Arno Barnert in
Zusammenarbeit mit Roland Reuß und Peter Staengle, Polizei
Theater Zensur. Quellen zu Heinrich von Kleists Berliner
Abendblättern, in: BKB 11 (1997), 29-353; darin: 280-282
Willissen und Dietrich Friedrich Karl v. Schlechtendahl an Friedrich Adolf
v. Kalckreuth und Johann August Sack, Berlin, 9. 12. 1810
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Abschrift
Er: Excellenz und Er: Hochwohlgeboren Auftrage gemäß, haben wir uns der Untersuchung
über die am 26ten November im Schauspielhause
vorgefallenen Unruhen unterzogen. Wir haben diese ganze Woche ununterbrochen mit
Vernehmung der als Zeugen und Theilnehmer nahmhaft gemachten Personen zugebracht, und da
diese Vernehmungen sämtlich beendigt sind, halten wir uns verpflichtet, die bisherigen
Verhandlungen gehorsamst zu überreichen, zu deren Uebersicht wir anliegende Species
facti beifügen, worin die Resultate dieser Verhandlungen verzeichnet sind.
Aus derselben ergiebt es sich, daß
1., über eine Verabredung,
daß am 26. Novbr die Vorstellung des Singspiels: Die Schweitzerfamilie durch
Pochen und Pfeifen unterbrochen werden sollen, nichts hat dargethan werden können. Dies
ist auch ganz natürlich, indem die Theilnehmer eine solche Verabredung nicht eingestehen
werden, und Zeugen darüber nicht vorhanden sind. Indessen haben sich bei der Untersuchung
manche Umstände ergeben, die auf die Vermuthung einer Verabredung führen könnten;
allein es würden dieselben, wenn sie auch sämtlich förmlich bewiesen wären, doch nicht
zur Ueberführung irgend eines Theilnehmers <281:> an einer solchen Verabredung
hinweisen, und also nicht dazu dienen können, eine gesezliche Bestrafung zu veranlassen.
Wir glauben, daß es sich aus
den bisherigen Verhandlungen hinlänglich ergiebt, daß ein Theil derer, die den Lerm
verursacht haben, vorher die Absicht zu pochen mit in das Schauspielhaus gebracht haben
mag, und vielleicht selbst gegeneinander ausgesprochen haben könne, daß aber der
größte Theil der Pocher nur mit eingestimmt habe, weil es zum Ton des Tages zu gehören
scheint über die Schauspielerin Herbst ein ungünstiges Urtheil zu fällen und
die Direktion des Theaters zu tadeln, daß sie Schau-
spie-
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spieler auftreten läßt, gegen die sich irgendein Unwille, sei es des Publikums oder
einiger Schauspielbesucher, die sich diesen Namen beilegen erklärt hat.
Daß der Vorfall mit dem
Gÿmnasiasten von Thümen, der bei der ersten Vorstellung der Schweizerfamilie
sich ereignete, mit dem Lerm bei der 2ten Vorstellung in
Verbindung stehe, hat ebenso wenig ausgemittelt werden können. Es kann wohl sein, daß
der allgemeine Unwille gegen das Benehmen des Pol: Insp: Holthoff etwas dazu
beigetragen hat, die Gemühter zu erbittern, soviel ist wenigstens durch die Untersuchung
ausgemittelt, daß das Benehmen der Herbst die Abbitte des von Thümen
anzunehmen, auch zum Auspochen derselben Veranlaßung gegeben hat.
2., Von den einzelnen
Theilnehmern am Lermen sind mehrere durch Geständniß ausgemittelt, wie sich dies aus der
anliegenden Species facti näher ergiebt. Mehrere kleine Details
sind hierüber von den Zeugen angegeben, deren Aussagen ohne Eid jedoch keinen juristischen
Beweis ausmachen. Aber auch die Aufnahme dieses Beweises würde zu nichts führen, da eine
Verabredung nicht dargethan werden kann und ohne diese bei der Unbestimmtheit des Publicandi
vom 20. Dec. 1809 Fol. 15. der Acten gar kein Grund vorhanden
ist, durch einen Rechtsspruch auf gesetzliche Strafe zu erkennen. Zu einer förmlichen
fiscalischen oder Criminal-Untersuchung fehlt es daher überall an hinlänglichen
Gründen und es bleibt nur die Bestimmung übrig, inwiefern gegen die angegebenen
Theilnehmer am Lermen zur Verhinderung eines ähnlichen Benehmens polizeiliche
Verfügungen zu erlassen sein und welche Vorkehrungen überhaupt getroffen werden müssen,
für die Zukunft solche Störungen des ruhigen Publikums im Genuß der öffentlichen
Vergnügungen zu verhindern, welches wir der hohen Beurtheilung gehorsamst anheimstellen.
Was die einzelnen zur Sprache
ge-
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gebrachten Vorfälle betrifft, so scheint uns die Aeußerung des p Beÿrich blos
eine Privatbeleidigung für den einzelnen zu enthalten, der solche auf sich ziehen zu
müssen glaubt, und es würde also dem vermeintlich Beleidigten überlaßen bleiben, im
gesezlichen Wege der Injurien-Klage seine Ansprüche geltend zu machen; die
Vergleichung mit der französischen mit der hiesigen Polizeÿ, die der
Kammerdiener Uhde angestellt hat, scheint gar keiner Beachtung werth und könnte
nur <282:> bei den ohnehin gereizten Gemüthern aufgegriffen werden, die Unruhe zu
vermehren.
Berlin, den 9. Decbr
1810.
v. Willissen v.
Schlechtendahl.
An des Königl: FeldMarschalls p
Herrn Gr. v. Kalckreuth Excell:
und
An des Königl: Geh: Staatsraths
und Chefs des allge: Polizeÿ
Depts p Herrn Sack Hochwohl-
gebohren.
H: GStA-PK, Sign.: HA I, Rep. 77, Tit. 420, Nr. 2, Bd. 1, Bl. 83-84
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