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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 180-185

Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter


Aus München den 5. März 1829 schreibt von Hormayr an Raumer (Lebenserinnerungen II 289) über Adam Müller:
„Der Tod der zwei großen Tartüffe, Friedrich Schlegel und Adam Müller, welche mit Gentz verbunden, soviel Geistesdruck und so bittere Verfolgung in Wien organisirt haben, ließ (wie Sie aus der Beilage sehen) auch in München die Gemüter nicht unbewegt. Adam Müller hat insonderheit die Todsünde auf sich, daß 1814-15 den Tirolern durch elende Sophismen mit dem himmelschreiendsten Undank, ihre alte geheiligte, noch von Kaiser Franz 1792-97 bekräftigte Verfassung höchst unpolitisch entrissen und dadurch die Stimmung dieses Landes unwiederbringlich verscherzt worden ist.“
Das vernichtende Urteil, wie es sowohl in den scharfen Epigrammen Roberts als in dem Brief Hormayrs zum Ausdruck kommt (vgl. auch Brentanos Äußerung bei Kayka [S. 198]), fällt um so mehr ins Gewicht, weil sie beide, Robert, ebenso wie Varnhagen und Wilh. Neumann und Hormayr lange Zeit mit Adam Müller freundschaftlich verbunden waren. <181:>
Auch die Freundschaft mit Kleist hatte offenbar schon in Dresden einen Riß erhalten. Das spricht aus Kleists bei ihm doppelt befremdenden sehr erbitterten Ton in dem Brief vom 5. April 1809 an den Verleger Walther. Offenbar hatte Müller mit dem Verleger des Phöbus hinter dem Rücken Kleists ein eigenartiges und zweideutiges Spiel getrieben.
Mit der Tätigkeit Adam Müllers an den Abendblättern hat sich unter Benutzung neuen und reichen Materials Steig in den Berliner Kämpfen eingehend befaßt. Seine Auffassung über Müllers Verhältnis zu den Behörden und zu Kleist ist allgemein maßgebend geworden. Ich werde sie auf den folgenden Blättern kritisch beleuchten. Raumers Darstellung von seinem Konflikt mit Kleist in seinen Lebenserinnerungen (1. Teil) verwirft Steig, indem er ihm vorhält, daß er absichtlich die Schuld von Kleist auf Adam Müller abwälzt. Ich werde an der Hand einer Arbeit von Koepke den Nachweis erbringen, daß dieser in viel schrofferer Weise als den einzig Schuldigen an dem Niedergange der Abendblätter Müller hinstellt, und daß Raumer in seiner Darstellung entschieden Koepkes Vorlage gemildert hat. Nur nach einer Richtung ist Raumer inkonsequent. Er stellt sich nämlich selbst als den Schuldlosen hin, der in das Geschick Müllers und Kleists nicht einzugreifen Gelegenheit hatte. Und doch hatte wenigstens Müller persönlich alle Veranlassung, Raumer zu grollen und ihm die Schuld an seinem Mißerfolg beizumessen, denn wenige Seiten vorher (S. 150) erzählt Raumer:
„Mehr Arbeit verursachte ein Aufsatz über die Behandlung der preußischen Domänen und die Prüfung eines, sonderbar genug, von Scharnweber und Adam Müller gleichmütig empfohlenen Planes: alle Realschulden für unablöslich zu erklären und die Zinsen herabzusetzen. Auf dem Grund eines von mir abgegebenen Gutachtens ward jener Plan verworfen, was die Urheber sehr übel nahmen.“ <182:>
Daß übrigens Müller so rasch sich nicht beruhigte, sondern in einer geharnischten Eingabe bis an den König vorging, erzählt Raumer selbst:
Die Anklagen gegen mich wurden nicht bloß gesprächsweise und in Gesellschaften ausgesprochen, sondern in einer (höchstwahrscheinlich von Adam Müller entworfenen) Eingabe der Lebuser Ritterschaft an den König im stärksten Maße wiederholt (S. 160).
Die Eingabe an den König, welche Raumer wiedergibt, läßt unschwer die Schreibweise Müllers erkennen.
Mit der Geschichte, der Wirksamkeit und dem Ende der Abendblätter hat sich eingehend Rudolf Köpke beschäftigt. In der Einleitung zu „Heinrich von Kleists politischen Schriften“ bringt er literarästhetische Betrachtungen und Untersuchungen und eine Lebens- resp. Charakterstudie des Dichters. Wahrscheinlich wollte er ursprünglich der Einleitung einen größeren Umfang geben und speziell auch Kleists Berliner Kämpfe beleuchten, wie ich vermute, um die Rolle des Mannes klarzustellen, dem sein Buch gewidmet ist. Es findet sich nämlich in der Hinterlassenschaft Köpkes (Kgl. Bibliothek) ein umfangreiches Manuskript, in dem die Berliner Abendblätter besprochen und namentlich die Persönlichkeit und der Charakter Müllers einer scharfen Kritik unterzogen wird. Die Arbeit ist Konzept und Fragment geblieben; was Köpke von seiner ursprünglichen Absicht abgehalten hat, ist nicht ersichtlich. Ich sehe davon ab, Köpkes Auslassungen an dieser Stelle wiederzugeben, bringe sie aber in einem Nachtrag (s. S. 424ff.). Sie sind für uns in erster Reihe deswegen bemerkenswert, weil Köpke schon im Jahre 1861 sehr eingehend unterrichtet ist über gewisse Tatsachen und Vorgänge, die wir erst sehr viel später aus Steigs Arbeit nach sorgfältigen Untersuchungen kennen gelernt haben. Woher stammte das Material von Köpke? Die Möglichkeit, daß er es dem Geh. Staatsarchiv entnommen hat, ist auszuschließen. Es findet sich im Archiv ein genaues Verzeichnis des Materials, welches Köpke vor- <183:> gelegen hat; er hat nicht mehr als die Akten bezüglich der Zensur der Abendblätter eingesehen. Es kann darnach wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die genaue Einsicht in die Verhältnisse, welche Köpkes Manuskript verrät, ihm durch Unterstützung von offizieller Seite (Raumer!) ermöglicht wurde, und seine leider nur fragmentarische Arbeit ist für uns deshalb so bemerkenswert, weil sie, offenbar von offiziöser Seite inspiriert, auch deren Auffassung über die Berliner Abendblätter und besonders über Adam Müller wiedergibt.
Ich bin in der Lage, über die Streitfrage: Adam Müller, einiges neues, wenn auch nur spärliches, doch vielsagendes Material beizubringen aus den Akten des Geh. Staatsarchivs, das ich meinen folgenden Betrachtungen unterlegen werde. So klar das Bild ist, welches wir nach dem Briefwechsel zwischen Müller und Gentz über das Verhältnis Kleists zu Müller während ihrer gemeinsamen Arbeit am Phöbus bekommen, so außerordentlich schwer ist es, ein unabhängiges Urteil zu gewinnen über die Beziehungen der beiden in der letzten Berliner Lebensperiode Kleists und besonders während der Herausgabe der Abendblätter. Ein so harmonisches, uneigennütziges, von den gleichen Voraussetzungen geleitetes und auf dieselben Ziele gerichtetes Freundschaftsverhältnis, wie es uns aus dem Buche Steigs entgegenleuchtet, ist es zweifellos nicht gewesen und kann es unmöglich gewesen sein. Versuchen wir im folgenden uns einerseits unabhängig zu machen von der gegen Müller gerichteten Auffassung Raumers und Köpkes (s. Nachtrag II), aber andrerseits auch Steigs wohlwollende Darstellung kritisch zu beleuchten.
Kleist und Arnim und Müller sind sich fest und treu geblieben in den Kämpfen, die sie Schulter an Schulter durchzufechten hatten – das ist der einleitende Gedanke, den Steig seiner Abhandlung über die Politik in den Abendblättern vorausschickt, nachdem er vorher ausdrücklich auf das günstige Urteil hingewiesen, welches Kleist über Müllers Elemente <184:> der Staatskunst abgegeben hat\1\. In der Tat, wenn wir bedenken, daß diese ehrenvollen Worte im Todesjahre und nach dem Abschluß der Abendblätter geschrieben sind, daß Kleist ferner noch am Todestage Abschiedsworte an Müller richtet, so scheint dies von vornherein für Steigs Auffassung zu sprechen und diese seine Grundanschauung zu stützen. Indessen bei den Abschiedsworten Kleists an Müller war maßgebend das Verhältnis der Vogel zu dem Ehepaar Müller, genau so wie bei dem Vertrauen, welches er Peguilhen schenkte. Aus der lobenden Erwähnung der Arbeit eines Freundes auf Kleists Gesinnung oder Urteil aber einen Schluß zu ziehen ist völlig unberechtigt. Es spricht für Kleists Freundschaftskultus, daß seinen Freunden gegenüber Kleists Kritik aufhört; stets hat er für sie nur schöne, lobende, anfeuernde Worte. Ob es sich um Rühles erste Verse handelt, um Collins Lieder, um Fouqués Gedichte und Dramen, um Frau Fouqués, für uns ganz ungenießbare „vortreffliche Erzählungen, in welchen die Welt der Weiber und Männer wunderbar gepaart ist“ – stets weiß er bescheiden zurücktretend, ermunternde und anerkennende Worte zu finden. Auch wenn Kleist über Schiller begeistert schreibt, nichts läßt uns den weiten Unterschied zwischen den beiden Dramatikern ahnen. Man mag diese Eigenart Kleists auslegen wie man will, wir müssen auf sie besonders hinweisen, wenn wir davon absehen, aus seiner Äußerung über Müllers Elemente irgendwelche Schlüsse zu ziehen\2\.
Dagegen aber besitzen wir ein, auch von Steig mitgeteilte Äußerung Müllers über Kleist und sein Bettelweib aus dem Jahre 1810, welche uns stutzig machen muß. „Kleist gibt <185:> mit ungemeinem Glück Berlinische Abendblätter heraus, schreibt Müller an Rühle, hat schon viel Geld verdient, fängt aber schon wieder an, sein sehr großes Publikum zum Bizarren und Ungeheuern umbilden zu wollen, was schwerlich gelingen wird.“ Vergleichen wir diese mißbilligenden und schroffen Worte, diesen Hinweis auf frühere Vorgänge, der in dem „schon wieder“ liegt mit dem, was einst Müller über Kleist und den Phöbus an Gentz geschrieben hat – „lassen Sie die Welt immerhin etwas schaudern, und so Gott es ihr vergibt, auch etwas ekeln; es werden schon glückliche Zeiten kommen, welche ganz unbefangen das große und natürliche und menschliche begehren werden“ und „Alles recht göttliche muß wohl dreißig und mehrere Jahre in irdischer Umgebung so forttreiben, ehe es auch nur vom zweiten erkannt wird; dieß lehrt die Weltgeschichte, die Bibel, und wird auch das Schicksal der Werke lehren, welche der Phöbus verbreitet“ – dann liegt es klar zutage, daß das Verhältnis Müllers nicht mehr das gleiche ungetrübte geblieben sein kann, wie einst in den Phöbustagen.

\1\ Die Stelle, bei Steig ungenau zitiert, hat den folgenden Wortlaut: Das Buch ist eines von denen, welche die Störrigkeit der Zeit, die sie einengt, nur langsam, wie eine Wurzel den Felsen, sprengen könnte; nicht per Explosion.
\2\ Es sei darauf hingewiesen, daß aus der unmittelbaren Nähe Kleists, von Alex. v. d. Marwitz, dem Kleist Müllers Elemente in die Hand gegeben hatte (an Fouqué d. 25. IV. 11), eine abfällige Kritik des Buches stammt.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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