Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen
Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 104-109
Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist
V. Kapitel
Friedrich de la Motte Fouqués und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist.
Friedrich de la Motte Fouqué, so ganz verschieden in seinem Wesen, seiner Eigenart,
seiner dichterischen Potenz und seinen dichterischen Tendenzen von Kleist, hat dem
Leutnant und Dichter Kleist wie kaum ein anderer von seinem ersten Eintritt ins praktische
Leben bis an sein unglückliches Ende nahe gestanden. Dafür haben wir aus allen
Schaffensperioden Kleists ausreichende Dokumente, und Steigs erschöpfende Darstellung
(B. K. 417ff. und N. K.) läßt den auffallenden Gegensatz zwischen diesen
lebendigen Zeugnissen und Fouqués spärlichen Reminiszenzen in seiner fast 30 Jahre nach
Kleists Tode abgefaßten Autobiographie deutlich hervortreten. Man kann an der Tatsache,
daß Fouqué nach Kleists Tode sich nicht genug tun konnte in dem öffentlichen Kultus des
verstorbenen Freundes, und daß er ihn im Jahre 1840 fast ganz vergessen zu haben scheint,
nicht achtlos vorübergehen. Ich werde später darauf zurückkommen, zunächst will ich
neues Material beibringen zu der Beziehung: Kleist-Fouqué.
Mein
Material entstammt der Berl. Kgl. Bibliothek, in welcher sich ein bisher
unveröffentlichter oder doch nur bruchstückweise benutzter durch lange Jahre sich
hinziehender Briefwechsel zwischen Fouqué und Varnhagen, dazu als wichtige Ergänzung
Briefe von Fouqué an Frau von Chézy. Die Beziehungen Fouqués zu Varnhagen, die sich
sehr rasch zu einer sehr intimen Freundschaft gestalteten, wurden an- <105:>
gebahnt im Sommer 1806. Fouqué sandte seinem Freunde Bernhardi ein Exemplar seines Galmy\1\ mit der ausdrücklichen Bitte, das Buch
Varnhagen zu übermitteln und ihn um sein Urteil zu ersuchen. Varnhagen antwortete nach
Nenndorf, wo Fouqué zur Kur weilte, und bahnte damit eine Korrespondenz an, die in
ununterbrochener Folge vom 16. Juli 1806 bis in den Juni 1812 reicht; auch die weiten
Reisen Varnhagens unterbrachen nicht den gleichmäßigen Fluß der Briefe, welche einen
interessanten Beitrag zur Zeitgeschichte liefern. Mit dem Juni 1812 bricht die
regelmäßige Korrespondenz ab, und in der Folge, etwa bis zum Jahre 1820 wird der
briefliche Austausch nur noch selten. Sehr bald hatte Fouqué den neugewonnenen Freund,
der ihm in der Folge wichtige Dienste leistete, die Verbindung zwischen ihm und dem
Verleger Hitzig herstellte und seinen Sigurd dort unterbrachte, nach Nennhausen
eingeladen. Varnhagen folgte der Einladung, das vertrauliche Du wird zwischen beiden
ausgetauscht, nach der Rückkehr wird der Briefton immer inniger und intimer, Bücher
werden zwischen den Freunden gewechselt mit Hilfe einer Kiste, zu welcher die beiden und
auch Bernhardi je einen Schlüssel besaßen. Alle neuen literarischen Erscheinungen werden
zwischen den Freunden besprochen, und der in Dresden herausgekommene Phöbus gibt den
ersten Anlaß zur Erwähnung Kleists.
Ich
gebe zunächst wörtlich die Briefstellen bei Fouqué wieder, die sich auf den Phöbus,
auf Kleist und seine Freunde beziehen.
(1)Nennhausen
d. 21. Januar 1808.
Die Herausgeber des Phoebus haben mich um gelegentliche Beiträge ersuchen lassen, und ich
denke, Ihnen den Othar mitzutheilen. <106:>
(2)Nennhausen d. 19. Febr. 1808.
Du mußt mir auch schon deswegen öfter schreiben, weil sich sonst die Gegenstände
in den Briefen häufen und manche flüchtig oder gar nicht berührt werden. So kann ich
auch heute noch nicht dazu kommen, Dir einiges zu sagen, was ich über den Görres auf dem
Herzen habe. Von den Phoebusrittern nur soviel, daß es mir mit dem Einen, mit Kleist ganz
kurios geht. So wahnwitzig mir die Penthesilea freilich erscheint, so spüre ich doch eine
gewisse Vorliebe für sie. Geschieht es, weil ich jetzt gleichfalls ein etwas verrücktes
Trauerspiel schreibe, und es neben der Amazonenkönigin sich ganz gescheut vorkommt? Oder
ist nicht vielmehr eine wirklich bacchantisch tolle Kraft in diesem Gewühl? Wenn er sich
nur noch mehr hätte gehen lassen. Aber so tritt leider eine fremde Besonnenheit nur
allzuoft dazwischen, und verunstaltet die eigenthümliche Keckheit zur
Affectation. Das gezierte prosaische Gerede im Phoebus habe ich wenig oder gar
nicht ansehn können. Im Ganzen also finde ich freilich 10 rthlr Conventionsgeld
nicht zum besten angelegt, zumahl da mich gleich Dir die elende Prahlerei mit Göthe und
Honorar unsäglich empört. Da man mich aber um Beiträge bitten ließ, meinte ich
bescheidner Weise, die Leute könnten nicht anders, als sehr gescheut sein und war rasch
mit dem Subscribiren bei der Hand. Mir ist schon recht geschehn.
(3)Nennhausen
d. 4. Juli 1808.
Sind denn nun die Phöbusritter ganz bankerott oder ganz verrückt geworden, daß sie ihre
Wirthschaft nicht mehr fortsetzen? Frage doch einmal Reimern gelegentlich, ob er
nichts davon weiß.
(4)Nennhausen d. 23. Juli
1808.
Da wir doch hierbei einmal angekommen sind will ich gelegentlich ein Frage nach dem
Vater der werthen Marquise von O** und dessen theuerm Collaborator Adam erneuern. Sind sie
toll? Sind sie todt? Sie lassen ja gar nicht mehr von sich hören. <107:>
(5)Nennhausen d. 26. September
1808.
(Fouqué macht Varnhagen vor seiner Abreise auf die Sehenswürdigkeiten in Dresden
aufmerksam, wo er vor einigen Jahren selbst gewesen, und fährt dann fort:)
Grüße
Heinrich Kleist von mir. Hast Du im letzten Phöbus-Heft das Fragment von Robert Guiscard
gelesen? Mit hat es günstige Hoffnungen für das Ganze erweckt; trachte doch, es zu
lesen, und schreibe mir darüber. Das Käthchen von Heilbronn, ein andres Fragment darin
ist mir hingegen sehr widrig erschienen, jedoch höre ich\1\, daß eben dieses bei seinen Freunden den rauschendsten Beifall
finden soll. Du wirst auch wohl sonst Pfuel, den Bruder desjenigen, den Du
hier sahest, in Dresden antreffen, da er Kleists vertrauter Freund ist. Auch ihm meine
herzlichen Grüße. Er ist ein wackrer, scharfsinniger, seht gutmüthiger Mensch, so
seltsam auch bisweilen gewisse vorgefaßte Meinungen und Ansichten sein Innres
verschlossen halten vor Erscheinungen, die ihm von einer ungewohnten oder unautorisirten
Gegend her aufgehn. Vielleicht aber, daß dieses Übel einem mannigfachern Umgange weicht,
in einem Kreise, wo er der guten Köpfe mehr findet, als er bisher gewohnt war, neben sich
zu sehn. Ich fand ihn schon bei seiner letzten Anwesenheit vortheilhaft
verändert. Was oll ich Dir von Adam sagen? Es scheint mir immer noch der
Anfang, zwar nicht alles, aber doch vieles Übels in ihm zu liegen, wenigstens für den
Phöbus. Aufrichtig gesagt ist dies mehr ein Vorurtheil, als ein Urtheil selbst, denn ich
habe so gut als nichts von ihm gesehn. Ein gewisser prätensionsvoller und mir bereits
durch Andre widrig gewordener Ton treibt mich immerdar schon fast am Eingange seiner
Aufsätze in die Flucht. Du wirst wohl dort einen Doctor Schubert kennen
lernen, einen Naturphilosophen, von dem Ernst Pfuel viel vortheilhaftes gesagt hat. Ein
Paar ganz kleine Fragmente aus seinen Vorlesungen im Phoebus <108:> haben mich
sehr angezogen durch ihre würdevolle kräftige Sprache, und durch das tiefe, herzinnige
Gefühl, welches sich darin ausspricht.
Die
Bemerkungen über den Phöbus bringen nichts wesentlich neues, aber sie sind doch eine
interessante Illustration zu der Aufnahme, welche das Blatt in seinem Leserkreise fand.
Fouqué kannte Kleist und auch den Freundeskreis um Kleist (5), es lag also nahe, daß die
Redaktion, vielleicht auch Kleist persönlich wie an Zschokke so an Fouqué die
Anzeige betreffend den Phoebus usw. sandte. In einer durchaus würdigen Weise
erklären hier die Phöbusritter, daß sich ihr Unternehmen der Begünstigung Goethes
erfreue. Statt der gewöhnlichen Art sich beim Anfang einer solchen Unternehmung auf
die fremden Theilnehmer zu berufen, erklären wir nur, daß wir uns der Begünstigung
Göthes erfreuen. Es wäre unbescheidenes Selbstvertrauen, wenn wir verschmähten, ja wenn
wir uns nicht darum beworben hätten, von Ihm empfohlen zu werden. Gleich
Varnhagen ist Fouqué empört über diese Prahlerei mit Goethe (1). Was hier Prahlerei
heißt, wird einen Monat später in Zschokkes Miszellen für die neueste Weltkunde
(Kritisches Beiblatt Nr. 24) in ebenso mißgünstigem Tone übergroße,
göttliche Bescheidenheit geheißen. Der Phöbus erzählte aller Welt mit
vieler Naivität, daß er sich der Unterstützung Göthes freue; ja nicht einmal der
Unterstützung, sondern nur der Empfehlung. Übergroße, göttliche
Bescheidenheit! Der so völlig unberechtigte mißgünstige Ton, die
gesuchte Absicht, ein neues Unternehmen zu diskreditieren, in der zitierten Briefstelle
wie in der Kritik, ist so auffallend, daß er zu der Annahme berechtigt, der anonym mit
B*) gezeichnete Artikel der Miszellen ist von Varnhagen oder Fouqué geschrieben oder doch
von ihnen inspiriert. Persönliche Beziehungen zwischen den beiden und dem Herausgeber der
Miszellen waren zweifellos vorhanden. Varnhagen hat später auch öffentlich die
Phöbusanzeige getadelt in : Galerie von Bildnissen aus Rahels Umgang
(II. 145) <109:> und auch das Wiener Sonntagsblatt spottet darüber in der
ersten Nummer des Jahrgangs 1808. Der Bitte um einen Beitrag (1) ist Fouqué sehr bald
nachgekommen, schon das dritte Heft des Phöbus vom März 1808 bringt Othars Brautwerbung.
Loebens Kunz von Kauffungen und seine Romanze (7) stehen im letzten Hefte des
Phöbus.
\1\ Historie von dem
edlen Ritter Galmy und einer schönen
Herzogin von Bretagne (1806).
\1\ Jedenfalls durch Loeben.
Emendation
Galmy] Golmy D
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