Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil.
Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885])
(Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXVII-LXXIV
Berliner Abendblätter
Es thut mir leid, die <LXVIII:> Wahrheit zu sagen, daß es ein Mädchen ist; wenn es
ein Junge gewesen wäre, so würde er Ew. Wohlgeboren wahrscheinlich besser gefallen
haben. Also abermals, wie Goethe gegenüber, verschmähte der leidenschaftliche
Dichter selbst nicht den gemeinsten Klatsch, um die vermeinte Beleidigung zu rächen.
Iffland, von den Anstrengungen der letzten Jahre körperlich und geistig geknickt und
überhaupt eine wenig männliche Natur, antwortete demütig, er sei als
Direktionsführer verpflichtet, die Meldung Römers richtig zu stellen, denn er habe
keineswegs ihm sagen lassen, das Stück gefiele ihm nicht. Damit würde ich,
bemerkt Iffland, eine Gemeinheit begangen haben, die ich nicht erwiedere, auch wenn
solche gegen mich gebraucht werden sollte. Ihr Schreiben an mich werde ich der Frau von
Berg selbst vorlegen, um damit die Aufträge zu erledigen, welche sie mir in Beziehung auf
Sie ertheilen zu wollen die Ehre erwiesen. Damit war die Sache abgethan. Kleist war
für die erste Bühne seines Vaterlandes unmöglich geworden. Er scheint auch gar nicht
den unnützen Versuch gemacht zu haben, den ohnehin in höheren Kreisen mißliebigen
Prinzen von Homburg auf das Nationaltheater zu bringen.\1\
In diese Zeit muß auch
Kleists Bekanntschaft mit der Schauspielerin Henriette Hendel-Schütz fallen.
Kleist war bei einem Berliner Mäcen, dessen Reichtum im umgekehrten Verhältnis zu seiner
Bildung stand, zu Tische geladen. Als besondere Aufmerksamkeit war ihm die Hendel, die
durch ihre pantomimischen Darstellungen damals ganz Berlin bezauberte, als Tischnachbarin
zugeteilt worden. Der Banquier hatte sich dem Künstlerpaare gegenübergesetzt, damit ihm
ja kein Wort der bevorstehenden interessanten Unterhaltung entginge. Frau Hendel-Schütz,
eine schöne, üppige Gestalt, deren Reize noch durch ein phantastisches, durchsichtiges
Gewand gehoben wurden, begann mit dem schüchternen, gesellschaftlich schwerfälligen
Poeten eine genial-ungenierte Unterhaltung von dem Orden der Dichter und Dichterinnen, der
mit allem, was Theater heißt, eng zusammenhinge, von den geheimen Erkennungswörtern
desselben, von dem magischen Bande, das die verschwisterten Seelen hoch über
Menschensatzung, Vorurteile und konventionelle Formen hinauszuheben imstande sei
u. s. w. Dem guten Kleist, der zu dieser Verbrüderung nicht zu gehören
glaubte, von Natur wortkarg und scheu, war diese Unterhaltung im höchsten Grade zuwider,
er schwieg beharrlich und beschäftigte sich mehr mit der leiblichen Nahrung des
Gastgebers, als mit der geistigen seiner Tischnachbarin. Die feurige Künstlerin ließ
aber mit ihren Deklamationen nicht nach und bestand darauf, sie wolle ihm heute noch als
neuaufgenommenem Dichterbruder die Weihe geben, wozu sie durch das Statut ermächtigt sei,
und lud ihn zum Abend zu sich zu Gaste. Kleist wurde ob dieser Zudringlichkeit ganz starr,
und ohne ein <LXIX:> Wort zu sagen, mit dem Taschentuche die in seinem Gesichte
auflodernde Glut verbergend, stand er auf und rannte ohne Hut spornstreichs die Treppe
hinunter und zu seinem Freunde Kriegsrat Peguilhen, dem er das Abenteuer in
unglaublicher Exaltation vortrug.\1\
Ein anderes komisches
Begebnis aus dieser Zeit erzählt die Rahel 1819\2\: Vor vielen Jahren war ich einmal mit der Generalin
Helwig [Amalie von Imhoff] und ihren beiden Schwestern bei Mad. Sander, wo
sie mich wollte kennen lernen; ich hatte aber damals schon den Namen Robert, und so meinte
sie, ich seis nicht; ich, die dies nicht wußte, trat nicht vor und mußte den
ganzen Abend nur! mit Heinrich Kleist und Adam Müller sprechen; weil Achim Arnim
und Clemens Brentano in schwarzen Theekleidern und Bestrumpfung aus Respect vor der
interessanten vornehmen Dame rempart spielten, und niemand in der Hitze
heranließen. Kleist, mit straßenbeschädigten Stiefeln und ich lachten heimlich in einem
Winkel und amüsirten uns mit uns selbst. Ich erfuhr erst nachher die bévue und
die verfehlte Bekanntschaft: Frau von Helwig konnte es gar nicht vergessen mit den Namen!
Sie wußte nur von hoch-, ich aber von falschgeboren.
Jetzt griff Kleist nochmals
zu der Idee, eine politische Zeitschrift zu gründen. Es war die denkbar ungünstigste
Zeit dafür. Obwohl die französischen Truppen bereits im Dezember 1808 die preußische
Hauptstadt verlassen hatten, so blieb doch die Scheu, das Mißtrauen der französischen
Regierung wachzurufen, in den maßgebenden Kreisen so groß, daß jede öffentliche
Äußerung auf das ängstlichste überwacht und namentlich die Tagespresse der strengsten
Censur unterstellt wurde. Am 1. August 1809 übernahm der Kriegsrat Himly das
Censoramt und unterdrückte mit wahrhaft drakonischer Strenge jede Äußerung, die auch
nur entfernt das Mißfallen der allmächtigen französischen Regierung erregen konnte.
Kleist selbst hatte in dieser Richtung bereits früher eine böse Erfahrung gemacht. Als
die Rückkehr des Königs nach Berlin angenommenermaßen bald nach dem Abzuge der
französischen Besatzung erfolgen sollte, da wünschte Kleist sein im Frühjahr 1809 zur
Feier dieses Ereignisses gedichtetes Begrüßungspoem bei dem Hofbuchdrucker Decker
in einem Separatabdruck erscheinen zu lassen, aber der Polizeipräsident Gruner
verweigerte das Imprimatur.\3\ <LXX:>
Unter diesen schlimmen
Aussichten traten am 1. Oktober 1810 die Berliner Abendblätter
ins Leben\1\. Welch ein Unterschied zwischen
dem sieghaft auftretenden Phöbus und diesem Erzeugnis der Not! Jener erschein
einst in Quart, auf feinstem Büttenpapier, mit großen Antiqualettern gedruckt und mit
Kupfertafeln geschmückt, diese im allerkleinsten Oktav, vier Seiten
enthaltend, auf grauem Löschpapier, durch Druckfehler entstellt, mit stumpfen Typen, die
unter Anwendung aller raumsparenden Kniffe bis zum augenmörderischsten Petit
hinabstiegen. Da die Gründung einer neuen rein politischen Zeitung zweifellos bei der
Regierung auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen wäre, so kündigte
Kleist ohne zunächst seinen Namen zu nennen sein Journal als ein
Unterhaltungsblatt an, mit der Absicht, in derselben Weise wie der Freimütige
und der Hausfreund, nebenbei auch politische Artikel aufzunehmen. Er gewann
dadurch den Vorteil, daß sein Journal nicht von dem Kriegsrat Himly, sondern dem ihm
persönlich wohlwollenden Polizeipräsidenten Gruner censiert wurde. Anfänglich ging
alles gut. Kleist trat äußerst vorsichtig auf. In der Einleitung kleidete er sein
Programm in ein Gebet des Zoroaster, das als Überlieferung aus einer
indischen Handschrift, von einem Reisenden in den Ruinen von Palmyra gefunden dem
Leser vorgestellt wurde. Der Krieg in Spanien, die Operationen vor Lissabon finden kurze
Erwähnung im Depeschenstil. Diese Bulletins sind alle von mimosenhafter Vorsicht, fast
franzosenfreundlich. Napoleon wird stets Se. kaiserl. Majestät genannt, von den
siegreichen Kaiserl. französischen Waffen wird immer das Angenehmste
gemeldet. Einmal heißt es: Die französischen Armeen von Andalusien, Granada und
Murcia befinden sich, Gott Lob! in dem besten Gesundheitszustande. Wie muß dies
Gott Lob! den patriotischen Redacteur geschmerzt haben! Ein Bulletin aus
Burgos sagt: Die Franzosen führen überall Ordnung und gute Polizei ein. Wir leben
unter dem Schutze der Französischen Truppen wieder auf. Auch ein
franzosenfreundliches Bulletin aus Hamburg muß Aufnahme finden: Die Treulosigkeit
der Engländer gegen den Souverän der dänischen Nation, der Brand von Copenhagen, der in
vollstem Frieden erfolgte und der nicht weniger treulose Raub der dänischen
Kriegsschiffe, sind dem Gedächtnisse dieser Seeleute von allen Graden eingeprägt.
Erst am 22. Oktober tritt Kleist mit einer redaktionellen Erklärung aus der
Anonymität heraus. Übrigens ist das Blättchen mehr <LXXI:> mit der Schere als mit
der Feder redigiert und für uns einzig deshalb von Wert, weil es eine Reihe von Novellen,
Abhandlungen, Anekdoten, Gedichten und viel redaktionelles Füllwerk aus Kleists Feder
enthält und den Dichter als Journalisten zeigt.\1\
Hier veröffentlicht Kleist zuerst u. a. die Ode auf den Wiedereinzug des
Königs, dann seine Ansichten über Aëronautik und andere Projekte,
seine Geschichten und Abhandlungen: Die heilige Cäcilie, Das Bettelweib von Locarno,
Über das Marionettentheater, Allerneuester Erziehungsplan und eine große Anzahl von
Anekdoten. Interessant sind namentlich die politischen Aufsätze, zum Teil wahre
journalistische Musterstücke. Überall finden wir das Ringen eines stahlharten und
grübelnden Verstandes mit einem weichen, in süßen und zarten Bildern schwelgenden
Gefühl, eine männliche, stürmische und doch wieder mit ihrem eigenen Feuer spielende,
wie in Zerstreuung innehaltende und im Einzelnen verweilende Leidenschaft, einen seltsam
fesselnden Wechsel zwischen Satire und Pathos, lyrischer Erregung und starr verständiger
Auseinandersetzung. Aber in den elenden Abendblättern fanden sie zwischen
Nachdruckartikeln, Polizeinachrichten und anderen Unglücksfällen ihr Publikum nicht.
Kleist war kein guter
Redacteur, so überaus fleißig er auch für sein Blatt arbeitete. Er trieb den Beruf nur
widerwillig, nur für das tägliche Brot. Seine Seele weilte nicht in der elenden
journalistischen Tretmühle, sondern auf freieren Höhen. Pegasus im Joche. Aber in der
Tasche trug er den Prinzen von Homburg und Novellenmanuskripte, die viel zu
gut für das allabendliche Löschpapier und sein nach Polizeinachrichten dürstendes
Publikum waren. Ebenso wenig wie den Phöbus vermochte er die
Abendblätter zu einem interessanten Journal zu machen. Freilich lagen hier
die Verhältnisse viel weniger günstig. Das Blatt sollte den Verleger wenig oder gar
nichts kosten; Papier, Druck, Format, Inhalt waren auf die äußerste Billigkeit angelegt.
Honorare scheinen keine gezahlt worden zu sein, nur Fr. Schulz, der
Theaterreferent, wird einmal gebeten, das Honorar, mit welchem Kleist ihm verhaftet sein
soll, anzugeben.\2\ Dabei wurde der
Herausgeber von seinen Freunden schlecht unterstützt. Sie betrachteten das Blatt als
einen Papierkorb für leichte Gedankenspähne und flüchtige Erzeugnisse. Müller
verfolgte dabei seine Privatzwecke, Fouqué schrieb immer frommer, Arnim stets kindlicher
und Brentano langatmiger als je. Einmal lieferten die beiden letzteren einen breiten,
anscheinend dialogisierten Aufsatz über ein eben ausgestelltes Gemälde, den Kleist ohne
tüchtige Striche nicht unterzubringen wußte. Dies erzürnte zumal Brentano so sehr, daß
Kleist förmlich um Verzeihung bitten und eine öffentliche Erklärung abgeben mußte.\3\ Bald entstanden
<LXXII:> Faksimile einer Titelseite der Abendblätter,
22. 10. 1810
<LXXIII:> Faksimile einer Seite der Abendblätter, 78
<LXXIV:> auch Mißhelligkeiten mit dem Buchhändler I. E. Hitzig,
so daß Kleist schon am 23. Dezember einen neuen Verleger suchen mußte.\1\
\1\ Vgl. I. V. Teichmanns
Litterarischer Nachlaß herausgegeben von Fr. Dingelstedt, Stuttgart 1863,
S. 273f. Beide Briefe haben schon Bülow (59) vorgelegen, der die Sache obenhin
erwähnt.
\1\ Aus: Gubitz, Berühmte Schriftsteller der
Deutschen, 1854; der Aufsatz ist von Peguilhen. In einer vergessenen Broschüre
Blumenlese aus dem Stammbuche der deutschen mimischen Künstlerin Frauen Henriette
Hendel gebornen Schütz (1815) findet sich eine Eintragung Kleist: die
3. Strophe von Schlegels Arion ins Persönliche gewendet und die Stellen,
in denen von dem Ruhme des Dichters gesprochen wird, dahin abgeändert, daß der Ruhm der Künstlerin
gepriesen wird. Übrigens scheint sich Kleist mit der antikplastischen Madame
Eunike-Mayer-Hendel-Schütz geb. Schüler wieder befreundet zu haben, denn sie
mimte später auch einmal die Penthesilea und ward vom Berliner Klatsch als eine von denen
bezeichnet, die Kleist geliebt haben soll.
\2\ In ihrem Briefe an
G. v. Brinckmann 30. Nov. 1819, Rahel II 611.
\3\ Vgl. Einleitung zu den Gedichten.
Auch Adam Müller hatte die Rückkehr des Königs zu einer Gelegenheitsschrift begeistert,
von der Gentz viel Gutes zu sagen wußte. Vgl. Dorows Denkwürdigkeiten III 39.
\1\ Die Vossische Zeitung v. 25. Sept.
1810 brachte folgende Ankündigung:Berliner Abendblätter.
- Unter diesem Titel wird sich mit dem 1ten Octbr. d. J. ein Blatt in Berlin zu
entabliren suchen, welches das Publicum, insofern dergleichen überhaupt ausführbar ist,
auf eine vernünftige Art unterhält. Rücksichten, die zu weitläufig sind, auseinander
zu legen, mißrathen uns eine Anzeige umständlicherer Art. Dem Schluß des Jahrgangs wird
ein weitläufiger Plan des Werks angehängt werden, wo man alsdann zugleich im Stande sein
wird, zu beurtheilen, in wie fern demselben eine Genüge geschehen ist. Berlin, den 25sten
Septbr. 1810. Die Redaction der Abendblätter.
\1\ Eine eingehende Darstellung des Inhalts
der Berliner Abendblätter in unseren Nachträgen (Gegenwart 1883,
II, 183ff.).
\2\ Vgl. Briefe XXI.
\3\ Vgl. Briefe XVII.
\1\ Die Zeitung für die elegante Welt vom
3. Jan. 1811 enthält eine ironische öffentliche Danksagung Hitzigs an Kleist:
Es geschah häufig im Laufe des ersten Abonnementsquartals der Berliner
Abendblätter, daß man, wenn man ihren Inhalt langweilig oder boshaft oder
unverständlich fand, mich als Verleger darüber zur Rede setzte: warum ich nicht für
anderen Stoff sorgte? und so mir die Ehre erzeigte, mir einigen Einfluß bei
der Redaction derselben zuzuschreiben. Ich bin also Herrn von Kleist sehr verbunden, daß
er mir vor dem Publikum unaufgefordert hat bezeugen wollen, daß nur die
Buchhändlerischen Anzeigen des Blattes und in dem Blatte meinen, der übrige Inhalt
desselben aber, der jene Beschwerden veranlaßt, seinen Antheil daran ausmachen!
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