Christian
Wilhelm Spieker an Karl Eduard v. Bülow, Frankfurt (Oder),
11. 11. 1847 (Abschrift: Stadtarchiv Frankfurt [Oder],
Sign. N 8)
Hoch u. herzlich verehrter Herr
Kammerherr,
Fräulein Ulrike v[on] Kleist lebt noch u
befindet sich ganz wohl. Ich habe indeß Ihre Bitte um Aushändigung der Briefe ihres
Bruders zum diskreten Gebrauch bei der Biographie desselben\1\ persönlich sehr dringend wiederholt. Sie erklärte aber, daß sie
schon einen Theil der Briefe vernichtet hätte u die noch vorhandenen vor ihrem Tode
verbrennen werde, weil sie Sachen enthielten, die nur für sie, für einen dritten aber
durchaus kein Interesse hätten. Dies sprach sie so fest u bestimmt aus, daß ich alle
weiteren Versuche, sie Ihrem Wunsche geneigt zu machen, einstellen mußte.
Für die gütige Uebersendung des literar. Nachlasses Ihres genialen Oheims, des
tiefschauenden, charaktervollen Baren meinen herzlichsten Dank. Die Valentinischen Briefe
haben mich recht erquickt u mir den kräftigen Mann mit seinem kompakten Verstande u
klarem durchschauendem Blicke lebhaft vor Augen gestellt. Ich würde Ihnen meinen Dank
früher ausgesprochen haben, wenn ich Sie nicht in dem schönen Italien gewußt
hätte, aus dem Sie gewiß bereichert mit herrl. Genüßen u[nd] klassischen Schätzen,
die für das ganze Leben ausreichen, zurückgekehrt sind. Die literar. Welt wird davon
reichen Gewinn haben.
Unserm herrlichen
Tieck, dem, wie allen wahrhaften Dichtern, eine ewige Jugend zu Theil geworden, bitte
ich mich herzl[ich] zu empfehlen. Ich wollte ihn bei meiner letzten Anwesenheit zu Berlin
in Potsdam besuchen, um ihm recht viel von Waldenburg u von den Pflegekindern seiner Agnes
zu erzählen, aber es war ein so anhaltendes Regenwetter, daß ich eilte, um wieder
nach Hause zu kommen.
Mit der
vollkommensten Hochachtung verharre ich zu meiner Ehre
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
D. Spieker.
Frankf. a/O 11t. Nobr. [18]47.
\1\ Heinrich v. Kleists Leben u. Briefe.
1848.
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