Helmuth Rogge, Heinrich von Kleists letzte Leiden. Nach
unveröffentlichten
Zeugnissen aus dem Nachlaß Julius Eduard Hitzigs, in: JbKG (1922), 31-74;
darin: 59-61
Julius Eduard Hitzig an Friedrich de la Motte Fouqué,
18. 6. 1812
Wie ich mich aber darauf freue, das wird Dir am
besten klar werden, wenn ich Dir erzähle, was mir Dienstag,
wo ich auch die Fam. Hallersee gelesen habe (also
ein roth zu unterstreichender Tag im Kalender meines Lebens) begegnet ist.
Am Abend kömmt ein junger
Mensch zu mir, zieht ein Manuscript aus der Tasche u. sagt mir, daß er den Auftrag habe,
es mir anzubieten. Ich, ohne zu fragen, was es ist, entschuldige mich mit den schlechten
Zeiten, die keine neuen Unternehmungen gestatten, und sehe es darum gar nicht an
als er mich bittet, es doch wenigstens in die Hand zu nehmen. Ich erfülle seinen Wunsch
und wie staune ich, als ich finde daß das Manuscript nichts anders
ist als Heinrich Kleists verloren oder gar nicht existent
geglaubter nun vollendet vor mir liegender, Prinz von Homburg. Der
junge Mann (ein H. von Puttkammer) erzählte mir
dabei, daß Kleist dies Manuscript einer Verwandtin u. Freundin (der Baronin von Kleist
hier im Hause der Frau von Berg wohnend
weiter weiß ich nichts von ihr, aber vielleicht kennst Du sie) legirt habe, um sich daran
für einen Vorschuß vom 200 Th., den sie ihm gemacht, zu erholen, u. daß sie darum auch
diese Summe als Honorar dafür begehre. Ich stellte ihm hierauf vor, wie kein Buchhändler
der Welt jezt für ein Man. das höchstens 10 Bogen füllen wird, dies geben
könne am wenigsten ich bat ihn aber, es mir auf einige Stunden zum
Lesen zu leihen, u. fand das göttlichste Gedicht, was je aus Kleists Feder
hervorgegangen. Vaterländisch, kräftig, rein, ohne seine Bizarrerie, der Churfürst,
Dörfling, der Prinz, Zeichnungen von der höchsten Wahrheit kurz ein Werk, von dem
es für Kleists Nachruhm unverantwortlich wäre, wenn es die Zeitgenoßen untergehn
ließen. <98:>
Deßen ungeachtet bleibt es
eben so wahr, daß bei der überspannten Honorarforderung wenn sie auch auf die
Hälfte ermäßigt wird das Stück keinen Verleger finden kann.
Ich habe einen Ausweg aus
diesen Zweifeln gedacht, u. mir ist folgendes eingefallen. Niemand in Deutschland ist
würdiger und berechtigter, möchte ich sagen, Kleists literar. Nachlaß den Deutschen
vorzulegen als Du. Eine Skizze seines Lebens, und eine Darstellung des Wesentlichsten von
seinem Ende (aus Peguilhens vortrefflicher Sammlung von Aktenstücken leicht zu liefern)
würde als Einleitung zu seinem opere posthumo vortrefflich paßen, die Wünsche
unzähliger Menschen befriedigen, und durchaus keinen Scandal erregen, wie jeder
einzeln abgedruckte Bericht über diesen Vorgang um so weniger, da jetzt die
Gemüther kühl worden u.auch die Schreier auf den richtigen Standpunkt gestellt worden
sind (der Beller im Morgenblatt könnte hier seine Abfertigung finden, die Cotta
aufzunehmen zu feig war). Eben so wenig zweifle ich daran, daß, wenn Kleists Nachlaß,
herausgegeben und mit einer Skizze seines Lebens und seines Endes von Dir versehen, auf Pränumeration,
mit dem Bemerken angekündigt wird, daß der Ertrag zu einem dem Dichter besonders
am Herzen gelegenen Zwecke verwandt werden solle, sich schon aus Neugierde
bei einiger Aufmerksamkeit der Pränumerantensammler (das Stück ist übrigens in
einer allerliebsten Dedication der Prinzeßin Wilhelm zugeeignet, so daß
vielleicht auch bei Hofe Etwas dafür geschehn könnte), sich wohl 100-200 Pränumeranten,
die ein Th. gäben, finden würden, wogegen man ihnen feines Papier, Vordrukke
der Namen etc. zusichern könnte.
Meine Idee ist daher, daß,
wenn Dir, wie mir, das Vorstehende einleuchtet, Du Dich, unter weiterer Ausführung dessen
und mit Bezugnahme auf mich (da ich manches davon schon H. von Puttkammer
mündlich geäußert) direct an Frau Baronin von Kleist umgehend addressiren u. sie vorläufig einmal um Communication
des Manscpts. ersuchen sollest. Du kannst ihr dabei sagen, daß wenn sie damit
zufrieden ist, den Ertrag der Pränumeration als Honorar anzunehmen, ich
davon nichts begehrte als die Auslagen für das Papier für die Pränumerations Exemplare,
und die Kosten des Drucks allein tragen wollte, gegen die Vergünstigung, für mich
einige 100 Exemplare auf meinem eigenen Papier abdrucken zu laßen. So könnte vielleicht
ein Monument zu Ehren des Verewigten errichtet werden, ohne Schaden eines Verlegers, mit
Erreichung seines Hauptzwecks, der Entschä- <99:> digung seiner Verwandtin,
und zur Freude Aller, die an ihm u. seinem Schicksal Theil nehmen. Ich lege darum diese
Angelegenheit freudig gerade in Deine Hände. <am Rand:> Den Brief an Frau von Kleist,
kannst Du, wenn Serena oder Du nicht in besonderm Verhältnisse mit ihr stehen mir
zur Einlage schicken.
H: verschollen (1923: MMB).
darauf freue]nach Rogge ist Fouqués
Schauspiel Die Heimkehr des großen Churfürsten gemeint (erschienen in: Neue
Vaterländische Schauspiele. Dramatische Dichtungen für Deutsche, Berlin, bei J. E.
Hitzig 1813, 164-238).
Dienstag] am 16. 6. 1812.
Fam. Hallersee] Die Familie Hallersee. Ein
Trauerspiel aus der Zeit des siebenjährigen Krieges, erschienen in: Neue
Vaterländische Schauspiele (s. o.), 239-302.
H. von Puttkammer] Heinrich v. Puttkammer, geb.
27.9.1789 (Vierthum), Neffe Marie v. Kleists, studierte ab Oktober 1810 an der Berliner
Universität; Referendar, Offizier, Landwirt; späterer Schwiegervater Otto
v. Bismarcks.
Frau von Berg Karoline Friederike
v. Berg, geb. v. Haeseler, 1760 - 15. 11. 1826 (Töplitz),
ehemalige Oberhofmeisterin der Königin Luise, Freundin Marie v. Kleists.
addressiren Hitzigs Nachfrage am 7. 7.
hat Dir Fr. v. Kleist geantwortet? (zit. nach Rogge 1923, 66) läßt
vermuten, daß Fouqué sich tatsächlich an Marie v. Kleist gewandt hat, die sich dann
aber wohl reserviert gegenüber Hitzigs und Fouqués Pläne gezeigt haben muß, denn
weitere Schritte zur Herausgabe der Werke unterblieben, bis Ludwig Tieck die Initiative
ergriff.
|