Percy
Matenko, Tieck and Solger. The Complete Correspondence (New York, Berlin:
Westermann 1933), 408-411
Karl Wilhelm Ferdinand Solger an Ludwig Tieck, Berlin, 4. 1. 1818
- Berlin, den 4ten Januar 1818.
- Ihr
letzter Brief, mein einzig theurer Freund, trieb mich Ihnen sogleich zu antworten; ich
konnte es aber bis jetzt nicht, weil mich eine systematische Arbeit zum Behuf meiner
Collegien die letzten Wochen hindurch so fesselte, daß ich sie fast nur durch Essen und
Schlafen unterbrach. Man kommt zuweilen mit Einem Male auf das lang gesuchte Geheimnis,
eine Lehre faßlich und doch im strengen Zusammenhange darzustellen, und solche
Anwandlungen darf unser Eins durchaus nicht ungenutzt vorübergehn lassen, wenn auch
manches andere darüber versäumt werden sollte. Was mich vorzüglich zum
Schreiben aufforderte, war Ihr Zorn darüber, daß ich in diesen kurzen Weihnachtsferien
nicht zu Ihnen gekommen bin. Ich ward dadurch gleich beim Lesen Ihres Briefes sehr
beunruhigt. Der Fehler liegt allein an Schede. Dieser sagte mir früher, daß er mit einem
H. Biernacky zu Ihnen reisen würde, und auf meine Aeußerung, daß ich wohl Lust
hätte von der Gesellschaft zu sein, trafen wir die Abrede, daß er mich benachrich-
<409:> tigen sollte, wie es damit würde, und wann und auf welche Art die Reise vor
sich gehn sollte. Darauf habe ich nun wirklich gewartet, aber vergeblich. Nun hätte ich
wohl auch allein mit der Journaliere reisen
zu können. Aber theils war
es zu spät um den weiteren Transport von Frankfurt aus zu veranstalten, theils war ich
auch zu unlustig, ohne einen solchen äußern Anstoß etwas zu unternehmen, indem ich
mich das Uebelbefinden meiner Frau niederschlägt, und ich mir ein Gewissen daraus mache,
sie in diesem unangenehmen Zustande zu verlassen. Wir verleben diesen Winter still und
traurig. Meine arme Frau leidet hart an oft wiederkehrendem Zahnweh und Nervenschwäche,
und dies wird ohne Zweifel nicht eher ein Ende nehmen als mit der Niederkunft. Alle, die
es verstehn, versichern mich, es sei nichts Gefährliches dabei; doch kann ich mich der
Unruhe nicht ganz entschlagen, und schon ihr jetziges dauerndes Leiden betrübt mich. Auch
meine Schwiegermutter kränkelt diesen Winter. Desto gesünder sind, Gott sei Dank, die
beiden Kinder; sie gedeihen recht zu meiner Freude.
Jeder Ihrer Briefe ist mir
ein Trost und eine Erheiterung. Ich freue mich, daß Sie auch mit meinen zum Druck
bestimmten Briefen zufrieden sind. Glauben Sie aber auch gewiß, daß sie für das Journal
passen? Ob Sie selbst für dieses arbeiten, schreiben Sie mir nicht; dies macht mir Sorge,
daß Sie vielleicht weniger eifrig dafür sind, als ich. Noch etwas habe ich im Sinne zu
schreiben: Ueber den Beruf der Philosophie in unserer Zeit, wo meine
eigenthümlichen Ideen mehr positiv eingeflochten werden sollen; ich schwanke aber noch,
ob dies auch im Journal oder besonders herauskommen soll. Schicken Sie mir doch jene
Briefe spätestens durch Schütz wieder, es könnte mich leicht der Trieb anwandeln sie
fortzusetzen. Einen Gedanken hege ich mit großer Liebe, den ich aber kaum eher ausführen
kann, als bis das Publikum einigermaßen aufmerksam auf meine Philosophie geworden. Es ist
der, einen populären Unterricht über Religion, Staat, Kunst, und die allge-
<410:> meinsten sittlichen Verhältnisse von meiner Philosophie aus zu schreiben, so
daß sich Ungelehrte, Weiber, und die erwachsene Jugend daraus belehren könnten. Dazu
gehört aber auch noch viel Uebung in der Popularität. Sehn Sie, ich überschütte Sie
ordentlich mit Plänen zu künftigen Arbeiten. Die Ausführung steht in Gottes Hand.
Ueber die
Confessionsvereinigung wollen wir uns nicht mißverstehn. Ich fing ja dieses Kapitel in
meinem letzten Briefe mit Klagen über diese an. So wie man sie jetzt willkührlich und
mit gänzlichem Absehen von der Bedeutung der Zeichen gemacht hat, ist sie mir höchst
zuwider, und ich werde mich ihr niemals fügen. Ist Ihnen der amtliche Bericht der Synode
darüber, den Schleiermacher aufgesetzt hat, vorgekommen? Dieser giebt gar keine
Erklärung über die Sache, und stellt den Schritt aus dem Grunde als unverfänglich dar,
weil derselbe über die Bedeutung der äußeren Zeichen gar nichts entscheiden solle, und
jedem vorbehalten bleibe, davon zu halten, was er wolle. Und dabei werden
diejenigen, die noch beim Alten bleiben wollen, die Schwachen genannt!! Es freut mich
sehr, daß Kadach und seine Nachbarn zu diesen Schwachen gehören. Was ich sagte, war nur,
daß eine Zurückführung der verschiedenen protestantischen Confessionen auf Ein Symbol,
in welchem alle mit voller Ueberzeugung übereinstimmen könnten, wünschenswerth sei.
Dieses scheint mir die unerläßliche Bedingung einer wahren Kirchenverfassung, die mir
sehr wichtig scheint, so wohl in religiöser, als auch besonders in politischer Hinsicht.
Wo nicht das Wesentlichste der öffentlichen Sittlichkeit eine höhere und allgemein
anerkannte Sanction hat, da giebt es doch zuletzt keine absolute Schranke der Willkühr.
Aber eine solche Kirche schließt die Verschiedenheit der Meinungen, und also auch
mehrerer in ihr begriffenen Sekten, nicht aus. Damit würde es sich ungefähr so
verhalten, wie mit den verschiedenen geistlichen Orden bei den Katholiken, nur unendlich
besser, da bei den wahren Evangelischen jeder aus dem Volke ein Geistlicher sein soll.
<411:>
Die beiden Bände Ihres
Deutschen Theaters hat mir Reimer geschickt. Ich danke von Herzen dafür! Meine Frau, die
sich sehr für das Drama, und selbst für dessen Geschichte interessirt, läßt sich gern
die alten Versuche vorlesen, (wobei man freilich nicht ohne Auslassungen umhin kommt), bei
ihrer Mutter finden sie aber wenig Gnade. Kleist kommt doch zu Ostern heraus? In den
kleinen Gedichten ist viel zu corrigiren. Kann ich meine die Abschrift
von dem Liede: Zottelbär und Panterthier auffinden, so lege ich sie Ihnen
bei. Vorzüglich wünschte ich am Schluß: Brüder, nehmt die Büchse doch,
die Büchse statt der Keule wieder hergestellt. Sind denn Ihre Bücher aus Paris und
London noch nicht da? Und auch meine, die mitkommen sollten?
Sie sagen: wir sehn uns bald.
Das ist ein gutes, edles Wort. Wenn Sie doch kämen! Wenn Sie doch immer hier wären! In
diesem Falle würde ich mir bestimmte Zeiten von Ihnen aussetzen lassen, damit Sie mir von
der Welt nicht zu viel entrissen würden.
Vor Schütz schäme ich mich
etwas. Ich wollte ihm vor Weihnachten seinen Schwarzenberg mit der Kritik wieder schicken,
und nun bin ich doch nicht damit fertig geworden. Ich habe die Direction der
wissenschaftlichen Prüfungscommission, die ich mir auf dies Jahr übernommen hatte,
niedergelegt; und die Berichte am Ende des Jahrs haben mir auch viel Zeit genommen. Mein
Seminar behalte ich aber, und sein Gedeihen macht mir Freude.
Das Weihnachtsconfekt kostet
mit Emballage 7 rl. 6 gl.
Viele Grüße von uns allen
an Sie und Ihre ganze Familie, Burgsdorffs, alt und jung, Schütz, Finkensteins,
Kadachs u. s. w.
Behalten Sie mich lieb, und
schreiben Sie mir bald
-
- der Ihrige
Solger.
H: PSB, folio 78, 4 pp.
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