Arno Barnert in
Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei
Theater Zensur. Quellen zu Heinrich
von Kleists Berliner Abendblättern, in: BKB
11 (1997), 29-353; darin: 318-323
Gutachten von Friedrich Himly über das Zensurwesen,
Berlin, 30. 12. 1810
<9r>
Berlin den 30. December 1810.
Abschrift.
Gehorsamste Anzeige,
die Vertheilung der zu
censirenden Schriften
unter den dreÿall-
hier bestehenden Cen-
surbehörden betr.:
Die
untenbemerkte Vertheilung beruht zum Theil auf <319:>
älterem Herkommen, zum Theil auf
nur auf einer ganz allgemeinen neueren Verfügung,
die für eine genauere Bestimmung noch manches übrig gelassen,
diese Bestimmung aber nur unter den Censoren selbst oder
durch mündliche Erklärung und Zustimmung der zeitigen Herrn
Chefs dieses zweÿen höhern Behörden untergebenen Verwaltungszweiges
erhalten hat.
Indessen
sind nur neuerlich nicht nur in den Personen der Herrn Chefs,
sondern auch in dem höhern Censur Ressort Veränderungen
vorgegangen, nach welchen mir die nähere Bekanntschaft der
höhern Behörden mit der dermaligen Vertheilung der Schriften,
demnach auch ihrer Zustimmung zu derselben nicht völlig
gewiß erscheint. Und da diese Art der Vertheilung, wie von
Unbestimmtheiten, so auch von Mängeln, meines Erachtens
nicht ganz frey ist; da eine Unsicherheit in dieser Vertheilung
auch eine Umgehung der Censur überhaupt von Seiten der Verleger
oder Drucker erleichtert; so finde ich mich hierunter veranlaßt,
folgendes gehorsamst vorzulegen.
Die
allgemeine, seit Reorganisirung der hiesigen Censur geltend
gewordene Vertheilung der Schriften ist diejenige in politische
und nichtpolitische gewesen, und die erstere ist
mir, die andere dem Bibliothekar Biester übertragen worden.
Diese einfache Vertheilung statt der durch das Censur Edict
vormals bestimmten vielfältigen Zersplitterung des Censurgeschäftes
war ohne Zweifel sehr zweckmäßig und hat dazu beigetragen,
daß man der wirklich geschehenen Censur der erscheinenden
Schriften wenigstens sicherer ist, als vormals.
Indessen
<9v>
Indessen
wurde bey dieser neuen Vertheilung in Hinsicht der aus voriger
Zeit bestehenden Censur der hiesigen Polizeÿbehörde
nichts bestimmt. Und da allerdings eine polizeiliche Censur,
als dritte Censurbehörde hier in wesentlichen Rücksichten
bestehen kann, dieselbe demnach auch in Thätigkeit war und
verblieb; so ist in Hinsicht ihrer eine Inkonvenienz und
Unbestimmtheit der alten Einrichtung übrig geblieben. Die
Polizeybehörde censirt nemlich nicht, wie man vermuthen
sollte, Schriften, welche in ihrer Eigenschaft und Bestimmung
interessiren, sondern sie censirt alle nicht
politischen Tagesblätter, sämmtliche Journale
und Zeitschriften, und alle Schriften, die nur
einige Seiten oder Bogen betragen. Ihr Eintritt
hat demnach durchaus keine natürliche und wesentliche Bestimmung,
da in der Hauptsache nur die periodische oder nicht
periodische Erscheinung der Schriften, oder ihr größerer
oder kleinerer Umfang entscheidet, wenngleich gar nicht
einzusehen ist, warum eine ausser allem Interesse der hiesigen
Stadt Polizeybehörde liegende Schrift, von jedem
wissenschaftlichen und literarischen Inhalt, wie es der
Zufall fügt, nur weil sie periodisch erscheint oder nicht
mehr oder weniger Bogen <320:> oder Seiten beträgt,
von der Polizeibehörde censirt werden soll.
Es
kann keinen Zweifel leiden, daß Schriften, welche hiesige
Polizey Angelegenheiten betreffen, wenn sie auch
aus zweÿen Alphabeten beständen, Volksschriften im
engsten Sinn, Brochüren für den gemeinen Mann, sowie die
für denselben bestimmten Flugblätter, wie z. B. der Beobachter
an der Spree u. dergl. und was sich aus ähnlichem Grunde
für diese Censur bestimmt, auch von der Polizeybehörde censirt
werden. Und wahrscheinlich ist auch die Einführung der stadt-polizeilichen
Censur anfangs nur auf eine Bestimmung dieser Art hinausgegangen.
Es ist aber
nicht
<10r>
nicht einzusehen, warum Zeitschriften welche hier für die
ganze literarische Welt geschrieben werden, und weder den
gemeinen Mann noch irgend ein stadtpolizeiliches Interesse
im Mindesten betreffen, warum Tageblätter, die das hiesige
gebildete Publikum mit dem des Auslandes wegen gemischter
Belehrung und Unterhaltung liest, z. B. der Freimüthige,
oder warum einzelne erscheinende Gedichte, Vorlesungen pp
eine polizeiliche Censur haben.
Ohne
die Nachtheile einer solchen von aller Rücksicht auf die
Natur der Sache entblößten Vertheilung meinerseits näher
erörtern zu wollen, bemerke ich nur das: daß eine so schwankende
Bestimmung niemals zu gebrauchen seyn wird, um sich der
wirklich geschehenen Censur aller hier erscheinenden oder
gedruckten Schriften durch eine zureichend bestimmte Vorschrift
für die Drucker und Verleger zu versichern.
Dagegen
würde folgende Bestimmung wenigstens alle diejenige Zuverläßigkeit
haben, die in dieser Sache überhaupt zu erreichen wäre.
Da nemlich der Bibliothekar Biester diejenige Censur hat,
die am zutreffendsten mit dem Namen der literarischen
oder allgemeinen belegt würde; so wäre es durchaus
angemessen, daß an denselben alle periodischen oder nicht
periodischen, größere oder kleinere Schriften und
Blätter gebracht würden, die sich nicht, zum eigenen
Augenschein der Drucker und Verleger, sofort zur politischen
oder polizeilichen Censur qualifizirten. Demselben
wäre sodann überlassen, aus diesen Schriften und Blättern
diejenigen noch einem dieser letztgenannten Censoren zuzuweisen,
in welchen das respective Interesse ihm kenntlich geworden
wäre, obwohl der Titel oder die erste Ansicht es nicht gezeigt
hätten. Meinerseits bin ich wegen dieser Ausscheidung mit
dem Bibliothekar Biester bereits ganz einverstanden.
Und es dürfte nur noch darauf ankommen, daß die in Frage
stehende Auseinandersetzung
zwischen
<10v>
zwischen demselben und der Polizeybehörde durch Erfordern
ihrer beiderseitigen näheren Erklärung eingeleitet würde.
Das
Motiv einer solchen natürlichen und festen Censur <321:>
Abgrenzung scheint mir unwiderleglich und ich finde die
Regierung in mehrfacher Hinsicht dabey wesentlich interessirt;
auch ist dieselbe dem Interesse meiner Censur insbesondere
nicht fremd, da jede Unzuverlässigkeit und Unklarheit der
Censur Einrichtung sich in Hinsicht der politischen Censur
am nachtheiligsten darthun kann. Indessen bin ich zu diesem
Vertrage mehr durch die vorbemerkten allgemeinen Rücksichten
auf eine durch natürlichen Grund und Zusammenhang erklärbare
und ausführbare Abgrenzung bestimmt; und müßte eine
nähere Entwicklung hierunter für mir nicht zukommend erachten.
Nur das glaube ich noch hinzufügen zu müssen, daß eine hierunter
getroffene, öffentlich bekanntgemachte und vorgeschriebene
neue Bestimmung auch den Vortheil haben würde, daß die Regierung
damit zugleich nochmals die Absicht erklärte, die Censur
aller erscheinenden Schriften ohne Ausnahme durchzuführen;
da bis dahin noch immer hier ohne Zweifel Schriften gedruckt
werden, auch erscheinen, die gar nicht censirt sind, indem
der Staat deshalb bisher weder in der allgemeinen Vertheilung
noch in andern Einrichtungen irgend eine Controlle gehabt
hat, und die Censoren selbst (: allein die streng politischen
Schriften abgerechnet :) beÿ jeder andern Schrift stets
möglich halten können, daß eine, von einem derselben
nicht censirte Schrift, von einem der übrigen beÿ
den Censoren das Imprimatur erhalten haben kann.
Auch hoffe ich keiner Misdeutung ausgesetzt zu seÿn, wenn
ich bey dieser ganz allgemeinen Erörterung des Gegenstandes
noch hinzufüge, daß das Censurgeschäft von solcher Art ist,
um sich nicht füglich auf andere Personen, als die unmittelbar
von der Regierung ernannten, übertragen zu lassen; daß es
aber dem so vielfältig beschäftigten
Präsidenten
<11r>
Präsidenten der hiesigen Polizey, schlechterdings unmöglich
fallen muß, ausser denjenigen Tagesblättern und andern Schriften,
die wesentlich unter desselben Censur fallen, noch selbst
die Censur mehrerer gemischten Tagesblätter, Zeit- und anderer
-Schriften persönlich zu leisten; so daß, auch von dieser
Seite betrachtet, die Ausdehnung der stadtpolizeilichen
Censur über ihre natürlichen Grenzen, sich keineswegs empfiehlt.
Was
nun zweitens die Abgrenzung der mir übertragenen
politischen Censur mit der allgemeinen betrifft;
so hat sich dieselbe, unter Zustimmung der Herrn Sections
Chefs, und nach meinem eigenem Wunsche, streng politisch
oder dergestalt bestimmt,
daß
allein solche Schriften, die auf äußere Politik ihre
Hauptbeziehung haben oder in welchen eine Beziehung solcher
Art andern Gegenständen auf merkliche Weise beygemischt
ist, je nachdem ihr Titel dieselbe kenntlich gemacht, unmittelbar
von den Buchdruckern an mich gekommen, oder von dem allgemeinen
Censor an mich überwiesen sind. <322:>
Hiernach
sind nicht allein staatswissenschaftliche, und historisch-statistische
Schriften p welche den hiesigen Staat nicht zunächst
betrefen, sondern auch dann, wenn letzteres wirklich
der Fall, und Gegenstände unserer Verfassung, unseres
Staatsrechts p ihr Inhalt waren, an die allgemeine
Censur gefallen; und es ist darunter auch dann keine
Ausnahme gemacht, wenn mit Schriften der letztern
Art solche delikatern Rücksichten, als man mit Rücksichten
der innern Politik bezeichnen
kann, verbunden waren, * Und ich habe mir bey verschiedenen
einzelnen Vorfällen, ohne daß eine allgemeine hierunter
getroffene Verfügung mir bekannt wäre, vernommen,
daß bey Schriften oder auch in Tagesblättern vorko·enden
einzelnen Aufsätzen solchen Inhalts, die Vermittlung
einer besondern Censur von Seiten des Herrn
Geheimen
|
* Wenigstens sind Schriften letzterer Art weder vormals
noch neuerlich zu meiner Censur gekommen.
|
<11v>
Geheimen Staatsraths Sack, als Chefs der allgemeinen
Polizeÿ, erfolgt ist. Ob es hierunter zweckmäßig und noch
erforderlich seÿn dürfte, wegen allgemeiner
Anordnung einer solchen besondern Censur für Schriften,
welche eine Beziehung der innern Politik haben, einen
Entschluß zu fassen, wird zur Erwägung des letztgenannten
Herrn Chefs stehen. Und ich habe dabeÿ, nach vielfältiger
Erfahrung nur den Wunsch, daß auch hierin den Verlegern
und Druckern eine feste allgemeine Bestimmung kenntlich
werde, damit die Ungewißheit, wo die Censur zu suchen seÿ,
nicht Eludirungen und Umgehungen derselben veranlasse; was
bey Ueberweisungen von einer Censur Behörde an die andere
leicht der Fall seÿn kann. Sollte von dem Herrn Chef der
allgemeinen Polizeÿdie dermalige Uebertragung aller Schriften
solcher Art an eine neue, demnach vierte Censurbehörde
zweckmäßig gefunden werden; so würde es, da dergleichen
Schriften zu meiner Censur gar nicht kommen, deshalb einer
Eröfnung an den Bibliothekar Biester bedürfen,
indem die öffentliche Bekanntmachung einer solchen neuen
Anordnung in diesem Augenblicke vielleicht nicht rathsam
gefunden wird. Ob die dermalige Uebertragung einer solchen
neu angeordneten Censur an eine von den Absichten der Regierung
materiell unterrichtete Person überhaupt zweckmäßig
seÿ, steht nicht zu meiner Erörterung. Indessen wird eine
deshalb aufgeworfene Frage immer von der höhern Frage abhängen:
welche
Maximen oder Grundsätze die Regierung dermalen in Hinsicht
aller öffentlichen Aeusserung über Gegenstände innerer,
staatswissenschaftlicher oder finanzieller Politik hat,
und ob dieselbe es beabsichtigt, hierunter nicht allein
negativ, oder zur Verhütung des Ungebührlichen, Ressortwidrigen
pp sondern auch positv, d. h. durch eine gewisse Leitung
der öffentlichen Mei-
nung <323:>
<12r>
nung einzuwirken, was freilich allemal schwierig und mißlich
ist, von der Lage einzelner Augenblicke indessen vollkommen
gerechtfertigt wird.
Der
itzige allgemeine Censor, Herr Biester wird nach
seiner bekannten persönlichen Qualifikazion ohne Zweifel
jeder Forderung entsprechen, die auf den erst erwähnten
negativen Zweck der Censur gerichtet werden kann.
Für den positiven bemerkten Zweck kann derselbe aber
wenigstens aus Details-Kenntniß nach seiner Lage nichts
Näheres leisten. Auch lassen mich vormalige Aeusserungen
desselben in dieser Hinsicht schließen, daß er sich durch
Auforderungen der letztern Art leicht beschwert oder genirt
finden dürfte. Ob es rathsam erachtet werden dürfte, mir
hierunter, wenigstens wegen der mir obliegenden Censur der
hiesigen Zeitungen, eine leitende Aeusserung zukommen zu
lassen, muß ich gegenwärtig erwarten, da ich dem Bescheide
auf eine beÿ dahin geeigneter Gelegenheit gemachte unmittelbare
Vorlegung bis jetzt vergebens entgegengesehen habe. Indessen
hoffe ich, mit einer allgemeinen Bekanntmachung des über
den Inhalt dieser itzigen Erörterungen etwa gefassten Beschlusses
auch in der letztgedachten besondern Beziehung eine mir
allerdings nicht unwichtige besondere Belehrung zu erhalten.
Auch die Censurfreiheit der gelehrten Institute,
wegen welcher ich früher meine Ansicht vorgelegt habe, hat
zwar in dem vorläufigen Reglement der hiesigen Universität
eine nähere Bestimmung erhalten. Da dieses Reglement
aber keine nähere allgemeine Publicität hat; so dürfte jene
Einrichtung ausserdem, daß sie den Censoren bekannt gemacht
werden würde, auch wohl noch eine öffentliche
Bekanntmachung erhalten oder wenigstens den hiesigen Buchhändlern
und Buchdruckern mitgetheilt werden müssen,
damit
<12v>
damit auch in dieser Hinsicht keine Vergehungen der Censur
oder sonstige Misbräuche vorfallen.
Himlÿ
H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 77, Tit. 1, Nr. 7,
Bl. 9-12
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