Sigismund
Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach
neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 366-371
Kleists Liebesleben
Der kurze Aufsatz, welcher von Lord Byrons Behauptung ausgehend: um ein
Dichter zu werden, muß man entweder unglücklich oder verliebt sein die Tragik im
Leben Kleists nachzuweisen versucht, stammt offenbar von einer Frau, die mit dem
Lebensgeschick Kleists auf das genaueste vertraut, ihm im Leben freundschaftlich nahe
gestanden und hier ihre Reminiszenzen getreulich wiedergibt. Wer diese Freundin Kleists
und Verfasserin des Aufsatzes gewesen ist, das läßt sich kaum vermuten; es fehlen uns
zur Beantwortung dieser Frage alle Anhaltspunkte. Ob wir ihren Angaben Glauben schenken
dürfen? Ihre treuherzig-eindringliche Darstellung, der warme gemütvolle Ton, mit dem sie
für den unglücklichen Freund und Dichter eintritt, nimmt unmittelbar für sie ein und
trägt den Stempel der Wahrheit an sich. Auch Andreas Streichers Buch ist ja unter
ähnlichen Bedingungen ein Quellenwerk zu Schillers Leben geworden. Und wenn wir auch in
unserem Falle die Autorin nicht kennen und nicht zu beur- <367:> teilen wissen, wie
weit ihre Persönlichkeit eine gewisse Gewähr leistet, so spricht doch für ihre
Wahrheitsliebe der Umstand, daß ein Teil ihrer Angaben kontrolierbar ist und vor der
Kritik bestehen kann. Wenige Beispiele werden genügend zeigen, wie weit wir dieser Quelle
Treu und Glauben entgegenbringen können.
Ihre Schilderung von Kleists Persönlichkeit stimmt im wesentlichen mit
dem Bilde überein, welches wir uns nach Wielands eingehenderer Darstellung davon machen.
In dem Aufsatze heißt es:
Kleists Persönlichkeit, obgleich in etwas Düsteres und
Beängstigendes lag, soll doch, besonders für Frauen, höchst anziehend gewesen sein.
Für gewöhnlich sprach er wenig und in gedrängter Kürze, doch regte ihn ein Gegenstand
dergestalt an, daß er das Bedürfnis fühlte, sich darüber auszusprechen, so riß seine
Rede alle Zuhörer mit sich fort oft geschah es aber, daß er mitten im
Redestrom plötzlich abbrach, vor sich hinstarrte, als erblicke er irgend etwas vor sich,
und dann in dumpfes Hinbrüten versank, wo dann nichts mehr aus ihm heraus zu bringen
war.
Die folgende Notiz schildert einen neuen, bisher unbekannten Vorgang im
Leben Kleists, der so durchaus charakteristisch für Kleist ist, daß wir ihn ohne
weiteres als echt und wahrheitsgetreu anerkennen müssen. Es heißt gegen den Schluß des
Aufsatzes:
Die Unterdrücker seines Vaterlandes haßte er
glühend aber die Mehrzahl seiner damaligen Landsleute verachtete er und hielt
damit nicht hinter dem Berge. Daß, wo von seinem Vaterlande die Rede war, er nichts
anderes als das gesammte Deutschland im Sinne hatte, bewies die Antwort, die er dem
damaligen, allmächtigen Minister gab, in dessen Händen seine Zukunft lag.
Sind Sie ein Schlesier? fragte dieser. Ich bin ein Deutscher
entgegnete Kleist mit scharfer Betonung.
Die angeführten Stellen aus dem Aufsatze werden beweisen, daß seine
Ausführungen im großen und ganzen Glauben <368:> verdienen. Wir werden danach auch
die besonders liebevolle und eingehende Schilderung von Kleists Dresdener Liebesepisode
als authentisch anerkennen müssen. Die Verfasserin äußert sich darüber mit den
folgenden Worten:
Auch nicht ein einziger Lichtblick des Glücks ist ihm im Leben
geworden, und eben jene Dichtung, welche noch nach Jahrhunderten die Welt entzücken und
rühren wird sein Käthchen ist die Frucht des tiefsten
Seelenschmerzes, der bittersten Täuschung und recht eigentlich mit seinem besten Herzblut
geschrieben. Kleist war kein Jüngling mehr, als er seine erste tiefe Neigung zu einem
Mädchen faßte, welches diese Neigung erwiderte, das heißt nach ihrer Art, oder vielmehr
nach Art aller guten, wohlerzogenen Mädchen, die sich einen Mann wünschen, und welche es
dankbar erkennen, wenn einer kommt, der es ehrlich mit ihnen meint; daß dieses bei Kleist
der Fall sei, sah seine Geliebte sogleich, und sie wünschte gewiß nichts sehnlicher, als
daß recht bald der Tag erscheinen möchte, wo Kleist sie zum Altar führen könne; aber
leider hatte Kleist noch keine sichere Anstellung, und an eine ordentliche Versorgung muß
doch ein vernünftiges Mädchen denken, wo von Heirath die Rede ist. Wie Kleist einem so
erzprosaischen Geschöpfe gegenüber so lange sich selbst täuschen konnte, indem er
glaubte, in ihm das Ideal gefunden zu haben, nach dem sein Herz so lange und vergeblich
sich gesehnt das läßt sich allerdings nur dadurch erklären, daß Kleist
eigentlich die Welt nie sah, wie sie wirklich war. Genug, er liebte, und zwar mit der
ganzen ungemessenen Kraft und Leidenschaft, deren er fähig war, und daß seine Geliebte
durch diese gewaltige Liebe eines Menschen, wie Kleist, nicht erschreckt und beängstigt
wurde, beweist am besten, wie wenig sie ihn verstand und eigentlich liebte. Kleist aber
sollte das bald erfahren er mußte nach Berlin, wo er für seine Dichtungen
wirken wollte, daß sie auf der königlichen Bühne aufgeführt wurden; auch hatten einige
Berliner Freunde ihm Hoffnung gemacht, daß ihm eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten
angemessene <369:> Anstellung im Staatsdienste nicht entgehen dürfte, wenn er
deshalb nur die rechten Wege einschlüge. Kleist war entschlossen, die Reise anzutreten,
stellte aber vorher an seine Geliebte eine Forderung, deren Erfüllung ihm als der
höchste Beweis ihres Vertrauens und ihrer Liebe gelten sollte. Aber seine Geliebte bebte
vor dieser Forderung zurück. Kleist bat, beschwor, weinte, drohte
ein entschiedenes Nein war die Antwort seiner Geliebten, und außer sich, rief Kleist
endlich: Du hast es ausgesprochen! wir sind geschieden. Vielleicht
ja höchst wahrscheinlich, werden die meisten meiner schönen Leserinnen den armen Kleist
unbarmherzig verdammen, daß er von seiner Geliebten verlangte, wovor diese zurückbeben
mußte, denn sie werden glauben, es sei etwas gewesen, was kein sittliches Mädchen einem
Manne gewähren darf, bevor nicht der Segen der Kirche ihren Bund geheiligt. Aber das zu
fordern lag nicht in Kleists Natur, der bei aller freien Ansicht nicht im Stande gewesen
wäre, selbst den Zauber zu zerstören, der für ihn in den Gedanken lag: ein unentweihtes
Mädchen als Weib heimzuführen. Kleist hatte von seiner Geliebten verlangt, daß ihre
Correspondenz vor jedem Dritten, also auch vor den Eltern seiner Geliebten, geheim
betrieben werden sollte. Was er seiner Geliebten schrieb, sollte nur für sie allein
geschrieben sein, was sie ihm schrieb, sollte nicht erst die Censur der Mama passieren. Geistige,
unbedingte Hingebung ihres ganzen Wesens verlangte er von ihr, und darauf wollte das
wohlerzogene Mädchen nicht eingehen. Der Bruch zwischen Beiden war also erklärt, und
wahrscheinlich reichte das Mädchen später einem Manne ihre Hand, der nicht so
excentrische Forderungen an sie gestellt hat, als der melancholische Poet.
Doch dieser vermochte sich so leicht nicht zufrieden zu geben: Schmerz, Zorn und Scham,
daß er sich selber so lange Zeit über den Gegenstand seiner Liebe getäuscht, nahmen ihn
arg mit. Um ihre Weigerung zu rechtfertigen, hatte seine Geliebte ihm viel von Tugend,
Sitte und kindlicher Pflicht, von Schicklichkeit und Rücksichten, welche ein junges
<370:> Mädchen in der Welt zu nehmen habe, vordeklamirt. Kleist, aufs
äußerste erbitterte, beschloß ihr das Bild eines Mädchens entgegen zu stellen, das
Alles dem Manne ihrer Liebe opferte und dabei doch engelrein bleibt; in fast fieberhafter
Aufregung ging er ans Werk, und in wenigen Wochen lag das Käthchen von
Heilbronn vollendet da. Wie traurig es dem armen Kleist auch mit diesem
Stücke erging, wie das deutsche Publikum es erste nach des Dichters Tode durch
Fr. v. Holbeins Bearbeitung für die Bühne kennen lernte, darüber hat Bülow
sich in seinem Lebensabriß Kleists zur Genüge ausgesprochen; nicht unerwähnt darf aber
hier bleiben, wie herzlos das gebildete Berlin sich gegen den genialen unglücklichen
Dichter bewies, wie die kleinlichsten Kabalen angewendet wurden, um selbst den Versuch,
seine Dramen auf die Bühne zu bringen, zu hintertreiben, wie seine Zerstreutheit, seine
Art zu reden und sich zu tragen, ausgebeutet wurden, ihn lächerlich zu machen, ihn als
einen halb Wahnsinnigen darzustellen, oder gar wie man sich mühte, die schändlichsten
Lügen über ihn und eine unglückliche Frau, die endlich noch Teil an seinem Leiden nahm,
zu verbreiten.
Das geschilderte Liebesverhältnis mag im Herbst 1807 seinen Anfang
genommen haben. Am 10. Oktober schmückten den Dichter nach eigenem Bericht die zwei
niedlichsten kleinen Hände mit dem Lorbeer. In das Frühjahr des folgenden Jahres wird
das Zerwürfnis fallen, denn im Juniheft des Phöbus stehen die beiden boshaften offenbar
auf Juliane gemünzten Epigramme.
Über die Persönlichkeit von Kleists Braut habe ich nur spärliche
Nachrichten zusammentragen können. Sie stand, als sie Kleist kennen lernte, etwa im
zweiundzwanzigsten Lebensjahre (Todestag: 30. Juli 1849 im Alter von 62 Jahren und
9 Monaten 28 Tagen); sie wird geschildert als nicht besonders schön, aber
anziehend durch sehr liebenswürdiges Wesen und sehr munteren Geist. In der Familie wird
ein Ölbild von ihr aufbewahrt, das von dem Maler Tischbein stammt, sowie ein Tagebuch, in
welchem <371:> sie teils Gedichte gesammelt, teils selbstverfaßte eingetragen hat;
ihre umfangreiche Korrespondenz hat sie vor ihrem Tode vernichtet. Ihre Ehe mit Alexander
von Einsiedel, mit dem sie sich im Herbst 1808 vermählte, war ein Martyrium. Ihr Mann war
Epileptiker, der die letzten Jahre in völliger geistiger Umnachtung verbrachte. Kleist mag auch an diesem Mädchen hauptsächlich
die schöne musikalische Veranlagung und Betätigung gefesselt haben. Das Mündel Körners
zeigte Talent und Eifer zum Singen, erhielt einen guten Unterricht und entzückte bald das
Haus mit ihrem schönen Gesang. Im Anfang 1807 schreibt Frau Körner an Frau von Schiller
über Juliane: Ihr Gesang ist wirklich etwas Vorzügliches; sie ist überhaupt ein
liebes Mädchen, das ich wie mein eigenes Kind liebe: Sie ist uns auch in kindlicher
Zärtlichkeit zugetan; sie gehört so zum Ganzen!
Emendation
Umnachtung] Umnachtuug D
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