf die Freunde gemeinsam lautete und sie wie ein Paar
Eheleute an einander band. Auf dieser mehrtägigen Wanderung über Teplitz
durchdrangen sie einander und sahen sich schnell durch die herzlichste Sympathie
vereinigt, die so weit ging, daß Kleist seine alte Scheu ganz fallen ließ und Dahlmann
seine Dichtungen z. B. die Hermannsschlacht mitteilte. In Prag wurde er durch
den Baron Buol in die einflußreichsten Kreise eingeführt, namentlich ins Haus des
Stadthauptmannes Grafen Kolowrat.\2\
Kleist verweilte in dieser Stadt, bis die Sieger von Regensburg mit überraschender
Schnelligkeit vordrangen. Dann beschloß er, mit Dahlmann nach Wien zu reisen. In Znaym
kamen die Freunde mit dem preußischen Obristen v. Knesebeck, der hernach zu den
höchsten militärischen Würden stieg, und, wie es scheint, auch mit Pfuel zusammen.
Knesebeck war damals mit geheimen Unterhandlungen seines Hofes betraut, die durch den
Erzherzog Karl von Österreich gingen, aber von Anfang her keinen Erfolg versprachen. Die
Nichtösterreicher fanden sich hier leicht zusammen und frühstückten ziemlich zahlreich
mit einander. Kleist <LXIII:> wollte auf eigene Faust der vaterländischen Sache
dienen, indem er während der ganzen Expedition an seine Freunde Berichte, Proklamationen
u. s. w. übermittelte.\1\ Nebenbei
trieb er eifrig das damals neue und beliebte Kriegsspiel und ärgerte damit Knesebeck, der
nichts davon hielt. Dieser wäre auch beinahe aus Versehen von einem Offizier, welcher mit
geladenen Pistolen spielte, die Kleist überflüssigerweise geladen hatte, erschossen
worden. In Stockerau wurden Kleist und Dahlmann am 21. Mai durch den
Kanonendonner von Aspern aus ihrem Spiele aufgeschreckt. Am 25. gingen sie auf das
Schlachtfeld: um Alles zu betrachten und uns von dem Gang der Ereignisse zu
unterrichten. Hier liefen sie Gefahr, von den Österreichern als französische
Spione behandelt zu werden. Kleist glaubte sich zu legitimieren, indem er seine Gedichte
hervorzog und namentlich das an Kaiser Franz einigen Offizieren reichte, machte aber die
Sache nur schlimmer, denn als diese hinter seinen Namen kamen, warfen sie ihm geradezu die
Übergabe von Magdeburg durch seine Verwandten vor. Erst in Neustädl, im
Hauptquartier des Marschalls Grafen Hiller, erlangten sie ihre Freiheit wieder, mußten
aber noch am selben Abend, todmüde wie sie waren, ihr nächtliches Unterkommen eine gute
Strecke weiter im Dorfe Kageran suchen. Daraus entstand ohne Zweifel das Gerücht,
Kleist sei während des Treffens bei Aspern mit einem österreichischen Stabsoffizier in
Streit geraten, welcher ihn für einen französischen Spion hielt.\2\ Vielleicht ist die weitere Behauptung richtiger, daß Kleist mit
vorschneller falscher Siegesbotschaft nach Prag zurückgeeilt sei. Sicher ist, daß
er hier mit Dahlmann am 31. Mai eintraf. Jetzt verfaßte er mehrere politische
Aufsätze, die er beim Grafen Kolowrat vorlas; sie machten Eindruck, und man ergiff
die Idee, ein patriotisches Wochenblatt unter dem Titel Germania
zustande zu bringen. Kleist, der in ihm seine nationalen Ideen zu verbreiten hoffte und
hier immer und immer wieder auf die Notwendigkeit eines Kampfes bis aufs Messer gegen die
Franzosen hinweisen und das Volk zum heiligsten Zorn gegen die Fremdherrschaft entflammen
wollte, sollte gemeinschaftlich mit Dahlmann die Redaktion übernehmen. Diese politische
Wochenschrift nahm schon seine ganze Zeit in Anspruch. Bereits suchte er bedeutende
Mitarbeiter zu gewinnen, z. B. Friedrich von Schlegel, der eben kaiserlicher
Hofsekretär im Hauptquartier des Erzherzogs Karl geworden war und als solcher durch
energische Aufrufe auf die Erhebung des Volkes zu wirken suchte. In Kleists
Germania sollte sich niemand nennen, weder Herausgeber noch Mitarbeiter,
außer in Fällen, wo es ausdrücklich verlangt würde. Überhaupt wollte Kleist besonders
den norddeutschen Schriftstellern Gelegenheit geben, das, was sie dem Volke zu sagen
hatten, gefahrlos in <LXIV:> seine Blätter rücken zu lassen.\1\ Er selbst schrieb rastlos für das Blatt, als ob es schon da
wäre. Zum voraus entwarf er die Einleitung, die den treuesten Sohn der
Mark in seinem von kleinlichen Rücksichten und engherzigen Partikularismus freien,
wahrhaft großdeutschen Gesinnung zeigt.
\1\ Jonas S. 121. Varnhagen urteilt in der
Gallerie von Bildnissen II 145 ähnlich: Das prahlerische
Auftreten, welches besonders auch den Namen Goethes als eines Verbündeten mit ungeheuren
Geschützsalven den Leuten in die Ohren donnerte, konnte sich in den ungünstigen
Zeitumständen nicht halten, obwohl man gestehen mußte, daß Müller eine seltene
Virtuosität geistiger Beweglichkeit, eindringlichen Wirkens und besonders guten Tones der
vornehmen Welt in seinen mündlichen wie schriftlichen Arbeiten vereinigte.
\2\ Vgl. Briefe X.
\3\ Bülow S. 54.
\1\ Collin, der Dichter des Regulus, Coriolan
&c., seit 1809 Hofrat bei der geh. Kredit-Kommission, in jener Epoche der
gefährlichen Krisen die rechte Hand des österreichischen Finanzministers ODonnel.
\1\ Otto Brahm, Heinrich von Kleist. Berlin
1884. S. 308.
\2\ Franz Anton Graf
v. Kolowrat-Liebsteinski, k. k. Gubernialrat und Stadthauptmann
(Polizeidirektor) in Prag, später Staats- und Konferenzminister in Wien.
\1\ Vgl. Briefe XIV, XV.
\2\ Vgl. Bülow S. 57.
\1\ Vgl. Briefe XV.
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