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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LV-LIX

„Phöbus“

Nicht lange <LVI:> darauf veröffentlichte er zwei boshafte Epigramme, die offenbar auf Julie gemünzt sind.\1\ Das im Liebesglück (Frühling 1808) entstandene Käthchen von Heilbronn, dessen Heldin der Geliebten ein Beispiel geben sollte, wie man lieben müsse, arbeitete er noch einmal um, wobei die Annahme, daß Tante Dora seine Verbindung mit Julie hintertrieben, ihn bestimmt haben soll, die Person und den Charakter seiner Kunigunde nachträglich in übertriebenem Maße ins Schwarze und Häßliche auszumalen. Julie vermählte sich noch im selben Jahre mit Alexander von Einsiedel auf Schloß Gnandstein.\2\
Auch die vornehme Welt Dresdens fing nun an, unseren Dichter zu feiern. „Amphitryon“ und der „Zerbrochene Krug“ wurden in öffentlichen Gesellschaften mit großem Beifall vorgelesen, ebenso einmal das „Käthchen von Heilbronn“ durch Müller; der „Zerbrochne Krug“ sollte auf Buols Veranstaltung auf einem vornehmen Liebhabertheater aufgeführt werden, und der Dichter wurde am 10. Oktober bei Buol an der Tafel „von den zwei niedlichsten kleinen Händen, die in Dresden sind“, mit dem Lorbeer gekrönt. Bei einem Besuch, den er mit Buol bei Friedrich Gentz, der namentlich den „Amphitryon“ bewunderte, in Teplitz abstattete, machte er eine Menge großer Bekanntschaften, ja man eröffnete ihm die Aussicht auf eine Direktionsstelle am Wiener <LVII:> Burgtheater, das eben damals eine Gesellschaft von Kavalieren mit dem Fürsten von Esterhazy an der Spitze in Pacht genommen hatte. Zwar zerschlug sich dies, doch andere Projekte gediehen um so hoffnungsvoller. Erst sollte auf Körners Rat das Privilegium zu einer Buch-, Karten- und Kunsthandlung von Adam Müller, Pfuel, Rühle und Kleist gekauft werden, dann, als dies Geschäft den Freunden entging, bot ihnen im Oktober Herr von Carlowitz, einer der reichsten Kavaliere Sachsens, ein unentgeltliches Privileg in seiner Immediatstadt Liebstadt an, womit sie das Recht erhielten, in Dresden selbst ein Warenlager zu halten. Kleist macht der Schwester auch Andeutungen über seine nähere Bekanntschaft mit dem französischen Gesandten Graf Bourgoing, der sich schon während seiner Gefangenschaft für ihn interessiert hatte, und über eine französische Protektion der neuen Buchhandlung, doch hat Ulrike die darüber handelnden Zeilen des Briefes mit großer Sorgfalt ausgestrichen.\1\ Dann ist wieder die Rede von der Gründung einer Phönix-Buchhandlung, in der Absicht, vor allem die eigenen Produktionen zu drucken und zu verlegen. Das erste, was geschaffen wurde, war eine Monatsschrift: „Phöbus, Ein Journal für die Kunst“, von dem sich Kleist Wunderdinge versprach. Adam Müller, der einige junge Talente, Schubert, Wetzel, den Maler Ferdinand Hartmann, an sich gezogen, übernahm nun gemeinsam mit Kleist die Redaktion des „Phöbus“, den natürlich auch Ulrike wieder mit ihrem Vermögen unterstützen mußte. Müller redigierte die Philosophie und Kritik, Kleist die Poesie, Hartmann die bildende Kunst; Johannes von Müller, Wieland, der russische Gesandte Graf Karikow in Dresden und Schlegel, H. v. Collin sagten Beiträge zu, auch Goethe versprach seine Mitarbeiterschaft.\2\ Bald konnte Kleist den Plan der neuen Zeitschrift an Cotta schicken und um dessen buchhändlerische Verwendung bitten; gegenüber Gentz, der sich ebenfalls dafür interessierte, verbat man sich den Vergleich mit dem Athenäum und Schillers eingeschlafenen „Horen“\3\, und noch vor Ablauf des Jahres sandte Kleist an seinen Gönner, den Minister von Altenstein, den Prospekt.\4\ Die von Kleist und Müller gemeinsam unterzeichnete Ankündigung, die das „Morgenblatt“ abdruckte, lautet sehr zuversichtlich: „Wir stellen den Gott, dessen Bild und Name <LVIII:> unsere Ausstellungen beschirmt, nicht dar, wie er in Ruhe, im Kreise der Musen auf dem Parnaß erscheint, sondern vielmehr wie er in sicherer Klarheit die Sonnenpferde lenkt. Die Kunst in dem Bestreben recht vieler gleichgesinnter, wenn auch noch so verschieden gestalteter Deutschen darzustellen, ist dem Charakter unserer Nation angemessener, als wenn wir die Künstler und Kunst-Kritiker unserer Zeit in einförmiger Symmetrie und im ruhigen Besitz um irgend einen Gipfel noch so herrlicher Schönheit versammeln möchten. – Unter dem Schutze des daherfahrenden Gottes eröffnen wir einen Wettlauf; jeder treibt es, so weit er kann und bleibt unüberwunden, da niemand das Ziel vollkommen erreichen, aber dafür jeder neue Gemüther für den erhabenen Streit entzünden kann ohne Ende fort. – Wir selbst wissen unsere Arbeiten an keinen ehrenvolleren Platz zu stellen, als neben andere eben so eigenthümliche und strenge; Ansichten und Werke können sehr wohl miteinander streiten, ohne sich gegenseitig aufzuheben. Aber wie wir selbst bewaffnet sind, werden wir keinen anderen Unbewaffneten oder auch nur Leichtbewaffneten auf dem Kampfplatze, den wir hierdurch eröffnen, neben uns leiden. Große Autoren von längst begründetem Ruhm werden mit uns seyn; andere, wie das Eisen den Mann an sich zieht, werden ihnen nachfolgen, wenn sie den Geist dieser Unternehmung in seiner Dauer sehen werden. – Die bildende Kunst wird ohne Rücksicht auf den spielenden und flachen Zeitgeist, mit Strenge und Ernst, in die ganze wohlgeschlossene Verbindung eingreifen.“ Das Exemplar sollte jährlich zehn Reichsthaler kosten, und Cotta in Tübingen, Perthes in Hamburg, das Industrie-Comptoir in Weimar und die Realschulbuchhandlung in Berlin nahmen Bestellungen an. Etwas verspätet erschien im Januar 1808 das gut ausgestattete erste Heft unter scheinbar günstigen Aussichten und in glänzender Ausstattung.
Kleist beeilte sich, das erste „Stück“ des „Phöbus“, welches die in Frankreich und Dresden verfaßte Penthesilea als „organisches Fragment“ mit verbindenden prosaischen Erläuterungen enthielt, an Goethe zu schicken, der damals die Weimarer Bühne leitete. Goethe aber, dem diese ganze Dichtung einen peinlichen Eindruck machte, ging in seiner Erwiderung über ihren poetischen Gehalt hinweg und beklagte sich desto nachdrücklicher über die kunstwidrige Form. „Erlauben Sie mir zu sagen,“ schrieb er an Kleist, „daß es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Männer von Geist und Talent sehe, die auf ein Theater warten, welches da kommen soll. Ein Jude, der auf den Messias, ein Christ, der aufs neue Jerusalem, und ein Portugiese, der auf den Don Sebastian wartet, machen mir kein größeres Mißbehagen. Vor jedem Brettergerüste möchte ich dem wahrhaft theatralischen Genie sagen: hic Rhodus, hic salta!“ Bald darauf, am 2. März 1808, ging Der zerbrochne Krug in Weimar in Scene, aber nur um schmählich zu verunglücken. Ohne Zweifel hatte Goethe den Mißerfolg mitverschuldet, <LIX:> denn da Kleist sein Stück für einen Akt – und es vertrug nur einen – zu lang gemacht hatte, war Goethe auf den unglücklichen Ausweg geraten, es in drei Aufzüge abzuteilen, was, bei schon kühler Stimmung des Publikums, das Stück rettungslos vernichten mußte. Kleist, bereits durch jene Ablehnung der „Penthesilea“ gereizt, geriet hierüber in die größte Erbitterung; er glaubte sich in böser Absicht mißhandelt, warf die ganze Schuld des Mißlingens auf Goethe und wollte ihm sogar eine Herausforderung zuschicken. Dann aber griff er zu einer Waffe, die seiner unwürdig war, indem er im „Phöbus“ Goethe mit giftigen Epigrammen bekämpfte.
An der Ungunst der ehernen Zeit, die aller schöngeistigen Zerstreuung abgeneigt war, scheiterten bald Kleists sämtliche Hoffnungen. „Penthesilea“ mißfiel fast überall. „Amphitryon“ ging unbemerkt vorüber. Das „Käthchen von Heilbronn“, das er schon im August 1808 an die Dresdener Hofbühne verkauft hatte, sollte erst zwei Jahre später in Wien auf die Bühne gelangen. Die Berliner Kritik fiel auf das unbarmherzigste über die Phöbus-Hefte her. Goethes Beistand war verscherzt.\1\ Wieland und Johannes von Müller ließen die Herausgeber im Stiche. Das Publikum vermochte sich weder für Kleists „organische“, aber in Wahrheit als Bruchstücke doch nur unbefriedigende und zum Teil den Prüden – auch Gentz – anstößige Fragmente, noch für Adam Müllers lange und langweilige ästhetische Exkurse\2\ und Wetzels und des Grafen O. H. von Loeben Gedichte zu begeistern, und Schubert, Fouqué und Novalis’ Nachlaß erschienen allzu selten. Übrigens waren die Herausgeber selbst von Anfang an nur allzu geschäftig, in ihren Kreisen die Überzeugung auszubreiten, in solcher Zeit müsse Wissen, Kunst und alles zurückstehen gegen die Politik, d. h. die Befreiung der Nation. Fräulein von Knebel schrieb an ihren Bruder: „Hier sendet Dir die Prinzeß wieder einen Phöbus. Es ist eine freche Gotteslästerung, daß man eine Pfütze so nennt, die wohl auch von der Sonne beschienen wird. Für solch eine unverschämte Bettelei sollte man doch gewiß seine Louisdor nicht aufheben“.\3\

\1\ Im Juni-Hefte des „Phöbus“ 1808: Epigramme B, 6 und 7.
\2\ Vgl. Bülow 52, der den Namen des „reichen und liebenswürdigen jungen Mädchens“ nicht nennt. Wir erfahren ihn erst aus Jonas’ Christian Gottfried Körner, Biographische Nachrichten über ihn und sein Haus, Berlin 1882, S. 132ff., eine verdienstvolle Quellenschrift, die endlich eine Darlegung dieser Liebesepisode in Kleists Leben ermöglicht und für das Urteil der Zeitgenossen über unseren Dichter nicht unwichtig ist. – Julie Kunze vermählte sich noch im Herbst 1808, und das Paar siedelte am 16. März 1809 nach Schloß Gnandstein über. Kurz vor ihrer Hochzeit, am 20. Okt. hat sie sich in Theodor Körners Stammbuch (jetzt in unserem Besitze) mit folgenden wehmütigen Versen eingetragen:
„Wecke den Amor nicht auf! noch schläft der liebliche Knabe;
Geh’, vollbring’ dein Geschäft, wie es der Tag dir gebeut!
So der Zeit bedient sich klug die sorgliche Mutter,
Wenn ihr Knäbchen noch schläft, denn es erwacht nur zu bald.“
Auf ein folgendes Blatt schrieb Alexander von Einsiedel: „Man muß sich vom Gewöhnlichen zu dem Idealen erhoben haben, ehe man zur goldenen Mittelstraße zurückkehren und sich überzeugen kann, daß nur in der Mitte von beyden Extremen das Glück wohnt, deßen wir fähig sind.“ Wir entnehmen einem ungedruckten Briefe von Frau Körner (13. Juli 1836) noch folgende Nachricht: „Ich hatte in diesem Frühjahr die Freude, meine Pflegetochter, die ich in 17 Jahren nicht gesehen habe, vier Tage zu sehen. Sie war mir von einem sterbenden Freunde vertraut. Gut, liebenswürdig, talentvoll, reich, von vielen würdigen Männern gesucht, nächst Emma die Zierde unsres Hauses – hat sie sich ein Schicksal geschaffen, das bedauernswert ist. Ganz gegen unsern Willen schloß sie ihre Verbindung – dies hatte sie in allem von uns getrennt.“ Die Gatten liebten und achteten sich, aber die Ehe war unglücklich wegen v. Einsiedels Epilepsie, an welcher derselbe schon von klein auf litt, und welche für Julie die Quelle großer Sorgen wurde, zumal die Anfälle sich immer mehr steigerten und geistige Störungen eintraten, die bis zur Gehirnerweichung ausarteten, woran er denn auch starb. In den Briefen der Familie Körner 1804-15, (Deutsche Rundschau 1878, Heft 9 und 10) ist übrigens das Verhältnis zu Kleist nirgends angedeutet, aber von ihm und dem zukünftigen Gemahl mehrfach die Rede (S. 473, 467f., 470, II, 113, 119). Wir geben hier eine Reproduktion von Juliens Jugendporträt, aus dem Besitze des Körner-Museums zu Dresden, von Emma Körner gemalt. Ein späteres Ölbild befindet sich noch heute auf Gnandstein.
\1\ Man ist versucht, hier an Hermanns diplomatische Kniffe gegenüber Varus zu denken, die Kleist später dramatisch verherrlichte. Welch ein kindlicher Glaube verbarg sich hinter jener zweideutigen Absicht, indem der wunderliche Kleist sicherlich wähnte, französisches Geld würde sich zur Unterstützung franzosenfeindlicher Zwecke gern eingefunden haben! Jedenfalls schmiegt sich die in ihrer leidigen Zerstörung doppelt verfängliche Briefstelle weit eher seinen mit einander hadernden Widersprüchen erklärend an, als daß sie sich widerwärtig zu einem Rätsel zuspitzte, dessen Lösung den sittlichen Menschen in Kleist beflecken müßte, der so mutig gegen die gemeine Lebensnot ankämpfte.
\2\ Am 11. Jan. 1808 schreibt Rühle an Bertuch: „Goethe hat Müller geantwortet und versprochen, so bald es Zeit und Gesundheit erlauben, Beiträge zum Phöbus zu liefern; Sie können uns sehr verbinden, wenn Sie ihm von Seiten Müllers, Kleists und meiner darüber etwas Schmeichelhaftes sagen wollen.“ Aus Bertuchs Nachlaß im Goethe-Jahrbuch II 411.
\3\ Briefwechsel Gentz-Müller, S. 126, 123, 127.
\4\ Vgl. Anhang Brief VIII.
\1\ Knebel schreibt am 3. Mai 1808 an Goethe: „Das neueste Stück vom Phöbus, das ich eben erhalten, ist ein Wunder an Abgeschmacktheit, Geschmacklosigkeit und Pretension.“ (Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel, I 325.) Und Goethe antwortet ihm (am 3. oder 4. Mai): „Mit den Dresdnern habe ich gleich gebrochen. Denn ob ich gleich Adam Müller sehr schätze und von Kleist kein gemeines Talent ist, so merkte ich doch nur allzugeschwind, daß ihr Phöbus in eine Art von Phébus übergehen würde; und es ist ein probates Sprichwort, das man nur nicht oft genug vor Augen hat: der erste Undank ist besser als der letzte.“ (Grenzboten, III 1879, S. 346.) Der leichtfertige Riemer veröffentlicht diese Notiz unter „Goethes Tischreden“ und mit dem falschen Datum: 1. Mai 1805. Vgl. Mitteilungen II 696.
\2\ Als Eichstädt die Rezension von Goethes Werken Müller übertragen wollte, meinte Goethe (1. Febr. 1808): derselbe werde den ganzen Vorrat seiner Thätigkeit brauchen, die Sonnenpferde zu füttern.
\3\ Aus Karl Ludwig von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette. Hrsg. von H. Düntzer. Jena 1858. S. 328.

Emendation:
Karikow] recte: Kanikow bzw. Chanikoff

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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