Arno Barnert
in Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei
Theater Zensur. Quellen zu Heinrich
von Kleists Berliner Abendblättern, in: BKB
11 (1997), 29-353; darin: 297-301
Karl August v. Hardenberg: Bericht zum Theaterskandal,
Berlin, 15. 12. 1810 (Entwurf)
<12r>
Ew: Königliche Majestät haben durch die an mich den
Feldmarschall Grafen von Kalkreuth gerichtete
Allerhöchste Cabinets-Ordre vom 29ten
v. M., uns den Auftrag zu ertheilen geruht, dafür
zu sorgen, daß die Untersuchung wegen der am 26.ten
v: M. in dem hiesigen Schauspielhause vorgefallenen
Unordnung gegen die Schuldigen gründlich, doch schleunigst
geschehe und demnächst die Bestrafung der Ruhestöhrer
erfolge.
Schon
vor dem Eingange derselben hatte der Geheime Staats-Rath
Sack als Chef der Allgemeinen Polizeÿ-Verwaltung
die am 21ten v. M. zwischen dem
jungen von Thümen und dem PolizeÿInspector
Holthoff bei Gelegenheit eines Lärms im Theater bei
erster Aufführung des Singspiels: Die Schweizerfamilie
vorgefallene Differenz, mit einer angemeßenen scharfen
Rüge und Verwarnung des p Holthoff, einer
Geldstrafe von 25 Rth. und einer Abbitte an den jungen
von Thümen bestraft, wodurch diese Sache
zur Zufriedenheit seines Vaters, des Obristen von
Thümen völlig abgemacht ist. Zugleich hatte er
wegen des ungleich weiter gehenden Vorfalls am 26.ten
d. M. eine nähere Untersuchung durch eine gemeinschaftliche
Commission, weil sowohl Militair- als Civil-Personen
für die Thäter angegeben waren, eingeleitet. Diese
ist in Gemäsheit Ew: Königlichen Majestät Allerhöchsten
Bestimmung, durch den Obrist-Lieutenant von Willissen
und Stadtgerichts-Director von Schlechtendahl
geführt und hat nach Vernehmung vieler Zeugen und
der von ihnen überhaupt als Thäter angegebenen 22.
Personen folgendes Resultat ergeben:
Sowohl aus den Vernehmungen der Zeugen, als aus mehreren
Umständen ist anzunehmen, daß die an dem Lärm im Theater
schuldigen
Per-
|
Cessat
nach
genommener Rück-
sprache mit d Hrn Feld-
marschall
Hbg
|
<12v>
Personen eine Verabredung dazu vorher getroffen und mit
der Absicht die Ruhe zu stöhren in daßelbe gegangen sind,
teils um der Demoisell Herbst und der Theaterdirection
ihre Unzufriedenheit mit der Wahl dieser Schauspielerin
zu erkennen zu geben, teils um wegen des Vorfalls am 21.ten
mit dem p von Thümen, den vermeintlich beleidigten
Adlichen- und Offizier-Stand zu rächen. Es ist dadurch bewiesen,
daß während der Aufführung des Stückes und sobald die Demoiselle
Herbst erschienen, das Zeichen zum Auspochen derselben
aus der Fremden-Loge gegeben und dieses dann von dem Parterre
aus so lange fortgesetzt und von beiden Seiten her so lange
gepocht, gepfiffen und gelermt ist, bis der Vorhang niedergelaßen
und andere Vorstellungen gegeben werden müßen. Die auf Befehl
des Comandanten, den ich der FeldMarschall Graf
von Kalckreuth zur Erhaltung der Ruhe und Verhütung
solches Benehmens aufgefordert hatte, hingeschickten Major
von Both und Platz Major von Gontard,
haben diesen Unfug nicht zu verhindern vermogt, und die
damit beschäftigten Bürger Garde Offizier und Unteroffizier
sind, ohngeachtet sie im Namen des Gouvernements
Ruhe und Ordnung geboten; verlacht und gegen die Polizeÿ-Offizianten
sind drohende Worte ausgesprochen worden; Als Anstifter
und Vollbringer dieses Unfugs sind mehrere, teils active,
teils inactiveOffiziere angegeben und ihre thätige
Theilnahme daran hat nicht geleugnet werden können; dagegen
nur ein Paar Civilisten, und auch diese bis auf den jungen
Grafen Blankensee, außer Verbindung mit je- <298:>
nen ausgemittelt worden.
Indeßen
ist über jene Verabredung und Verbindung keine Gewisheit
zu erlangen gewesen, und diese ist auch darum nicht zu er-
war-
<13r>
warten,weil die Theilnehmer solches gänzlich geleugnet und
sich einstimmig erklärt haben, daß sie sich nicht verpflichtet
und es ihrer Ehre zuwider hielten, irgend Jemand anzugeben,
und weil dabei keine Zeugen zugegen gewesen sind. Es wird
daher auch zu nichts führen, wenn die Untersuchung näher
fortgesetzt und darüber ordentlich erkannt würde.
Immerhin
erscheint indessen das Benehmen der an den Unruhen vorzüglich
Theilgenommenen Personen strafwürdig. Nicht blos, daß wegen
verabredeter Beunruhigung des Publikums große Wahrscheinlichkeit
vorhanden ist, welches, wenn es erwiesen wäre, das Vergehen
der Unruhstiftung begründen würde, sondern weil durch ein
öffentlich bekanntgemachtes Publicandum des Gouvernements
und Polizeÿ-Präsidenten vom 20.ten December
v. J. diese Störung des Publikums durch lautes Pfeiffen
und Pochen während der Vorstellung bei Strafe, aus dem Hause
entfernt, zur Verantwortung gezogen und ihnen bei Wiederholung
der Eintritt in das Schauspielhaus verboten, jede persönliche
Beleidigung der mit der Ausführung beauftragten Polizeÿ-Offizianten
aber nach der Strenge der Gesetze bestraft werden soll.
Diese
Widersezlichkeit und Nichtbefolgung der Obrigkeitlichen
Befehle ist nun dadurch hier begangen, daß während des Schauspiels
ein solcher Lerm erhoben ist, daß nicht fortgespielt werden
können, daß solches in Gegenwart des dazu von dem Gouvernement
beauftragten Commandanten und des dazu von demselben
bestellten Majors von Both und p von
Gontard geschehen, daß die zur Erhaltung der Ordnung
hingestellten Bürgergardisten verlacht und den PolizeÿOffizianten
gedroht ist. Solche Eigenmächtigkeiten können un-
seres
<13v>
seres Erachtens nicht ungeahndet gelaßen werden. Dieses
ist man dem ruhigen, durch das unvorsichtige und unüberlegte
Benehmen einzelner Personen in seinem öffentlich garantirten
Vergnügen gestörten Publikum, dem Ansehen der Obrigkeitlichen
Autorität und der Regierung, so wie der Theaterdirektion
selbst schuldig, und das Gegentheil dürfte die Wiederholung
ähnlicher Auftritte sehr bald zur Folge haben und nicht
zu bestimmen seÿn, wie weit solche zum Anstoß des Ein- und
Auslandes gehen könnten. Da bloße Verwarnungen nichts helfen,
wie Ew: Königlicher Majestät nicht geachteter Befehl vom
5.ten December 1803. an den FeldMarschall
von Moellendorff und das durch das Gouvernement
und Polizeÿ-Präsidium erlaßene Publicandum vom
20ten December pr: beweiset,
so schlagen wir vor, bei jetziger Veranlaßung, folgende
Maasregeln zum Beispiele anderer und Verhütung ähnlicher
anstössiger Auftritte zu treffen:
1., würden die Haupttheilnehmer an dem jetzigen Vorfalle,
in so fern sie noch im Militairdienst sind, von
hier versetzt, oder, als inactive Offiziere ihnen
ein anderer Aufenthaltsort angewiesen werden müßen. Dazu
würden der Major von Moellendorff, der Staabsrittmeister
von Werder jun:, der Lieutenant von
Wirsbitzkÿ und der Lieutenant Neuhaus zu bestimmen
sein. <299:> Der Major von Moellendorff ist,
so sehr er es auch leugnet, nach allen Umständen und Aussagen
zu urteilen, der Hauptanführer der jetzigen Faction
ebenso gewesen, wie er es im vorigen Jahre bei dem Vorfall
mit der Madame Beckmann war, welcher zu dem Publicando
vom 20ten December pr: Veranlaßung
gab. Der
Gÿm-
<14r>
Gÿmnasiast von Thümen hat es bekundet, daß er von
ihm ausdrücklich zu einer bei ihm gehaltenen Versammlung
mehrerer Personen vom Adel veranlaßt ist, sich über den
Vorfall vom 21ten November zu
beschweren, und daß die Sache von ihm besonders eifrig betrieben
worden: Es ist ausgemittelt, daß schon seit langer Zeit
sich bei ihm 40. bis 50. Personen aus allerhand Ständen
Vormittags um 11. Uhr versammeln, um über Tagesbegebenheiten
aller Art sich zu unterhalten und zu discutiren;
er hat selbst angegeben, daß Tags nach dem Vorfalle die
Mutter der Demoiselle Herbst zu ihm gekommen und
ihn gebeten habe: zu besorgen, daß die Tochter das nächste
Mahl mit Beifall aufgenommen und so wieder in ihrem Ansehen
hergestellt werden möge; Alles das zeigt, daß er an der
Spizze solcher Factionen sich zu stellen gesucht,
und sie ganz zu zerstören, halten wir für das beste,wenn
er etwa auf Ein Jahr in eine andere Garnisonstadt, deren
Bestimmung Ew: Königlichen Majestät anheimgestellt bleibt,
versetzt würde. Der Staabsrittmeister von Werder
wäre nach Ziesar, wohin er gehört, ganz zu verweisen,
so wie der von Wirsbitzkÿ an den Standort des Colbergschen
Grenadier-Bataillons, da er nur des Unterrichts halber hier
ist, der Neuhaus aber, mit Beibehaltung seines
Rangs, wenn auch nur auf die Zeit eines Jahres,
in ein anderes Regiment. So wäre aus jeder Classe ein Exempel
statuirt worden.
2., Von den ganz außer Dienst befindlichen und als Particuliers
lebenden Personen könnte man ein Paar, meist gravirten,
den Besuch des Schauspielhauses, so wie es in dem Publicando
vom 20ten December pr: ausdrücklich
angedroht ist, auf Ein halb Jahr untersagen und darauf halten
laßen, daß es befolgt werde. Dieses würde auf sie und die
übrigen einen starken Eindruck machen und eine andere Bestrafung
scheint uns nicht wohl zuläßig zu seÿn.
Hiezu
<14v>
Hiezu würden wir nun vorschlagen den Grafen von Herzberg,
den gewesenen Rittmeister von Werder und den Grafen
von Blankensee. Ersterer hat geständigermaßen 7.
Billets für die Fremden Loge genommen, sie unter andern
verteilt und nach der Angabe mehrerer Zeugen das Signal
zum Pochen durch 2. maliges in die Hände Klatschen gegeben,
und ^er ist es^ der als ehemaliger Gensd'armes
Offizier zu der Faction, die damals das Theater-Publikum
zu beherrschen suchte, ^gehörte^. Der von
Werder der älteste war es, der den Major von
Both, wie dieser die Ruhe in dem Parterre
herstellen wollte, entgegentrat und ihm äußerte; er laße
sich in der Aeußerung seiner Meinungen durchaus nicht einschränken,
auch mit Aufhebung des Stocks hinzufügte: und kommt die
Polizeÿ,so werde ich sie mit dem /: Stocke :/ abführen.
Auch hat er dem Kaufmann der Seidenhandlung Riese,
der als Unteroffizier der Bürgergarde commandirt
war und der mit größter Mäßigung zur Ruhe ermahnte, sonst
die Arretirung ankündigte, geantwortet: Herr, von
Ihnen laße ich mich nicht arretiren, ich bin der
Rittmeister von Werder, welches Benehmen um so
straffälliger ist, da Ew: Königliche Majestät erst kürzlich
der BürgerGarde dero völligen Schutz gleich andern Miltair-Personen
in ihrem Dienste öffentlich versprochen haben.
Der
Graf von Blankensee hat den Gÿmnasiasten von Thümen
zu dem Major von Moellendorff veranlaßt, um mit
diesem gemeinschaftlich über die <300:> weitere Behandlung
der Thümenschen Angelegenheit Verabredung zu treffen.
Er ist an dem Tage des Vorfalls in das Parterre
gegangen, hat gleich bei dem Hineingehen gefragt: es werde
heute doch die SchweizerFamilie gegeben; hat sich bei dem
Lärm besonders ausgezeichnet und soll sich mit Waffen versehen
haben, welches er indeßen der unter dem Pelz gehabten LandschaftsUniform
zuschreibt.
3., Die übrigen Theilnehmer würden einzeln nicht zu beahnden,
sondern nur
im
<15r>
im Allgemeinen, den Offizieren durch einen Parol-Befehl
die obige Bestrafung zu 1. bekannt zu machen, sie ernstlich
vor ähnlichen Vorfällen zu warnen und ihnen in solchen Fällen
eine ernstlichere Bestrafung anzukündigen sein.
Von
Civil-Offizianten ist nur der Calculator Reissert
bei der Abteilung für das Cassen-Wesen im Finanz
Ministerio als Theilnehmer an dem Vorfall angegeben
und anerkannt; indeßen hat er nicht zu der von Moellendorffschen
Verbindung gehört und will aus eigenem Triebe, da er mit
seinerFrau in einer Parterrebanck war, nur mit
dem Regenschirm etwas gepocht haben, weil die nächsten Personen
neben ihm so sehr geklatscht hätten. Indessen wird auch
ihm eine gleiche ernstliche Verweisung durch seine Behörde
zu erteilen sein.
4., Zu Herstellung des öffentlichen obrigkeitlichen Ansehens,
und besonders auch der Theater-Direction, halten
wir für nötig, daß Ew: Königliche Majestät die ungesäumte
Aufführung des Stücks: Die Schweizer-Familie mit derselben
Besetzung befehlen, und daß dann ernstlich geahndet würde,
wenn dennoch was aber gar nicht zu erwarten ist
dergleichen Unfug vorfallen mögte.
5., Zu diesem Ende würde die strenge und genaue Aufsicht
zu Verhütung ähnlicher Gegenstände sowohl dem Comandanten
als dem Polizeÿ-Präsidenten, ersterm durch mich den p Grafen
von Kalckreuth, letzterm durch den Geheimen Staatsrath
Sack einzuschärfen und von diesen mit Ernst darauf
zu halten seÿn.
6., Wegen des jetzigen Vorfalles selbst aber würde sowohl
der Comandant Obrist Lieutenant von Brauschitz
als der Major von Both und der Platz Major
von Gontard einen Verweiß verdient haben. Ersterem
war von dem PolizeÿPräsidenten Gruner wiederholt
angezeigt, daß dergleichen Unruhen zu befürchten wären und
er war um die nöthigen Vor-
keh-
<15v>
kehrungen gebeten; Allein er gab gleich wenig guten Willen
zu erkennen, dergleichen zu treffen, indem er schriftlich
antwortete, die Offiziere kennten die Befehle und würden
sie nicht überschreiten, wenn man sie nicht dazu reize;
und da seine Bestimmung, weshalb er täglich eine Frei-Loge
erhält, die ist, um Ordnung und Ruhe zu gebieten, auch ich
der FeldMarschall Gr: v. Kalkreuth ihn dazu ausdrücklich
für den gedachten Tag beauftragt hatte; so mußte er sich
auch der Sache mit Ernst und Nachdruck annehmen; auch die
Major von Both und von Gontard, die dazu
von ihm commandirt waren, mußten sich dienstordnungsmäßig
betragen und es ist nicht anders anzunehmen, als daß, wenn
dieses geschahe, der ganze Unfug gleich im Entstehen gedämpft
sein würde. Die Arretirung des Erstenbesten, der
sich diesen Anordnungen nicht fügte, war dazu hinreichend,
aber wie der Commandant selbst sich entfernte und
der Major von Both nur zu glimpflichen Maasregeln
anrieth, da hatte die Faction bald die Ueberhand
bekommen.
Außer
den besonders in diesem Falle unangenehmen Folgen war dadurch
von selbst eine höchst gehäßige Vergleichung dieses Benehmens
<301:> mit dem der französischen Offiziere veranlaßt,
die während der Occupation, sobald ähnliche Auftritte
anfingen, sofort die Personen arretirten. Dies
wird jetzt laut geäußert und hat selbst zu einer Differenz
zwischen dem Rittmeister von Eÿsenhardt und dem
Kammerdiener des Prinzen August Königliche Hoheit,
Veranlaßung gegeben.
Ew: Königlichen Majestät stellen wir die Genehmigung dieser
unserer Vorschläge allerunterthänigst anheim, und legen
zu etwaniger Allerhöchster Einsicht der nähern Umstände,
eine Darstellung aus den Untersuchungs-Acten mit
vor.
Berlin, den 15ten December 1810.
An des Königes Majestät.
H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 74, J, XI, Nr. 1,
Bl. 12-15
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