Karl
v. Holtei (Hrsg.), Briefe an Ludwig Tieck, 4 Bde. (Breslau: Trewendt 1864), Bd.
2, 174-176
Johanna v. Haza an Ludwig Tieck, L., 26. 11. 1816
L., den 26. Nov. 1816.
Ew. Wohlgeboren
bin ich von meiner Mutter
beauftragt, Alles zu senden, was ich noch aus dem poetischen Nachlaß Heinrich von
Kleists besize. Leider besteht mein ganzer Reichthum in einer Abschrift seiner
Penthesilea, die ich Ihnen hiebey mit Vergnügen überschicke, da als sie geschrieben
wurde, nur einige wenige Abschriften in den Händen vertrauter Freunde davon existirten
und ich, schon seit acht Jahren aus jedem litterarischen Kreis herausgerückt nicht weiß,
ob sie schon einmal gedruckt worden ist. Ich will sie daher lieber Ew. Wohlgeboren umsonst
schicken, als mir den Vorwurf machen, die Gelegenheit versäumt zu haben, zur
Verherrlichung eines der edelsten Menschen und genialsten Dichter unsrer Zeit etwas
beyzutragen, der in beiden Eigenschaften so vielfältig verkannt worden, mir aber in
beiden ein Hauptlehrer gewesen ist, zu der Zeit, als ich in dem interessanten Kreise
aufwuchs, dessen Hauptzierde er mit war. Leider vermuthet meine Mutter auch die
Geschichte seiner Seele bey mir; bey unsrer Tren- <175:> nung behielt sie
aber dieselbe und macht mir durch ihre Nachfrage sehr bange um die Wiederauffindung dieses
unschäzbaren Werkes, welches wahrscheinlich in dem Getümmel der lezten Zeit verloren
gegangen ist, ohne welches aber Kleists ganze Schriften nur ein Fragment bleiben dürften,
wenigstens für die, welche ihn gern ganz kennen und würdigen, vorzüglich seinen
lezten Schritt gern entschuldigen möchten. Warum sparte er doch die unglückliche Kugel
nicht mindestens so lange noch auf, um sie, wie Körner aus dem Gewehr des Feindes zu
empfangen und wie ein ächt deutscher Sänger unter den Tönen einer vaterländischen
Siegeshymne zu fallen! Sollte sich die Geschichte seiner
Seele, noch finden lassen, so wäre sie wohl am sichersten bey Herrn Obrist Rühle
von Lilienstern zu suchen, für den sie ursprünglich geschrieben war. Noch hat meine
Mutter mehrere Hefte von seiner eignen Hand Fragmente überschrieben. Es waren
wirklich nur solche, ausser der Novelle Josephe und Jeronimo und der Erzählung vom
Roßkamm (den Namen habe ich vergessen) enthielten sie nur einzelne
hingeworfne Ideen und Bemerkungen, die aber gröstentheils voll tiefen Sinns waren und die
gleichfalls mehr zur Anschauung seiner Seele dienen, als seine eigentlichen
Dichtungen. Auch von diesen weiß ich nicht, wo sie hingekommen, noch ob sie im Druck
erschienen sind, daher nenne ich sie Ihnen wengistens. Hat Ihnen meine Mutter, ein
Gedicht an die Kamille und das an den König geschickt, das für
seinen im Frühjahr 1809 erwarteten Einzug bestimmt war? Beides waren nur
Gelegenheitsgedichte, aber wie alles von ihm doch von Bedeutung; er dichtete das erste
für meine Mutter, die sich einst über die Dichter beklagte, welche alle Blumen nur die
Kamille nicht besängen, die doch denen so heilsam sey die, wie sie, an Krämpfen litten
Ihr und meiner kleinen Person zu Ehren, wurden sie denn nebst den <176:>
Vergißmeinnicht und Veilchen im Traum des Käthchen erwähnt. Das Gedicht an den König
wäre jezt als erfüllte Prophezeihung doppelt interessant. Die Sünde die er an
seinem herrlichen Robert Guiscard begangen hat, möge ihm Gott wie die an sich selbst
begangne verzeihn! Wohl dem jüngern Dichter, dem ein alter Meistersänger ein Denkmal
sezt, wie Sie ihm! Möge Ihnen Ihr eignes Bewußtsein lohnen und der inniggefühlte Dank
Derer, die sich gern an dem Schönen erfreuen, sey es auch wie hier der Fall, oft nur ein
schönes Streben und die Ihnen, da Sie selbst jezt so karg sind, doppelt danken, daß sie
uns mit etwas Fremden die Lücke ausfüllen, die der Verlust älterer Meister und der
Mangel würdiger Schüler uns in der Litteratur unsers Vaterlandes zu machen drohen. Wann
werden sich doch die guten frommen Jünger endlich überzeugen, daß eine Genoveva und ein
Sternbard nur einmal geschrieben werden kann und daß alle Nachahmungen davon nur
Schattenbilder sein können? Haben Sie die Güte unter die, welche Ihnen
ganz vorzüglich Kleists Werke danken werden, auch zu rechnen
Ew. Wohlgeboren
ergebenste
Johanna v. H.
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