Bernhard
Erdmannsdörffer, Zu Kleists Prinzen von Homburg, in: Preußische
Jahrbücher 34 (1874), 205-210
Widmungsexemplar
In meinem Besitz befindet sich eine gleichzeitige Handschrift von
Kleists Prinz Friedrich von Homburg, von welcher es den Freunden des
Dichters vielleicht erwünscht ist, hier eine kurze Notiz zu erhalten.
Ein sauber
geschriebenes Octavbändchen von 210 Seiten. Nicht von des Dichters eigener Hand; hin und
wieder finden sich einzelne Rasuren und kleine Correcturen, die eine sorgfältige
Durchsicht des Manuscripts verrathen; doch sind die Correcturen nicht bedeutend genug, um
an ihnen, etwa durch Vergleichung mit dem Facsimile in der Kobersteinschen
Ausgabe der Briefe, die eigene Hand Kleists constatiren zu können. Der rothe
Pappband mit goldverziertem Rücken mochte sich wol seiner Zeit leidlich elegant
ausnehmen; man vermuthet sogleich ein Dedicationsexemplar. Ich fand die Handschrift vor
einiger Zeit auf einer Bücherauction in Greifswald. Ueber ihre Provenienz war nichts
weiter festzustellen, als daß sie einem in einer preußischen Provinzialstadt kürzlich
verstorbenen Gymnasiallehrer angehört hatte, dessen Bibliothek in Greifswald zur
Versteigerung kam.
Der Prinz
von Homburg ist bekanntlich erst zehn Jahre nach des Dichters Tode von Tieck
herausgegeben worden, zuerst in den Hinterlassenen Schriften (1821), dann in
der Gesammt-Ausgabe (1826); an letztere schließt sich die Ausgabe von Julian Schmidt an.
Eine erneute handschriftliche Vergleichung ist nach Tieck nicht mehr angestellt worden.
Wie wenig aber die Textgestaltung der Kleistschen Werke überhaupt in jenen Ausgaben
den Anforderungen einer strengeren Kritik entspricht, hat Reinhold Köhler (Zu Heinrich
v. Kleists Werken. Weimar 1862) durch die sorgfältigste Vergleichung der
Originalausgaben mit den Texten der späteren Ausgaben eindringlich dargelegt. Nur sehr
unvollständig sind die Ergebnisse dieser Arbeit für die seitdem erschienenen Abdrücke
von Julian Schmidt, von Wilbrand, von Kurz verwerthet worden; eine Gesammtausgabe
Kleists mit kritisch gesichertem Text besitzen wir noch nicht. Um so eher werden
vielleicht die nachfolgenden kurzen Bemerkungen über die erwähnte Handschrift manchem
willkommen sein.
Gehe ich zunächst
an der Hand des Köhlerschen Variantenverzeichnisses mein Manuscript durch, so
ergiebt sich, daß dasselbe fast ausnahmslos in allen Fällen zu Gunsten der ersten
Tieckschen Originalausgabe und gegen die nachmals von Tieck und Schmidt
aufgenommenen Textesänderungen zeugt; die Handschrift stimmt nahezu vollständig mit der
von Tieck bei seiner ersten Ausgabe benutzten und damals noch ohne Emendationen
abgedruckten überein. Selbst <206:> augenscheinliche Unrichtigkeiten wiederholt sie
genau: z. B: in den Worten Homburgs (Act 3 Sc. 1 S. 328 der
Schmidtschen Ausgabe von 1863.)
Eine That,
Die
die
gesammte
Altrömische
Tyrannenreihe, schuldlos,
Wie Kinder, die am
Mutterbusen sterben,
Auf Gottes rechte
Seit hinüberwirft!
findet sich in unserer Handschrift ganz derselbe sinnlose Schreibfehler
Tyrannenreiche und rechter, wie in der Originalausgabe; hier hat
zuerst Julian Schmidt zweifellos richtig emendirt.
Aber ebenso
verhält es sich nun auch mit allen anderen Differenzen der Lesart, wo es sich nicht um
offenbare Schreibfehler handelt, sondern um völlig willkürliche Aenderungen in den
späteren Ausgaben. Bei allen den kleinen sprachlichen Schlimmbesserungen, womit diese den
Kleistschen Text heimsuchen, steht die Handschrift überall auf Seiten der von ihnen
verworfenen Lesarten. Ungewöhnlich, hart bisweilen und gewaltsam mögen viele dieser
angefochtenen Absonderlichkeiten der Kleistschen Sprache erscheinen aber
daß der Dichter sie so wollte, daß sie seiner sprachlichen Empfindung durch irgend
welche Vorzüge, meistens durch gesteigerte Prägnanz und Energie (sei es des Gedankens
oder auch nur der Form) sich empfahlen, daran ist nicht zu zweifeln, und auch unsere
Handschrift tritt überall für sie ein. In manchen Fällen sind in der That die
vorgenommenen Aenderungen nur ebenso viel verflachte Abschwächungen des
kräftigeren und tieferen Kleistschen Ausdrucks, zu denen keinerlei begründete
Veranlassung ersichtlich ist. Wie kommt man z. B: dazu, in dem letzten Monolog
Homburgs in den Worten (S. 377):
Es wachsen Flügel
mir an beiden Schultern,
Durch stille
Aetherräume schwingt mein Geist
dieses völlig tadellose schwingt auszumerzen und dafür ein dem gewöhnlichen
Sprachgebrauch vielleicht gebräuchlicheres, aber auch so viel matteres
schwebt zu setzen? Die Originalausgabe hatte das richtige, und ebenso steht es
auch in unserer Handschrift. Oder, in der Unterredung zwischen Natalie und dem Kurfürsten
(S. 338):
(Natalie): O
dieser Fehltritt, blond mit blauen Augen,
Den, eh er noch
gestammelt hat: ich bitte!
Verzeihung schon vom Boden
heben sollte:
Den wirst Du nicht mit
Füßen von dir weisen!
ist es eine recht pedantische nachträgliche Aenderung Tiecks, die auch Schmidt adoptirt,
statt dieser im ersten Vers zu schreiben: O diesen Fehltritt, um
des folgenden den willen; die Aenderung ist sprachlich nicht nur ganz
unnöthig, sondern auch nicht einmal eine Besserung; für diese im höchsten Affect
gesprochenen Worte ist gerade der Wechsel des Casus, meiner Empfindung nach, äußerst
natürlich und erhöht die Bewegtheit des Ausdrucks; jedenfalls steht
dieser in unserer Handschrift und ebenso auch in der von Tieck benutzten. Am
bedenk- <207:> lichsten wird diese Willkürlichkeit, wo sie die Gründe zur
Aenderung nicht einmal aus sprachlichen, sondern aus ästhetischen Rücksichten hernimmt.
Ich gebe das ästhetisch Anstößige gern zu in den Worten Homburgs, wo er von
seinem nahen Tode spricht (S. 333):
Und der die
Zukunft auf des Lebens Gipfel
Heut wie ein
Feenreich noch überschaut,
Liegt in zwei
engen Brettern duftend morgen,
Und ein Gestein
sagt dir von ihm: er war!
aber wenn an Stelle des allerdings nicht sehr erfreulichen duftend Tieck
und Schmidt in ihren Text ein zwar geruchloses, aber auch ebenso farb- und geschmackloses
leblos setzen, so mag dies vielleicht manchem gefallen in der
Tieckschen Handschrift hat es sicher nicht gestanden, und in der mir vorliegenden
steht es auch nicht, und Kleist hat zweifellos nie so geschrieben. Und ebenso, wenn
Natalie in der Unterredung mit dem Kurfürsten (S. 341) sagt:
so ganz
Unheldenmüthig
träfe mich der Tod
In eines
scheußlichen Leun Gestalt nicht an!
und wenn hier die genannten Herausgeber einen grimmen Leun vorziehen, so
liegt die Sache in derselben Weise: Kleist hat nun einmal, wie beide Handschriften zeigen,
einen scheußlichen Leun gemeint, und welches Recht haben wir, ihm
den Ausdruck zu wehren?
Die angeführten
Beispiele werden genügen zum Erweis der Behauptung, daß unsere Handschrift mit der von
Tieck bei der Herausgabe der Hinterlassenen Schriften benutzten wesentlich
harmonirt; eine Bekräftigung zugleich auch für die schon von R. Köhler
hingestellte Ansicht, daß alle Aenderungen in der zweiten Tieckschen Ausgabe nicht
auf handschriftlichem Grunde beruhen, sondern lediglich eigenmächtige Conjecturen
sind.
Einige kleine
Verschiedenheiten finden sich nun allerdings zwischen der Handschrift und der Tieckschen
Originalausgabe; doch bleibt es hier in den meisten Fällen zweifelhaft, ob nicht doch die
Handschriften übereinstimmten, Tieck aber schon bei dem ersten Druck sich einzelne
Aenderungen erlaubt oder einige Versehen sich bei ihm eingeschlichen haben.
Um zunächst eine
Kleinigkeit zu erwähnen: die in den Scenen zwischen dem Kurfürsten und Natalie häufig
vorkommende Anrede Oheim, Ohm ist in den Ausgaben durchweg, auch
in der Tieckschen Originalausgabe, in der deutschen Form festgehalten; in meiner
Handschrift steht abwechselnd auch die Form Onkel. Es ist mir wahrscheinlich,
daß Tieck in seiner Handschrift dies ebenso vorfand, aber die französische Form
absichtlich tilgte. Gewiß dem jetzigen Leser erwünscht, aber philologisch doch von
zweifelhafter Berechtigung.
Die Interpunktion
ist in der Handschrift an vielen Stellen eine sehr verehrte, oft ganz unmögliche; hier
haben die Ausgaben mit Recht Ordnung hergestellt. An einer Stelle scheint mir indeß doch
die Handschrift das bessere zu bieten als alle Ausgaben; in der Unterredung zwischen dem
Kurfürsten und Natalie, Act 2 Sc. 1 (S. 341): <208:>
Kurfürst
(im äußersten Erstaunen)
Nein, meine
theuerste Natalie,
Unmöglich in der
That! er fleht um Gnade?
hier scheint es mir richtiger, mit der Handschrift zu interpungiren:
Unmöglich, in der
That?! er fleht um Gnade?
das äußerste Erstaunen markirt sich noch kräftiger und bewegter, wenn das
unmöglich als Ausruf, das in der That schon wieder als Frage
gefaßt wird.
Von größerem
Interesse ist eine andere Abweichung. In der Schlußscene des vierten Actes zwischen
Homburg und Natalie, wo diese, zagend gegenüber den beiden gleich entsetzlichen
Aussichten, ihn physisch oder moralisch zu Grunde gehen zu sehen, dem Prinzen die Lage der
Dinge vorstellt, schließt sie mit den Worten (S. 352):
Kannst Du dem
Rechtsspruch, edel wie du bist,
Nicht
widerstreben, nicht, ihn aufzuheben,
Thun, wie
ers hier in diesem Brief verlangt:
Nun so
versichr ich dich, er faßt sich dir
Erhaben,
wie die Sache steht, und läßt
Den Spruch
mitleidlos morgen dir vollstrecken!
Alle Ausgaben stimmen hier überein, nur schwankend zwischen den Formen
mitleidlos und mitleidslos; nun aber zeigt unsere Handschrift
keines von beiden, sondern bietet uns die zunächst überraschende Lesart:
Den Spruch mitleidsvoll
morgen dir vollstrecken!
Man würde wol schwerlich von selbst auf die Idee gekommen sein, an dem
mitleidlos des Textes Anstoß zu nehmen so wie mir die andere
Lesart in der Handschrift entgegentrat, war ich sofort überzeugt und bin es noch, daß
sie allein die richtige ist. In der That kann es doch eigentlich kaum gesagt werden, daß
der Kurfürst den Prinzen mitleidlos erschießen lassen würde; es kann nicht von
dem Kurfürsten gesagt werden, und am wenigsten kann es Natalie sagen, die ihn so wol
kennt, die noch kurz zuvor ihm selber zugerufen:
Und Gott schuf
noch nichts milderes, als dich.
Oder will sie damit vielleicht den Eindruck des Schreckens bei dem Prinzen verstärken?
Daran ist nicht zu denken der ganze Nachdruck des Gedankens liegt für Natalie
in dem: er faßt sich dir erhaben (und dieses Wort ist in unserer
Handschrift unterstrichen, ebenso wie es in der von Tieck benutzten war), und es ist
einleuchtend, wie das Erhabene in dem Entschluß des Kurfürsten nicht in der Abwesenheit
des Mitleids liegt, sondern in der Ueberwindung des ihm so natürlichen Mitleids durch die
unerbittliche Strenge des Rechtsgefühls. Und wie ächt Kleistisch ist nun dieses scharfe
Oxymoron, dieses mitleidsvolle Erschießenlassen. Nichts ist ihm mehr nach dem Herzen, als
ein solches machtvolles Zusammenballen zweier sich widerstrebender Gedanken zu einem
einzigen wuchtigen Ausdruck. Man findet Stellen der Art bei ihm in Menge, wie etwa das
würge sie betend! in der ersten Scene der Familie
Schroffenstein und vieles ähnliche. Die Hauptsache würde freilich immer die
Autorität der handschriftlichen Bezeugung bleiben. Da steht nun aber von den beiden
<209:> Handschriften, die in Betracht kommen, hier die eine gegen die andere.
Welcher von ihnen soll man in diesem einen Falle einer wesentlichen Abweichung das
höhere Ansehen zuschreiben? Soll ich sagen, was ich eigentlich meine, so hege ich jetzt
doch sehr starke Zweifel, ob in der Tieckschen Handschrift wirklich
mitleidlos gestanden hat. Bei der sonst durchgehenden Uebereinstimmung der
beiden Manuskripte bis auf das Kleinste und selbst bis auf notorische Schreibfehler (und
die letzteren machen es mir wahrscheinlich, daß Tieck nicht das Kleistsche
Autographon vor sich hatte, sondern gleichfalls eine Abschrift) ist mir diese Differenz
zwischen ihnen überhaupt nicht sehr glaublich. Ob etwa Tieck an dem zweimal
wiederkehrenden voll in dem Verse Anstoß nahm und darum änderte? Es wäre
stark, aber nach manchen seiner Leistungen in seiner zweiten Ausgabe nicht gerade
undenkbar. Oder ob ein bloßer Druckfehler vorliegt? Wenn die Tiecksche Handschrift in
Berlin noch vorhanden ist, oder wenn, was ich augenblicklich nicht constatiren kann, unter
den Kleistschen Autographen der Königlichen Bibliothek in Berlin sich vielleicht
das des Prinzen von Homburg befindet, so wird die Frage leicht zu entscheiden
sein.
Genug von diesen
Minutien, die vielleicht manchem an dieser Stelle befremdlich scheinen. Ich wollte damit
nur für diejenigen, die es angeht, das Verhältniß der bisherigen Ausgaben zu der mir
vorliegenden Handschrift darzulegen suchen; diese selbst steht jedem, der etwa
Veranlassung zu weiteren Vergleichungen hat, gern zu Gebote.
Ich sprach oben
die Meinung aus, unsere Handschrift möge wohl ein Dedicationsexemplar gewesen sein.
Vielmehr, daß sie dies ist, bezeugt sie selbst und liefert uns damit zugleich ein kleines
Kleistsches Ineditum und eine noch unbekannte Notiz zur Biographie des Dichters.
Auf dem dritten
Blatte der Handschrift findet sich (von derselben Hnad wie das übrige) die Widmung:
Ihrer Königlichen Hoheit, der Prinzessin Amalie Marie Anne, Gemahlin des Prinzen
Wilhelm von Preußen, Bruders Sr. Majestät des Königs, gebohrne Prinzessin von
Hessen-Homburg. und darunter die nachfolgendenVerse:
Gen Himmel
schauend greift, im Volksgedränge,
Der Barde fromm in
seine Saiten ein.
Jetzt trösten,
jetzt verletzen seine Klänge,
Und solcher
Antwort kann er sich nicht freun.
Doch Eine denkt er
in dem Kreis der Menge,
Der die Gefühle
seiner Brust sich weihn:
Sie hält den
Preis in Händen, der ihm falle,
Und krönt ihn
die, so krönen sie ihn Alle.
So viel ich sehe, ist dieses kleine Widmungsgedicht noch nirgends gedruckt; in der
von Tieck benutzten Handschrift hat es jedenfalls nicht gestanden; es ist kein Grund
denkbar, warum er es unterdrückt hätte. Den potischen Werth wird man nicht eben
bedeutend finden; die vierte Zeile namentlich ist nicht recht klar. Aber von Interesse ist
es, hier eine persönliche Beziehung Kleists kennen zu lernen, die den Biographen
bisher nicht bekannt war. <210:>
Die Veranlassung,
den Prinzen von Homburg gerade der Prinzessin Wilhelm von Preußen, der
geborenen Homburgerin, zu widmen, scheint an sich nahe genug zu liegen. Nirgends zwar
tritt uns in Kleists Briefen oder in sonstigen biographischen Quellen eine Andeutung
darüber entgegen, daß er zu dieser Fürstin in näherer Behiehung gestanden; aber die
Haltung jener Verse scheint doch auszuschließen, daß diese Widmung nur eine Courtoisie
aus der Entfernung war. Auch auf sie also, wie auf die Königin Luise, hat der
unglückliche Dichter einmal Hoffnungen gebaut.
Wenigstens eine
Vermuthung läßt sich darüber aufstellen, wann und unter welchen Umständen diese
Widmung dargebracht worden sein mag.
Im März 1810 war
das Drama vollendet. Kleist schrieb darüber an seine Schwester Ulrike, das Stück werde
jetzt auf dem Radziwillschen Privattheater gegeben, später solle es auf die
Nationalbühne kommen, und, wenn es gedruckt ist, der Königin übergeben
werden (Koberstein S. 156). Dies heißt doch höchstwahrscheinlich, daß das
Gedicht der Königin gewidmet werden sollte, auf welche er gerade damals besonders seine
Hoffnungen richtete, der er wenige Tage vor dem Datum jenes Briefes an Ulrike zu ihrem
Geburtstag das schöne Sonett überreicht hatte, das wir noch besitzen und das, wie Kleist
zu wissen meint, einen tiefen Eindruck auf sie machte. Jedenfalls wenigstens (das dürfen
wir aus dem Briefe schließen) hätte Kleist damals es wohl nicht drucken lassen
mit einer anderen Widmung als an die Königin Luise; die Widmung an die Princessin Wilhelm
war damals noch weder geschrieben, noch beabsichtigt. Nun aber verfolgte das Unglück den
Dichter bekanntlich auch hier bei dem Meisterstück seiner dramatischen Muse; der Prinz
von Homburg machte kein Glück, alle darauf gesetzten Hoffnungen scheiterten, die
Aufführung auf der königlichen Bühne unterblieb, das Stück kam vielleicht nun gar
nicht in die Hände der Königin. Und kurze Zeit darauf dann der Tod der Königin Luise.
Es ist mir wahrscheinlich, daß nun erst Kleist sich dazu entschloß, sein Gedicht der
Princessin Wilhelm darzubringen und es unter die Protection der hochgebideten Fürstin zu
stellen, die ihm jetzt als die berufenste am preußischen Hofe erscheinen mußte. Irre ich
nicht, so klingt etwas von der traurigen Enttäuschung des ersten Anlaufs durch die Zeilen
des Widmungsgedichtes hindurch. Noch einmal rafft der Unglückliche sich zu einem Versuche
auf, dem vaterländischen Gedicht in den Kreisen Boden zu verschaffen, die in erster Reihe
darüber und über das Schicksal des bedrängten Dichters selbst zu entscheiden haben. Das
Denkmal dieses letzten Versuchs mag nun vielleicht das vorliegende Bändchen sein. Ich
stelle mir vor, es ist das Exemplar selbst, welches Kleist an die Princessin schickte oder
zu schicken beabsichtigte. Das Verhängniß hat er auch damit nicht gewandt. Mir aber
gilt, indem ich es in diese Zusammenhänge setzen zu dürfen glaube, das kleine Buch als
eine werthe Kleistsche Reliquie.
B. Erdmannsdörffer.
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