Bertolt Brecht Notizbücher

Peter Villwock
Notizen aus der Brecht-Forschung


Die im »Dreigroschenheft« (2/2008, S.55f.) publizierten »Nachrichten aus der Bruch-Forschung« von Jan Knopf, der sich auf Susanne Beyers SPIEGEL-Artikel (11.2.2008, Nr.7) bezieht, machen einige Randbemerkungen zu den sachlichen Fehlern nötig.
Daß man Notizbücher im Rahmen einer nach Gattungen geordneten Ausgabe nicht im Zusammenhang erhalten kann, trifft nicht zu. Bei den Tagebüchern und Journalen zeigt die Berliner und Frankfurter Ausgabe (BFA) selbst, daß und wie es geht.

Bei dem in der BFA weggelassenen Teil der Notizbucheintragungen handelt es sich keineswegs nur um Adressen, Termine, Namenslisten, Reimwörter oder Fremdtexte. Das weiß auch Knopf, der seit Jahren nach einer Notizbuchedition ruft. Eine genaue Quantifizierung des Weggelassenen ist nicht möglich, da die Notate in der BFA, ohne im Register als solche ausgewiesen zu werden, über alle Bände nach nicht ausgewiesenen Kriterien verteilt sind.

Knopfs These, die Lehrstücke kämen schlichtweg aus dem japanischen Nô-Theater, ist in ihrer Einseitigkeit falsch. Schon das Lehrstück selbst, von dem sich der Name der ›Gattung‹ herleitet, hat mit dem Nô-Theater nichts zu tun.

»Jetzt trinken wir noch eins« steht in BFA 14 (Bandherausgeber: Jan Knopf) auf S.34 als Brecht-Text. Knopf kann Frau Beyer schlecht vorwerfen, sich auf ihn verlassen zu haben. In eine Gesamtausgabe gehören sie natürlich ohnehin, zumal Brecht die Verse in Zur Soziologie der Oper und den Mahagonny-Anmerkungen verwendet (vgl. BFA 24, S.77). Nebenbei: Er zitiert hier nicht die Comedian Harmonists, sondern Willy Rosen.

Ob ein zufälliger Herausgeber Verse wie »Der Mensch ist kein Schwimmer …« als »billigst« empfindet oder als »wunderbare Sentenz«, kann bei einer Gesamtausgabe keine Rolle spielen. Mitleid mit dem Autor als Grundlage der Editionswissenschaft – dies oder jenes sollte man »denn doch dem armen BB vorenthalten« – wäre Zensur. Im übrigen finden sich auch diese Verse in BFA 13 (Bandherausgeber: Jan Knopf) auf S.170 als Brecht-Gedicht. Auch hier geht es nicht an, eigene Fehler anderen vorzuhalten. Für einen Beleg der neuen Erkenntnis, es handle sich um schwäbisches Volksgut, wird die Brecht-Forschung dagegen dankbar sein.

Das von Susanne Beyer vorangestellte Zitat – von einem Gedicht ist nicht die Rede – ist nicht korrupt, sondern korrekt; sie zitiert Z.6-11, Knopf Z.3-7 der Notizbuchseite. Der Begriff »korrupt« hat zudem in der Editionswissenschaft eine genaue Bedeutung, die den wiederholten Wortgebrauch Knopfs nicht deckt. Hier soll wohl etwas anklingen, was explizit ausgesprochen eine Verleumdung wäre.

Die von Frau Ramthun erstellte Arbeitstranskription der Brecht-Handschriften wird seit der ersten Ankündigung des Editionsprojektes am 30. Oktober 2005 im Rahmen der Notizbuchedition als Hilfsmittel genannt; Knopf hat diese Publikationen offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Daß Ramthuns Transkription lücken- und fehlerhaft ist, wurde allerdings von vielen ihr unkritisch folgenden BFA-Mitarbeitern nicht bemerkt (einige Beispiele dafür in der neuen Ausgabe).

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Es befremdet, daß ausgerechnet einer der am meisten beachteten Beiträger zur Brecht-Forschung ein Mißachtungssyndrom zu erkennen meint. Literaturwissenschaft findet schließlich nicht im Spiegel und über dpa statt. Und auch nicht als undifferenzierter Machtdiskurs, vielmehr in rationaler Auseinandersetzung und zivilisiertem Umgang miteinander. Dabei sollten Personen (Susanne Beyer und Peter Villwock), kulturelle Teilsysteme (Journalismus und Literaturwissenschaft), Editionsformen (selektive Leseausgabe und wissenschaftliche Gesamtausgabe), Emotion und Argumentation besser auseinandergehalten werden. Man erwartet von Jan Knopf eher eine fundierte Kritik über ein gelesenes Buch als eine nicht fundierte über ein ungelesenes.

Peter Villwock