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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 185-190

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Nach der Darstellung Steigs waren die Abendblätter das Organ einer geselligen Vereinigung, die sich „die christlich-deutsche Tischgesellschaft“ nannte, und vertraten namentlich in politischen und wirtschaftlichen Fragen ihre Meinung. Ich glaube das nicht, ebensowenig wie ich glaube, daß Kleist als Herausgeber mit alledem einverstanden sein konnte, was besonders Adam Müller in den Abendblättern äußerte. Es muß also Adam Müller, wenn wir diesen scheinbaren Widerspruch erklären wollen, eine ganz besondere Stellung neben dem Herausgeber eingenommen haben. Wollen wir uns diese eigentümlichen Verhältnisse erklären, so müssen wir zunächst erst eine Vorstellung zu gewinnen suchen von der politischen Gesinnung und Stellungnahme Kleists.
Kleist hatte kaum den Knabenjahren entwachsen mit dem Stande, welchem er von Geburt angehörte, gebrochen, er hatte mit dem Abschied vom Militär in der Tat „dem ganzen präch- <186:> tigen Bettel von Adel und Stand und Ehre“ entsagt. Freilich hat er später den Weg zurückgefunden, er hat wenigstens vorübergehend eine Staatsstellung angenommen, er erhielt eine fortlaufende Unterstützung von der Königin. Aber doch behielt sein ganzes Wesen, wie wir es besonders aus seinen Briefen erkennen, einen demokratischen Zug. Ich brauche keine Briefstellen zu zitieren; aus gelegentlichen Äußerungen an Wilhelmine spricht das tiefste Mitgefühl mit den Armen und Unterdrückten, spricht seine unabhängige Denkungsweise gegenüber allen Vorurteilen des Adels und des Standes, spricht seine gerade Gesinnung, die sich auch vor Königsthronen nicht beugt, und die sich verächtlich äußert über alle, die sich dehnen und strecken lassen, und die fleißig mit dem Hammer der Willkür geklopft werden. Als er in reiferen Jahren Stellung nimmt zu der dringenden Not des Vaterlandes, so sieht er, ein zielbewußter Politiker, der sich offenbar gebildet hat an den Kämpfen der Schweizer und der Tiroler, wie dort, so auch in Deutschland die Rettung in der allgemeinen Erhebung, in der Beteiligung des Volkes. Darum mochte er mit einer Stimme von Erz zu der Gesamtheit der Deutschen sprechen, darum verlangt er unmittelbar nach Jena, daß der König an den Nationalsinn der Gesamtheit appelliert. In der schwierigsten Situation des Vaterlandes hat sich kaum ein anderer als so eminent politischer Kopf erwiesen wie Kleist. Was Kleist im Dezember 1805 (an Rühle) als den notwendigen Schritt des Königs erkennt, das bedeutete in der Tat Jahre später den Wendepunkt des nationalen Geschickes. Der Brief liest sich, als ob Kleist den Aufruf des Königs an sein Volk vorgeahnt. Und es gibt kein zweites Beispiel eines Dichters, der sich als Politiker und Seher bewährt hat, wie Kleist in den nationalen Zwillingsdramen: Hermannsschlacht und Prinz von Homburg. Mit erstaunlicher Wahrheit enthüllt er das innerste Wesen der Feinde und das, was sie überlegen macht, aber er erkennt nicht minder das, was allein zur Rettung führen könnte. In der Hermannsschlacht erblickt er den Triumph <187:> in der Einigkeit und dem einheitlichen Handeln der deutschen Stämme; in dem Gemälde des großen Kurfürsten weist er auf denjenigen Staat hin, in welchem der Geist des Gesetzes und der Ordnung als der starke Fels, an den sich die Hoffnung klammern müsse, aus dem Chaos ragte. Der Homburg ergänzt den politischen Grundgedanken der Hermannsschlacht. Eine jahrzehntelange Entwicklung hat dem politischen Scharfblick und der Sehergabe des Dichters recht gegeben.
Seine Feder hat Kleist völlig in den Dienst des Vaterlandes und des Freiheitsgedankens gestellt, aber nie hat er sich zu theoretisch wissenschaftlichen Aufsätzen über Politik, Volkswirtschaft usw. entschlossen. Selbst seinem Freunde Rühle hat er keinen Beitrag in die Pallas geliefert. So mag es gekommen sein, daß er die Abteilung: Politik und verwandte Gegenstände völlig Adam Müller überließ, der sich mit kleinen Aufsätzen, wie sie die Abendblätter erforderten, bereits in der Pallas bewährt hatte. Müller muß sich völlig freie Hand und eine ganz unabhängige Stellung in der Redaktion vorbehalten haben. Nur so läßt sich der Gang der Ereignisse begreifen.
Kleist wollte zum Volke sprechen, und gerade in den ersten Blättern wollte er sich nach einem Ausspruch Arnims nicht auf Belehrung oder Dichtungen einlassen, sondern mit allerlei Amüsantem die Leser ins Garn locken. Entgegen diesen Absichten des Herausgebers begann Müller sofort mit seinen belehrenden, tendenziös zugeschnittenen Aufsätzen, auf die wir bald zurückkommen werden, und leitete bereits im 12. Abendblatt die Serie der gegen Kraus gerichteten Aufsätze ein, mit denen er nicht bloß die Gegner vor den Kopf stieß, sondern auch die Freunde und Parteigenossen arg verletzte. Man lese nur (s. S. 111), wie sich Fouqué, der doch gewiß zu den Intellektuellen rechnete, über diese für die große Masse geschriebenen Aufsätze vernehmen läßt und die von Varnhagen überlieferten, von Steig nicht erwähnten heftigen Ausfälle Steins: „Hierbei kam er (Stein), schreibt Varnhagen, auf die Verdienste des <188:> in Koenigsberg verstorbenen Professor Kraus, dessen Schriften er mir gab und empfahl, und den er gegen neuere Angriffe mit Zorn verteidigte. In Berlin nämlich gab damals Heinrich von Kleist deutsche Blätter heraus, in welchen Adam Müller den Wert von Kraus sehr herabsetzte und ihn für einen bloßen Nachsprecher Adam Smith’s erklärte, dessen Grundsätze, als dem Gewerbefleiß zum Nachteil des Adels begünstigend, schon nicht mehr gelten sollten. Stein aber sagte von Kraus: „Der Mann hat mehr gewirkt und gethan, als diese Herren je verrichten werden. Die ganze Provinz hat an Licht und Anbau durch ihn zugenommen, seine Belehrung drang in alle Zweige des Lebens, in die Regierung und Gesetzgebung ein. Hat er keine neue glänzende Ideen aufgestellt, so ist er dafür auch kein ruhmsüchtiger Sophist gewesen, und die einfache Wahrheit rein und klar vorgetragen, auf ihren richtigsten Ausdruck gebracht, und Tausenden von Zuhöhrern erfolgreich mitgeteilt zu haben, ist ein größeres Verdienst als durch Geschwätz und Paradoxien Aufsehen zu erregen. Aber so verhält es sich nicht einmal; Kraus war kein Nachbeter, Kraus hatte eine unscheinbare und doch geniale Persönlichkeit, die seine Umgebungen mächtig ergriff, er hatte Blitze neuer Einsichten, großer Anwendungen und setzte uns durch sein unerwartetes Urteil oft in Erstaunen. Wenn er indeß sein A. B. C. vortrug, suchte er das B. nicht hinter das C. zu setzen und eine solche Neuerung als geistreich auszuschreien. Lesen Sie seine Schriften, klar und einfach ist da alles, und mehr brauchen Sie für jetzt nicht. Nebenher lesen Sie mir auch die Franzosen, um zu vergleichen und zu prüfen, die Leute haben auch was gethan.“
Der ultrareaktionäre Standpunkt Müllers tritt am deutlichsten zutage in den ersten Beiträgen zu den Abendblättern, die sich auf die neu zu gründende Berliner Universität beziehen. Müller hatte alle Anstrengungen gemacht, bei der neuen Universität anzukommen, er hatte sich später ebenso vergeblich bemüht einen Kanzlerposten in der heruntergekommenen Universität Frankfurt zu erhalten, um diese von Grund auf zu <189:> reformieren. Trotzdem will ich nicht behaupten, daß der erste Artikel im zweiten bis vierten Abendblatt „Freimütige Gedanken bei Gelegenheit der neuerrichteten Universität Berlin“ aus Animosität oder gekränkter Eitelkeit Opposition macht. Sicherlich enthält der Aufsatz viele beherzigenswerte zutreffende Gedanken, aber was er an Heilmitteln zu einer Besserung der Universitätszustände vorschlägt, wirkt mehr als bedenklich. In einer Zeit, in welcher alles darauf ausging, das wissenschaftliche Leben und die wissenschaftliche Forschung von allen Fesseln zu befreien, kommt Müller ernsthaft mit dem Vorschlag, das geistige Leben dem Geistlichen unterzuordnen, fordert er die staatliche Bevormundung, und stellt als Muster jeder modernen Universität die katholischen Hochschulen in Bologna, Paris und Prag hin.
Worauf Müller hinzielte, das ist in diesem Aufsatz nicht so deutlich ausgedrückt, als aus meinen Angaben hervorgeht. Alles ist nur sehr geschickt angedeutet, man weiß noch nicht recht, wo der Verfasser hinauswill, offenbar handelt es sich nur um einen vorsichtig ausgestreckten Fühler. Der Aufsatz machte nach der Darstellung Steigs, wie es leicht begreiflich ist, großes Aufsehen, und die wie selbstverständlich behandelte Subsumierung des Geistigen unter das Geistliche mußte nicht nur das freigeistige Berlin auf das ärgste verletzen, sondern konnte selbst denen nur wenig behagen, welche sich sonst das geistlich-religiöse Moment sehr wohl hätten gefallen lassen. Aber Müller blieb nicht auf halbem Wege stehen, er ging noch weiter.
Im siebenten Abendblatt steht ein anonymer, zweifellos aus der Feder Müllers stammender Artikel „über die wissenschaftlichen Deputationen“. Der verhältnismäßig kurze Aufsatz zerfällt in drei Absätze. Kurz wiedergegeben ist der Inhalt der beiden ersten Absätze der folgende: Es gebe zwei Mittel, den Staat durch die Wissenschaften zu veredeln. Ein direktes: durch wissenschaftliche Deputationen oder gelehrte Korporationen, die aus dem Reiche der Wissenschaft als Deputierte entsendet, den einzelnen Verwaltungszweigen zu Rat, Hilfe und Bericht <190:> angehängt seien. Ein indirektes: den Geist der lebendigen Wissenschaft den Staatsbeamten durch die politische Erziehung so mitzuteilen, daß das Reich der Wissenschaft den Staat durchdringe, und daß er weiter keiner Deputierten bedürfe. Soweit bringt der Aufsatz nichts Besonderes, gewisse Ausfälle gegen Systeme und Prinzipien der modernen Zeit bleiben des Verfassers gutes Recht, ebenso wenn er sich gegen die wissenschaftlichen Deputationen und damit gegen den Chef der Unterrichtssektion, Wilhelm v. Humboldt, ausspricht.


Emendation
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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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