Peter Staengle, Ludwig
Tieck an Ferdinand Hartmann, 12. Juli 1816, in: BKB
12 (1999), 101-103
Ludwig Tieck an Ferdinand Hartmann, Ziebingen, 12. 7. 1816
<1r>
Ziebingen,
bei Frankfort an der
Oder, dn 12 Juli,
16.
Die
Gelegenheit benutzend, daß meine Frau und Kinder über Dresden
nach Böhmen reisen, sende ich Ihnen, theurer, vielgeliebter
Freund, dieses Blatt, welches Sie an meine dasige und unsre
alte Freundschaft erinnern soll, u. Ihnen die Versicherung
geben, daß ich unausgesezt derselbe gegen Sie bin, und in unzähligen
Stunden mit Freude und Rührung der Tage unsers ehemaligen Umgangs
in Dresden gedenke. Ich hoffe, Sie haben mich nicht ganz vergessen.
Erst dachte ich, Sie diesen Sommer in Dresden zu sehn, allein
ich habe diesen Genuß aufgeben müssen, theils von Arbeiten,
theils durch das schlechte Wetter u. meine Kränklichkeit
zurück gehalten. Nun noch eine Bitte. Ich bin jezt damit beschäftigt,
die nachgelassenen Schriften des so sehr verkannten Heinr.
v. Kleist herauszugeben, u. erfahre, daß Sie
ebenfalls noch eine Kopie von seinem Herrmann besitzen:
wollten Sie, wohl so gut seyn, mir diese mitzutheilen, um sie
mit einer andern von seiner Hand vergleichen zu können? Besitzen
Sie vielleicht noch handschriftlich Gedichte, oder sonst Kleinigkeiten
von ihm. Ich hoffe, daß Sie mir nicht ungern diese Sachen auf
einige Zeit anvertrauen würden, so wie sie mich sehr verbinden
<1v>
könnten, wenn Sie mir vielleicht
einige Nachrichten über diesen Ihren Freund und über die Zeit
Ihres Umganges mit ihm, mitzutheilen, da ich damit umgehe, eine
nicht ganz kurze Vorrede über sein Leben u. seine Schriften
zu schreiben. Es ist möglich, daß Sie auch einige gedruckte
Gedichte besitzen, die ich nicht habe, so wie ein Exempl.
des Phöbus, dessen ich in Berlin gar nicht
habhaft werden kann, aus welchem ich das nehmen wollte als Anhang
der beiden Schauspiele, was nicht schon wieder gedruckt ist:
können Sie mir mit dem Phöbus aushelfen, so bezeichnen
Sie doch gütigst die Sachen, die von Kleist sind, ich
erinnre mich wieder eines Fragmentes vom Robert Guiscard,
das mir ausserordentlich bedeutend schien. Helfen Sie mir etwas
in diesem Anliegen, und senden Sie mir alles, sobald wie möglich,
hieher. <103:> Sie sehen, daß ich Sie recht wie einen
alten vertrauten Freund behandle, weil ich so ohne Umstände
Ihnen mit so vielen Bitten zur Last falle. An keinen Dresdner
Hofrath wagte ich im Leben keinen solchen Brief zu schreiben,
Sie sind mir aber auch dadurch um so lieber, daß Sie aus dem
lieben, treuen, herrlichen Schwaben sind, was ich freilich 1810
nur sehr unvollständig auf meiner Reise habe kennen lernen.
Meinen
Dank unserm Freunde Fried. Schulz für sein lustiges
anmuthiges Büchelchen, das er so gütig gewesen ist, mir vor
einiger Zeit zu übersenden: ich weiß, daß es meine Schuldigkeit
<2r>
gewesen wäre, ihm schon längst
selbst dafür zu danken, aber er soll mir für meine Unterlassungssünde
nicht zürnen, u. nicht für Mangel an Freundschaft auslegen,
denn recht von Herzen danke ich ihm für sein freundliches Andenken,
u. hoffe ihm bald etwas von meiner Arbeit übersenden zu
können.
Empfangen
Sie meine herzliche Umarmung, grüssen Sie die Freunde, die sich
meiner erinnern, vorzüglich den treflichen Friedrichs,
u. erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, wie ich immer bin
d
Ihrige,
L. Tieck.
<2v>
Sr. Wohlgebohrn
des Herrn Professor Hartmann
in
Dresden.
H: BJK (Slg. Autographa, s. v. Tieck)
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