Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 45-49
Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit
Die Briefempfängerin wendet sich erneut mit einer Anfrage an
Müller und Pfuel, und nun antwortet ihr dieser ausführlich mit einem Schreiben aus Wien
vom 7. Februar 1812. Das Schriftstück hat den folgenden Wortlaut:
Dein
Wunsch, liebe Fouqué, den Du in Deinem Briefe an Müller äußerst, ist bereits zum Theil
früher schon erfüllt worden, indem eine Ankündigung über Kleists Tod von Adam Müller
im hiesigen Beobachter erschienen ist, welche die That auf ein würdigere Art behandelt,
und sich allen Plattheiten und Schmähungen, welche über diesen Gegenstand gesagt worden
sind, dreist entgegenstellt. Ich für meinen Theil würde es noch anders aufgefaßt haben,
doch auch so ist es gut, und wenigstens seinen Freunden verständlich; denen, die Heinrich
nicht kannten, bleibt die That ewig ein großes Räthsel trotz allem, was darüber gesagt
werden kann; am besten ists, es werde fürs erste gar nichts mehr öffentlich
darüber gesprochen, später wird die Wirkung größer und gewisser sein. Da
wir Christen sind, so ist die öffentliche Vertheidigung eines Selbstmörders immer eine
kitzliche Sache, ja selbst viele seiner Freunde sind zuerst Christen, und dann erst
Heinrichs Freunde, und darum finden auch die bessern etwas entsetzlich
verdammungswürdiges in seiner That, die als doppelter Mord und doppelte
Verantwortlichkeit noch entsetzlicher erscheint. Ich für mein Theil bin zuerst Kleists
Freund und dann erst ein Christ, und deswegen weicht meine Ansicht von der der meisten
weithin ab, und ich bin nicht imstande, mich ihnen so über meinen Freund verständlich zu
machen, wie ich es wünsche, und wie ich einsehe, daß es nötig ist, um ihn zu
rechtfertigen. Dagegen, <46:> daß Kleist sich überhaupt den Tod gab, habe ich
nichts, gar nichts, er war so gequält und zerrüttet, daß er den Tod mehr lieben mußte
als das Leben, das ihm von allen Seiten so sauer gemacht wurde; nur so mußte er nicht
sterben, so in unechter Exaltation versunken, oder doch versunken scheinend; er könnte
würdiger, schöner enden; er hat es mir schwer gemacht, und das ists, was mich
schmerzt, Gefallen im Tode an ihm zu finden, so wie ich es im Leben an ihm gefunden hatte;
und aus dieser Ursache hat mich seine That weniger erschüttert, als vielmehr mir wehe
gethan. Ich theile Dir hier eine Abschrift des Briefes mit, den er am Tag vor
seinem Tode an die Müller geschrieben; die Endzeilen aus Lilis Park sind von der Vogel.
Du wirst in diesem Briefe nichts leidenschaftliches finden, sondern mehr eine gewisse
Behaglichkeit, dem Ziele nahe zu sein, es nicht allein auf so dunkeln Wegen zu
gehn. Ihre Worte sind dagegen affektirt und höchst widerlich; sie zeigen, daß Heinrich
nicht in so guter Gesellschaft war, wie er dachte. Der liebe gute Heinrich!
Mit ihm ist die Seele untergegangen, die mich am besten verstand; und dennoch wars gut,
daß er starb, das Herz war ihm schon lange gebrochen. Die Vogel steht daneben wie eine
dumme Zufälligkeit; sie war nicht gemacht, weder durch ihr Leben noch durch ihren Tod das
gebrochene Herz aufzurichten, seine ältesten Freunde hätten das nicht vermocht,
geschweige denn sie, die bekannte von gestern, mit dem Gepräge des Unächten an der
Stirn. Doch genug von dem theuren Todten, Friede und Segen über seine Asche. Über den
ersten Eindruck weg habe ich ihm völlig verziehen, sein Andenken wird mich schmerzlich
und tröstend zugleich durchs Leben begleiten. Cara Carolina, ich habe nicht
gedacht, daß Du Kleists Tod so tief empfinden würdest, darum berühre ich das alles in
meinem vorigen Brief nur sehr flüchtig; Du bist mir dadurch nur lieber geworden. Fouqué
danke für sein Gedicht, wodurch er sich und den Todten zugleich ehrt. Lebe wohl und sei
glücklich, grüße alles ringsumher.Ernst. <47:>
Das
Schreiben Pfuels ist zunächst für uns von Wert, weil es uns zeigt, was an dem Wahres
ist, was andere, so besonders Varnhagen (s. u.) und Brentano (s. bei Kayka) als
aus Pfuels Munde stammend über Kleists Tod aus der Ferne berichten. Ferner ist es
gewissermaßen im negativen Sinne bedeutungsvoll. Wenn Pfuel wirklich etwas von einem
Selbstmordtrieb Kleists wußte, von der Zwangsidee, gemeinsam mit einem Freunde zu
sterben, nichts hätte näher gelegen, als bei dieser Gelegenheit der fragenden Freundin
den Selbstmord als einen Naturtrieb zu erklären.
Pfuel
stellt sich in seinem Schreiben in einen offensichtlichen Gegensatz zu Adam Müller, denn
dieser ist gemeint, wenn er von den Freunden spricht, die zuerst Christen und dann erst
Kleists Freunde sind. Auch Müllers Publikation über Kleists Tod im Beobachter läßt er
nur bedingt Anerkennung widerfahren. Überhaupt zeichnet sich das Schreiben Pfuels von den
Äußerungen aller übrigen Freunde aus durch seinen warmen Ton, durch die gemütvolle
Anteilnahme, durch die Anerkennung des Freundes und das Verständnis, welches er seiner
unseligen Tat entgegenbringt. Anders liegt es, wenn er auf die Motive der Tat zu sprechen
kommt und seiner Freundin auf die spezielle Anfrage eine Auskunft geben will. Hier versagt
er vollständig in dem Bestreben, Kleists Tat aus inneren Gründen, als einen natürlichen
Ausfluß seiner inneren Organisation, aus dem Widerspruch zwischen seiner Psyche und den
äußeren Verhältnissen zu erklären. Statt wie Fouqué (s. S. 123) in der Unkenntnis von
Kleists Motiven auf jede weitere Erklärung zu verzichten, will Pfuel, gewiß in der
besten Absicht, aus seiner seelischen Verfassung die Ursache seiner Handlungsweise
herleiten. Und hierbei verwickelt er sich in Widersprüche. Indem er im ersten Briefe
einen Gegensatz im Empfinden Kleists und der großen Masse konstruiert, will er zu
erkennen geben, daß seine Erfolglosigkeit, das geringe Interesse, welches das Publikum
seinem Schaffen entgegenbrachte, ihn in den Tod getrieben <48:> habe. Anders
vermag ich seine Worte nicht zu deuten. Im zweiten Schreiben ist nicht mehr davon die
Rede; ganz allgemein spricht er zunächst davon, daß Kleist so gequält und zerrüttet
war, daß ihm der Tod wünschenswert erscheinen mußte und dann weiter unten, daß
das Herz ihm schon lange gebrochen war. In welchem Sinne ist diese
absonderliche Bemerkung aufzufassen? Wenn wir in Betracht ziehen, daß er bald hinzufügt,
die Vogel hätte nicht die Eigenschaften besessen, sein gebrochenes Herz aufzurichten,
d. h. er hätte in ihrer Liebe keinen Ersatz für den Verlust einer anderen gefunden,
wenn wir uns ferner erinnern, daß Pfuel, als er mit Brentano über Kleists Tod spricht,
in diesem Zusammenhang erzählt, er habe ihn einst acht Tage in Dresden wegen einer
in der Liebe gekränkten Eitelkeit\1\ wahnsinnig
und rasend in seiner Stube gehabt, so glaube ich Pfuels Äußerung dahin auffassen
zu müssen, daß Kleist in Dresden unglücklich geliebt hat, daß diese unerwiderte Liebe
sein Herz gebrochen, daß er sie nicht überwinden konnte und deshalb in den Tod gegangen
sei. Ich will gleich hier bemerken, daß damit Pfuel auf einen Vorgang und ein Ereignis
anspielt, für welches ich weiter unten (vergl. III 1) neues Material beibringe und
will auch hervorheben, daß auch ich mit der Liebesepisode in Dresden, die hier Pfuel nur
sehr flüchtig andeutet, wenn auch nur indirekt Kleists Tod in Verbindung bringe. Ich
werde an anderer Stelle im Zusammenhang darauf zu sprechen kommen.
Das
absprechende Urteil Pfuels über die Vogel, welche er wahrscheinlich nicht persönlich
kannte, ist begründet, wenn er sich auf die in der Tat sehr affektierten und
abgeschmackten Worte beruft, mit denen sie von Müllers und der Welt Abschied nimmt. Sein
Versprechen, über den Tod des Freundes eingehend zu schreiben, sobald sich erst die
Gemüter der Menge beruhigt haben, hat Pfuel ebensowenig wie sein Freund
Müller <49:> gehalten. Hierauf aber bezieht sich der Vorwurf in der Einleitung
zu diesem Kapitel. Pfuel hat das Erbe seines Jugendfreundes schlecht verwaltet, hat sein
Andenken nicht gewahrt. Was er uns hinterlassen hat, sind nichts als belanglose Anekdoten,
die vor einer strengen Kritik nicht einmal bestehen können, und er hat damit das Bild des
Freundes, statt es der Nachwelt in ein helleres Licht zu rücken, nur verdunkelt und
entstellt.
\1\ Brentano dürfte Pfuels
Äußerung etwas entstellt haben.
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