Adam Müller, IV. Corinne ou
lItalie par Madame de Stael-Holstein, 42-47
IV. Corinne ou l’Italie par Madame de
Stael-Holstein.
Große und dauernde Werke des Geistes, vornehmlich
des dichtenden, entstehn da, wo sich die Außenwelt
des Lebens und die Innenwelt des Herzens berührt haben,
wo beide gemeinschaftlich wirken und wie in ein und dasselbe
Schicksal verflochten sind. Solche Werke tragen Tiefe und
Empfindung an sich, als ein Erbtheil des Herzens; aber sie
wirken auch auf die Welt zurück, denn das Herz, welches
sie hervorbrachte, war vom Leben selbst und unmittelbar
befruchtet worden. Es ist nur Täuschung, daß
die Einsamkeit allein die Bildungen des Geistes begünstige:
sie ist vielmehr hinterher nur da zuträglich, wo die
Welt mehr Begebenheiten über die Seele gehäuft
hat, als diese bestreiten kann. – Und so möchten
wir die merkwürdige Opposition zwischen deutscher und
französischer Literatur ungefähr mit folgenden
Worten feststellen: die deutschen Autoren haben im Ganzen
vielmehr nach Entäußerung, nach Zurückgezogenheit
des Herzens auf Kosten der Welt, die französischen
Autoren hingegen mehr nach Verherrlichung der Welt auf Kosten
des Herzens oder nach dem gestrebt, was wir Entinnerung
nennen möchten. – Offenbar neigen beide Nationen
sich aus diesen Extremen wieder zu den Schranken und zur
Vereinigung zurück, und wie wir deutscherseits Nachsicht
erwarten für das, was uns an äußerer Gefälligkeit,
Verständlichkeit und Allgemeingültigkeit, welche
nur die Welt gewähren kann, abgeht, eben so wenig können
wir der Frau von Stael einen Vorwurf daraus machen, daß
sie bei ihrem höchst ungemeinen Streben der Sicherheit
des Geistes entbehrt, an welcher das Herz größeren
Antheil hat. –
Daß
sie mit zu großer Emsigkeit öffentlich zu machen
oder auszusprechen strebt, was in ihrer Brust neues, und
in dem Geist ihrer Nation unerlebtes, und in ihrer <43:>
Muttersprache seit langen Jahren ungesagtes, vorgeht –
das ist die Schuld, welche sie der Zeit, dem Ort, und den
Umständen, unter welchen sie erzogen worden, bezahlen
muß. Und soll um die Weiblichkeit gestritten werden,
wer möchte ihr, die doch in ihrer Sphäre bleibt
und aus ihrem eignen Leben herausspricht, nicht den Vorzug
geben vor jenen deutschen Schriftstellerinnen, die mit unnatürlicher
Entäußerung nach Kränzen ringen, welche
vor Jahrhunderten schon würdigere Häupter belohnt
haben, und die sich demnach dem Teufel, oder der Öffentlichkeit
für nichts ergeben. – Konnte es einst ein versammeltes
Volk ohne Ärgerniß bezeugen, wie eine Griechinn
ihre körperlichen Reize vor aller Augen enthüllte;
warum sollte Europa sich spröde beweisen, da sich ihm
eine weibliche Seele von vielfältiger Schönheit,
wenn nicht entkleidet, doch in so mannichfaltigen öffentlichen
Umkleidungen zeigen will, daß von der Form ihrer Glieder
nichts verborgen bleiben kann. Die Welt erklärt sich
ein solches Verfahren sehr bald durch irgend ein nichtssagendes
Wort, z. B. durch Eitelkeit: wir freuen uns viel lieber
der merkwürdigen Erscheinung, der wunderbaren Empfänglichkeit,
der schönen Unruhe dieser Frau, und folgen ihr gern
in die Schule ihres uns sehr begreiflichen Schmerzens und
ihrer uns sehr ansprechenden Empfindungen, da sie uns einladet.
Sollte Anmaßung, übertriebenes Selbstgefühl,
oder gar hochmüthiges Mitleid mit den Deutschen, in
diesen oder künftigen Werken der Frau von Stael sichtbar
seyn, so kann dies unser Urtheil weiter nicht bestimmen,
da wir zu gut wissen, wie natürlich und wie vorübergehend
auch solche Anwandlungen in einem so schön zerrissenen
Gemüthe sind.
Frau
von Stael, wohlwissend, wie alle Gegenstände von den
Gefühlen, mit welchen sie betrachtet werden, ihre Farbe
erhalten, entsagte, da sie Italien darstellen wollte, dem
nur zu oft gemißbrauchten Vorrecht der Reisebeschreiber
auf eine reine, absprechende, aber eben so kalte Beschreibung.
Der Wißbegierde zu genügen, hatte sie ihr Herz
und ihre Schmerzen in Copet nicht zurückgelassen: und
so zeigen sich auch wirklich die Denkmäler der alten
und neuen Kunst in dem Spiegel ihrer Gefühle viel deutlicher
und eigenthümlicher, als in der unbefangensten Zergliederung,
und in der ihnen angepaßten Begeisterung der bisherigen
deutschen Beschreibungen. Die Kunstwerke der Vorwelt lieben
es, wenn ihre Betrachter ein bereits angeregtes Herz mit
sich bringen, wie die Sonnenstrahlen sich in dem Duft kräuterreicher
Thäler besser gefallen, als an den reinen, kahlen Häuptern
der Berge, welche ihnen wohl den Strahl aber keine eigenthümliche
Antwort zurückgeben. Zwischen jenen ewigen Werken,
und den tragischen Stimmungen unsers Lebens, was diese auch
erregt haben möge und dafern sie nur menschlich sind,
ist kein Widerspruch, keine Eifersucht; wohl aber ist der
Geist der Kunst mit jener Nüchternheit, und unpartheiischen
Wißbegierde, die wir ihm gewöhnlich entgegengebracht
haben, ewig unverträglich. Es giebt eine allgemeine,
göttliche Aufregung des Herzens und seiner Zeugungskräfte,
aber von dieser, von Winkelmann, von Göthe, von den
Künstlern ist hier die Rede nicht, sondern nur von
den bekannten Beschreibungen Italiens, und daß auf
die <44:> Empfindeleien des Dupaty hier Rücksicht
genommen werden soll, wird niemand verlangen.
Der
Gedanke des vorliegenden Romans ist höchst natürlich
und einfach: „über dem Grabe der Welt“ webt die Dichterinn
aus aller Fülle ihrer Phantasie eine Liebe; stattet
sie aus mit allem, was ihr das Leben gelehrt; unbesorgt
darüber, ob nicht vielleicht das Bild ihr allzuähnlich
sei, giebt sie sich selbst, wenigstens alle ihre einzelnen
Eigenheiten, und diese noch gesteigert und verklärt
und geschmückt, so weit ihre Vorstellung reichen will,
um nur das beste und persönlichste zu geben, was sie
geben kann – und begräbt endlich die ganze Herrlichkeit
zu dem übrigen untergegangenen. – „Ohne die Liebe
wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch
nicht Rom“: was sich an einander erfreute und entzündete,
das Gefühl, welches sie mitbrachte, und Rom, muß
sich nun auch miteinander verzehren; sie läß
nicht nach, sie muß von der Asche ihres Herzens mischen
unter die Asche Roms. – Bei der Darstellung vom Tode
der Corinna, wir gestehen es, konnten wir uns der Erinnrung
an jene Begräbnisceremonie, welche Kaiser Carl der
fünfte mit sich selbst lebendigen Leibes vornehmem
ließ, nicht erwehren: so ähnlich ist die Sterbende,
der Dichterinn, welche sie sterben läßt. –
Wenn es auch eben nicht als Bußübung geschieht,
wie bei jenem Kaiser, es hat immer etwas reizendes, zu sterben,
und doch wieder als Leidtragender an dem eignen Sterbebett
zu stehn, remords und melancolie ohne Ende in den Gemüthern
der übrigen zu hinterlassen.
Die
Persönlichkeit der Frau von Stael ist zu merkwürdig,
Europa spricht zu laut von ihr – als daß die
Ähnlichkeit zwischen ihr und der Corinna irgend einem
Leser entgehen könnte; überdies hat die Verfasserinn
von ihrem ungemeinen Wesen noch den übrigen Personen
Eigenschaften mitgetheilt, welche die schon allzuüberladene
Corinna nicht mehr tragen konnte; Oswald hat die sehr schwierige
Partie der Gewissensscrupel erhalten; Lucile, die sich,
mit wie unvergleichlichen Zügen sie auch gemalt sei,
doch zur Corinna wie die Soubrette zur Prima Donna verhält,
scheint ihr die Weiblichkeit wie einen Shawl oder einen
Fächer nachzutragen; sogar d’Erfeuil, der gelungenste
und von der Person der Verfasserinn unabhängigste Character
im ganzen Werk muß eine Grundlage von Melancholie
haben, aus der die ganze Welt des Romans zu entspringen
scheint. Aber wie uns die Eigenheit der Frau von Stael werther
ist, als ihre Eigenschaften, so hätten wir sie lieber
in recht neuer und fremder Gestalt wiederfinden, oder auch
nur sie allein sehen mögen, statt dessen jetzt unser
Interesse zwischen ihr und der Corinna, wie zwischen zwei
Zwillingsschwestern getheilt bleibt: wir müssen ganz
andre Dinge in diesem Romane lieben und bewundern, als die,
welche uns zur Liebe und Bewundrung dargereicht werden;
wir finden die Verfasserinn poetisch gerade wo sie am wenigsten
die Absicht zu dichten hat, und wir finden sie unerträglich
prosaisch, wo sie uns schleppende Sermonen, bei denen ihr
bald Pindar und bald Rousseau vorzuschweben scheint, für
Improvisationen einer außerordentlichen Dichterinn
giebt; wir finden sie rührend, aber durchaus nicht
an <45:> den Stellen, die mit wirklichem Anspruch
auf unsre Thränen geschrieben sind. – Kurz wir
müssen uns Frau von Stael, mit Einschluß der
Corinna, erst selbst wieder als einen Roman irgend eines
anderen größeren Dichters denken, um uns mit
einfacher, ungestörter Empfindung ihrer freuen zu können;
wir müssen den unzähligen kleinen und großen
mit einander streitenden Absichten der Schriftstellerinn,
von denen der gutmüthige Leser nach Herzenslust umhergeschüttelt
und geworfen wird, erst eine Hauptabsicht, einen Grundgedanken
unterlegen, um endlich ahnden zu können, wie Frau von
Stael schreibt und lebt, wenn sie ohne alle Absicht schreibt
und lebt.
Dem
sei wie ihm wolle: auch die blose äußere Erscheinung
ist interessant genug – ein weibliches Gemüth,
das mitten im Schmerz nicht vergißt, wie schön
er steht, und das nicht allein in der ersten Potenz über
die Sache selbst, sondern vielmehr in der zweiten, darüber
gerührt ist, daß diese Rührung in den Augen
andrer etwas so rührendes sei. – Im Character
der Corinna, vornehmlich wie er sich gegen das Ende zeigt,
war so viel kräftiges und unmittelbares, ihr Schmerz
schien so großartig zu werden, ihre Seele schien nur
um sich selbst zu weinen – und dennoch erfahren wir,
daß sie sich in dem ganzen Apparat ihrer Trauer habe
malen lassen. Die Reflexion über den Schmerz ist stärker
als der Schmerz: die Seele steht als nächster Leidtragender
und Anverwandter zur Seite des leidenden Herzens, und schmeichelt
ihm wie einem schönen weinenden Kinde, welches immer
heftiger weint, je mehr es getröstet wird, und in eine
Art von wollüstiger Rührung über sich selbst
geräth.
Die
Sentimentalität im gewöhnlichen Verstande
ist ein Wucher, ein Luxus, der mit dem Schmerz getrieben
wird; sie ist in so fern unmenschlich, als es um alle tiefen
Empfindungen der Seele, um allen gründlichen Schmerz
gethan ist, sobald man, um der Theilnahme der übrigen
willen, sich im Schmerz wohlzugefallen anfangt. – Der
Anblick des Menschen kann nie merkwürdiger sein, als
wenn er im Kampf mit dem Schmerze begriffen ist: darin liegt
die unergründlich tiefe Lust der Tragödie; Leiden
fordern die Seele heraus, bewaffnen sie, und diese hat nichts
größeres zu bekämpfen und zu besiegen, als
ihre Leiden. Nichts also ist unmenschlicher als eine Parodie
dieses göttlichen Kampfes, da ein ohnmächtiges
Gemüth die Maske des Schmerzes vor sich nimmt, um den
Zuschauer zu reizen und zu rühren, welcher glauben
muß, wie große Bewegung, wie viel innerer Streit
hinter diesem Schmerz verborgen sei. – Ist dieses Fastnachtspiel
mit dem Schmerz eine Zeitlang von den Menschen getrieben
worden, so verlieren die großen Catastrophen des Lebens,
der Tod, der Untergang der menschlichen Werke, das Scheitern
großer Entwürfe – ihren hohen, zermalmenden
und erhebenden Character: ein weiches, schlaffes, wehmüthiges
Wesen verdünnet und verwässert alle Empfindungen;
die Schicksale der Welt laufen zügellos fort: in keiner
Seele der Stolz, sie zu lenken und zu richten; in allen
das kleine Bestreben, sich nur theatralisch zu gebährden,
möglichst rührend zu sprechen und zu agiren. –
Man berufe sich nicht auf die Thränen, auf den Aus-
<46:> druck des Schmerzes, der endlich allen gemein
ist, als deute die Natur damit an, sie wolle eine so ohnmächtige
Gemeinschaft der Klage, des unbestimmten Verlangens und
der buhlerischen Sehnsucht. Auch die wahren Thränen
kennt man nicht mehr; denn sie zeigen ja nur an, daß
der Schmerz aufgelöst worden, daß er sich nun
musikalisch ausdrückt, – aber wie unendlich mannichfaltig
ist der Character dieser Musik, und wie einförmig sind
jene weinerlichen Rührungen einer sentimentalen Zeit. –
Aber
es giebt eine zweite höhere Gattung der Sentimentalität:
Anständig ist es nie, aber erlaubt zuweilen, wenn die
Wege des Schicksals ganz unerforschlich werden, wenn die
Seele der überwiegenden Gewalt ihres Feindes nachgeben
muß, dann allen Anspruch auf Sieg fahren zu lassen
und von dem tyrannischen Erdgeist wie an eine unbekannte
höhere Macht zu appelliren. Der Glaube an diese Macht
ist dann zwar nicht verschwunden, aber der Muth ist dahin,
durch sich selbst sie auszudrücken, der Muth, sie herabzuziehn
in seine Brust. Keine Spur von weltlicher Coquetterie, vielmehr
Innigkeit und Frömmigkeit ist in den Klagen, die dann
ausbrechen; sie sind um so wohlklingender, je größer
und kräftiger die Bestrebungen waren, unter denen die
Seele endlich ihre Niederlage erlitten. Die Werke des Menschen
bleiben unvollendet, aber eine gütige Gottheit giebt
ihm eine Leier in die Hand, damit niemandem um seinen Untergang
zu klagen gestattet sei, als ihm selbst. – Diese Sentimentalität
findet sich bei Schiller, und vornehmlich ausgedrückt
in dem berühmten Gedichte Resignation, von dem wir
ein Fragment in vortrefflicher Übersetzung mitgetheilt
haben. Der Dichter klagt, aber um sein selbst willen, nicht
um des Effects willen: diese innige Sentimentalität
ist den Deutschen angemessener, wie sich jene Coquetterie
der Sentimentalität bei den französischen
Dichtern häufiger nachweisen läßt. –
Frau von Stael schwankt auf die merkwürdigste Weise
zwischen beiden: sie ist tiefer Empfindungen fähig,
sogar des erhabenen Grames darüber, daß die Reflexion
den Schmerz gar nicht mehr zum Ausbruch kommen lasse.
Es
gibt nichts rührenderes, als ihren Ausruf, da sie kurz
nach dem Tode ihres Vaters, von der Erinnrung seiner Liebe
zu ihr überwältigt, sagte: Mon Dieu! si l’on avoit
une nature vraiment profonde, de tels souvenirs tueroient
à l’instant! – Aber sie weiß, die Unglückliche,
wie wir andere eben auch, von so unendlich vielen Dingen
und Gefühlen und Schmerzen, ohne sie erlebt zu haben,
daher sie uns so manches vorempfindet, was sie andern wieder
nachempfunden hat, daher jedes Gefühl ihrer Brust eine
eigne theatralische Rolle spielt, und wir die meisten Eindrücke
ihrer Werke erst durch die zweite, dritte Hand erhalten,
während wir am liebsten hätten, was unmittelbar
von ihr selbst käme.
Alle
diese gerechten Beschwerden über die Werke der Frau
von Stael werden besänftigt, durch die Bemerkung, wie
ihre Romane an innerm Gleichgewichte zunehmen. Nicht an
äußerem; denn die ungleichartige Natur der Corinna
wird manchen Leser abgeschreckt haben: man ist von Reflexionen
ermüdet, und von allen Pointen, <47:> mit denen
die einzelnen Capitel schließen und an denen nur die
ihrer bedürftigen Improvisationen Mangel leiden, völlig
abgestumpft, ehe man an den eigentlichen Roman gelangt;
Italien steht der Corinna, die Beschreibung steht dem Roman
im Wege und der Titel würde passender Corinne et
l’Italie, als Corinne ou l’Italie heißen. –
Aber innerlich im Roman ist mehr Gleichgewicht als in der
Delphine. Im Romane und im Drama schwebt der Dichter über
den handelnden Personen, er enthüllt die entgegengesetzten
Gemüthszustände, sieht in das Herz des einen so
tief als in das des andern. Dieses fast göttliche Vorrecht
muß er bewähren durch poetische Gerechtigkeit,
welche sich äußert in der unpartheiischen Ruhe
der Darstellung, und in dem befriedigten Gefühl, welches
ihre Betrachtung zurückläßt. Kann er die
streitenden Personen und Schicksale untereinander vereinigen,
so hat er seine Herrschaft über sie und was dasselbe
ist sein Kunstvermögen bewiesen. – In den Romanen
der Frau von Stael ist das Schwanken eines männlichen
Herzens zwischen einer weiblichen und einer geistreichen
Frau die immerwiederkehrende, die Lieblings-Crise. Das Hauptgewicht
fällt noch immer auf Seiten der geistreichen Frau,
weil „von sich selbst der Mensch nicht lassen kann“, aber
mit steigender Liebe werden die weiblichen Frauen behandelt,
immer mehrere von den kleinen Gewichten fallen in ihre Schale:
man vergleiche nur die Gegnerin der Delphine mit der Lucile.
Eben so hat in der Opposition zwischen Neigung und Pflicht,
das Aussehn der Pflicht, wiewohl es noch immer zu trocken
und tyrannisch erscheint, und deshalb die Neigung und nicht
die Tugend zu verklären dient, dennoch viel an Menschlichkeit
gewonnen.
Unverkennbar
aber ist die große Revolution, welche in dem Gemüthe
der Verfasserinn seit Vollendung der Delphine vorgegangen.
An künstlerischer Ganzheit stehn alle einzelne Personen
in der Corinna denen der Delphine nach: Oswald vor allen
andern wird zu hundert verschiedenen Malen, mitten in der
Darstellung, ganz von neuem und nach einem immer wieder
abweichenden Plane gezeichnet; er ist der zusammengesetzte
König aus Göthe’s Mährchen. Wie unerträglich
aber und monströs wir ihn finden mögen, die Unruhe
der Dichterinn in dieser Darstellung eines männlichen
Characters, des höchsten Problems, welches ihr auferlegt
werden kann, ist überaus merkwürdig. Es ist, als
wäre sie mit neuen Elementen des Lebens bekannt geworden;
als wäre sie in eine größere Schule gekommen.
Der Tod ihres Vaters allein erklärt die gewaltige Veränderung
nicht: irren wir uns nicht, – – so hat sie Deutschland
in diesen Tagen zuerst kennen gelernt.
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