Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 225-227
Friedrich v. Raumer an seinen Vater, Berlin, Juli 1810
- Berlin, Juli 1810.
- Es trat in diesen Tagen leider ein neuer Grund zu Zögerungen ein,
nämlich die Krankheit der Königin. Den 18. Juli 1810 reiste der König mit den
Prinzen zu ihr; den 20. früh traf in Berlin schon die Nachricht ein, daß sie am 19.
früh um 9 Uhr gestorben sei. Zweimal war der Geheimrath Heim aus Berlin zu ihr
berufen worden, bei seiner zweiten Ankunft sah er bestimmt, daß keine Rettung möglich
sei. Die ganze letzte Nacht vor ihrem Tode, saß er vor ihrem Bette; sie ließ seine Hand
nicht los, und sagte ihm, er möge Eau-de-Cologne zwischen beide Hände gießen, weil sie
an großer Hitze leide. So heftig war der Schweiß, daß Heim ein Tuch nach dem andern
gebrauchte, um ihr Gesicht abzutrocknen. Sie sprach mit vollkommenstem Bewußtsein, und da
sie keineswegs an ihren baldigen Tod glaubte, von gleichgültigen Dingen. Heim, von des
Königs naher Ankunft unterrichtet, fragte, ob sie ihn wol zu sehen wünschte; bald
nachdem sie diesen Wunsch zu erkennen gegeben, trat der König herein. Sie streckte ihm
beide Arme entgegen und sagte: O mein Freund, wie freue ich mich, dich zu
sehen. Der König stürzte an ihrem Bette nieder und weinte heftig, er mußte bald
darauf sich entfernen und sammeln. Die Königin fragte Heim bestürzt: Bin ich denn
so gefährlich krank, der König ist ja so sehr bewegt. Heim entgegnete: Der
König sei allerdings sehr gerührt, sie in diesem Zu- <226:> stande zu sehen,
allein die Gefahr sei nicht bedeutend. Wenige Zeit nachher ging Heim hinaus zum
König und sagte diesem: der Augenblicke, welche seine Gemahlin noch zu leben habe, wären
wenige, wenn er sie noch allein sprechen und ihr etwas Geheimes sagen oder von ihr hören
wollte, so möge er jetzt zu ihr gehen. Es geschah, aber nach einer Viertelstunde trat er
König wieder heraus und äußerte: er habe so bestimmt als möglich auf ihren Zustand
angespielt, allein sie scheine ihn durchaus zu verkennen und sei darauf nicht eingegangen.
Heim ging wieder in das Krankenzimmer und die Königin fragte von neuem: Bin ich
denn so gefährlich krank, der König hat ja ordentlich von mir Abschied genommen, ich
möchte doch nicht gern so bald sterben. Nachdem Heim sie von neuem beruhigt hatte,
lag sie still und ruhig; der König und der Kronprinz traten wieder herein. Nach einiger
Zeit rief sie: Jesus mach es
kurz! und war wenige Minuen darauf verschieden. Der König wollte durchaus ihren Tod
nicht glauben, alle Versuche, sie ins Leben zurückzurufen, blieben aber vergeblich, er
eilte in den Garten, bestreute sie mit Blumen; sein Schmerz war unermeßlich, und jedem
ging sein zu Heim gesprochenes Wort zu Herzen: Bin ich nicht ein sehr unglücklicher
Mann! In seiner Familie, in seiner Frau, bei der er den größten Theil des Tages
zubrachte, fand er seine einzige Freude. Nach so vielen schweren Schlägen des Schicksals
ward ihm auch dies genommen, und bei seiner fast zwanzigjährigen Gewöhnung, bei seiner
geringen Neigung sich anderweitig zu zerstreuen, entstand durch den Tod der Köngin eine
Lücke in seinem Dasein, die gar nicht ausgefüllt werden konnte. Die Resultate der
Section, welche ein Geschwür in der Lunge, einen angewachsenen Lungenflügel und einen
Polypen im Herzen zeigte, beruhigten ihn wenigstens insoweit, daß nichts zu ihrer
möglichen Rettung versäumt war. Man sorgte für Erhaltung des Leichnams, er <227:>
ward in Tücher geschlagen, welche in Spiritus getaucht waren, nur eine Hand mußte
herausgelassen werden, so groß war das Gedränge derer, die sie ihr küssen wollten.
Der Tod
der Großen dieser Welt stimmt das Gemüth zu ernsten Betrachtungen; hier gesellte sich
besondere Wehmuth hinzu, daß so wunderschöne Formen, solche unaussprechliche Anmuth und
Liebreiz so schnell aufgelöst und in Staub zerfallen sollten.
Sonderbar,
daß die österreichische Kaiserin, wahrscheinlich auch dem Tode nahe, so unaussprechliche
Sehnsucht gefühlt, die Königin zu sehen. Hatten die edlen Frauen vielleicht die
Hoffnung, daß sie für ihre Völker mehr thun könnten und sollten? Welche Hoffnung
hielte aber aus in dieser ungeheuern Zeit; hält doch der einzelne kaum sein eigenes Wesen
fest; in dieser Weltbildung oder Weltveralterung drängt sich das Wehmüthigste und das
Furchtbarste, das Zerknicken eines freundlichen Blumenlebens und der Sturz von Nationen in
solcher unaufhaltbaren Eil, daß nur den edelsten Naturen die Stimme des Gottes in ihrer
Brust, und Vertrauen und Muth nicht übertäubt und entrissen wird.
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