Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Anhang, CXXXIX
Theodor Körner an seine Eltern, Wien, 4. 12. 1811
4. Theodor Körner an seine Eltern. \1\
Wien, am 4t 10br 1811.
Ihr Lieben.
Ihr erhaltet diesen Brief durch Werner. Die beyfolgenden werdet Ihr gütigst besorgen.
Ich komme eben aus der Oper Trajan
in Dacien.\2\ Siboni sang den Trajan,
Veluti den Decebalo und die Fischer die Dolomira (oder wie
sie anders heißt).
Im Ganzen macht er durchaus
keinen Effect. Das Sujet ist erbärmlicher behandelt, als jedes andre. Das Duett,
welches Ihr kennt, ist fast das vorzüglichste. Veluti sang sehr brav, nur bin
ich im Ganzen durch die deutschen Opern an einen einfachen großen Styl im Gesang
gewöhnt, daß mir diese ewigen Arabesken der Italiäner nicht mehr recht munden. Siboni
ist im Stand zwar mit viel Anmuth und großem Reitz des Tons über eine Fermate
mehrere Minuten zu künsteln. Da ist Benelli selbst in dem Zuviel nichts dagegen.
Schön ist ein Terzett
im Finale des 2t Acts. Es
geschahen auch bei dieser Vorstellung, die aber durchaus nicht zu den gelungensten
gehörte, indem z. B. die Blasinstrumente einmal ganz zur falschen Zeit eintraten,
viel Ungeschicklichkeiten. So schlugen die Licktoren bey der Schlacht nicht schlecht mit
zu, und Trajan selbst engagirte sich mit dem Decebalus, beyde
ohne Helm und Schild.
Die Tempos
nahm man heute gräßlich langsam. Das kommt aber von den vielen Manieren her, wo die
Sänger gar zu viel Zeit brauchen. Die Vestalin wird ungleich
vollkommner gegeben, besonders der 2t Act.
Das Vorzüglichste aber, was man hier sehen kann, bleibt der Figaro.
Kleists Ende hat mich nicht
sehr gewundert, wie sich aber eine Frau aus Liebe zu ihm hat erschießen können, das sehe
ich noch nicht ein. In der ganzen Geschichte erkenne ich das überspannte
flache Wesen der Preußen deutlich ausgedrückt. Es giebt Fälle, wo jeder Trost
niederträchtig, und die Verzweiflung Pflicht ist, das wird niemand läugnen, nur muß es
keine Verzweiflung an sich, sondern an das Leben sein. Manches Leben kann nur der
Selbstmord würdig enden, und für solch einen hab ich Respect. Das andre sind
Kindereyen, wozu weder Muth noch Kraft gehört. Auf den Sonnabend mehr.
- Euer
Theodor.
- \1\ Hs. im Besitze des Herausgebers.
\2\ Trajan in Dacien, von Nicolini komponiert.
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