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<Adam Müller>, VII. Über den schriftstellerischen Character der Frau von Stael-Holstein, 54-56

VII. Über den schriftellerischen Character
der Frau von Stael-Holstein.

Das vorsorgliche Gefühl und der mannichfache Antheil, den diese berühmte Frau gegen die deutsche Nation und Literatur äußert, kann ihr nicht besser vergolten werden, als durch ein deutsches, unbefangenes Wort über ihren Character und ihre Werke. Als Frau ist sie über alle persönliche Beleidigung erhaben und als Schriftstellerinn hat sie den Lichtstrahl ihres Wesens zu oft schon in die verschiedenartigsten Farben zu brechen gewußt, hat sie die Ansichten fremdartiger Naturen sich zu sicher schon angeeignet, um noch durch die bestimmte nationelle Farbe irgend eines Urtheils verletzt zu werden. Wer ganz Europa über sich urtheilen sieht, wird die einseitige Critik nicht mehr scheuen, denn es wird ihm niemals an Trost und Gegengift fehlen.
Der Geist der Frau von Stael hat – es läßt sich nicht besser ausdrücken als mit ihren eignen Worten über Herrn Necker – un clavier d’ une singulière étendue. Der Umfang des Instruments, auf dem sie spielt, ist außerordentlich: die streitendsten Empfindungen stehn ihr zu Gebot; für jede ist die Saite schon gespannt und gestimmt, und erwartet nur noch die Berührung. Gegen das musikalische Gehör der Seele ist auch nichts einzuwenden: welche Melodie ihr irgend ein Herz vorempfunden hat, weiß sie mit großer Präcision nachzuspielen. Nur gegen die Resonanz des Instruments und gegen die Manier, in welcher die Meisterinn darauf phantasirt, ist viel zu sagen. Es ist ein sonderbarer Nachhall der Töne im Innern des Instruments: unter den frei’sten Modulationen der Künstlerinn laufen klagende Accorde her, deren sie nicht mächtig werden kann, und welche die Welt bald dem Instrument, bald der Neigung und der Manier der Frau von Stael zugeschrieben hat. Je mehr sie, um durch den Umfang des Instruments zu glänzen, alle Tonarten und Bewegungen geltend machen will, um so schneidender ist der Contrast zwischen der Fertigkeit, der Gewandtheit ihres Geistes und der Einförmigkeit des Grundgefühls, welches sich nicht zum Schweigen bringen läßt.
Ja selbst die Ruhe, den Frieden des Gemüths kann sie nicht denken ohne diese alles begleitende Melancholie. Von der Musik, welche in der letzten Krankheit der Madame Necker in den Abendstunden herbeigerufen wurde, sagt Frau von Stael: daß diese Töne erhabne Gedanken in der Seele der Sterbenden hätten erwecken sollen – um ihr Gemüth zu beruhigen, würde jeder andre denken – Nein! um dem Tode zu geben un caractère de melancolie et de paix. Um alles in der Welt läßt sich Frau von Stael diese Melancholie nicht nehmen.
Ferner: da sie die Liebe ihres Vaters zu seiner Gemahlinn beschreibt – in ihren Augen die höchste Liebe, welche allen Jahrhunderten, die dieses heiligste Verhältniß darzustellen und zu beschreiben nicht müde werden, gelungen ist und gelingen wird – legt sie den letzten Drucker in die begeisterte Schilderung mit den Worten: plein de remords sans avoir commis de fautes.
Also keine Liebe und keine Tugend ohne remords, kein Glück und keine Ruhe ohne melancolie. Solche Eigenheiten eines Autors sind leicht entdeckt, und eben so leicht mit dem Namen der Sentimentalität bezeichnet: edler und unsrer Absichten würdiger ist das Bemühn, sie in der Eigenthümlichkeit der Frau von Stael zu erklären.
Ihre Werke drücken sehr deutlich die Umwandlung aus, in der die ganze französische Literatur begriffen ist, denn allenthalben sieht man die durch Sitte und vornehme Gewohnheit längst verschlossenen Sinne sich wieder öffnen, und die eigenthümlichen Formen fremder Nationen, Gesinnungen und Zeiten ihnen klar werden. In den Werken der Frau von Stael läßt sich der Einfluß der altfranzösischen Erziehung nur noch in den verborgenen Adern, in den geheimsten, ihrem Bewußtsein selbst geheim gebliebenen Stellen des Herzens spüren: die äußere Neigung und Handelsweise verräth es nicht. – Die ihr in frühester Jugend angebildete Form ist dem ungewöhnlich lebhaften <55:> Geiste frühe verdächtig geworden, und wiewohl sich noch immer eine innere Behaglichkeit über den Besitz der ihr angebornen Sprache und Sitte wahrnehmen laßt, so scheint sie doch dies Gefühl in sich kaum zu kennen, verläugnet es vielmehr und strebt auf höchst ungemeine Weise nach einer gewissen Paradoxie der Empfindungen. – Die Empfindungen der seltsamsten Zustände, der entlegensten Zeiten will sie ihrem Gemüthe geläufig machen, wie die Sprachen dem Munde: und wie einst die Franzosen nur wahrzunehmen wußten das Abweichende, Nichtfranzösische, so will sie vielmehr mit der Gerechtigkeit, die dem poetischen Genie eigen ist, das Fremde in seiner eigenthümlichen und lebendigen Schönheit, d. h. gerade das Antifranzösische erkennen. – Demnach in der Freude des Gelingens gefällt sie sich in recht grellen Contrasten von Empfindungsweisen: wie ein junger Schauspieler, der sich der Fähigkeit, die entgegengesetztesten Charactere darzustellen, zuerst bewußt wird, so schmeichelt sie sich und der Welt mit einem zauberhaften Wechsel unzähliger Geistercostüme. Daher ihre Werke, ohne eigentliches Colorit, dennoch zeigen, welche Welt von Farben ihr zu Gebot steht.
Das Element nun, welches diesen oft ermüdenden Gestaltenwechsel durchdringt, welches wie Atmosphäre das ungleichartigste in ihr verbindet, ist vielleicht unkünstlerisch, aber gewiß nicht unmenschlich: es ist eben ihre Melancholie. Wenn sie einen außerordentlichen Menschen, un être superieur, oder ein recht wunderbares Gefühl darstellen will, so greift sie zuerst nach Ausdrücken, wie: reunion de contrastes, reunion de qualités opposées, mélange de respect et d’intérêt u.s.f. Sie ahndet richtig, daß es bei allem Großen und Schönen auf Erden auf eine Vereinigung des Entgegengesetzten ankomme, aber dieses Verschiedenartige assaisonnirt sie vielmehr durch ein immer wiederkehrendes Gewürz, als daß sie es vereinigend beseelte. Wir kennen alle Gemeinplätze gegen die Oeffentlichkeit und besonders gegen die Schriftstellerei der Frauen, gestehen aber dennoch, daß wir Frau von Stael in ihrer Melancholie oft sehr weiblich finden: in diesem sonderbaren Heimweh nach einer Stelle der Welt, die man nicht zu nennen, oder auf der Landcharte zu zeigen weiß, und die man doch verscherzt zu haben glaubt, indem man den vielfachen und schönen Lockungen eines neuen Zeitgeistes folgte – indem man mit einer Lust, deren Befriedigung damals das reinste Herz nicht zu tadeln vermochte, der von den Vätern zugemutheten steifen Einförmigkeit des Lebens entwich. Die gegenwärtige Generation ist überhaupt abtrünnig geworden von der Generation ihrer Väter; sie ist ihren Vätern ungleicher als irgend eine frühere. Und so ist es also nicht blos der Vater, wie Frau von Stael glaubt; nicht blos das Vaterland, wie andre in ähnlicher Schwermuth befangene meinen: in diesem Heimweh, welches den verlornen Vater, oder das verlorne Vaterland zu verklären strebt, verbirgt sich das schöne Verlangen, allen Reichthum, der uns so rasch überkommen ist, mit der entflohenen Ureinfalt des Genusses, mit einem gewissen väterlichen, patriarchalischen Geiste zu versöhnen. So, als eine Luft, die unbegreiflich aus dem vergangnen Leben herweht, fühlen wir sie in der Corinna; recht weiblich wird ihr Ursprung von dem wirklichen Vater, dem Herrn Necker, hergeleitet. Dieser aber ist in allen Werken der Frau von Stael viel mehr, als sie glaubt; er ist eine ächt allegorische Person.
So erklären wir uns ihr Wesen und überlassen der Welt die gemeine Auslegung, da man sagt: sie stehe mit ihrem Geiste und ihrem äußeren Glück als orpheline in der Welt und strebe deshalb und als Gegengewicht gegen die Ahnen andrer die Apotheose ihres Vaters zu Stande zu bringen. Aber nun ein deutsches Wort gegen diese Melancholie:
In der Schrift über ihren Vater ruft Frau v. St. begeistert aus: Délicieuse protection que celle de la génération qui nons précède – Ah! quand elle tombe cette génération – wenn eine neue aufsteigt, zu der wir uns verhalten, wie sich einst die dahin gesunkene zu uns verhielt – was ist natürlicher, als daß wir den väterlichen Character nun gegen die neue behaupten, und uns in unserem Stande so gefallen und betragen als unsre Väter einst in dem ihrigen – so wird die Väterlichkeit verewigt, deren Idee Frau v. Stael in ihrem Vater anbeten sollte. Es giebt in jedem Leben einen Wen- <56:> depunct, wo sich das Herz von der Vergangenheit und ihrem Repräsentanten dem Vater, hinwendet auf die Zukunft und ihrem Repräsentanten dem eignen Kinde: eine Mutter muß vornehmlich das Geheimniß dieses Weitergebens der heiligsten Gefühle begreifen. – So viel über die schriftstellerische Persönlichkeit der Frau von Stael: in unserem nächsten Hefte wird die Betrachtung ihrer Corinna uns zu einer interessanten Vergleichung der deutschen und der französischen Sentimentalität Gelegenheit geben. Um besonders denen verständlich zu werden, die eine Vorliebe für die französische Literatur hegen, und um für sie einen Vergleichspunct festzustellen, theilen wir das vortreffliche Fragment einer französischen Uebersetzung des Schillerschen Gedichtes: Resignation mit, welches uns von einem erleuchteten Beschützer der Kunst mitgetheilt worden. Unsre Absicht dabei wird erst im zweiten Hefte vollständig klar werden:

Je vis aussi, le jour en Arcadie,
Et le droit au bonheur, me fut aussi donné,
Mais quoi? dèja sitôt ma carriére est fournie,
Et je vécus infortuné.

Il est du moins pour tous, un printems dans la vie;
Pour moi de fleurs avare, à peine il a parû.
Sur ma tête du tems la main appesantie,
M’annoce en m’accablant, que mon terme est venu.

Me voilà, je suis prêt à subir ta puissance,
Reçois moi dans ton sein, auguste éternité;
Je te résigne ma créance
Qui m’assurait des droits, à la félicité.

Ce titre m’appartient du jour de ma naissance
Intact je te l’ai rapporté.
C’en est fait, et je vais terminer l’existence
Etranger au bonheur et sans l’avoir gouté.

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