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Arno Barnert in Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei – Theater – Zensur. Quellen zu Heinrich von Kleists „Berliner Abendblättern“, in: BKB 11 (1997), 29-353; darin: 332-337

Johann August Sack und Johann Emanuel Küster an Johann Erich Biester, Berlin, 26. 1. 1811

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Berlin den 26. Januar 1811.
An den Herrn Bibliothekar
Dr: Biester hier

Die Vertheilung der allhier zu censirenden Schriften, welche seit der Reorganisirung der Landes Censur angeordnet worden, hat den Zweck gehabt, einerseits diejenigen Rücksichten zu befolgen, welche die Natur der Sache ergiebt, und die daher auch die zutreffendsten sind; andrerseits: durch Vereinfachung des Ressorts die von der Regierung fernerhin beabsichtigte Censur aller erscheinenden Schriften auf eine zuverlässigere Weise zu bewirken, als es bey der vormals statt gefundenen Vertheilung des Censurgeschäfts auf mehrere Behörden möglich gewesen ist. Indessen ist die neue Art der Vertheilung in der Hinsicht bis dahin nicht durchgeführt, daß Flugschriften oder Schriften von kleinerem Umfange, so wie Tagesblätter und alle andern periodische Schriften, <333:> wenn sie nicht politischen Inhalts waren, ohne alle weitere Rücksicht auf ihren Inhalt, nur wegen geringen Umfangs oder periodischer Erscheinung, noch, wie vormals, der hiesigen Poli-
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zeÿbehörde überlassen geblieben sind. Da jedoch ein Bestimmungsgrund der angeführten Art eigentlich aller zu wünschenden Bestimmtheit entbehrt, da derselbe aus der allgemeinen oder literarischen Censur einen bedeutenden Theil von Schriften und Aeusserungen hinausnimmt, die lediglich nach den Grundsätzen dieser Censur zu behandeln sind; und da er insbesondere mit dem Nachtheil verknüpft ist, daß Flug- und kleinere Schriften, weil der literarische Censor sie von dem polizeilichen, und dieser von jenem censirt halten kann, häufig ganz uncensirt bleiben; so soll die ersterwähnte allgemeine Polizey jetzt auch im Verhältniß der allgemeinen zur polizeylichen Censur, soweit solches ausführbar, dieselbe wesentliche und genauere Bestimmung erhalten, nach welcher die Abgrenzung zwischen der allgemeinen und politischen Censur sich schon bis dahin auf zureichende Art ergeben hat.
Zu diesem Zwecke eröfnen wir daher dem zur Verwaltung der allgemeinen Censur bereits früher ernannten Herrn Bibliothekar Dr. Biester,
daß

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daß die Verleger, Buchhändler und Buchdrucker durch die abschriftlich angeschlossene Verfügung izt angewiesen sind, ausser den grössern und nicht periodischen Schriften nicht politischen und nicht polizeilichen Inhalts, welche bereits bis dahin zur allgemeinen Censur gebracht sind, nunmehr auch die klei- <334:> neren Schriften und Flugblätter, so wie die gemischten Unterhaltungsblätter und übrigen hier erscheinenden periodischen Schriften, insofern dieselben nicht einen der beiden speziellen Charaktere haben, gleichfalls zur allgemeinen oder litterarischen Censur insofern aber ein solcher spezieller Character dabey offenliegend kenntlich, sofort und unmittelbar zu der entsprechenden speziellen Censur zu bringen.
Obgleich nun diese Bestimmung dasjenige, was in einer solchen allgemeinen Anordnung für die Nächst-Verpflichteten anzudeuten gewesen, erschöpft; so wird sie doch bey der vielfachen Unbestimmtheit und Verkleidung der Titel, so wie der Schriften selbst, niemals zureichen, um jede zum Druck bestimmte Schrift sofort an diejenige Censurbehörde zu bringen,
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für welche sie nach Einsicht ihre genauere Beschaffenheit geeignet ist. Vielmehr wird hiebeÿ der Beurtheilung des allgemeineren Censors allemal ein nicht unbedeutender Theil der erscheinenden Schriften zur genaueren Bestimmung des geeigneten Ressorts überlassen bleiben; und es wird deshalb dem Herr Bibliothekar Dr. Biester zu näherer Direction nachfolgendes eröfnet:
Was zuvörderst die öffentliche Aeusserung über politische Gegenstände betrifft; so verbleibt es dabeÿ, daß Schriften von allem und jedem Inhalt insofern sie gänzlich mit politischen Beziehungen verwebt worden, an den politischen Censor überwiesen werden. Sollte jedoch bey der allgemeinen Censur in Schriften ganz entlegenen Inhalts vielleicht nur eine oder die andere Anspielung gefunden werden, bey welcher sich ein bedeutender <335:> politischer Anstoß zu ergeben schiene; so wird es auch nur erforderlich seÿn, daß der allgemeine Censor eine solche einzelne Stelle dem politischen Censor mittheile, um sie in genauere Erwägung zu nehmen und über ihre Zulässigkeit
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oder Unzulässigkeit zu entscheiden. Ueberhaupt aber ist die politische Gestalt der Zeit von einer solchen Beschaffenheit, daß die Absichten der Regierung in dieser Hinsicht fast mehr durch eine schärfere und freiere Erwägung allgemein bekannter einfacher politischer Verhältniße, als durch besondere politische Einsichten zu vollführen sind, und hierunter auch von der Verwendung des allgmeinen Censors bey Schriften seines Ressorts, und von seiner näheren allgemeinen Einverständigung mit dem politischen Censor Vieles abhängig bleiben wird, was die Regierung der erkannten Vaterlandsliebe beider Censoren, sowie ihrer Vertrautheit mit literarischen Gegenständen, Formen und Verhältnissen anheimgestellt lassen muß. Für den Herrn p Biester werden in dieser Hinsicht insbesondere die jetzt zu seiner Censur kommenden ^vermischten^ Unterhaltungsblätter einen bedeutenden Theil seiner CensurVerwaltung ausmachen. Da dieselben, nach ihrer allgemeinen Beschaffenheit keine politische Censur erhalten können, so wird dem allgemeinen Censor empfohlen, dahin zu wirken,
daß

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daß diese Blätter sich nach Ton und Auswahl ihrer Artikel möglichst so bestimmen, um ganz ausser der Berührung politischer Verhältniße und Beziehungen zu bleiben. Insofern jedoch diese nicht immer zu vermeiden und von einiger Erheblichkeit wären, <336:> würden die Redactoren und Drucker sich die Vorlegung bey dem politischen Censor gestatten lassen müssen, obwohl in mehrerer Hinsicht zu wünschen ist, daß dergleichen Fälle sich nur selten oder gar nicht ereignen und keines dieser gemischten Blätter einen Charakter annehme, der es irgend zu einer politischen Aufmerksamkeit im Innoder Auslande qualificire.
Was die Abgrenzung der allgemeinen Censur von der polizeylichen und die Censur solcher Schriften betrifft, in welchen innere Verfassungsund VerwaltungsVerhältnisse des Staates überhaupt oder hiesige polizeyliche Verhältnisse und Rücksichten in Frage kommen; so sind es, nach der jetzt bezweckten Vertheilung, nur Schriften letzterer Art, welche der allgemeine Censor, nach ihrer Beschaffenheit ganz oder zum Theil an die polizeÿliche Censur zu überweisen hat, wenn sie an dieselbe nicht un-
mittelbar

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mittelbar von dem Drucker gebracht worden sind. Alles was zur allgemeinen, höhern oder StaatsPolizeÿ zu rechnen ist, wird Herr p Biester für die Zukunft unter meiner, des mitunterzeichneten Chefs der allgemeinen Polizeÿ, besonderer Aufsicht und Direction erledigen.   Die allgemeine Norm jedes Censurgeschäftes, welche die Achtung gegen Gesetze und Einrichtungen des eigenen Staates zu einer der namentlichen Hauptpflichten macht, schreibt zwar hierunter schon das Wesentliche vor. Indessen wird dem Herrn p Biester  noch insbesondere eröfnet, daß bey der eigenen Vorsicht, welche der itzige Augenblick vielfacher neuer Einrichtungen unumgänglich erfordert, alle bitter oder tadelsüchtige Bemerkungen solcher Art einer besonderen polizeÿlichen Rücksicht unterliegen, deren Vollziehung allerhöchsten Orts <337:> dem vorgenannten Departements Chefs zur eigenen Pflicht gemacht worden. Von dem allgemeinen Censor wird daher hierunter erwartet, daß er diesem ihm hiemit näher eröfneten Verhältniße, ohne eine den Absichten der Regierung nicht gemäße zu große Aengstlichkeit zu bewei-
sen

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sen und bescheidene Erörterungen solcher Gegenstände anzuweisen oder zu erschweren, dennoch allerdings eine besondere Aufmerksamkeit widme, und in Zweifelsfällen bey mehrgedachtem Departements Chef anfragen werde. Auch in dieser Hinsicht werden die hier erscheinenden vermischten Blätter, insofern sie nicht wegen eines polizeilichen Interesses im engeren Sinne, zur Censur der hiesigen Polizeybehörde kommen, einen vorzüglichen Gegenstand aufmerksamer Berücksichtigung ausmachen, damit einerseits zwar die beabsichtigte fernere Freiheit der in den Grenzen schuldiger Ehrerbietung verbleibenden öffentlichen Aeusserung geschont, andrerseits aber auch das in Frage stehende nächste StaatsInteresse nicht hinten angesetzt werde.
Berlin den p
Sack. Küster
Zu gefälliger Mitzeichnung des Ge-
heimen Staatsrathes und Chefs
des Departements für die allge-
meine Polizeÿ, Herrn Sack
Hochwohlgeboren.

H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 77, Tit. 1, Nr. 7, Bl. 17-20

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