Rüdiger Wartusch, Neue Lebensspuren Heinrichs von Kleist im Briefwechsel zwischen
Böttiger und Falk, in: KJb (1996), 188-200; darin: 189f.
Karl August Böttiger an Johann Daniel Falk, Dresden, 26. 5. 1807
Dresden d. 26. Mai 1807
Mein theuerster Freund!
Die Eseley des Herrn Ehrigs, Ihnen den Teppich unfrankiert zuzuschicken, konnten Sie
nicht besser vergelten, als indem Sie das Porto von der Kaufsumme gleich abzogen: Es thut
mir leid, daß Sie dieß nicht gethan haben. Es soll ihm aber aufs Butterbrot gestrichen
werden. Auf Teppich muß man also unsre Sieger bewilkommen.\6\ Immer besser, als wenn man sich aus Niederträchtigkeit selbst zum
Fußsche- <190:> mel macht, welches hier in gewissen oberen Instanzen kein
seltener Fall seyn soll. Es ist schön, daß Sie Ihrem Legationsrath so viel Ehre machen
u. fortfahren, auf dieß geistreiche Histrionenvolk zu wirken. Endlich läßt man Ihren
Verdiensten also volle Gerechtigkeit widerfahren. Aber der Weltmann Falk wird der
Studierstube untreu werden! Das ganze Buchstabenreich ist freilich jetzt vernichtet. Aber
wir haben alle im zweiten Artikel beten gelernt: ein jüngstes Gericht und eine
Auferstehung! Was sagen Sie zu des (nach Frankreich abgeführten) v. Kleists
Amphitryo? Unser Hr. Adam Müller hat ihm den Stempel der Klassizität aufgedrückt
und sein Urtheil gilt unserm ästhetischen Publikum, das wir freilich erst durch Müller
erhalten haben, als Orakelspruch. Von Ihrem Amphitruo nahm natürlich der vornehme Herr
Müller gar keine Notiz. Ich werde aber nicht aufhören, auf eine Parallele zu
dringen. Sie haben doch hoffentlich unserm Bruder Cotta bei seiner Durchreise
durch Weimar auch reinen Wein über das antediluvianische Morgenblatt eingeschickt. Ich
habe ihm einen ausführlichen Aufsatz darüber geschrieben und das Elend vordemonstriert.
Allein die Stutgarder haben ihn zu fest umstrickt.\7\
Bei den allerdings sehr vernünftigen Preißaufgaben sind doch wohl Göthe und Meyer\8\ im Spiel geweßen? Ich muß leider
meiner fortdauernden Krankheit wegen zur Carlsbader Sprudelnymphe mit meiner ebenfalls
gichtbrüchigen Frau zu Ende des künftigen Monats walfahrten. Hygiea lächle Ihnen und
Ihrer edeln Gattin und Kindern! Die Meinen grüßen aufs Herzlichste. Unwandelbar
Ihr treuer Freund Böttiger
- Grüßen Sie mir Vater Wieland, von dem mir unser trefflicher franz. Gesandte Bourgoing\9\ so viel Herzliches mitbrachte.
\6\ Die Teppich-Episode hatte auch Falk zu bissigen
Kommentaren der Tagespolitik genutzt: Es ist mir lieb, daß der Teppich zu den
Feyertagen kam, denn da ich jetzt häufig mit Franzosen zu thun habe, und diese Nation
gänzlich auf den Schein und das Aeusserliche gestellt ist, so habe ich auch mit meinem
Logis eine kleine Metamorphose vornehmen müssen, indem ich den Teppich der Diehle liegen
lasse. Vgl. Falks Brief an Böttiger vom Zweyten Pfingsfeyertag, also
dem 18. Mai 1807. In Böttigers Nachlaß. Handschriftenabteilung der Sächsischen
Landesbibliothek Dresden. Signatur: Mscr. Dresd. h 37, Bd. 49 (4°),
Nr. 30.
\7\ Zu Böttigers Verhältnis zu Cotta vgl. Ernst
Friedrich Sondermann, Karl August Böttiger. Literarischer Journalist der Goethezeit in
Weimar (= Mitteilungen zur Theatergeschichte der Goethezeit. Bd. 7), Bonn 1983, vor
allem S. 110-243. Leider findet sich dort fast nichts zu Kleist, Falk und Müller.
Vgl. S. 271 und 191. Vgl. auch ders., Karl August Böttiger
ein journalistischer Gegner Heinrich von Kleists, in: Ningyoshibai 2,
1986, S. 45-58.
\8\ Johann Heinrich Meyer (1760-1832) war Maler,
Kunsthistoriker und Zeichenlehrer. Preißaufgaben meint vermutlich
das Logogriphische Ungeheuer vom 2. und 9. Mai (Auflösungen am 9. und
16. Mai), unterzeichnet Von Wildungen, Oberforstmeister zu Marburg, mit
einer Fortsetzung am 23. Mai von einer Leserin.
\9\ Jean François de Bourgoing (1748-1832) war
Diplomat, aber auch Schriftsteller und Übersetzer.
|