Percy
Matenko, Tieck and Solger. The Complete Correspondence (New York, Berlin:
Westermann 1933), 320-322
Ludwig Tieck an Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Ziebingen, 2. 1. 1817
- Ziebingen, den 2ten Januar 1817.
- Geliebtester
Freund,
Vorerst meinen Glückwunsch zu diesem Neuen Jahr, Ihnen und Ihrer lieben Frau und theurem
Kinde, so wie Ihrer <321:> verehrten Frau Schwiegermutter, meinen
herzlichsten Wünschen vereinigt sich zugleich meine Familie, so wie alle hiesigen
Hausgenossen. Noch bin ich Ihrer lieben Frau meinen Danck schuldig für die gütige
Besorgung der Weihnachtsgeschenke, die meinen Kindern die größte Freude gemacht haben,
nur hat mir diese Sache vielen Kummer gemacht, denn gleich nach meinem Briefe war mir, als
sey es eine Indiskretion, daß ich darum gebeten hatte, und ich tröstete mich nur damit,
daß Ihre Frau doch vielleicht für Ihr Kind etwas einkaufte. Nun hat mir aber Ihr kurtzer
Brief, der mit den Sachen ankam, in die größte Angst und Sorge versezt, denn mir schien
eine Empfindlichkeit über meinen Auftrag daraus hervor zu leuchten, aber Kummer machte
mir vorzüglich, daß Ihre liebe Frau davon sehr angegriffen zu seyn schien, und seitdem
bin ich in der peinigendsten Aengstlichkeit, daß sie krank möchte geworden seyn, und
also durch meine Schuld und Veranlassung, ich habe auch noch keinen beruhigenden Brief von
Ihnen erhalten, so sehnlich ich ihn auch erwartete: kurtz, mein Freund, ich bin wirklich
für meine Indeskretion recht hart gestraft worden. Beruhigen Sie mich nur recht bald,
daß sich unsre geliebte Freundinn wohl befindet, denn mich verfolgen unaufhörlich die
traurigsten Bilder. Es würde mir auch ohne weiteres Unglück sehr leid thun, wenn ich
Ihre Freundschaft durch irgend etwas kränken sollte. Gestern erfahre ich auch aus der
Zeitung, daß ein Mann, den ich sehr geehrt und geliebt habe, der Schauspieldirektor Liebich
in Prag gestorben ist. Sie glauben, welch trefflichen Schauspieler und höchst
liebenswürdigen Menschen die Welt an ihm verlohren hat: er hatte so gar nichts vom
Comödianten im Leben, wie ich noch an keinem Künstler gesehn habe, und während meines
Aufenthalts in Prag fühlte ich mich durch einen wahren Zug der Freundschaft zu
ihm geneigt. Nun haben Sie den Phantas. wahrscheinlich schon
durchgeblättert oder gelesen, und ich bin sehr auf Ihr Urtheil gespannt. Der zweite Fortunat
scheint mir doch die keckste Aufgabe, die ich mir in dieser Gattung gesezt. <322:>
Jezt, Liebster, muß ich Sie auch an Ihr Versprechen wegen unsres Kleists mahnen,
denn es ist nun bald die höchste Zeit, die Sache fertig zu machen: wenn Sie doch die
Güte hätten, auch bei dem H. v. Rühl noch einmal nachzufragen.
Wenn Sie mir doch Lohensteins Tragödien auf einige Wochen schicken könnten, ich
brauche sie jezt zu einer Arbeit nothwendig. Sie sind doch gewiß auf Ihrer Bibliothek
oder vielleicht besizt sie einer Ihre Freunde.
Mit welcher Sehnsucht und
Aengstlichkeit ich diesesmal einem Briefe von Ihnen entgegensehe, kann ich Ihnen nicht
sagen. Wenn Sie mir doch einmal kurtz einiges von dem mittheilen könnten, was Ihnen auf
Ihrer lezten Reise am merkwürdigsten geschienen hat: finden Sie aber keine Zeit dazu, so
sehe ich Sie doch gewiß in diesem Frühjahr. Meine Befinden ist leidlich. Ihren lieben Dialog,
der mir immer lieber wird, sende ich Ihnen in einigen Tagen durch Schütz: lassen
Sie nur schnell drucken. Seyn Sie mir nicht böse, sondern erhalten Sie mir Ihre
Freundschaft, die mir immer nothwendiger wird, ich bin unausgesezt
Ihr ergebner
L. Tieck.
H: PSB, folio 60, 3 pp
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