Hartwig
Schultz (Hrsg.), Achim von Arnim und Clemens Brentano, Freundschaftsbriefe, 2 Bde.
(Frankfurt a. M: Eichborn 1998), Bd. 2, 730-733
Clemens Brentano an Achim v. Arnim, Berlin, 3. 2. 1816
[Berlin, den 3. Februar 1816]
Lieber Arnim!
Der alte Baldinger schrie einem Schuster, der ihm das Jahr vorher Wurstsuppe geschickt
hatte, zu Marburg über den Markt zu, Freund! was du an mir gethan hast, soll dir Gott im
Himmel vergelten. Was soll dich dir nun für einen Vergelter zitiren, da du die
Wurst selbst an mir gethan hast? Wodan schenke dir einen Eichenhain, worin Schinken
wachsen in Walhalla und Wanndann? bei der ersten Gelegenheit. Bei dieser Gelegenheit
fällt mir das fette Schwein, der Jordis ein, ich fand ihn bei Savigny, da ich die Würste
erhielt, er unterhandelt hier mit Bülow, und ist dümmer, und Trüffelgrauer als je.
Schleiermacher und Larochens waren auch da, und Savigny laß den Scherbius vor. Zur Kleist
gehe ich alle Freitag, Pfuhl, und Schütz Lacrimas sind immer da, das ist ein recht guter
Mensch, und wenn er gleich stark nach der Tieckischen Clausur spricht, so hat er doch
einen seltenen Enthusiasmus für Poesie, was einem heutzutage beinah altfränkisch
vorkömmt. Er hat dich recht lieb, und läßt dich grüßen. Ich fragte ihn, ob er viele
Verehrer seiner Poesie gefunden habe, er versicherte mich nur drei, Tieck, der sie die
Musikalische nenne, Isidorus Orientalis, und Varnhagen! damit war er ganz zufrieden; ich
gab ihm dein Interesse für den Nabelort noch zu, was ihm viele Freude machte. Wir haben
Kleists Hermann dort gelesen. Bei aller Bisarrheit finde ich es in Haltung groß, und in
der Bisarrität ungemein lustig. Was den Kleist besonders kurios macht, ist sein Rezept
zum Dialog, er denkt sich alle Personen halb taub, und dämelich, so kömmt dann durch
Fragen und Repetiren der Dialog heraus. Es dürfte ein Schauspieler nur einmahl recht laut
schreien, so käme gleich die größte Unwahrheit ins Gespräch. Uebrigens ist
<731:> es recht schön und ehrlich bei der guten Kleist. Es freut mich, daß du
meine Idee mit dem Theatralischen Briefwechsel lebendig aufgegriffen zu haben scheinst,
und ich erwarte sehnlich deinen ersten. Ich finde es für das Leben und Interesse des
Ganzen vortheilhaft, daß du eine Art Roman damit vorhast, doch verstehe ich nicht ganz,
wie wir aus den beiden Charackteren, welche du vorhast, und die beiderseits das falsche
wollen und müssen, das Rechte recht zu Tage legen wollen, was doch eigentlich der Zweck
des Ganzen sein müßte. Es fehlt die eigentliche Person, der verständige Dichter, und
nach deinem Plan dürfte zwar freilich gewiß ein Gutes lustiges Buch herauskommen, aber
der vielleicht noch mehr im Unrecht seiende Direcktor würde als beatus possidens doch
zulezt gewinnen müssen, das Ganze aber würde auf die Verstärkung der öffentlichen
Meinung hinauslaufen, die neuen Dichter wollten das Unmöchliche, und seien nicht
dramatisch. Wie der Heuchler Iffland sie schon vorzustellen wuste. Der Charackter eines
solchen Dichters würde freilich, viel Komisches zur Hand liefern, aber der Wahrheit und
dem guten Ziele schaden, dazu glaube ich, daß er kaum existirt. Er könnte bleiben, doch
müßte noch ein Andrer eintreten. Ich hielte es für das Beste und eingreifendtste, wenn
wir uns eine bestimmte Lage annehmen, zum Beispiel die Brühlische der sich wehrt gegen
ein Zweites Theater und ließen endlich das Zweite neben ihm entstehen, und ihn besiegen,
dein ganzer Roman könnte doch zwischen durchlaufen. Du nähmst dann mehrere Characktere,
und ich auch. Ich will etwa neben dem vorwitzigen Dichter, auch mich selbst nehmen, nimm
du neben dem Direcktor, etwa noch einen Schauspieler, der das 2te Theater errichten will;
ich bin bereit dir im Nahmen der Person zu antworten, an die du schreibst, und welche du
in einer kleinen Aufschrift charackterisiren magst. Der Zufall wird vieles Lustige geben.
Wir müssen Göthe und die andern Götter nicht sparen und Reisen und dergleichen
vorbringen, daß es alles den grösten Schein der Wahrheit kriegt, meine
Theaterverhältnisse in Wien und Prag, deine Passion für Grassini, der alte Winter, was
Betine weiß, alles kann vielen Stoff geben und das ganze sehr interessant und lehrreich
werden. Weber ist nach Weimar zu Göthe zitirt <732:> und schon ab mit Schadow, er
holt sich eine Oper, Schadow bespricht Blüchers Rostocker Monument mit ihm, Rauch und
Schinkel lachen in die Faust! Göthe schickt wöchentlich Aushängebogen über altteutsche
Kunst an Schuckmann und Zelter. Wenn unser Theater Briefwechsel sich macht giebt uns
Schinckel einen Theaterbauplan dazu. Fange an in Gottes Nahmen, nur halte Alles so viel
möglich in einer scheinbaren Lokalität, das giebt vielen Anlaß, und reitzt ungemein.
Wenn Betine auf ihre Art eine Rolle übernehmen wollte, würde das Ganze sehr gewinnen.
Vor Allem aber vergiss auch den schon mit Finck kontrahirten Plan der Monatlichen
Erzählungen nicht. Du hast mehr Vorrath als ich, schicke vor Allem eine Erzählung und
entwerfe zugleich eine einfache Vorrede zum Ganzen. Ich bin sehr davor, daß du einen
geschloßenen Auszug, eine Novelle aus den Kronenwächtern schicktst. ich werde mir alle
Mühe geben, die Sache in Gang zu bringen. Ich habe neulich einen Band von den
Fantasiestücken des Justitzraths Hoffmann gelesen, in welchen wirklich sehr viel
vortrefliches ist, einige Sachen haben eine Ähnlichkeit mit dem Ton des scherzhaften
Gemisches, doch ohne so vielen Duft, und fixirter. Dennoch fühle ich, daß du ihn
auch in der humoristischen Manier bei weitem übertreffen könntest. Alles musikalische
drinn ist ganz ungemein gründlich und zugleich einfach und lieb wie Asmus. Wenn unsder
Theaterbriefwexel zu Stande kommt, will er mit Vergnügen sich dann und wann als ein
Kapellmeister hinein korespondiren, er kann dem Ganzen einen wirklichen Wehrtbeitrag
geben, er ist ein druchaus guter, sehr seltsamer, ehrlicher Kumpan. Der Stiftungstag der
d. Gesellschaft war sehr brillant, ich gieng nicht hin, aber habe Ihnen ein Blücherlied
und ein Ecce quem bonum dazu geschrieben, welche Zerboni die Spossetti mit gröster
Leidenschaft mit gebrüllt. Der Vers: hoch lebe der Merkurius, der von Franzosen heilet,
wer alzusehr drauf schwitzen muß, der hat sich übereilet, ward dreimahl wiederholt.
Schuckmann hat dem Haxthaußen, auf des Laubachs Vorschlag, den Görres zum Regierungsrath
des Schulwesens zu machen, erwiedert, es könne von Görres nie die Rede sein. Man spricht
wieder, er gehe nach Jena bestimmt. Der König hat Sak und den Königsberger Postelius zu
Bischöffen <733:> ernannt, sie kriegen violette Litzen und Generalleutnantsrang und
2000 rtl Zulage zur Equipage! Vor einigen Tagen soll dem König auf der Redoute, da
er sich 5 Mahl umgekleidet, unter jeder Maske von jemand dasselbe streng vorgepredigt
worden sein, er ward zulezt zornig und wollte die Maske packen, aber sie entwischte
glücklich. Ein schöner Gegenstand zum Lustspiel, wäre die geheime Polizei auf dem
Masquenball. Jordis ist gestern Abend abgereißt, als Comissair General d. Roi de
Prusse en affaires de finances. Sein Theil der Contributionsuebermachung, die unter 8
getheilt ist, macht eine jährliche Rente von 12000 rtl, während 5 Jahren. Coreff
korespondirt mit Lulu, Varnhagen war wirklich beinah verrückt aus Liebe und am Tod.
Hardenberg hat ihr schier täglich ein zärtlich billet geschrieben, er sagte einst zu
ihr: Liebe Frau, ach wie seelig fühle ich bei ihnen, Sie erregen mir eine Empfindung, die
mich fühlen macht, daß ich doch wirklich noch nicht so ganz alt bin. .
Alexander soll den ältsten Sohn des abgesetzten Königs von Schweden zu seinem
Statthalter in Finnland ernannt haben!! Das wäre so das neuste, außer daß Ringseis
einen langen Brief an Savigny geschickt in welchem er von Görres beinah nichts spricht
aber von Paris durch ganz Niederland biß Ffta/m auch die kleinste Postwagen Klatscherei über das Betragen
der alliirten Truppen vermeldet, wo dann die Preußen immer schlecht wegkommen, wir haben
recht gelacht über diese bairische Ausdauer. Das Schwerd zwischen Baiern und Oestreich
steht noch gehoben. Der Betine dank ich nochmals herzlich, daß sie mir das Tuch bleichen
will, und daß sie bei mir auf meiner Stube war. Sie ist doch recht meine Schwester
geblieben, und da bist du auch dran Schuld lieber Bruder, wenn ich sterbe will ich euch
auch bedenken. Lebe wohl und Schicke mir bald Manuskript.
3te Febr 1816
Dein
Clemens
So eben höre ich von Schinckel, daß Boiserees
mit ihren Bildern herkommen, der König giebt ihnen freien Transport, hier Lokal und
Wohnung und schenckt 10000 rtl zu dem Domwerk.
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