Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 408-413
Am Grabe Kleists
III. Kapitel.
Am Grabe Kleists.
Über die Vorgänge nach dem Tode Kleists und der Vogel sind wir unterrichtet durch
einen von Bülow in seinem Heinrich von Kleists Leben und Briefe
veröffentlichten Bericht des Wirts zu Stimming über Heinrich von Kleists und
Henriettens Tod. Die Vorgänge von der Ankunft Kleists und seiner Begleiterin im
Wirtshaus bis zu seinem Tode werden eingehend geschildert, und ebenso die Bestattung der
beiden Leichen. Man wird bei der Lektüre des Berichtes, welcher 37 Jahre nach den
Ereignissen alle Einzelheiten bis auf die genossenen Mengen Wein, Rum, Kaffee usw.
getreulich angibt, den Verdacht nicht los, daß er phantastisch zugestutzt und stark
ausgeschmückt ist. Es erschien mir schon deshalb von Wert, nach früheren und
unparteiischen Berichten über die Vorgänge zu suchen zumal sich doch von
vornherein annehmen läßt, daß die Verehrung für den Dichter, welche in der Wallfahrt
und der Pflege seines Grabes zum Ausdruck kommt, früher einsetzte, als aus den üblichen
Angaben, wie sie Minde-Pouet in einem Aufsatz der Voss. Zeitung
zusammenstellte, hervorgeht.
Die Verehrung für das
Kleistgrab und die Wallfahrt zu dem Grabe, sicherlich schon vorher stark ausgesprochen,
findet, soweit ich es verfolgen konnte, ihren Ausdruck in der Presse mit dem Jahre 1840.
Im Januar des Jahres 1841 findet sich die erste Erwähnung des Grabes und die erste
Darstellung der Vorgänge unmittelbar nach Kleists Tode in einem Aufsatze, betitelt
Heinrich von Kleist von J. Larcko, im Gesellschafter,
2. Blatt. Der umfangreiche Aufsatz steht an der <409:> Spitze des Blattes.
Über den Autor weiß ich nichts weiter anzugeben, als daß er in der Presse der 40er
Jahre mit vielen Gedichten, novellistischen und kritischen Beiträgen häufig vertreten
ist. Offenbar ein früher und begeisterter Verehrer Kleists, hat er das Grab aufgesucht
und mühselig gefunden, aber ein Zeichen, daß die Wallfahrt zum Grabe schon
damals üblich war im Wirtshaus auch andere Verehrer des Dichters getroffen.
Seine tatsächlichen Informationen hat er sich bei einem alten Manne geholt, der an den
Vorgängen bei Kleists Tode persönlich teilgenommen. Im Gasthof zu
Friedrich-Wilhelmsbrück, so berichtet Larcko, wurde ein Pistolenschuß
gehört und noch einer. Der alte Wirt hat sich die baumwollene Nachtmütze aus der Stirn
gerückt und zum Fenster hinausgeschaut, hat aber nichts gesehen als die Spatzen auf der
Landstraße. Wie es aber dunkel wurde, da haben sie Zwei ins Gasthaus gebracht,
blutig todt . Und weiter berichtet
er, daß der Wirt aus Potsdam Leute kommen ließ vom Gericht und alles aufs Papier
schreiben und ließ zwei Gräber machen und die beiden ohne Sang, ohne Leichenhemd, ohne
Leichenred hineinwerfen.. Nicht begraben, einfach
eingescharrt haben sie sie, die warmen Herzen in die kalte Erde und haben ihnen keinen
Hügel gemacht und keine Blumen darauf gepflanzt und dahinter kein Kreuz gesteckt. Wenn
sie einen Schatz verscharren, stecken sie ihn in eine Truhe. Hinausgegangen zu
ihm ist aber keiner, der ihn besucht hätte, und kein Grabhügel ist ihm gemacht, allein
haben sie ihn gelassen im Leben wie im Tode einen Selbstmörder etc. Die
Beschaffenheit der Gräber, zu denen ihn der kleine Sohn des Alten führte, schildert
Larcko mit folgenden Worten: Da zeigte sein kleines Händchen auf zwei ganz
niedergetretene Erdaufwürfe, die sahen grad aus, wie zwei große Maulwurfshügel
und ein kleiner dünner Stamm stand zwischen beiden. Das sei eine junge Eiche gewesen,
sagte der Junge, die hätte der Förster drüben im Walde gepflanzt den Beiden zu Ehren.
Die Leute aber hättens kleine Dingelchen
abgebrochen . <410:>
Die wenigen schlichten Worte
Larckos wirken überzeugender, als der etwas weitschweifige Bericht des persönlich
beteiligen Wirtes. Es scheint, daß der Aufsatz Larckos den Bann gebrochen, daß er wie
der Prinz im Märchen das Grab aus jahrzehntelanger Ruhe geweckt und der Erinnerung der
Menschheit wiedergegeben hat. Die Pflege der Grabstätte setzt sofort ein, und ganz
unvermittelt kommt in der Presse plötzlich die Verehrung des Dichters zum Ausdruck. Im
nächsten Jahre bringt der Berliner Figaro (herausgegeben von
L. W. Krause) in der Nr. 95 vom 16. April unter dem Titel Den
Wallfahrern zu Kleists Grabe nicht weniger als sechs längere Gedichte. Als
Verfasser sind angegeben L. Larcko und L. K.; am Schlusse zeichnet noch
O. M. Edinger. Die Verse sind nicht bedeutend, und ich sehe davon ab, sie alle
hier wiederzugeben. Nur die Gedichte, welche von der liebevollen Pflege der Gräber
handeln, seien hier angeführt.
Aber sieh! Da kamen Zweie,
Wanderten den rauhen Weg,
Bahnten sich durch das Gestrüppe
Dorthin, wo er ruht, nen Steg.
Nahmen Hacke dreist und Schippe
In die treue deutsche Hand,
Hielten betend erst das Auge
Zu dem Himmel hingewandt.
Stachen dann vom schönsten Moose
Das nur grünet weit und breit
Legtens liebend auf den Hügel,
Deren Formen sie erneut.
Haben dann die beiden Namen
In die Eiche eingeprägt,
Das die Stelle Jeder finde,
Dem ein Herz im Busen schlägt.
Der Schluß der Gedichtfolge, der darauf hinzuweisen scheint, daß schon damals die Frage
nach einem Monument erörtert wurde, lautet: <411:>
O Ihr Reiche, kommt nun! setzet
Ihm ein prachtvoll Monument,
Schlechter ists, wie jener Herzen
Treugefühlte Wehmuthspend.
Wird das Kreuz von Holz auch wanken
Und die Hügel bald vergehn,
Wird in jedem schönen Herzen
Doch das Bild noch lang stehn:
Jene zweie an dem Hügel,
Mit der Schippe in der Hand,
Die das thaten, was vergessen
Undankbar das deutsche Land.
In demselben Jahre brachte auch Der Gesellschafter 1842, 30. Blatt ein
kleines, stimmungsvolles Gedicht, welches ich hier wiedergebe:
Kleists Grab.
Was zeigst du traurig mit der Hand
Im Kienen-Wald zurück
Nach jenem Hügel dort im Sand,
Bei Friedrich-Wilhelms-Brück?
Kein Denkmal ziert den öden Ort,
Kein Blümchen nickt herab,
Doch schauerlich erklingt das Wort:
Du stehst an Kleistens Grab.
Und eine Wehmuthsthräne fließt
Und netzt des Dichters Grab,
Das ihn, und die er liebt, umschließt,
Das Beiden Ruhe gab.
Und diese Thräne, still geweint,
Sey Euer Monument
Euch hat die Liebe hier vereint
Und Schmerz, den Niemand kennt.
Potsdam.Gr. v. B. <412:>
Es dauerte noch zwanzig Jahre, bis der bekannte und inhaltsreiche Aufsatz von Hermann
Grimm in der Vossischen Zeitung (1862 Nr. 46) für eine würdige Ausstattung von
<Abb.>
Kleists Grab tatkräftig eintrat und sie auch durchsetzte. Unter den Artikeln, die sich
vorher mit Kleists Grab beschäftigt hatten, ist einer für uns besonders bemerkenswert,
der im Anfange der fünfziger Jahre in einer Berliner Illustrierten Zeitung erschien, und
der die Eindrücke zweier Wallfahrer zu Kleists Grab wieder- <413:> gibt, von
denen der eine kürzlich verstorben, der andere noch zu den Lebenden zählt. Den Aufsatz
selbst habe ich nicht auftreiben können beide Beteiligten hatten den genauen
Titel des Blattes nicht in der Erinnerung aber der Verfasser, Herr
Dr. Carl Bolle, hat mir wiederholt von seinem in dem Aufsatze geschilderten Besuche
erzählt. Der Kammerherr des Prinzen, der die beiden Besucher an das Grab führte, wußte
zu berichten, daß Kleist nicht mehr an der ursprünglichen Stelle ruht, sondern daß das
Grab in früheren Jahren verlegt worden ist; vermutlich haben Sandverwehungen dazu
genötigt. In der Begleitung von Dr. C. Bolle befand sich der junge Paul
Meyerheim, der bekannte Professor und Mitglied des Senats der Akademie der Künste, der
eine Skizze von Kleists Grab und seiner Umgebung anfertigte, die dem erwähnten Aufsatz
Bolles beigefügt war. Durch das freundliche Entgegenkommen von Prof. Meyerheim bin ich in
der Lage, in einer Reproduktion der erhaltenen
Skizze den Anblick wiederzugeben, den das einsame, verfallene Grab im Anfange der
fünfziger Jahre bot.
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