X. Etwas über Landschaftsmalerei.
Der Mensch ist mit tausendfältigem
Verlangen und unendlichen Begierden ausgestattet, und
so in eine Welt gesandt worden, die reich genug sein
würde noch viel mehr zu gewähren, als er begehren kann.
Jede Gluth des Herzens findet ihren Schatten, jeder
Durst seine Welle, jede Sehnsucht ihre Ferne und unzählige,
heimliche, fest <72:> beschirmte Zufluchtsstätten
sind bereitet für die Seele, welche nach Sicherheit
und Ruhe strebt. – Und so werden dann die landschaftlichen
Formen im fortschreitenden Leben dem Gemüthe so bedeutend:
die Erinnerung an irgend ein schönes Verlangen wird
von jedem Baume, jedem Bergeshange leise angeregt, jeder
Lichtstrahl, der über die Gegend fällt, scheint ein
Orakel mit sich zu führen, und jedes Wolkengewebe ist
eine geheimnißvolle Schrift. Wie verschiedenartig nun
auch die einzelnen Töne sein mögen, die eine reiche
Landschaft in der Brust aufrührt, sie werden doch alle
harmonisch verbunden durch einen immer wiederkehrenden
Grundakkord. Überall nemlich wo der Mensch wandelt,
ist sein Auge so gestellt, daß er das himmlische und
irdische Element mit einem Blicke auffassen muß: eine
Andeutung für die Seele, daß sie allenhalben desgleichen
thue. Das, was dem Menschen unmittelbar umgiebt, seine
Hütte, die Bäume seines Gartens, alles dieses erscheint
in schroffem Gegensatze fest, deutlich und klar neben
dem formlosen, flüßigen Äther; nun hebt sich sein Auge,
daß es eine größere Ferne beherrschen kann, und die
Umrisse der irdischen Dinge werden weicher, die Farben
sanfter: Luft und Erde scheinen zusammen zu fliessen;
sie tauschen auch mit lieblicher Vertraulichkeit ihre
Plätze: in den Wolken scheint die Erde auf die Seite
des Himmels herüberzutreten, in den Seen und Flüssen
der Himmel auf die Seite der Erde – und in der
weitsten Weite verlieren sich die Grenzen, bleichen
die Farben ineinander, was dem Himmel, was der Erde
angehöre läßt sich nicht mehr sagen. So erscheint von
den schroffen Klippen der Gegenwart betrachtet, dem
Menschen seine ferne früheste Kindheit: nahe Verwandtschaft
von Himmel und Erde, aber das Gedächtniß jener Tage
einfärbig und wie verwittert; so muß ihm auch erscheinen,
weil die Ferne den Ursprung und das Ende gleich richtig
abbildet, das künftige einsinkende Alter: kein Ineinanderstürzen
der Elemente, aber eine sanfte Vermählung. – An
diesen Grundakkord nun binden sich alle die einzelnen
harmonischen Gefühle, welche die zerstreuten Theile
der Landschaft anregen mögen; an diese Weltallegorie
unzählige kleine Allegorien und Träume: ein großer göttlicher
Gedanke beherrscht und regelt alle die kleinen Vergötterungen,
welche der Mensch mit der umgebenden Natur vorzunehmen
liebt. – Darum ist die Landschaftsmalerei überhaupt
mehr allegorischer als plastischer Natur: sie neigt
sich zu den redenden, tönenden Künsten herüber, und
wenn die Bildhauerei die Ewigkeit in einen Moment zusammendrängt,
so stellt die Landschaftsmalerei sie symbolisch in einer
Reihe, ich möchte sagen, in einer Folge von Raummomenten
dar. –
Es
ist nicht nöthig, daß der von mir angezeigte Grundakkord
dem kalten Verstande allemal klar werde; es soll auch
nicht gesagt werden, daß die dämmernden Fernen in der
Landschaft nie fehlen dürften – genug, die Seele
fühlt in Betrachtung der Landschaft ein sanftes Getragenwerden,
eine Bewegung, wie von einem unsichtbaren Geiste, durch
die das Verweilen bei den anmuthigen Einzelnheiten erst
seinen Reiz erhält. – Wie möchte auch die Darstellung
einzelner trüber Stimmungen, melancholischer Launen
der Natur, der Ungewitter, der Stürme so bezaubernd
sein, <73:> wenn dem Gefühl nicht, hier, wie in
der Tragödie, etwas dargereicht würde von den Spuren
eines über Stimmung und Laune erhabenen Weltgeists.
Unsre
Zeitgenossen, entweder weil sie nicht viel auf einmal
umfassen können, oder weil ihnen Fachwerk und Zunftzwang
zur andern Natur geworden, wünschen die Gaben der Natur
und des Menschen einzeln, rund, abgeschlossen in Portionen
ausgebacken, die Wissenschaft einzeln und so die Kunst
und die Religion: sonst würde ich ihnen aus meinen Prämissen
beweisen, daß auch das innerste Wesen der Landschaftsmalerei
etwas religiöses sei. Da müßte aber erst auf Einheit
und Einfalt des Gefühls im Publikum gerechnet, und nicht
die bloße Stimmung, die sentimentale Rührung von der
Composition, und nicht die bloße süßliche Erinnerung
an schöne Plätzchen und Stunden und Reisen von der Veduta
des Landschaftsmalers verlangt werden.
Aber
wer möchte solchen Bemerkungen irgend einen Einfluß
auf den öffentlichen Kunstgeschmack zutrauen: die heutigen
Käufer betrachten die Bilder einmal wie souvenirs: auf
dem Markte werden Portraits und Prospekte begehrt; das
übrige läßt man sich gefallen, recensirt es und geht
vorüber.