Adam Müller,
III. Vorlesungen über das Schöne, 35-42
III. Vorlesungen über
das Schöne.
I.
Die Leute sagen: in dieser bunten, aus
den widersprechendsten Gegenständen zusammengesetzten
Welt, gebe es außer vielen sehr unbequemen Dingen,
z. B. außer der Tugend, die dem Menschen eine
höchst wunderliche Selbstverläugnung zumuthe,
außer der Wahrheit, deren Dienst mit mancherlei Zeitverlust
und Kopfzerbrechens verknüpft sei, außer dem
bürgerlichen und öconomischen Verdienst, worin
eigentlich der Hauptlebenszweck bestehe - außer
allen diesen ehrenwerthen aber beschwerlichen Dingen gebe
es nun auch ein bequemes, angenehmes, den übrigen zur
Erfrischung, zur Erholung beigemischtes Wesen, die Schönheit.
Wenn man den Reden der Leute nachgeht, so möchte man
glauben, dieses Wesen sei ein höchst seltnes Phänomen,
man müsse am Leben wie an der Aloe ein halbes Jahrhundert
mit schroffen, stachlichten Blättern vorliebnehmen,
bis sich einmal eine Blüthe zeige. - Wenn diese
seltne Erscheinung nun da ist, oder vielmehr wenn einige
leichtgläubige, gute, kindliche Seelen sich überredet
haben, dieser Mensch, dieses Kunstwerk, dieser Wohnsitz
sei schön, so haben die Leute eine bewundernswürdige
Fertigkeit darin, einem diesen Glauben auszureden: da ist
keiner so schlecht, daß er nicht schon etwas viel
schöneres gesehn hätte, oder sich nicht gar etwas
unendlich schöneres denken könne. Wenn ihr da
und dort gewesen wär’t, so würden euch diese Elbthäler
nicht weiter reizen: wenn ihr jene verstorbene oder abwesende
Dame gesehn hättet, so könnte euch dieses Gesicht
nicht gefallen u. s. f. Da sieht es dann wirklich
so aus, als sei die Schönheit überall gewesen,
man habe nur allein unter allen Menschen das Unglück
gehabt, sie nie zu Hause zu treffen: wo wir hinkommen mögen,
erfahren wir, daß sie soeben abgereist sei. -
Die Natur bleibt denn doch aber stärker, wie die Menschen:
plötzlich wirft sie eine glänzende Erscheinung
in ihre Mitte, die durch die Gewalt ihrer Gegenwart alle
die abwesenden Schönheiten, die jeder einzelne gesehn
haben will, augenblicklich verdunkelt: alles liegt auf den
Knieen, niemand kann begreifen, wie die herrliche Bezauberung
nicht ewig währen soll. Daran haltet euch nur, ihr
gutmüthigen und treuen Seelen! laßt der Welt
nur Zeit, und sie fängt an, das Göttliche zu zerschneiden
und zernagen, und ruht nicht, bis sie es in den Staub gezogen.
Ihr mög’t treu bleiben, aber das schöne Band vieler
bewundernder Gemüther ist längst aufgelöst,
die tempelähnliche Empfindung bei der ersten Ankunft
des Göttlichen ist vorüber wie ein Rausch, der
Weihrauch ist verdampft: überall unerträglich
nüchterne Gesichter, und nun läuft die Klugheit
in allen Gassen bei Freunden, Vettern und Verwandten, und
protestirt, daß sie gleich den großen Mund,
den braunen Teint und das genirte Betragen bemerkt habe:
sie habe nur aus Höflichkeit der allgemeinen Empfindung
nachgegeben, übrigens seien ihr aber <36:> ganz
andre Dinge im Leben schon vorgekommen. - Was will
ich mit diesen Worten? - Klagen über die Unbeständigkeit,
den Neid, und die Störungen der Welt? Bewahre! Dieser
Alltagsgesang möchte sich schlecht zu Reden eignen,
die heraustreten sollen aus dem gewöhnlichen und erfreuen
und erheben. Wie viele falsche Größe, wie viel
unächte Schönheit ist in der Welt aufgetreten,
mit blendendem Glanze, und durch denselbigen geschäftigen
Trieb der Menschen das Große zu verkleinern, und das
Schöne zu zernagen glücklich bei Seite gebracht
worden. Wer darüber klagen kann; wem das Schöne,
was er ergriffen hat, erst andre Leute gönnen müssen;
wer erst mit den möglichen Störern einen Contract
darüber schließen muß, daß sie ihn
in Ruhe lassen; wer erst eine feststehende, auf Verabredungen
der Gelehrten beruhende Kritik oder Gesetzgebung für
das Schöne braucht, der besitzt es nicht und
ergriff es nie. Ein sehr richtiger Instinkt -
im gemeinen Leben nennt man ihn Egoismus, aber es ist eben
so gut edles Freiheitsgefühl - treibt die Menschen
an, den Einzelnen, der von seinem Sorgenstuhl aus die Schönheit
der Welt in gemächlicher Ruhe bewundern will, oder
den, der die zerstreuten Schönheiten des Lebens und
der Kunst in seinem Zimmer wie seltne Münzen versammeln
möchte, oder den überhaupt, der an seinem Götzen
mit fauler Genügsamkeit klebt - keine Ruhe zu
lassen, sie fort zu locken, bis eine Sehnsucht sie ergreift
nach immer höherer Schönheit, und sie treibt bald
zu den Mausoleen der Vorwelt, dann zu der auferstandenen
Pracht ihrer Museen und Kunstsäle, dann in die Theater,
dann wieder in die Sphäre des lebendigen, regsamen
Handelns und Gewerbes, bis sie einen Kreis der Sehnsucht
rund um die Erde gezogen, nun wieder auf der alten Stelle
ankommen, und wenn man sie frägt, wo die Schönheit
wohne, ermattet antworten müssen: Überall
oder nirgends. - Darin lag eben der Irrthum:
So lange einzelne im ausschließenden Besitz der Schönheit
zu sein vorgaben, durfte es niemand leiden: jeder mußte
mit der Glücksbeglaubigung, die ihm die Natur auf seine
Lebensreise mitgegeben hatte, mit der Schönheit, die
ihn vorzüglich reizte, und wenn es auch nur eine volle
Scheure, oder Braten und Torten waren, auftreten gegen den
vatikanischen Apoll, der als einzig Schönes ihm zugemuthet
wurde. Man hat im gemeinen Leben einen ungemein characteristischen
Ausdruck für die belobte, schlaffe Ansicht von der
Schönheit, da man sie wie eine angenehme Zuthat oder
Würze zu der übrigens geschmacklosen und odiösen
Sorgenbewirthung dieser Welt, kurz da man sie wie den Zucker
auf den Brei des Lebens betrachtete, und die alte Sage von
ihrer Allgegenwart in Luft und Meer und bei allen Lebendigen
gänzlich verklungen war. Nemlich man verglich die Schönheit
gemeiniglich mit einem Gewande, das der allzutrocknen Wahrheit
und der allzustrengen Tugend zuletzt umgehängt wurde,
um den erwachsenen Kindern durch eine Art von Täuschung
die Bitterkeiten des Lebens beizubringen, und die Künstler
waren dann eben die vermeintlichen Gewandschneider, die
Directoren und die Entwerfer dieser Täuschungen. Mit
dem nackten Leben hatten sie eigentlich nichts zu thun;
dies mußte, wie es Gott gegeben hatte, verbraucht
werden. Da hieß es dann: eine Wahrheit in geschmackvollem
Gewande darstellen, eine Idee ästhetisch-schön
ein- <37:> kleiden u. s. f., und jene himmlische
Schönheit, die eins ist mit der Wahrheit, die die Seele
aller Ideen ist, mußte herauskommen, und die Außenseiten
des todten Gedankens mit Zierrathen, und Stuccaturen, und
Schnörkeleien, und Farben verkleben, um die Neigung
schlaffer Seelen zu reizen. Auf die gemeinschaftliche Betrachtung
dieser Schönheit, die ein gutgeartetes Gemüth
nicht begehrt, weil es sie nicht begehren kann ohne das
Geständniß, daß ihm das Leben an und für
sich zu herbe schmecke - habe ich sie nicht einladen
können. Vielmehr ist von der himmlischen Schönheit
die Rede, die, so weit verbreitet, als das Leben, auch durch
das ganze Leben im großen und im kleinen empfunden
werden kann; von dem Geiste der Schönheit, den die
schönen Künste festhalten, und in bleibenden Ausdrücken
und Mustern aufstellen; wodurch die vergangenen Generationen
ihren herrlichsten Erwerb den nachfolgenden überliefern;
und durch den sich jede anscheinend vergänglichste
Handlung des Lebens an den uralten Stamm der Kunst anschließen
und so verewigen kann. Wem ist es z. B. bei den musikalischen
Darstellungen, die wir Opern nennen, worin die kleinsten
Züge einer reichen und grazieusen Handlung von angemeßnen
Tönen begleitet werden, und die deshalb von alten wohlbestallten
Kunstrichtern, als unnatürlich verdammt wurden, -
nicht beigefallen, daß die Natur, die in der Tiefe
unsers Innern spricht, gerade verlangt, daß jede kleinste
Handlung unsers Lebens von eben solchen, wenn auch unhörbaren
Accorden begleitet werden müßte, und daß,
wenn auch jedesmal von uns nur eine einzelne Handlung gethan,
ein einzelnes Wort ausgesprochen werden könne, dennoch
immer ein Orchester von Gefühlen in unsrer Brust harmonisch
mit anklingen, und sich so neben der einzelnen Handlung,
und dem einzelnen Worte immer in unserm Innern wieder offenbaren
müsse der ganze Mensch, wie sich die Gegenwart
der ganzen Natur und des ganzen Reiches der Schönheit
im Orchester offenbart, und die Leidenstöne, die der
menschlichen Brust entfahren, dergestalt, durch harmonische
Begleitung wieder besänftigt werden. Der Wein, der
Ruhm, die Liebe, der Gesang, das Mitleid und das Glück
versetzen uns in schöne Zustände, wo solche Töne
in unserm Herzen vernommen werden. Jeder von uns erinnert
sich daran und versteht was ich meine. Wir sind nie in solchen
Zuständen gewesen, ohne den Wunsch sie festzuhalten,
ohne schmerzliches Gefühl, wenn sie entwichen waren.
Nehmen Sie nun an, es gäbe eine Fähigkeit des
Menschen ohne äußere Veranlassung, ohne Wein
und ohne Ruhm, ohne Liebe und ohne Gesang, den das leibliche
Gehör empfindet, ohne Mitleid und ohne Glück,
das innerste und heiligste, welches durch jene Anlässe
erzeugt wird, von selbst durch Kraft der Seele und durch
Grazie der Seele zu erzeugen, so haben sie den Dichter,
den Künstler. Gehn sie noch einen Schritt weiter, und
denken sie sich, diese Fähigkeit sich selbst überall
musikalisch zu begleiten, als bleibenden Zustand im Menschen,
so haben sie vor sich das Bild einer schönen
Seele. Dies ist der natürliche Zustand des Menschen,
der erste und älteste, dessen wir uns erinnern können,
der Zustand der Kindheit, von dem (wie uns die Welt auch
nachher mißhandeln mag, durch welche Disharmonieen
wir auch späterhin hindurch müssen) dennoch durchs
<38:> ganze schmerzenvolle Leben eine gewisse Grundlage
von Wohlbehagen zurückbleibt. Das Wesen aller dieser
vorübergehenden und bleibenden Zustände ist die
Schönheit, von der ich rede. –
Warum
entbehrt die Poesie zu ihrer vollen Wirkung so ungern der
Verse und des Rhythmus? Es kommt ihr, da sie die Schönheit,
d. h. mehr als den bloßen Sinn der Worte und
Gedanken, mehr als den bloßen Umriß der Gestalten,
ausdrücken will, darauf an, darzuthun, daß der
ganze Dichter, wie vorher der ganze Mensch, allenthalben
zugegen sei; deshalb bringt die Poesie ihre noch so verschiedenartig
bewegten Bilder und Gestalten alle in eine gemeinschaftliche
Bewegung: nach wie verschiedenen Tacten sich die Glieder
der Handlung bewegen mögen, die ganze Handlung bewegt
sich dennoch nach einem einzigen Tact; wie sich die Hand
und der Fuß bewegen mögen, ein einziger, gleichförmiger,
hör- und fühlbarer Puls schlägt durch das
ganze Werk, und dieser Pulsschlag greift wieder ein in den
größeren Pulsschlag der ganzen Natur und so offenbart
sich allgegenwärtig der Dichter, und mehr als der Dichter,
der allgemeine Geist der Poesie und des Lebens. Welches
große Trauerspiel uns der Erdgeist zeigen möge,
und wenn es der Kampf zwischen Cäsar und Pompejus um
die Weltherrschaft wäre, der große, allgemeine
Pulsschlag der Natur, der Wechsel von Tag und Nacht dauert
anscheinend unbekümmert um die Unternehmungen jener
Helden fort, und wer hat nicht schon einmal in seinem Leben
gefühlt, wie dieser ruhige und rhythmische Wechsel
der Tage, der Jahrszeiten und Jahre, die Betrachtung der
schauerlichsten Catastrophen der Zeit still besänftigt,
und den Betrachter mit einem heiligen Gefühle von der
Schönheit der Welt erfüllt. Deshalb glaube niemand,
daß er das Wesen der Poesie empfunden, so lange ihm
noch die Verse unwesentlich erscheinen, so lange er die
Bewegung verachtet, welche ihn in den heiligen Schlaf, Traum
oder Wahnsinn der Poesie einwiegt.
Die
Erklärung der Schönheit, da man sagt, sie
sei überall da, wo sich ein Mannichfaltiges in einem
Einfachen, oder in Einheit offenbart, ist also so uneben
nicht: eine mannichfaltige Bewegung in einer einfachen,
die Unruhe in der Ruhe, die Leidenschaft in der Gemüthsstille. –
Aber wo ist denn die Schönheit, fragen die Leute,
damit wir sie ergreifen, uns aneignen, oder davon Nutzen
ziehen können: wir möchten sie uns gern einfangen,
und sie nachher sehen lassen, und beneidet werden. Mit unserer
Antwort: Überall oder Nirgends, dürfen wir nicht
kommen. Wohlan! es hat ja Leute gegeben, welche Profession
von der Schönheitslehre, von der Ästhetik machten;
geschmackvolle Kunstrichter, welche von der Verfertigung
und Fabrication des Schönen Rechenschaft gaben. Befragen
wir diese, so antworten sie: schön kommt her von scheinen,
was zweckmäßig scheint, ist Schön, und die
Kunst ist die Fertigkeit, schönen Schein hervorzubringen.
Sie erklären, daß derselbe kalte Verstand, welcher
den reellen, zweckmäßigen und klugen Anordnungen
des Lebens seine Billigung gebe, sich auch durch diese Täuschungen,
diesen Schein von Zweckmäßigkeit zufrieden stellen
lasse, vorausgesetzt, daß die betrachtende Seele nur
nie <39:> vergesse, wie alles Schein, bloßer
Schein sei. Eine gewisse Gründlichkeit ist diesen Kunstrichtern
nicht abzusprechen, aber an der Schönheit des Gegenstandes
selbst gehn sie unaufhörlich vorüber. Die Natur
muß ihnen beständig zweckmäßiger erscheinen
als die Kunst, und so kann die Befriedigung, welche der
Genuß des Schönen in sich trägt, in ihrem
Herzen nie Raum finden. Ihr Auge ist in den Gegenstand versenkt,
ein Motiv des Künstlers nach dem andern wird aufgefunden,
alle Glieder in der Kette seiner Composition werden zart
gesondert, aber das ganze bleibt verborgen, das unsichtbare
oder doch nur den feineren Sinnen ansprechende Band, worin
gerade sich der Schönheitssinn des Künstlers offenbart,
ist für sie nicht vorhanden. Sie sind zufrieden, wenn
sich das erste und das letzte Glied der Kette des Werks
nur unmittelbar wieder an die Natur anschließt, und
wenn das Ganze nicht mehr oder weniger gewesen, als ein
aus der Natur herausgeschnittener Moment. Jener Pulsschlag
des Dichters oder Künstlers, die Töne jenes Orchesters
in seiner Brust, das eigenthümliche Gesetz der Bewegung
in dem Werke ist für sie gänzlich abwesend. Wie
könnte es auch anders, da der Betrachter eines Kunstwerks
in das wahre Wesen desselben nicht eher eingeht, als bis
auch er, neben den äußeren Eindrücken, welche
er vom Werke empfängt, jene innere Musik empfindet,
ohne welche alle Romane und Tragödien der Welt nichts
sind, als Capitel aus der Naturgeschichte des Menschen,
der Laokoon und die berühmten venetianischen Pferde
nichts anders als erläuternde Bilder zum Büffon. –
Das Auge dieses Kunstrichters ist geübt, scharf und
in hohem Grade thätig, aber anstatt jenes Mitklingens
der Gefühle in der Brust, treiben Herz und Lunge unempfindlich
ihr animalisches Wesen fort, und so muß wohl die Schönheit
unempfunden bleiben. Dadurch, daß ich also dir, der
du mich fragst, wo die Schönheit sei, antworte: dort
ist sie! – wird dir nicht geholfen. Entweder siehst
du in ihr nichts weiter, als eben wieder ein Stück
Welt, wie es dir von jedem Tage deines Lebens schon
zugeschnitten wird, und was hast du dann davon: oder du
siehst wirklich eine Welt für sich, die eigenthümliche
Bewegung des Kunstwerkes theilt sich deiner Seele mit, und
so wirst du mir erwiedern: dort im Kunstwerke, mein Freund,
ist sie nicht allein! Sie ist eben so gut auch in meinem,
des Betrachters, Gemüthe. – – Wir haben alle
die Erfahrung gemacht, daß gewisse Gesichtszüge
und Gestalten der Menschen uns auf eine eigenthümliche
Weise ansprechen und reizen, und wenn wir auf diesen Reiz
hin, uns auf den Markt hinstellten, auf diese eigenthümlich
reizende Gestalt hinwiesen und riefen: dort, ihr Leute,
ist die Schönheit! – so würde uns vielleicht
niemand begreifen und alles an uns, wie an einem Wahnsinnigen,
vorübergehn. Jede menschliche Gestalt, kann man sagen,
findet, auf diese Weise, ein Herz, das sie in die ihr correspondirende
Bewegung zu versetzen versteht; es ist ja nichts so häßliches,
das nicht, in wiefern es nur lebt, einige schöne, sinnige,
tief ausdrucksvolle Momente darbietet, und da hat dann immer
die Natur eines ihrer Geschöpfe wieder mit einer besondern
Empfänglichkeit gerade für diesen Reiz ausgestattet –
und das ist das große Geheimniß, wie im Ganzen
doch endlich alle noch so bizarre Schönheit, welche
die Erde <40:> trägt, an den Mann gebracht wird,
und kein Roman so schlecht, kein Bild, keine menschliche
Gestalt so häßlich ist, daß sie nicht endlich,
wenn sie den Moment nur abwarten können, doch noch
ihre uneigennützigen Liebhaber fänden. –
Die s. g. gebildeten Leute klagen darüber, daß
es in der Welt so unendlich viel häßliches, widriges
und ekelhaftes und so weniges schöne gebe, und wenn
andern etwas lebhaft gefällt, so können sie nie
begreifen, wie es zugeht. Woher käme das? Daher, weil
sie immer nur den Gegenstand ansehn, welcher gefällt,
und den andern, welcher das Gefallen empfindet, ganz außer
Acht lassen. Wie nun, wenn einmal jemand mit der armseligen
Eitelkeit, daß er einen sehr verfeinerten Geschmack
habe und daß ihm unendlich wenig gefiele, nicht zufrieden
wäre, und sich eine eigne Politik bildete, damit ihm
recht vieles gefallen möchte. Wenn er z. B. allenthalben,
wo er jenes unbegreifliche Wohlgefallen zweier s. g.
häßlichen Naturen an einander wahrnähme,
dies als eine höchst interessante, lehrreiche Erscheinung
festhielte, und durch unaufhörliche Wechselblicke,
die immerfort zwischen den beiden so sonderbar bezauberten
herliefen, endlich das Geheimniß ihrer Liebe auffände.
Eingeweihter solcher Mysterien zu sein ist nichts geringes,
und wenn es eine Schule der Schönheit giebt, so ist
es diese! Hier muß das Wesen, die Seele des Wohlgefallens
ergriffen werden, und gerade die Äußerlichkeiten,
der Schein, die Täuschungen, welche das Urtheil über
die Schönheit so oft bewölken, dürfen über
den, der hier etwas wahrnehmen will, durchaus nichts vermögen.
Wir
machen häufig die Erfahrung, daß Personen, welche
wir in unsrer früheren Kindheit mit Hingebung geliebt
haben, deren körperliche Gestalt wir damals ohne Einwendung
so hinnahmen wie sie eben war, daß diese, wenn wir
sie in späteren Jahren wiedersehn, uns ungemein häßlich
vorkommen. Es ist nemlich in dem Zwischenraum zwischen der
Kindheit und den reiferen Jahren, ein gewisser ekler Geist
der Auswahl über uns gekommen, wir haben uns ein unbefriedigtes
Wesen angewöhnt, kurz wir haben das Geheimniß
der Liebe verlernt, und für das ganze verlohrne Paradies
nichts weiter gewonnen als ein tiefes unergründliches
Gefühl der Schaam, womit kein Lebensgenuß der
Welt bestehen kann. – Wer nun den Geist der Schönheit,
ohne alle falsche Rücksicht auf gewisse Äußerlichkeiten
der Erscheinung, wieder erobert, wer jenes Wohlgefallen
am anscheinend Häßlichen ergründet, der
gewinnt zugleich die göttliche Macht, die dunkelsten
Erscheinungen, welche sein Leben an ihm vorüberführen
mag, so zu berühren, daß sie ihm ihre Sonnenseite
zukehren müssen: er bezaubert die Welt, weil sie ihn
wieder bezaubern kann. – Gegen diese Lehre von der
allgemeinen Schönheit der Welt höre ich eine
wichtige Einwendung: Du hast recht, sagt man mir, wenn du
deine Reden von der Schönheit beginnst, mit einem Tadel
jener falschen und flachen Delicatesse der Welt, jenes Vorurtheils
gegen gewisse Formen der bildenden Kunst, welche ganz conventionell
mit dem Namen der Häßlichen gestempelt worden,
jenes andern Vorurtheils gegen gewisse Begriffe, ja gegen
Worte in der Poesie. Wenn man <41:> wie der französische
Zuschauer kein Blut auf der Bühne sehn kann, wenn die
Hexen und der blutbefleckte Geist des Banko im Macbeth als
absolut häßlich nicht gelitten werden, und nur
solche Süjets und Behandlungsweisen auf der Bühne
und in den übrigen Künsten geduldet werden sollen,
welche eine ohnmächtige, weichliche, verzärtelte
öffentliche Kunstmeinung privilegirt hat, dann ist
die Kunst gar bald am Ende. Aber wenn du verlangst, daß
wir Alles Schön nennen sollen, so willst du
uns zwar zu Göttern erheben, die alle ihre Werke gut
finden, aber des schönen menschlichen Vorzugs des Unterscheidens,
Wählens und Richtens berauben: wir sind endliche Wesen,
und immer steht uns ein Schönes näher als das
andre, das eine schmiegt sich leichter an uns als das andre,
ohne Vorliebe können und mögen wir nicht lieben.
Sei du doch so gut, könnte man noch spitzfindig aber
wahr hinzufügen, du, der du alles, wie es ist, schön
finden willst, handle doch selbst nach deinem Grundsatz
und finde doch unser Häßlichfinden gewisser Dinge
auch natürlich und schön. – Durch diese richtige
Einwendung komme ich zu den großen Resultaten dieser
einleitenden Vorlesung: Die Schönheit wohnt weder allein
in dem schönen Gegenstande, der unser Wohlgefallen
erweckt, noch wohnt sie allein in der Brust des Betrachters,
dessen, der das Wohlgefallen empfindet, und der nicht etwa
den Gegenstand erst zum schönen macht, sondern ihn
blos mit schönem Gefühle begleitet, aber mit seiner
Begleitung ganz unentbehrlich ist. Sie ist weder blos objectiv
noch blos subjectiv. Die Schönheit ist demnach jene
rhythmische Bewegung, Harmonie, oder wie soll ich sie nennen,
zwischen zweien, zwischen Mensch und Mensch, zwischen Geist
und Gefühl, zwischen Ruhe und Bewegung, die das Universum,
die Weltgeschichte, das Leben, wenn wir es mit Stille und
Kraft, d. h. wieder mit Schönheit betrachten,
unserm Gemüthe mittheilt; und welche in beschränktem
Umkreise jedes Kunstwerk darstellt. Dieses Geistes, der
das Universum beseelt, ist alles und jedes theilhaftig,
was sich mit seinem Leben an das Leben des Ganzen anschließt,
und die Empfänglichkeit für seine Offenbarungen
muß jeder in sich beleben und erhöhen, wie er
vermag. – Die einzelnen Schönheiten dieser Welt
sind die Repräsentanten dieses Geistes der Schönheit,
seine Statthalter auf Erden, welche bald deutlicher, vollständiger
und klarer, bald wieder dunkler, enger und unverständlicher
das ewige Wort in der endlichen Sprache ausdrücken.
So lassen sie uns denn einen Unterschied machen zwischen
der endlichen Schönheit, die vielen und mannichfaltigen
Naturen leicht und dauernd anspricht, wie die großen
Kunstwerke in Sprache und Bild, die das Alterthum hinterlassen;
die unser Gemüth in den Rhythmus der Schönheit
hineinzieht, und der andern Schönheit, die die Welt
nur darum für Häßlich ausschreit, weil wir,
die Betrachter, sie erst in jenen Rhythmus der Schönheit
hineinziehen müssen; weil ihre Schönheit von einer
Rinde verdeckt wird, die uns nicht reizt; weil wir erst
werden müssen, wie die Kinder, um sie in ihrer Eigenthümlichkeit
zu fühlen. Nennen wir die erste Gattung der Schönheit,
die uns an sich zieht, und von der unser Schönheitssinn
entzündet wird, gesellige Schönheit, weil
sich um ihren Reiz die Menschen gesellig, wie die Planeten
um die Sonne versammeln. Um die andre Art <42:> von
Schönheit, welche im Gegensatze der geselligen individuelle
Schönheit heißen soll, die wir im gemeinen Leben
so oft voreilig häßlich nennen, um diese zu empfinden,
muß der betrachtende Mensch selbst die Sonne werden
und jene wie Planeten, die von ihm ihr Licht empfangen,
um sich versammeln. – Und so läßt der wahre
Mensch sich freilich von jener geselligen Schönheit
entzünden, aber nur um alle individuelle, verborgene
Schönheit des Lebens wieder zu entzünden, um durch
die dunklen Rinden, welche sie verdecken möchten, und
durch alle äußeren Verzauberungen des Vorurtheils
hindurch zu leuchten. Er stellt dann durch sich selbst,
durch seine Erscheinung jene gesellige Schönheit
dar und mag nun zu wechselseitigem Anschauen jener ewigen
Kunstwerke, die seines Gleichen sind, gereinigt von allem
unedlen Anfluge der Welt zurückkehren. –
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